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Victoria – The place to be

Mel­bourne gilt in ver­schie­de­nen Medien immer wie­der als eine der lebens­wer­tes­ten Städte der Welt – die muss ich mir natür­lich mal anschauen. Aber nicht nur Mel­bourne, son­dern ganz Vic­to­ria, einer der sechs Staa­ten Aus­tra­li­ens, rühmt sich zumin­dest laut Auto­kenn­zei­chen als „The place to be.“ Dabei gehö­ren Mel­bourne und die Great Ocean Road zusam­men wie Bay­ern und Leder­ho­sen – man muss sie sich ein­fach beide anschauen. Und wenn man schon dort ist, auch gleich den Gram­pians Natio­nal­park im Norden.

Wo Hips­ter als Norm gilt

Das Schönste ist, in einer neuen Stadt anzu­kom­men und sich ein­fach trei­ben zu las­sen. Zunächst ein­mal, ohne viel über die Stadt zu wis­sen, über ihre Lebens­qua­li­tät, Löhne, Geschichte, um sie mit der Nai­vi­tät eines Kin­des zu betrach­ten. Ich ver­bringe mei­nen aller­ers­ten Tag auf dem aus­tra­li­schen Kon­ti­nent in Mel­bourne – und fühle mich erst in Aus­tra­lien ange­kom­men, als es mich zum Queen Vic­to­ria Markt ver­schlägt. Hin­ter einer Menge Krims­krams-Stän­den kau­fen die Leute Lebens­mit­tel ein, dar­un­ter viel Fleisch: Kän­guru. Emu. Kro­ko­dil­fleisch. Ja, ich bin wirk­lich in Australien.

In den Stra­ßen des moder­nen Zen­trums könnte ich mich genauso gut in einer ame­ri­ka­ni­schen Groß­stadt befin­den. Viele Leute in Anzü­gen oder Kos­tü­men eilen an mir vor­bei, man­che haben einen Cof­fee-to-go in der Hand. Stra­ßen­bah­nen rat­tern vor­bei, Autos über­ho­len Busse. Mit­ten auf einem Bür­ger­steig sitzt ein jun­ger Mann hin­ter einem Klapp­tisch. „Wähl dein Thema, wähl einen Preis und du bekommst ein Gedicht“, steht auf einem Papp­schild. End­lich etwas Erfri­schen­des. Mel­bourne muss schließ­lich aus irgend­ei­nem Grund als „Hips­ter“ bezeich­net wer­den. Und: Statt Ampel­männ­chen ste­hen Ampel­frau­chen auf Rot oder Grün.

„In Mel­bourne ist es nichts Beson­de­res, Hips­ter zu sein, das ist hier die Norm“, erzählt mir wenig spä­ter Leo­nie, eine gebür­tige Nie­der­län­de­rin, die seit Anfang 2017 in Mel­bourne lebt und sich als Stadt­füh­re­rin für Urban Adven­tures ihren Lebens­un­ter­halt ver­dient. Meine kind­li­che Nai­vi­tät ver­pufft, wäh­rend mir Leo­nie immer mehr über die Stadt erzählt, die ihr Gesicht zum Strah­len bringt. Ich mag sie, diese Stadt­tou­ren zu Fuß, meist mit einem Ein­hei­mi­schen oder aber jeman­dem wie Leo­nie, der eine Stadt zur neuen Hei­mat erklärt und sich so hin­ein­ge­kniet hat, dass kein Geheim­nis der City vor ihm ver­bor­gen bleibt.

Wir ste­hen oben auf dem Eureka Sky­deck im 88. Stock, der mit 285 Metern höchs­ten Aus­sichts­platt­form der süd­li­chen Hemi­sphäre, zu der uns der eben­falls schnellste Auf­zug der süd­li­chen Hemi­sphäre gebracht hat. Doch die­ser Ort der Super­la­tive ist nicht bloß ein wei­te­rer Wol­ken­krat­zer in einer wei­te­ren Stadt – sein Name ist ein stol­zer Hin­weis auf die soge­nannte Eureka Sto­ckade, eine Rebel­lion wäh­rend des Vic­to­ria­ni­schen Gold­rau­sches im Jahre 1854. Dabei gin­gen Gold­grä­ber gegen die könig­li­che Auto­ri­tät Groß­bri­tan­ni­ens auf die Bar­ri­ka­den. „Wenn du genau hin­schaust, siehst du im Son­nen­licht oben am Gebäude eine gol­dene Krone, die den Gold­rausch sym­bo­li­siert“, erklärt Leo­nie. Ein roter Strei­fen weise dage­gen auf das wäh­rend der Rebel­lion ver­gos­sene Blut hin. Außer­dem sei es in den 1850ers erst­mals Arbei­tern in Mel­bourne gelun­gen, den Acht-Stun­den-Arbeits­tag durchzusetzen.

Flat white, alles Essen der Welt und Street Art

So geschicht­lich bedeu­tend Mel­bourne auch sein mag – künst­le­risch hat es nach mei­nem ers­ten Ein­druck noch mehr drauf. Beim Spa­zier­gang durch viele der Stra­ßen und Gas­sen komme ich mir vor wie in einer end­lo­sen, kos­ten­lo­sen Open-Air-Gale­rie. Street Art, wohin das Auge blickt. „Eigent­lich ist Street Art offi­zi­ell immer noch ille­gal“, weiß Leo­nie, „aber seit­dem Ban­sky einige Wände bemalte, gewann die Kunst an Anse­hen.“ Ins­ge­heim danke ich Ban­sky, einem der bekann­tes­ten Graf­fiti-Künst­ler der Welt.

Jede Street Art Tour beginnt in der berühm­ten Hosier Lane, einer win­zi­gen Gasse, in der sich die Tou­ris­ten mit ihren Foto­ap­pa­ra­ten und Han­dys drän­gen. Dabei wech­sel­ten die Bil­der stän­dig, so Leo­nie. Die Kunst des einen wird von dem Krea­ti­vi­täts­aus­bruch des nächs­ten über­malt, Ver­än­de­rung ist das Schlüs­sel­wort der Stra­ßen­kunst. Gerade des­halb gefällt sie mir. Sie ist wech­sel­haft und lau­nisch. Auch Müll­ton­nen wer­den von dem Far­ben­wü­ten nicht aus­ge­spart. Was einst düs­tere, stin­kende Gas­sen gewe­sen sein müs­sen, explo­diert nun vor Lebens­freude und Ausdrucksstärke.

Und mit­ten­drin in der kun­ter­bun­ten Kunst trinke ich ihn – mei­nen ers­ten Flat white. Eine der belieb­tes­ten Mel­bour­ner – und aus­tra­li­schen – Kaf­fee­va­ri­an­ten, die mir Leo­nie in einem Cof­fee shop in der Hosier Lane besorgt. Sie selbst hat einen Nach­füll­be­cher dabei, womit man 20 Cent weni­ger pro Kaf­fee zahlt. „Weg­werf­be­cher exis­tie­ren für mich nicht mehr!“ Im Grunde ist der Flat White wenig anders als ein Cap­puc­cino, nur noch mil­chi­ger. Angeb­lich strei­ten sich Mel­bourne und Auck­land in Neu­see­land dar­über, wo er denn nun erfun­den wurde.

Am bes­ten gefällt mir die etwas ver­bor­gen lie­gende AC/DC Lane. Eins der High­lights der Stra­ßen­kunst dort: eine 3D-Skulp­tur des ehe­ma­li­gen Lead­sän­gers von Aca­daca, Bon Scott, die durch die Haus­wand der Cherry Bar bricht. Noch Stun­den spä­ter lasse ich mich durch die Stadt trei­ben, stoße auf Gäss­chen, die wohl gerade erst von den Künst­lern ent­deckt wer­den, direkt neben ele­gan­ten Arka­den und Bou­tique-Gale­rien, die an Mai­land erin­nern. Etwas ver­rückt scheint es schon, die­ses Mel­bourne. Eine Stadt, in der laut Leo­nie etwa 230 ver­schie­dene Spra­chen und Dia­lekte gespro­chen wer­den und wo man prak­tisch jedes Essen der Welt findet.

Ich pro­biere es mal mit Dum­plings in Leo­nies Lieb­lings­re­stau­rant Shang­hai Pan-fried Bun in Chi­na­town, die seit den 1850ern durch­ge­hend in Mel­bourne existiert.

Die Dum­plings schme­cken so, als könnte man sie selbst in China nicht bes­ser machen. Wäh­rend man Dum­plings fast an jeder Ecke in Chi­na­town fin­det, gibt es jedoch etwas, das Mel­bourne fast für sich behält und das von Tou­ris­ten ohne ein­hei­mi­schen Guide kaum gefun­den wird: Bars, die sich in einer unschein­ba­ren Hin­ter­gasse hin­ter einer stink­nor­ma­len Haus­tür ver­ste­cken. Die Eau-de-Vie Spea­k­easy Bar trägt so eine win­zig kleine Auf­schrift über der Tür, dass ich sie ohne Leo­nies Hin­weis nie gefun­den hätte.

Ebenso ver­hält es sich mit zahl­rei­chen Roof­top Bars, zu deren hin­ter meh­re­ren Win­keln ver­steck­ten Auf­zü­gen man sich erst durch­fra­gen muss. Wie die Gol­die­locks Bar. Das bestimmte Gefühl, dass ich gern län­ger in Mel­bourne ver­brin­gen würde, über­kommt mich. Die City hat etwas Ver­trau­tes, das mich so anspricht wie ein freund­li­ches, ver­trau­tes Gesicht. Und das Beste: Alle Stra­ßen­bah­nen rund ums Zen­trum sind zwar recht über­füllt, aber auch für jeder­mann gratis!

Pin­guine in der City

Wie in jeder Stadt, die am Meer liegt, zieht es mich als Nächs­tes dort­hin. Mel­bourne hat keine auf­re­gende Küste mit welt­be­rühm­ten Strän­den wie Bondi in Syd­ney, aber manch­mal ist mir gerade das Unauf­re­gende auf Rei­sen zwi­schen­durch will­kom­men. Vor meh­re­ren Wochen, in denen ein High­light das nächste jagen soll, tut es gut, ein­fach mal einen recht nor­ma­len Strand vor einem recht nor­ma­len Meer zu sehen. Nur am Brigh­ton Beach rei­hen sich schmu­cke Strand­pa­vil­lons anein­an­der, bemalt mit den ver­schie­dens­ten Moti­ven und vol­ler Sprü­che, vor denen sich bald die ein­hei­mi­schen Besit­zer in der Sonne aalen.

Von dort ist es nicht weit zurück nach Mel­bourne, zum Stadt­teil St. Kilda, hübsch am Meer gele­gen mit unver­bau­tem Blick auf die Sky­line der City und vol­ler alter, gemüt­li­cher Häu­ser. Einst sol­len dort die Rei­chen gelebt haben, heute ist das Vier­tel eher Bohemian.

Das Restau­rant Len­til as any­thing bie­tet Essen ohne Gren­zen an – jeder zahlt das, was er kann und was ihm das Essen wert ist. Wem es mög­lich ist, der gibt 20 AUD für ein gesun­des Drei­gän­ge­menü aus, dafür bekom­men Obdach­lose ihr Mahl gra­tis. Durch die Fuß­gän­ger­zone, in der sich Cafés mit jeder Menge köst­li­cher Dick­ma­cher in den Aus­la­gen anein­an­der­rei­hen, gelange ich pünkt­lich zum Son­nen­un­ter­gang zur Ufer­pro­me­nade. Dort pil­gern Tou­ris­ten und Ein­hei­mi­sche zugleich zum Pier, und das aus gutem Grund: Am Ende des Stegs zei­gen sich nach Son­nen­un­ter­gang Unmen­gen an Zwerg­pin­gui­nen, die durch­ein­an­der schnat­tern wie ein Hau­fen wild­ge­wor­de­ner Hen­nen. Und das mit der beleuch­te­ten Sky­line von Mel­bourne im Hintergrund.

Eine der spek­ta­ku­lärs­ten Stra­ßen der Welt

Je mehr ich reise, desto mehr spüre ich es – das, was alle als das Spek­ta­ku­lärste und ach so Sehens­werte bezeich­nen, haut mich nicht mehr so rich­tig aus den Socken. Des Zeit­man­gels und auch der hohen Auto­miet­preise wegen lasse ich mich den­noch zu einer drei­tä­gi­gen Great Ocean Road Grup­pen­tour von Peter Pans hin­rei­ßen. Ich kann doch nicht in Mel­bourne sein und nicht die Great Ocean Road abfah­ren! Dabei ver­gesse ich glatt, dass ich Grup­pen­tou­ren nicht wirk­lich mag. Und schon gar keine, wo 24 Per­so­nen wie Sar­di­nen in einem Mini­bus mit nicht zu öff­nen­den Fens­tern hocken. Der Guide hat zwar die Geschichte der Great Ocean Road drauf wie ein Tra­pez­künst­ler einen Salto, aber ansons­ten macht er kei­nen Hehl dar­aus, dass er ähn­lich über die Gruppe denkt wie ich und das Ganze vom ers­ten Moment an ziem­lich doof findet.

Die erste Stunde in der Sar­di­nen­büchse ärgere ich mich, dabei zu sein. Frage mich, ob eine sol­che Tour jemals Ein­bli­cke statt nur Aus­bli­cke ver­mit­teln kann, die mir lang­sam nicht mehr rei­chen. Frü­her fand auch ich es toll, an jedem Foto­stopp meine Kamera zu zücken, ein paar Mal auf den Aus­lö­ser zu drü­cken und den super­tol­len Ort dann für immer abzu­ha­ken. Heute nicht mehr. Die 243 Kilo­me­ter lange Küs­ten­straße zwi­schen Tor­quay, unweit von Mel­bourne, und Warr­nam­bool ist spek­ta­ku­lär, keine Frage. Und sie ist ein Meis­ter­werk, ab 1919 gebaut von 3000 aus dem Ers­ten Welt­krieg zurück­ge­kehr­ten Sol­da­ten. Einer­seits, weil die Staats­re­gie­run­gen den jun­gen Män­nern so Arbeit ver­schaffte, ande­rer­seits, weil sie den gefal­le­nen Kame­ra­den damit ein Denk­mal setzten.

Die Weit­bli­cke über lange Sand­strände und gewal­tige Fels­klip­pen erin­nern mich an Süd­afrika, an Irland. Déjà vu. Eine Neben­wir­kung des Viel­rei­sens. Aber ich will nicht undank­bar sein, werde ich doch gerade über eine DER Stra­ßen der Welt kut­schiert. Über die sich immer wie­der Dunst­schleier von Brän­den im Dickicht legen, laut Jiri, unse­rem Guide, glück­li­cher­weise kon­trol­liert gelegt. Bald wirkt der Him­mel über der Great Ocean Road wie der im Novem­ber über Ham­burg. Meine Auf­merk­sam­keit wen­det sich den Mit­rei­sen­den zu. Die per­fekte Beset­zung für einen Krimi à la „Mord im Ori­ent­ex­press“. Ich ver­stehe mich auf Anhieb mit drei lus­ti­gen Schwei­ze­rin­nen, die sich auch noch nie zuvor gese­hen haben. Drei Chi­ne­sin­nen tun dage­gen so, als sprä­chen sie kein Eng­lisch, eine davon ver­schwin­det bei der ers­ten Pipi­pause. Ein Brite mit Wur­zeln in Hong Kong spielt den char­man­ten Allein­un­ter­hal­ter, ganz anders als ein zurück­hal­ten­der, win­zi­ger Chi­lene mitt­le­ren Alters, der in einem Anflug von „Fuck it all“ sei­nen Job gekün­digt hat und auf Welt­reise gegan­gen ist. Und die Eng­län­de­rin mit der Dau­er­gu­telaune, die hat doch bestimmt was zu ver­ber­gen. Schon finde ich die Mit­rei­sen­den gar nicht mehr so schlimm.

Die Great Ocean Road und All­tags­häpp­chen der Ein­hei­mi­schen, die dort drau­ßen jog­gen, mit dem Hund Gassi gehen, ver­liebt fla­nie­ren oder hin­ter Autos vorm Strand pick­ni­cken, sehe ich über­wie­gend durchs schumm­rige Bus­fens­ter. Doch das High­light kommt ja auch noch: die berühm­ten 12 Apos­tel, bis an die 60 Meter hohe Kalk­stein­fel­sen, die aus dem Meer ragen, als hät­ten sie nichts Bes­se­res zu tun. Einige davon wer­den lang­sam vom Meer gefres­sen, 12 an der Zahl sind es schon lange nicht mehr. Im Grunde genom­men nur noch acht. Beein­dru­ckend sind sie schon, diese Fel­sen, vor allem die leicht fus­sige Farbe, die sich vom Blau des Oze­ans absetzt. Ich wün­sche den toug­hen noch ste­hen­den Bro­cken, dass sie den wüten­den Wel­len des Pazi­fiks noch lange stand­hal­ten mögen.

Die soge­nannte Lon­don Bridge einige Kilo­me­ter wei­ter, eine fel­sige See­brü­cke, ist dage­gen bereits 1990 aus­ein­an­der­ge­bro­chen. Gerade, als ein Pär­chen auf der äußers­ten Spitze die Aus­sicht genoss. Laut Legende sol­len die bei­den bei ihrer auf­sehenser­re­gen­den Ret­tung per Hub­schrau­ber alles dafür getan haben, ihre Gesich­ter zu ver­ber­gen – es han­delte sich wohl um zwei Schla­wi­ner, die ver­hei­ra­tet waren, aber nicht miteinander.

Emu, Koala, Wal­laby, Kän­guru – Check

Bevor es los­geht in Rich­tung Inland, nimmt uns Jiri mit auf eine kurze Tour im Tower Hill Wild­life Reserve bei Warr­nam­bool. Der noch deut­lich erkenn­bare Vul­kan­kra­ter dort ist der letzte Hin­weis auf einen Vul­kan, der vor 25.000 Jah­ren das letzte Mal aktiv war. Ich bin begeis­tert, als der erste Emu über den Park­platz stol­ziert und uns genauso neu­gie­rig umzir­kelt wie wir ihn. Er stem­pelt uns als „lang­wei­lig“ ab und geht bald sei­ner Wege. Ich stol­pere fast über meine Füße, wäh­rend ich stän­dig hoch in die Kro­nen der Euka­lyp­tus­bäume schaue, die Hei­mat der wil­den Koalas.

Kei­ner von uns sieht ihn, doch Jiris Blick ist geschult – ein schon recht betagt wir­ken­der Koala ver­steckt sich so gut in der Blät­ter­pracht, dass er kaum aus­zu­ma­chen ist. Ver­schla­fen blickt er zu uns herab. „Die Nasen der Koa­las sind so indi­vi­du­ell wie unser Fin­ger­ab­druck“, weiß Jiri. Außer­dem seien Koa­las große Ein­zel­gän­ger und ihr Herz­schlag beschleu­nige sich um ein Viel­fa­ches, wenn sie Men­schen in der Nähe spür­ten. Einige von ihnen seien auch von Chla­my­dia befal­len. Ist das nicht eine STD? Mein Traum, mal mit einem Koala zu kuscheln, ver­pufft. „Bevor ein Koala auf einen Baum klet­tert, reibt er seine Brust gegen den Baum­stamm und hin­ter­lässt somit seine Duft­marke für das andere Geschlecht“, erzählt Jiri. Da immer mehr Habi­tat der Koa­las in Aus­tra­lien zer­stört werde, könn­ten sie bis 2035 ganz aus­ge­stor­ben sein.

Auch das erste Wal­laby, eine kleine Spe­zies aus der Fami­lie der Kän­gu­rus, lässt sich kurz im Dickicht bli­cken. Dann ein ech­tes Kän­guru mit ver­dammt lan­gen Wim­pern. Meine Begeis­te­rung ist groß. Für mich gibt es nichts Schö­ne­res, als ein wil­des Tier zum ers­ten Mal in sei­nem natür­li­chen Ambi­ente zu erspä­hen. Ich könnte ihnen stun­den­lang zuse­hen, wie sie sich bewe­gen, Fut­ter suchen, auf Art­ge­nos­sen zuge­hen. Doch da ich mit einem Hau­fen Sar­di­nen unter­wegs bin, bleibt keine Zeit für voy­eu­ris­ti­sche Extratouren.

Die Gram­pians – das Sand­stein­ge­birge Victorias

Wenn man etwa 100 Kilo­me­ter von der Küste land­ein­wärts fährt, stößt man auf den Gram­pians Natio­nal­park und sei­nen Haupt­ort Halls Gap. Benannt wurde er nach den Gram­pians Moun­ta­ins in Schott­land, da die Land­schaft manch einen wohl an Schott­land erin­nerte. Ich sehe erst­mal wenig Ähn­lich­keit in den Fels­bro­cken, die sich schon am Hori­zont vom ansons­ten fla­chen, sprö­den Farm­land abset­zen. Genau wie die schot­ti­schen ste­hen aber auch die aus­tra­li­schen Gram­pians für eins: Wan­dern nach Lust und Laune.

2015 wurde der erste Teil des Gram­pians Peak Trails eröff­net, der auf ins­ge­samt 144 Kilo­me­ter aus­ge­baut wer­den soll. Natür­lich lässt sich davon mit einer Rei­se­gruppe, in der manch einer nur Bade­lat­schen dabei­hat und den Begriff Wan­dern erst im Duden nach­schla­gen muss, nicht viel bewäl­ti­gen. Doch auch für die schlap­pen zwei Kilo­me­ter, die dann doch gewan­dert wer­den, bin ich dank­bar. Es geht hoch zu The Pin­na­cle Loo­kout. Durch Fels­for­ma­tio­nen mit so tie­fen Fal­ten, als hät­ten sie ein­deu­tig zu viel Sonne abbe­kom­men. Was sie wahr­schein­lich auch haben. Wie immer, wenn ich drau­ßen in der Natur bin, gesellt sich die Frei­heit zu mir. Ich lasse die Gruppe vor oder hin­ter mir, atme klare Luft, stelle das mensch­li­che Geschnat­ter ab. Enge Gäss­chen aus Fel­sen­trep­pen füh­ren durch Fels­bro­cken, wer mutig ist, ver­sucht einen Sprung von einer Seite zur anderen.

Und dann! Es ist immer ein ein­ma­li­ges Erleb­nis, oben anzu­kom­men. Egal wo, und egal, wie viele andere dort bereits her­um­wu­seln. Na ja, nicht ganz, aber in die­sem Fall über­sehe ich die Sel­fie­sticks & Co. Eine kleine Treppe führt wie der Stair­case to hea­ven hoch auf eine Fels­spitze, von wo sich die fla­che Land­schaft unter uns räkelt, soweit der Blick reicht. Fel­sen, Wald, ein See, Fel­der. Kein Zei­chen mensch­li­cher Prä­senz in die­ser immensen, dem Hori­zont ent­ge­gen­rol­len­den Natur. Ich bin ver­liebt. Könnte ewig dort ste­hen blei­ben und star­ren. Weil der Blick gegen nichts prallt, von nichts abfedert.

Doch es geht zurück nach Halls Gap, wo im Brambuk Back­pa­ckers in ein­fa­chen Zim­mern über­nach­tet wird. Ich traue mei­nen Augen nicht, als bei Däm­me­rung ein Kän­guru nach dem ande­ren im Park vor dem Hos­tel her­vor­hüpft und wenige Meter vor mir grast wie irgend­ein stink­nor­ma­ler Hase zu Hause. Und selbst der wäre sicher schüch­ter­ner. Völ­lig unge­stört von der mensch­li­chen Nähe hauen die Tiere rein, bis sie irgend­wann mit dicken Bäu­chen davon hop­pen. „Wenn ihr lang genug hier­bleibt, kom­men euch Kän­gu­rus irgend­wann aus den Ohren raus“, schwört Jiri. Dazu kommt es bei mir zum Glück nicht, doch auf dem „Bar­bie“ – Aus­tra­lisch für BBQ – lan­det an die­sem Abend auch so man­ches Kän­guru zwi­schen den Schei­ben des Bur­gers. Schmeckt nicht schlecht, ein biss­chen wie Rind.

Dann sit­zen wir stun­den­lang ums Feuer. Die Gruppe wird dank viel Bier und Wein end­lich zur Ein­heit. Die Chi­ne­sin­nen kichern und plau­dern in flüs­si­gem Eng­lisch, bis sie in die lee­ren Fla­schen schauen und ins Bett gehen. Der cha­ris­ma­ti­sche Brite mit Wur­zeln in Hong Kong erzählt mir die Tra­gö­die sei­ner gro­ßen Liebe und ist in Wirk­lich­keit plan- und hoff­nungs­los in der Welt unter­wegs. Der Chi­lene teilt seine Phi­lo­so­phie über ein erfüll­tes Leben. Jiri sieht mit gerun­zel­ter Stirn von einem zum ande­ren. Zwi­schen­durch Panik – es kommt kein Was­ser mehr aus dem Was­ser­hahn! Oder aus der Klo­spü­lung. Ach du Schreck! Über uns ste­hen Mil­lio­nen von Ster­nen, das Feuer zischt, mir wird lang­sam warm um die Füße. Und ums Herz. Vic­to­ria ist wirk­lich kein schlech­ter „place to be“.

Die Anreise nach Mel­bourne wurde freund­li­cher­weise von Tou­rism Aus­tra­lia unterstützt.

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Bernadette Olderdissen

Bernadette Olderdissen ist eine Geschichtensammlerin- und schreiberin. Schon in jungen Jahren verstand sie, dass ganz so viel Fantasie zum Schreiben gar nicht nötig war, denn die besten Geschichten schenkte ihr das Leben umsonst. Schenkten ihr die Menschen um sie herum. Als sie viele Geschichten gehört hatte, zog sie weiter. Sperrte die Ohren auf und schrieb alles nieder, was ihr die Menschen zu erzählen hatten. So trieb es sie immer weiter durch die Welt, mit ungesättigter Neugier und in der Gewissheit, dass sich die Menschen zwar überall auf der Welt verdammt ähnlich sind, jedoch keine zwei Geschichten identisch. Dieser Umstand ist schuld daran, dass sie noch immer nichts für die Rente gespart hat, sondern das Geld immer nur für die nächsten Reisen reicht. Und das findet sie auch gank okay so.

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