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Tag 1: Eine Ziga­rette im Balkan

Der Bal­kan raucht. Es dampft aus allen Mün­dern. Ist keine Fluppe im Mund­win­kel mei­nes ein­ge­bo­re­nen Gegen­übers beschleicht mich ein selt­sa­mes Gefühl… Hier stimmt doch was nicht! Denn nahezu jeder scheint zu rau­chen, und dies über­all. In Cafés natür­lich, Restau­rants, aber auch in vie­len Läden, in Bus­sen, Taxen und Zug­ab­tei­len mit Nichtraucheraufkleber.

Das stört mich nicht. Rau­che ja selbst gern mal eine Kippe (und ein Euro für die Schach­tel ist ein ver­nünf­ti­ger Preis). Hat mir aber zu den­ken gegeben.

Denn das Rau­chen ist nur ein klei­ner Aus­druck einer beson­de­ren Lebens­ein­stel­lung, die sich sehr stark von unse­rer unterscheidet.

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Ich erkläre es mir fol­gen­der­ma­ßen: Durch die vie­len Kriege, Kri­sen und Kata­stro­phen, wel­che die Men­schen des Bal­kan in den letz­ten Jahr­zehn­ten ertra­gen muss­ten, haben sie das Ver­trauen in eine plan­bare Zukunft ver­lo­ren. Wer weiß schon, was mor­gen pas­siert? Jeder­zeit kann alles auf den Kopf gestellt wer­den. Nichts ist sicher, nichts ver­si­cher­bar. Die Reak­tion ist sym­pa­thisch: Genie­ßen wir die Gegen­wart! Rau­chen, Fei­ern, Spaß! Und das Mor­gen wird schon wer­den, wir wursch­teln uns durch.

Was für ein Unter­schied! Denn Sicher­heit und Pla­nung sind die Zwil­lings­göt­zen der Deut­schen. Ver­si­che­run­gen für jede mög­li­che Vari­ante des Schick­sals. Angst und Schre­cken: Jetzt für das Alter absi­chern! Pri­vate Vor­sorge! Kar­rie­re­pla­nung: Was mache ich in zwan­zig Jah­ren? Du hast dir das nicht über­legt? Ver­rückt! Du kün­digst dei­nen Job? Ein­fach so? Bescheuert.

Der kleine, feine Haken: Es ist eine Illu­sion. Die Zukunft ist unvor­her­seh­bar. Die pri­va­ten Erspar­nisse gehen mit Leh­man Brot­hers schwupp­di­wupp ins unauf­find­bare Nir­vana, aber du darfst nicht mit zu den Jung­frauen. Der lang­wei­lig sichere Job ist schnel­ler weg als du dem neuen Abtei­lungs­lei­ter „Bis Mor­gen!“ zuru­fen kannst. Dein Part­ner fin­det deine Zukunfts­pla­nung viel­leicht weni­ger toll als eine(n) Andere(n), und nennt dich ab mor­gen Ex.

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Vor­sorge und Absi­che­rung für Not­fälle ist schon was Gutes. Logo. Doch der Glaube an die Kom­plett­ver­si­che­rung gegen das Leben ist über­trie­ben. (Und so teuer, dass ich bis­her nicht in die Ver­le­gen­heit kam, meine Zukunfts­si­che­rung mal so rich­tig ver­nünf­tig anzugehen…)
Das machen die Leute hier im Übri­gen auch anders: Sie wer­fen ein­fach eine Bus­la­dung Kin­der, die müs­sen sich dann um die alten Herr­schaf­ten küm­mern. Inter­es­san­tes Konzept ;-)

Jetzt eine Ziga­rette. Auf die Zukunft.

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In 14 Tex­ten um die Welt! 

Tag 1: Im Balkan
Tag 2: Damas­kus, Syrien
Tag 3: Petra, Jordanien
Tag 4: Sierra Leone
Tag 5: Kap­stadt, Südafrika
Tag 6: Decep­tion Island, Antarktis
Tag 7: La Paz, Bolivien
Tag 8: Havanna, Cuba
Tag 9: Tijuana, Mexiko
Tag 10: Mel­bourne, Australien
Tag 11: Sula­wesi, Indonesien
Tag 12: Hanoi, Vietnam
Tag 13: Don Det, Laos
Tag 14: Bhutan

Cate­go­riesMon­te­ne­gro Welt
Johannes Klaus

Johannes Klaus hängte seinen Job als Grafikdesigner an den Nagel, um 14 Monate um die Welt zu reisen. Seine Website Reisedepesche wurde 2011 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. In unbeobachteten Momenten streichelt er den Preis zärtlich, besteht ansonsten aber darauf, dass ihm so was völlig egal sei.

  1. Marco says:

    Schö­nes Ding! Und es steckt viel Wahr­heit drin. Du fasst da aber auch gut zusam­men, was das Rei­sen mit einem macht: Man über­denkt plötz­lich alles, was einem vor­her wie die ein­zige Wahr­heit vor­kam. Dar­auf ne Kippe! (Und ich bin eigent­lich Nichtraucher)

  2. kristijan fabijan says:

    Gut gesagt Johan­nes! Du hast gut ver­stan­den worum es geht in mei­ner Ecke… Des­we­gen ist Deutsch­land mir lieber.…

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  4. Pingback:Pia Röder | Weltwundern in der Wüste

  5. Parker says:

    Für mich als Rau­cher super,…aber ich finde auch das Rauch­ver­bot gut, die Sachen stin­ken nicht mehr nac Qualm und unse­ren Pas­siv­rau­cher wer­den geschont. Aber der Bal­kan würde mich als Rei­se­land inter­es­sie­ren, viel­leicht kann man hier ja bald noch was schö­nes über den Bal­kan lesen.

  6. .… fehlt nur noch die Lust am Drama und an der Schwer­mut, das unbän­dige Lachen ange­sichts jeg­li­cher Kata­stro­phe – Lachen, bis die Trä­nen flie­ßen -; schon ist das Bal­kan-Bild kom­plett! Sehr schön.

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