Victoria – The place to be

Mel­bourne gilt in ver­schie­de­nen Medi­en immer wie­der als eine der lebens­wer­tes­ten Städ­te der Welt – die muss ich mir natür­lich mal anschau­en. Aber nicht nur Mel­bourne, son­dern ganz Vic­to­ria, einer der sechs Staa­ten Aus­tra­li­ens, rühmt sich zumin­dest laut Auto­kenn­zei­chen als „The place to be.“ Dabei gehö­ren Mel­bourne und die Gre­at Oce­an Road zusam­men wie Bay­ern und Leder­ho­sen – man muss sie sich ein­fach bei­de anschau­en. Und wenn man schon dort ist, auch gleich den Gram­pians Natio­nal­park im Nor­den.

Wo Hips­ter als Norm gilt

Das Schöns­te ist, in einer neu­en Stadt anzu­kom­men und sich ein­fach trei­ben zu las­sen. Zunächst ein­mal, ohne viel über die Stadt zu wis­sen, über ihre Lebens­qua­li­tät, Löh­ne, Geschich­te, um sie mit der Nai­vi­tät eines Kin­des zu betrach­ten. Ich ver­brin­ge mei­nen aller­ers­ten Tag auf dem aus­tra­li­schen Kon­ti­nent in Mel­bourne – und füh­le mich erst in Aus­tra­li­en ange­kom­men, als es mich zum Queen Vic­to­ria Markt ver­schlägt. Hin­ter einer Men­ge Krims­krams-Stän­den kau­fen die Leu­te Lebens­mit­tel ein, dar­un­ter viel Fleisch: Kän­gu­ru. Emu. Kro­ko­dil­fleisch. Ja, ich bin wirk­lich in Aus­tra­li­en.

In den Stra­ßen des moder­nen Zen­trums könn­te ich mich genau­so gut in einer ame­ri­ka­ni­schen Groß­stadt befin­den. Vie­le Leu­te in Anzü­gen oder Kos­tü­men eilen an mir vor­bei, man­che haben einen Cof­fee-to-go in der Hand. Stra­ßen­bah­nen rat­tern vor­bei, Autos über­ho­len Bus­se. Mit­ten auf einem Bür­ger­steig sitzt ein jun­ger Mann hin­ter einem Klapp­tisch. „Wähl dein The­ma, wähl einen Preis und du bekommst ein Gedicht“, steht auf einem Papp­schild. End­lich etwas Erfri­schen­des. Mel­bourne muss schließ­lich aus irgend­ei­nem Grund als „Hips­ter“ bezeich­net wer­den. Und: Statt Ampel­männ­chen ste­hen Ampel­frau­chen auf Rot oder Grün.

„In Mel­bourne ist es nichts Beson­de­res, Hips­ter zu sein, das ist hier die Norm“, erzählt mir wenig spä­ter Leo­nie, eine gebür­ti­ge Nie­der­län­de­rin, die seit Anfang 2017 in Mel­bourne lebt und sich als Stadt­füh­re­rin für Urban Adven­tures ihren Lebens­un­ter­halt ver­dient. Mei­ne kind­li­che Nai­vi­tät ver­pufft, wäh­rend mir Leo­nie immer mehr über die Stadt erzählt, die ihr Gesicht zum Strah­len bringt. Ich mag sie, die­se Stadt­tou­ren zu Fuß, meist mit einem Ein­hei­mi­schen oder aber jeman­dem wie Leo­nie, der eine Stadt zur neu­en Hei­mat erklärt und sich so hin­ein­ge­kniet hat, dass kein Geheim­nis der City vor ihm ver­bor­gen bleibt.

Wir ste­hen oben auf dem Eure­ka Sky­deck im 88. Stock, der mit 285 Metern höchs­ten Aus­sichts­platt­form der süd­li­chen Hemi­sphä­re, zu der uns der eben­falls schnells­te Auf­zug der süd­li­chen Hemi­sphä­re gebracht hat. Doch die­ser Ort der Super­la­ti­ve ist nicht bloß ein wei­te­rer Wol­ken­krat­zer in einer wei­te­ren Stadt – sein Name ist ein stol­zer Hin­weis auf die soge­nann­te Eure­ka Sto­cka­de, eine Rebel­li­on wäh­rend des Vic­to­ria­ni­schen Gold­rau­sches im Jah­re 1854. Dabei gin­gen Gold­grä­ber gegen die könig­li­che Auto­ri­tät Groß­bri­tan­ni­ens auf die Bar­ri­ka­den. „Wenn du genau hin­schaust, siehst du im Son­nen­licht oben am Gebäu­de eine gol­de­ne Kro­ne, die den Gold­rausch sym­bo­li­siert“, erklärt Leo­nie. Ein roter Strei­fen wei­se dage­gen auf das wäh­rend der Rebel­li­on ver­gos­se­ne Blut hin. Außer­dem sei es in den 1850ers erst­mals Arbei­tern in Mel­bourne gelun­gen, den Acht-Stun­den-Arbeits­tag durch­zu­set­zen.

Flat white, alles Essen der Welt und Street Art

So geschicht­lich bedeu­tend Mel­bourne auch sein mag – künst­le­risch hat es nach mei­nem ers­ten Ein­druck noch mehr drauf. Beim Spa­zier­gang durch vie­le der Stra­ßen und Gas­sen kom­me ich mir vor wie in einer end­lo­sen, kos­ten­lo­sen Open-Air-Gale­rie. Street Art, wohin das Auge blickt. „Eigent­lich ist Street Art offi­zi­ell immer noch ille­gal“, weiß Leo­nie, „aber seit­dem Ban­sky eini­ge Wän­de bemal­te, gewann die Kunst an Anse­hen.“ Ins­ge­heim dan­ke ich Ban­sky, einem der bekann­tes­ten Graf­fi­ti-Künst­ler der Welt.

Jede Street Art Tour beginnt in der berühm­ten Hosier Lane, einer win­zi­gen Gas­se, in der sich die Tou­ris­ten mit ihren Foto­ap­pa­ra­ten und Han­dys drän­gen. Dabei wech­sel­ten die Bil­der stän­dig, so Leo­nie. Die Kunst des einen wird von dem Krea­ti­vi­täts­aus­bruch des nächs­ten über­malt, Ver­än­de­rung ist das Schlüs­sel­wort der Stra­ßen­kunst. Gera­de des­halb gefällt sie mir. Sie ist wech­sel­haft und lau­nisch. Auch Müll­ton­nen wer­den von dem Far­ben­wü­ten nicht aus­ge­spart. Was einst düs­te­re, stin­ken­de Gas­sen gewe­sen sein müs­sen, explo­diert nun vor Lebens­freu­de und Aus­drucks­stär­ke.

Und mit­ten­drin in der kun­ter­bun­ten Kunst trin­ke ich ihn – mei­nen ers­ten Flat white. Eine der belieb­tes­ten Mel­bour­ner – und aus­tra­li­schen – Kaf­fee­va­ri­an­ten, die mir Leo­nie in einem Cof­fee shop in der Hosier Lane besorgt. Sie selbst hat einen Nach­füll­be­cher dabei, womit man 20 Cent weni­ger pro Kaf­fee zahlt. „Weg­werf­be­cher exis­tie­ren für mich nicht mehr!“ Im Grun­de ist der Flat White wenig anders als ein Cap­puc­ci­no, nur noch mil­chi­ger. Angeb­lich strei­ten sich Mel­bourne und Auck­land in Neu­see­land dar­über, wo er denn nun erfun­den wur­de.

Am bes­ten gefällt mir die etwas ver­bor­gen lie­gen­de AC/​DC Lane. Eins der High­lights der Stra­ßen­kunst dort: eine 3D-Skulp­tur des ehe­ma­li­gen Lead­sän­gers von Aca­da­ca, Bon Scott, die durch die Haus­wand der Cher­ry Bar bricht. Noch Stun­den spä­ter las­se ich mich durch die Stadt trei­ben, sto­ße auf Gäss­chen, die wohl gera­de erst von den Künst­lern ent­deckt wer­den, direkt neben ele­gan­ten Arka­den und Bou­tique-Gale­rien, die an Mai­land erin­nern. Etwas ver­rückt scheint es schon, die­ses Mel­bourne. Eine Stadt, in der laut Leo­nie etwa 230 ver­schie­de­ne Spra­chen und Dia­lek­te gespro­chen wer­den und wo man prak­tisch jedes Essen der Welt fin­det.

Ich pro­bie­re es mal mit Dum­plings in Leo­nies Lieb­lings­re­stau­rant Shang­hai Pan-fried Bun in Chi­na­town, die seit den 1850ern durch­ge­hend in Mel­bourne exis­tiert.

Die Dum­plings schme­cken so, als könn­te man sie selbst in Chi­na nicht bes­ser machen. Wäh­rend man Dum­plings fast an jeder Ecke in Chi­na­town fin­det, gibt es jedoch etwas, das Mel­bourne fast für sich behält und das von Tou­ris­ten ohne ein­hei­mi­schen Gui­de kaum gefun­den wird: Bars, die sich in einer unschein­ba­ren Hin­ter­gas­se hin­ter einer stink­nor­ma­len Haus­tür ver­ste­cken. Die Eau-de-Vie Spea­k­ea­sy Bar trägt so eine win­zig klei­ne Auf­schrift über der Tür, dass ich sie ohne Leo­nies Hin­weis nie gefun­den hät­te.

Eben­so ver­hält es sich mit zahl­rei­chen Roof­top Bars, zu deren hin­ter meh­re­ren Win­keln ver­steck­ten Auf­zü­gen man sich erst durch­fra­gen muss. Wie die Gol­die­locks Bar. Das bestimm­te Gefühl, dass ich gern län­ger in Mel­bourne ver­brin­gen wür­de, über­kommt mich. Die City hat etwas Ver­trau­tes, das mich so anspricht wie ein freund­li­ches, ver­trau­tes Gesicht. Und das Bes­te: Alle Stra­ßen­bah­nen rund ums Zen­trum sind zwar recht über­füllt, aber auch für jeder­mann gra­tis!

Pin­gui­ne in der City

Wie in jeder Stadt, die am Meer liegt, zieht es mich als Nächs­tes dort­hin. Mel­bourne hat kei­ne auf­re­gen­de Küs­te mit welt­be­rühm­ten Strän­den wie Bon­di in Syd­ney, aber manch­mal ist mir gera­de das Unauf­re­gen­de auf Rei­sen zwi­schen­durch will­kom­men. Vor meh­re­ren Wochen, in denen ein High­light das nächs­te jagen soll, tut es gut, ein­fach mal einen recht nor­ma­len Strand vor einem recht nor­ma­len Meer zu sehen. Nur am Brigh­ton Beach rei­hen sich schmu­cke Strand­pa­vil­lons anein­an­der, bemalt mit den ver­schie­dens­ten Moti­ven und vol­ler Sprü­che, vor denen sich bald die ein­hei­mi­schen Besit­zer in der Son­ne aalen.

Von dort ist es nicht weit zurück nach Mel­bourne, zum Stadt­teil St. Kil­da, hübsch am Meer gele­gen mit unver­bau­tem Blick auf die Sky­line der City und vol­ler alter, gemüt­li­cher Häu­ser. Einst sol­len dort die Rei­chen gelebt haben, heu­te ist das Vier­tel eher Bohe­mi­an.

Das Restau­rant Len­til as any­thing bie­tet Essen ohne Gren­zen an – jeder zahlt das, was er kann und was ihm das Essen wert ist. Wem es mög­lich ist, der gibt 20 AUD für ein gesun­des Drei­gän­ge­me­nü aus, dafür bekom­men Obdach­lo­se ihr Mahl gra­tis. Durch die Fuß­gän­ger­zo­ne, in der sich Cafés mit jeder Men­ge köst­li­cher Dick­ma­cher in den Aus­la­gen anein­an­der­rei­hen, gelan­ge ich pünkt­lich zum Son­nen­un­ter­gang zur Ufer­pro­me­na­de. Dort pil­gern Tou­ris­ten und Ein­hei­mi­sche zugleich zum Pier, und das aus gutem Grund: Am Ende des Stegs zei­gen sich nach Son­nen­un­ter­gang Unmen­gen an Zwerg­pin­gui­nen, die durch­ein­an­der schnat­tern wie ein Hau­fen wild­ge­wor­de­ner Hen­nen. Und das mit der beleuch­te­ten Sky­line von Mel­bourne im Hin­ter­grund.

Eine der spek­ta­ku­lärs­ten Stra­ßen der Welt

Je mehr ich rei­se, des­to mehr spü­re ich es – das, was alle als das Spek­ta­ku­lärs­te und ach so Sehens­wer­te bezeich­nen, haut mich nicht mehr so rich­tig aus den Socken. Des Zeit­man­gels und auch der hohen Auto­miet­prei­se wegen las­se ich mich den­noch zu einer drei­tä­gi­gen Gre­at Oce­an Road Grup­pen­tour von Peter Pans hin­rei­ßen. Ich kann doch nicht in Mel­bourne sein und nicht die Gre­at Oce­an Road abfah­ren! Dabei ver­ges­se ich glatt, dass ich Grup­pen­tou­ren nicht wirk­lich mag. Und schon gar kei­ne, wo 24 Per­so­nen wie Sar­di­nen in einem Mini­bus mit nicht zu öff­nen­den Fens­tern hocken. Der Gui­de hat zwar die Geschich­te der Gre­at Oce­an Road drauf wie ein Tra­pez­künst­ler einen Sal­to, aber ansons­ten macht er kei­nen Hehl dar­aus, dass er ähn­lich über die Grup­pe denkt wie ich und das Gan­ze vom ers­ten Moment an ziem­lich doof fin­det.

Die ers­te Stun­de in der Sar­di­nen­büch­se ärge­re ich mich, dabei zu sein. Fra­ge mich, ob eine sol­che Tour jemals Ein­bli­cke statt nur Aus­bli­cke ver­mit­teln kann, die mir lang­sam nicht mehr rei­chen. Frü­her fand auch ich es toll, an jedem Foto­stopp mei­ne Kame­ra zu zücken, ein paar Mal auf den Aus­lö­ser zu drü­cken und den super­tol­len Ort dann für immer abzu­ha­ken. Heu­te nicht mehr. Die 243 Kilo­me­ter lan­ge Küs­ten­stra­ße zwi­schen Tor­quay, unweit von Mel­bourne, und Warr­nam­bool ist spek­ta­ku­lär, kei­ne Fra­ge. Und sie ist ein Meis­ter­werk, ab 1919 gebaut von 3000 aus dem Ers­ten Welt­krieg zurück­ge­kehr­ten Sol­da­ten. Einer­seits, weil die Staats­re­gie­run­gen den jun­gen Män­nern so Arbeit ver­schaff­te, ande­rer­seits, weil sie den gefal­le­nen Kame­ra­den damit ein Denk­mal setz­ten.

Die Weit­bli­cke über lan­ge Sand­strän­de und gewal­ti­ge Fels­klip­pen erin­nern mich an Süd­afri­ka, an Irland. Déjà vu. Eine Neben­wir­kung des Viel­rei­sens. Aber ich will nicht undank­bar sein, wer­de ich doch gera­de über eine DER Stra­ßen der Welt kut­schiert. Über die sich immer wie­der Dunst­schlei­er von Brän­den im Dickicht legen, laut Jiri, unse­rem Gui­de, glück­li­cher­wei­se kon­trol­liert gelegt. Bald wirkt der Him­mel über der Gre­at Oce­an Road wie der im Novem­ber über Ham­burg. Mei­ne Auf­merk­sam­keit wen­det sich den Mit­rei­sen­den zu. Die per­fek­te Beset­zung für einen Kri­mi à la „Mord im Ori­ent­ex­press“. Ich ver­ste­he mich auf Anhieb mit drei lus­ti­gen Schwei­ze­rin­nen, die sich auch noch nie zuvor gese­hen haben. Drei Chi­ne­sin­nen tun dage­gen so, als sprä­chen sie kein Eng­lisch, eine davon ver­schwin­det bei der ers­ten Pipi­pau­se. Ein Bri­te mit Wur­zeln in Hong Kong spielt den char­man­ten Allein­un­ter­hal­ter, ganz anders als ein zurück­hal­ten­der, win­zi­ger Chi­le­ne mitt­le­ren Alters, der in einem Anflug von „Fuck it all“ sei­nen Job gekün­digt hat und auf Welt­rei­se gegan­gen ist. Und die Eng­län­de­rin mit der Dau­er­gu­telau­ne, die hat doch bestimmt was zu ver­ber­gen. Schon fin­de ich die Mit­rei­sen­den gar nicht mehr so schlimm.

Die Gre­at Oce­an Road und All­tags­häpp­chen der Ein­hei­mi­schen, die dort drau­ßen jog­gen, mit dem Hund Gas­si gehen, ver­liebt fla­nie­ren oder hin­ter Autos vorm Strand pick­ni­cken, sehe ich über­wie­gend durchs schumm­ri­ge Bus­fens­ter. Doch das High­light kommt ja auch noch: die berühm­ten 12 Apos­tel, bis an die 60 Meter hohe Kalk­stein­fel­sen, die aus dem Meer ragen, als hät­ten sie nichts Bes­se­res zu tun. Eini­ge davon wer­den lang­sam vom Meer gefres­sen, 12 an der Zahl sind es schon lan­ge nicht mehr. Im Grun­de genom­men nur noch acht. Beein­dru­ckend sind sie schon, die­se Fel­sen, vor allem die leicht fus­si­ge Far­be, die sich vom Blau des Oze­ans absetzt. Ich wün­sche den toug­hen noch ste­hen­den Bro­cken, dass sie den wüten­den Wel­len des Pazi­fiks noch lan­ge stand­hal­ten mögen.

Die soge­nann­te Lon­don Bridge eini­ge Kilo­me­ter wei­ter, eine fel­si­ge See­brü­cke, ist dage­gen bereits 1990 aus­ein­an­der­ge­bro­chen. Gera­de, als ein Pär­chen auf der äußers­ten Spit­ze die Aus­sicht genoss. Laut Legen­de sol­len die bei­den bei ihrer auf­sehenser­re­gen­den Ret­tung per Hub­schrau­ber alles dafür getan haben, ihre Gesich­ter zu ver­ber­gen – es han­del­te sich wohl um zwei Schla­wi­ner, die ver­hei­ra­tet waren, aber nicht mit­ein­an­der.

Emu, Koa­la, Wal­la­by, Kän­gu­ru – Check

Bevor es los­geht in Rich­tung Inland, nimmt uns Jiri mit auf eine kur­ze Tour im Tower Hill Wild­life Reser­ve bei Warr­nam­bool. Der noch deut­lich erkenn­ba­re Vul­kan­kra­ter dort ist der letz­te Hin­weis auf einen Vul­kan, der vor 25.000 Jah­ren das letz­te Mal aktiv war. Ich bin begeis­tert, als der ers­te Emu über den Park­platz stol­ziert und uns genau­so neu­gie­rig umzir­kelt wie wir ihn. Er stem­pelt uns als „lang­wei­lig“ ab und geht bald sei­ner Wege. Ich stol­pe­re fast über mei­ne Füße, wäh­rend ich stän­dig hoch in die Kro­nen der Euka­lyp­tus­bäu­me schaue, die Hei­mat der wil­den Koa­las.

Kei­ner von uns sieht ihn, doch Jiris Blick ist geschult – ein schon recht betagt wir­ken­der Koa­la ver­steckt sich so gut in der Blät­ter­pracht, dass er kaum aus­zu­ma­chen ist. Ver­schla­fen blickt er zu uns her­ab. „Die Nasen der Koa­las sind so indi­vi­du­ell wie unser Fin­ger­ab­druck“, weiß Jiri. Außer­dem sei­en Koa­las gro­ße Ein­zel­gän­ger und ihr Herz­schlag beschleu­ni­ge sich um ein Viel­fa­ches, wenn sie Men­schen in der Nähe spür­ten. Eini­ge von ihnen sei­en auch von Chla­my­dia befal­len. Ist das nicht eine STD? Mein Traum, mal mit einem Koa­la zu kuscheln, ver­pufft. „Bevor ein Koa­la auf einen Baum klet­tert, reibt er sei­ne Brust gegen den Baum­stamm und hin­ter­lässt somit sei­ne Duft­mar­ke für das ande­re Geschlecht“, erzählt Jiri. Da immer mehr Habi­tat der Koa­las in Aus­tra­li­en zer­stört wer­de, könn­ten sie bis 2035 ganz aus­ge­stor­ben sein.

Auch das ers­te Wal­la­by, eine klei­ne Spe­zi­es aus der Fami­lie der Kän­gu­rus, lässt sich kurz im Dickicht bli­cken. Dann ein ech­tes Kän­gu­ru mit ver­dammt lan­gen Wim­pern. Mei­ne Begeis­te­rung ist groß. Für mich gibt es nichts Schö­ne­res, als ein wil­des Tier zum ers­ten Mal in sei­nem natür­li­chen Ambi­en­te zu erspä­hen. Ich könn­te ihnen stun­den­lang zuse­hen, wie sie sich bewe­gen, Fut­ter suchen, auf Art­ge­nos­sen zuge­hen. Doch da ich mit einem Hau­fen Sar­di­nen unter­wegs bin, bleibt kei­ne Zeit für voy­eu­ris­ti­sche Extra­tou­ren.

Die Gram­pians – das Sand­stein­ge­bir­ge Vic­to­ri­as

Wenn man etwa 100 Kilo­me­ter von der Küs­te land­ein­wärts fährt, stößt man auf den Gram­pians Natio­nal­park und sei­nen Haupt­ort Halls Gap. Benannt wur­de er nach den Gram­pians Moun­ta­ins in Schott­land, da die Land­schaft manch einen wohl an Schott­land erin­ner­te. Ich sehe erst­mal wenig Ähn­lich­keit in den Fels­bro­cken, die sich schon am Hori­zont vom ansons­ten fla­chen, sprö­den Farm­land abset­zen. Genau wie die schot­ti­schen ste­hen aber auch die aus­tra­li­schen Gram­pians für eins: Wan­dern nach Lust und Lau­ne.

2015 wur­de der ers­te Teil des Gram­pians Peak Trails eröff­net, der auf ins­ge­samt 144 Kilo­me­ter aus­ge­baut wer­den soll. Natür­lich lässt sich davon mit einer Rei­se­grup­pe, in der manch einer nur Bade­lat­schen dabei­hat und den Begriff Wan­dern erst im Duden nach­schla­gen muss, nicht viel bewäl­ti­gen. Doch auch für die schlap­pen zwei Kilo­me­ter, die dann doch gewan­dert wer­den, bin ich dank­bar. Es geht hoch zu The Pin­na­cle Loo­kout. Durch Fels­for­ma­tio­nen mit so tie­fen Fal­ten, als hät­ten sie ein­deu­tig zu viel Son­ne abbe­kom­men. Was sie wahr­schein­lich auch haben. Wie immer, wenn ich drau­ßen in der Natur bin, gesellt sich die Frei­heit zu mir. Ich las­se die Grup­pe vor oder hin­ter mir, atme kla­re Luft, stel­le das mensch­li­che Geschnat­ter ab. Enge Gäss­chen aus Fel­sen­trep­pen füh­ren durch Fels­bro­cken, wer mutig ist, ver­sucht einen Sprung von einer Sei­te zur ande­ren.

Und dann! Es ist immer ein ein­ma­li­ges Erleb­nis, oben anzu­kom­men. Egal wo, und egal, wie vie­le ande­re dort bereits her­um­wu­seln. Na ja, nicht ganz, aber in die­sem Fall über­se­he ich die Sel­fie­sticks & Co. Eine klei­ne Trep­pe führt wie der Stair­ca­se to hea­ven hoch auf eine Fels­spit­ze, von wo sich die fla­che Land­schaft unter uns räkelt, soweit der Blick reicht. Fel­sen, Wald, ein See, Fel­der. Kein Zei­chen mensch­li­cher Prä­senz in die­ser immensen, dem Hori­zont ent­ge­gen­rol­len­den Natur. Ich bin ver­liebt. Könn­te ewig dort ste­hen blei­ben und star­ren. Weil der Blick gegen nichts prallt, von nichts abfe­dert.

Doch es geht zurück nach Halls Gap, wo im Brambuk Back­pa­ckers in ein­fa­chen Zim­mern über­nach­tet wird. Ich traue mei­nen Augen nicht, als bei Däm­me­rung ein Kän­gu­ru nach dem ande­ren im Park vor dem Hos­tel her­vor­hüpft und weni­ge Meter vor mir grast wie irgend­ein stink­nor­ma­ler Hase zu Hau­se. Und selbst der wäre sicher schüch­ter­ner. Völ­lig unge­stört von der mensch­li­chen Nähe hau­en die Tie­re rein, bis sie irgend­wann mit dicken Bäu­chen davon hop­pen. „Wenn ihr lang genug hier­bleibt, kom­men euch Kän­gu­rus irgend­wann aus den Ohren raus“, schwört Jiri. Dazu kommt es bei mir zum Glück nicht, doch auf dem „Bar­bie“ – Aus­tra­lisch für BBQ – lan­det an die­sem Abend auch so man­ches Kän­gu­ru zwi­schen den Schei­ben des Bur­gers. Schmeckt nicht schlecht, ein biss­chen wie Rind.

Dann sit­zen wir stun­den­lang ums Feu­er. Die Grup­pe wird dank viel Bier und Wein end­lich zur Ein­heit. Die Chi­ne­sin­nen kichern und plau­dern in flüs­si­gem Eng­lisch, bis sie in die lee­ren Fla­schen schau­en und ins Bett gehen. Der cha­ris­ma­ti­sche Bri­te mit Wur­zeln in Hong Kong erzählt mir die Tra­gö­die sei­ner gro­ßen Lie­be und ist in Wirk­lich­keit plan- und hoff­nungs­los in der Welt unter­wegs. Der Chi­le­ne teilt sei­ne Phi­lo­so­phie über ein erfüll­tes Leben. Jiri sieht mit gerun­zel­ter Stirn von einem zum ande­ren. Zwi­schen­durch Panik – es kommt kein Was­ser mehr aus dem Was­ser­hahn! Oder aus der Klo­spü­lung. Ach du Schreck! Über uns ste­hen Mil­lio­nen von Ster­nen, das Feu­er zischt, mir wird lang­sam warm um die Füße. Und ums Herz. Vic­to­ria ist wirk­lich kein schlech­ter „place to be“.

Die Anrei­se nach Mel­bourne wur­de freund­li­cher­wei­se von Tou­rism Aus­tra­lia unter­stützt.


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