Grie­chen­land beschwört viele Urlaubs­träume her­auf – den Blick auf die Akro­po­lis, einen Son­nen­un­ter­gang auf San­to­rini, Par­tys auf Myko­nos – die Liste ist lang. Doch eins kommt viel sel­te­ner auf: der Wunsch, aufs Dach Grie­chen­lands zu stei­gen, den Olymp. Dem­entspre­chend sind die Infor­ma­tio­nen zum Wie und Wo und Was noch nicht per­fekt file­tiert und zum Nach­kauen auf­be­rei­tet wie sonst. Und das macht den Weg auf die Berge der Göt­ter erst rich­tig spannend.

Göt­ter als Gastgeber

Daran gibt‘s nichts zu rüt­teln: Wer den Olymp besteigt, ist zu Gast bei Göt­tern. In einem Hei­lig­tum der Grie­chen, das fast gänz­lich aus meso­zoi­schem Kalk­stein besteht und an der Ost­küste liegt, nahe der Klein­stadt Lito­choro. Laut grie­chi­scher Mytho­lo­gie ist das Berg­mas­siv Olymp, des­sen höchs­ter Gip­fel, Myti­kas, 2.918 Meter misst, Ten­denz stei­gend, näm­lich die Hei­mat der Göt­ter. Kein Wun­der also, dass auf einem Neben­gip­fel, Pro­fi­tis Ilias, auch die höchst­ge­le­gene christ­li­che Kapelle nicht nur Grie­chen­lands, son­dern der gan­zen Bal­kan­halb­in­sel steht. Beson­ders gläu­bige Grie­chen stie­gen zum Olymp hoch, um den Göt­tern Opfer zu brin­gen. Das heißt jenen 12 Göt­tern des Olymp, zu denen Zeus, der Göt­ter­va­ter, Posei­don, Gott des Mee­res, Her­mes, Gott der Diebe, des Han­dels und der Rei­sen­den und Aphro­dite, Göt­tin der Liebe und Schön­heit, zählen.

Die Göt­ter per­sön­lich tref­fen heute die wenigs­ten Wan­de­rer, dafür aber reich­lich Gäm­sen. Da auch dar­über hin­aus acht Amphibien‑, 22 Rep­ti­lien- und 108 Vogel­ar­ten in dem Gebirge leben sol­len und dort eine ganz eigene Flora und Fauna gedeiht, erklärte die UNESCO das Gebirgs­mas­siv bereits 1981 zum Bio­sphäre-Reser­vat. Mit sehr viel Glück las­sen sich wei­tere Tiere beob­ach­ten, dar­un­ter Scha­kale, Wölfe, Dachse und Wie­sel. Wenn man die Grie­chen fragt, ver­birgt sich hin­ter man­chem Pelz natür­lich eine Göttergestalt.

Lito­choro, das War­te­zim­mer für Bergsteiger

Wer den Olymp besteigt, kommt zwangs­läu­fig nach Lito­choro, in „die Stadt am Fuß des Olymp“. In einen nicht ein­mal 7.000-Seelenort, wo die Opas jeden Abend im sel­ben Restau­rant am sel­ben Tisch das­selbe Essen bestel­len. Wo fast immer, wenn der große Bus von Thes­sa­lo­niki die Haupt­straße hoch­fährt und um den Spring­brun­nen am Haupt­platz kurvt, Stress auf­kommt, weil wie­der mal einer falsch geparkt hat und den Bus blo­ckiert. Wo wenn es warm ist fast täg­lich und beson­ders an Wochen­en­den in der ortho­do­xen Kir­che gehei­ra­tet wird und wo die mode­be­wusste Grie­chin den letz­ten Schrei an Klei­dern und Hüten zur Schau stellt. Und wo es das beste Eis in der Bäcke­rei gibt.

Das War­ten in Lito­choro macht Spaß. War­ten dar­auf, dass es einen freien Platz für eine Über­nach­tung in einer der fünf Berg­hüt­ten am Olymp gibt, denn wenn das Wet­ter gut ist, strö­men Ein­hei­mi­sche als auch Aus­län­der in die Berge. Über Inter­net habe ich wenig dar­über gefun­den, wie man läuft, wo schläft und wo bucht. Gegen­über der offi­zi­el­len Bus­hal­te­stelle – mar­kiert von einer Bank vor einem Fens­ter, hin­ter dem Tickets ver­kauft wer­den – ist die soge­nannte Tou­ris­ten­in­for­ma­tion für Olympbe­stei­ger-Wan­n­a­bes. Nur, dass diese auch mal geschlos­sen ist und ein Schild auf Grie­chisch erklärt, warum. Doch die Göt­ter, auch wenn sie hoch oben in den Ber­gen woh­nen, haben zumin­dest in Lito­choro einen ihrer Engel abge­setzt. Der heißt Monika Mich­ale­kova und hat ein Geschäft mit Wan­der­aus­rüs­tung, Wan­der­kar­ten und allen nöti­gen Infor­ma­tio­nen, wie es auf Grie­chen­lands höchste Gip­fel geht. 55 Peaks heißt der Laden, zu Ehren der 55 Gip­fel, aus denen sich das Gebirge zusammensetzt.

Ein Blick auf meine beste Freun­din San­dra und mich reicht aus, und Monika weiß, wel­chen Weg sie uns emp­feh­len kann. „Am bes­ten geht ihr auf der einen Seite rauf, ab Prio­nia, und kommt auf der ande­ren wie­der run­ter, nach Gort­sia. Zum Start- und vom End­punkt nehmt ihr ein Taxi, sonst wird es zu lang.“ Alles klar. Dass Moni­kas Route, nach ihrer Aus­sage ganz leicht, einen Höhen­un­ter­schied von etwa 1.800 Metern pro Weg mit sich bringt, schwant uns erst, als wir die rot umkrin­gel­ten Orte und Hüt­ten auf der Karte stu­die­ren. Auf­grund der aus­ge­buch­ten Hüt­ten haben wir nur die Chance auf eine Über­nach­tung, und die muss natür­lich auf der den Göt­tern am nächs­ten Hütte sein – Gio­sos Apos­to­li­dis auf 2.720 Metern Höhe, auf dem soge­nann­ten Pla­teau der Musen. Monika tele­fo­niert mit der Hütte und stat­tet uns mit Wan­der­stö­cken und Kar­ten­ma­te­rial aus. „Am liebs­ten würde ich gleich mit­kom­men, aber einer muss ja den Laden schmei­ßen.“ In der letz­ten Nacht vor dem gro­ßen Auf­stieg träu­men wir von Musen und Zeus, des­sen Pro­fil angeb­lich in einer Fels­wand zu erken­nen ist. End­lich geht es los. Hin­auf zu den Göttern.

Der lange Weg zu den Musen

Die Sonne ist noch längst nicht auf­ge­gan­gen, als wir in Dimi­trios‘ Taxi sit­zen und die Lich­ter der Stadt kom­plet­ter Dun­kel­heit wei­chen, als es höher hin­auf geht. Zur Wald­lage Prio­nia, wo die Wan­de­rung laut Monika beginnt. „Wenn ihr mor­gen zurück­kommt, ruft mich an!“ Dimi­trios reicht uns seine Karte. „Denkt daran, dass es in Gort­sia kei­nen Han­dy­emp­fang gibt. Ihr könnt nur von der Taverna aus anru­fen, und die schließt am frü­hen Abend. Wenn ihr also nach 18 Uhr zurück seid, ruft mich bes­ser von Hütte A an, damit ihr nicht am Ende blöd rum­steht.“ Wir lachen. Wir? Blöd rum­ste­hen? Nie­mals! Und spät zurück­kom­men wer­den wir auch nicht, den schlap­pen Abstieg schaf­fen wir doch mit Links! Von den War­te­ta­gen tie­fen­ent­spannt und bereit, jeden Berg zu erklim­men, kann uns abso­lut nichts schre­cken. Dimi­trios klaubt unsere Ruck­sä­cke und Wan­der­stö­cke aus dem Kof­fer­raum, wünscht uns viel Spaß und braust davon. Wäre es nicht doch sinn­voll gewe­sen, eine Taschen­lampe mit­zu­neh­men? San­dra winkt ab. Taschen­lam­pen sind über­be­wer­tet, der Him­mel wird ja sogar schon rosa­lich, und zuerst wird gefrüh­stückt. Und eine abge­schie­dene Wald­toi­lette gesucht.

Als wir zurück­kom­men, sind drei neue Wan­de­rer ange­kom­men – und unsere Wan­der­stö­cke, die wir leicht­gläu­big an der Info­ta­fel ste­hen­ge­las­sen haben, ver­schwun­den. Panik. San­dra hat Knie und will auf kei­nen Fall ohne Stö­cke los, und auch ich habe mich an das simple Hilfs­mit­tel gewöhnt. Die neuen Wan­de­rer wis­sen von nichts. Das fängt ja gut an. Nach lan­ger Dis­kus­sion, ob viel­leicht der Taxi­fah­rer der Drei unsere Stö­cke ein­ge­packt habe, biegt ein Taxi um die Ecke. Der Fah­rer öff­net das Fens­ter. „Habt ihr viel­leicht Wan­der­stö­cke hier ste­hen­las­sen? Ich wollte sie zur Poli­zei brin­gen, dachte dann aber, dass ich lie­ber noch mal nach­schaue, ob sie jeman­dem feh­len.“ Gerade noch mal gut gegan­gen. Von den Stö­cken wer­den wir uns in den kom­men­den 48 Stun­den nicht mehr trennen.

Unser ers­tes Etap­pen­ziel ist die Berg­hütte Petrostrouga auf 1.940 Metern Höhe, ver­wal­tet von der grie­chi­schen Ret­tungs­mann­schaft. Es geht sanft hin­auf durch Buchen- und Schwarz­kie­fer­wald, geschützt vor der Sonne, die selbst Ende Sep­tem­ber schon früh­mor­gens ordent­lich lacht. So mag ich den Auf­stieg – nicht in senk­rech­tem Steil­hang, son­dern immer schön gemäch­lich, bis die ers­ten 900 Höhen­me­ter über­wun­den sind, ohne dass man stän­dig außer Puste ist. Er meint es gut mit sei­nen Besu­chern, der Göt­ter­berg. Oder viel­leicht haben die Göt­ter ein­fach etwas gegen Schweiß­ge­ruch in der Bude. Die Petrostrouga, die wir nach zwei­ein­halb Stun­den errei­chen, liegt inmit­ten von hohen alten Schlan­gen­haut-Kie­fern, eine breite Holz­schau­kel lädt dazu ein, das ruck­sack­ge­pei­nigte Kreuz mal kurz zu stre­cken. Beim Pick­nick schauen wir einem Ein­hei­mi­schen zu, der mit sei­nen voll­be­pack­ten Pfer­den und Eseln auf­steigt – Pro­vi­ant für die Hüt­ten. Hier ist auch die Hei­mat der Glie­der­kräu­ter, einer Pflanze, aus wel­cher der bekannte Mount Olym­pus Tee gewon­nen wird.

Bald kom­men wir an den Punkt, wo der Wald Geschichte ist und die alpine Vege­ta­tion beginnt. Wir sind noch längst nicht oben und trotz­dem fühlt es sich an, als läge uns Grie­chen­land zu Füßen. In der Ferne glit­zert der Ther­mai­sche Golf, im Lan­des­in­ne­ren set­zen sich pünkt­chen­hafte Häu­ser von der grauen und grü­nen Land­schaft im Tal ab. Ober­halb der Baum­grenze anzu­kom­men, ist für mich auf Berg­wan­de­run­gen einer der schöns­ten Momente. Obwohl es jetzt stei­ler und karg wird. Es ist eine Art Neu­an­fang. Ein Klar­kom­men-müs­sen mit neuen Her­aus­for­de­run­gen, rut­schi­ge­ren Wegen, weni­ger Son­nen­schutz, aber auch die Nähe zum Ziel, die anspornt. Oder sind es die Musen, von denen jeder Wan­de­rer nach einem letz­ten Stück ent­lang eines Steil­hangs geküsst wer­den möchte, die uns antrei­ben, die Wan­der­stö­cke immer hart­nä­cki­ger in den Boden zu rammen?

Es ist, als würde ober­halb von Gestein und Fels­bro­cken nach drei wei­te­ren Wan­der­stun­den ein Tor zum Gar­ten Eden auf­ge­hen – auf ein­mal ste­hen wir auf einem Gras­pla­teau. Die Musen waren weiß Zeus nicht blöd, sich gerade hier anzu­sie­deln. Wäre ich sie, hätte ich die kleine Schutz­hütte Chris­tos Kakalos als Zuhause aus­ge­wählt, die direkt überm Abgrund auf einem Fel­sen klebt.

Oder doch lie­ber Gio­sos Apos­to­li­dis knapp 100 Meter höher, San­dras und mein Heim für eine Nacht, die nur von der Gip­fel­kir­che auf dem Pro­phi­tis Elias an 430 Höhen­me­tern über­trumpft wird. Ein letz­ter stei­ler Auf­stieg führt zur win­zi­gen Kir­che, pas­sen­der­weise dem Pro­phe­ten Elija gewid­met, die aus fla­chen, teils schie­fer­ähn­li­chen und natur­be­las­se­nen Stei­nen auf­ge­schich­tet ist. Das Etap­pen­ziel ist erreicht, die Stille hör­bar, und die Sonne macht sich lang­sam zum Unter­ge­hen hübsch. Plötz­lich schreit San­dra auf, deu­tet auf eine Stelle des Pla­teaus. Eine Gämse! Dann eine zweite, eine dritte, bis das Pla­teau der Musen gespickt vol­ler Tiere ist, die sich von den letz­ten Son­nen­strah­len den Pelz wär­men las­sen. San­dra hat Trä­nen in den Augen. „Ich bin so glücklich.“

Die Lau­nen des Zeus

Die Nacht auf der Apos­to­li­dis-Hütte in Mehr­bett­zim­mern mit 16 Bet­ten ist so, wie man sich eine Über­nach­tung auf einer Berg­hütte vor­stellt. Am Ein­gang ste­hen der­ma­ßen viele Paar Wan­der­schuhe, dass dem Niko­laus schwin­de­lig würde, und in den Stock­bet­ten schnar­chen schon die ers­ten Wan­der­ka­put­ten. Alle ande­ren ste­hen Schlange an der Essen­aus­gabe. Es gibt Sup­pen und Spa­ghetti Bolo­gnese, denen die meiste Bolo­gnese flö­ten gegan­gen ist. Aber wenn man 1.800 Meter hoch­ge­wan­dert ist, wür­den sogar frit­tierte Heu­schre­cken und Kaker­la­ken aus Kam­bo­dscha schme­cken. Einige wär­men sich vorm Ofen, in dem ein klei­nes Feuer fla­ckert, andere war­ten, dass sie end­lich ihr Handy in einer der weni­gen Steck­do­sen, mit Son­nen­en­er­gie betrie­ben, auf­la­den kön­nen. Dann gibt es auch die Uner­müd­li­chen, die es noch schaf­fen, sich ans andere Geschlecht her­an­zu­ma­chen und die Spe­zia­lis­ten, die sich nach – und vor – dem Wan­der­tag mit Wein und Hoch­pro­zen­ti­ge­rem zuschüt­ten, um dann mit­ten in der Nacht ins fal­sche Zim­mer zu tram­peln oder im rich­ti­gen Zim­mer alle mit einem unver­gleich­li­chen Schnarch­kon­zert zu unterhalten.

Lange stehe ich drau­ßen, ziehe die Jacke immer fes­ter um mich, wäh­rend die Tem­pe­ra­tu­ren fast auf den Gefrier­punkt absin­ken. Jemand hat etwas davon erzählt, dass es im Ver­lauf der Woche schneien soll. Der Him­mel über den Gip­feln am Hori­zont ist kit­schig rosa, der Mond auch. Und als sich der Schein des Mon­des mit­ten in der Nacht auch noch auf dem Mit­tel­meer spie­gelt, ist es nicht mal mehr ein Pro­blem, noch ein­mal raus in die Kälte und zur Toi­lette zu müs­sen. An die­sem ers­ten Tag hatte Zeus ver­dammt gute Laune, hat uns mit schöns­tem Son­nen­schein und ange­neh­men Tem­pe­ra­tu­ren emp­fan­gen – ob er uns am Fol­ge­tag auch so sanft ver­ab­schie­den wird?

Wir ste­hen um sechs auf, als die meis­ten noch ins Kis­sen grun­zen. Wol­len früh früh­stü­cken und los, denn unser Tages­ziel ist nicht nur der Abstieg – wir wol­len noch auf einen Gip­fel. „Auf den Myti­kas, den höchs­ten Gip­fel, müsst ihr mit pas­sen­der Aus­rüs­tung klet­tern“, hat uns Monika gewarnt. Wir wol­len nicht klet­tern, wol­len nicht mal auf den zweit­höchs­ten Gip­fel Sko­lio, son­dern wer­den uns mit dem viert­höchs­ten, Skala, beschei­den. Der nicht unbe­dingt leicht zu erklim­men ist, aber unse­rer Stre­cke am nächs­ten liegt. Zeus hat schlecht geschla­fen, schaut mit geschwol­le­ner Nase vom Berg­kamm über den an die­sem Mor­gen von einem Schaum­bad bedeck­ten Ther­mai­schen Golf.

Die Sonne kämpft sich erst über die Wol­ken, als wir uns auf den Weg machen – guter Hoff­nung, dass die Wat­te­schicht brav unter uns bleibt. Fast eine halbe Stunde sind wir gelau­fen, da bemerkt es San­dra – sie hat ihre Knie­ban­dage in der Hütte lie­gen­las­sen. Ich bleibe unter Zeus‘ stren­gem Blick mit unse­rem Gepäck auf dem schma­len Pfad sit­zen, wäh­rend sie zurück­läuft. 45 Minu­ten ver­ge­hen. Minu­ten, in denen unzäh­lige Wan­de­rer an mir vor­bei­zie­hen, Minu­ten der Stille, in denen die Weite mein Kom­plize ist. Allein die immer näher und höher rücken­den Wol­ken beun­ru­hi­gen mich.

Als es end­lich wei­ter­geht, wird der Gip­fel des Myti­kas bereits von den Wol­ken umwo­ben. Auf einem fer­nen Fel­sen steht eine ein­zelne Gämse im Nebel. Erha­ben. Mys­tisch. Zeus in Kos­tüm? Bald geht es steil bergab.

Soll­ten wir nicht eigent­lich wei­ter berg­auf gehen, wenn wir auf einen Gip­fel wol­len? Schil­der sind weit und breit keine zu sehen, und als wir zurück auf 2.400 Metern doch end­lich an eine Infor­ma­ti­ons­ta­fel kom­men, ist diese genauso les­bar wie Chi­ne­sisch für Nicht-Chi­ne­sen. Was tun, wenn man nicht wei­ter­weiß? Pick­ni­cken. Neue Kraft für Kör­per und Hirn und genug Zeit für andere Wan­de­rer, anzu­kom­men und zu bewei­sen, dass sie im Kar­ten­le­sen fit­ter sind als wir. Ein jun­ger Typ, der über die Pfade hüpft wie eine Gämse, weist uns den Weg zum Skala. Doch warum soll­ten wir über­haupt auf einen Gip­fel klet­tern, wenn die Wol­ken uns schon jetzt über den Kopf strei­chen? Zwei Freun­din­nen aus Israel, mit denen wir auf der Hütte über­nach­tet haben, ent­schei­den sich für den direk­ten Abstieg. Wir über­le­gen. Sind da nicht schon ein paar Lücken in der Wol­ken­schicht? Einige Nüsse spä­ter die Ent­schei­dung: Wir stei­gen die 2.882 Meter hoch. Wer sich mit dem viert­höchs­ten Gip­fel zufrie­den­gibt, dem kann auch eine wol­ken­ver­han­gene Aus­sicht nichts mehr anhaben.

What comes up must go down

Dafür, dass der Skala nicht mal so hoch ist, ist der Auf­stieg – Teil der Fern­wan­der­route E4 – ziem­lich senk­recht. Und von der Rut­schi­gen-Steine-Sorte, wo einem die ent­ge­gen­kom­men­den Leute ent­ge­gen­schlit­tern. Dafür hat Zeus mitt­ler­weile wohl einen Espresso getrun­ken und bläst die Wol­ken wei­ter in die Tiefe. Wie ein flau­schig wei­ßer Tep­pich bede­cken sie die Täler und Land­schaft unter uns, und oben knallt die Sonne vom post­kar­ten­blauen Him­mel. Strahlt den Myti­kas an, mit dem wir bald Auge in Auge ste­hen. Die Men­schen, die ihn ver­su­chen zu erklim­men, kra­xeln meist auf allen Vie­ren und ohne ver­nünf­tige Aus­rüs­tung herum. Spä­ter erfah­ren wir, dass sich ein Serbe an die­sem Nach­mit­tag das Bein beim Auf­stieg gebro­chen haben soll. „Offi­zi­ell ist der Myti­kas 2.918 Meter hoch, wird aber jedes Jahr ein Stück­chen höher“, erfah­ren wir von einem Berg­füh­rer. „Und nein, das ist nicht eine Erfin­dung der Grie­chen, es stimmt! Das liegt an der Ver­schie­bung der afri­ka­ni­schen Erdplatte.“

Links von uns lockt der zweit­höchste Olymp-Berg Sko­lio mit ein paar wei­te­ren Höhen­me­tern, doch San­dra und ich packen den zwei­ten Teil unse­res Lun­ches aus und sind wunsch­los glück­lich. Wieso nach dem Höchs­ten stre­ben, wenn es auch ein paar Meter tie­fer traum­haft schön ist? So schön, dass wir am liebs­ten in der Sonne lie­gen­blei­ben wür­den, aber der schlimmste Teil – der etwa 1.800 Meter tiefe Abstieg nach Gort­sia – war­tet noch auf uns. Es ist schon 13 Uhr und uns fällt der Taxi­fah­rer ein, der etwas von der schlie­ßen­den Taverna in Gort­sia erzählt hat. Ob das wohl gut­geht? Wer behaup­tet, der Abstieg vom Berg sei ein­fa­cher als der Auf­stieg, hat in der Regel keine Knie­pro­bleme. Ich bewun­dere die Leute, die in Turn­schu­hen leicht­fü­ßig in einer Staub­wolke an uns vor­bei­zie­hen, wäh­rend wir die Wan­der­stö­cke und Hacken der Wan­der­stie­fel in die Steine gra­ben. Als wir zurück auf 2.400 Metern ankom­men, hat Zeus den Vor­hang wie­der zuge­zo­gen, mehr als ein klei­ner Weit­blick soll an die­sem Tag nicht drin sein.

Unser nächs­tes Etap­pen­ziel ist Schutz­hütte A, Spi­lios Aga­pi­tos, auf knapp 2.100 Metern, die wir nach etwa zwei­ein­halb wei­te­ren Stun­den errei­chen sol­len. Wie­der ist der Weg rut­schig, vol­ler blan­ker Fel­sen und voll von Esels­ka­cke, die einen genauso ins Strau­cheln bringt wie die fie­sen klei­nen Steine. Zuerst hören wir von Wei­tem das Rat­tern der Gene­ra­to­ren, dann erscheint die Hütte wie eine Fata Mor­gana aus dem Nebel.

Müde und hung­rig stol­pern wir in das graue Stein­häus­chen, die älteste aller Olymp-Berg­hüt­ten, 1930 erbaut und seit­dem stän­dig erwei­tert. Seit 2001 wird sie von Maria Zolota und ihrem Mann Dio­ny­sios Pour­lio­tis betrie­ben – davor war es Marias Vater, der Berg­füh­rer Kos­tas Zolota, der die Hütte ab 1954 bewirt­schaf­tete. Zunächst umarmt uns die Wärme im Inne­ren, dann stei­gen uns ver­füh­re­ri­sche Düfte in die Nase. Maria steht selbst hin­term Tre­sen, lässt Gäste ein Über­nach­tungs­buch aus­fül­len und nimmt gleich­zei­tig Bestel­lun­gen für die Küche ent­ge­gen. Es ist 16 Uhr und wir machen uns Sorge, dass wir in der Taverna am End­punkt nie­man­den mehr antref­fen wer­den. „Ihr braucht etwa zwei­ein­halb Stun­den für den Abstieg, wenn ihr mögt, kann ich euer Taxi schon jetzt anru­fen“, bie­tet sich Maria an. Wie­der einer die­ser Engel, die Zeus geschickt hat. Dio­ny­sios zeigt mir noch einige Schlaf­räume mit Bet­ten für ins­ge­samt 110 Men­schen, dar­un­ter Dop­pel­zim­mer für jene, die etwas Zwei­sam­keit mit dem Part­ner wün­schen oder unter­wegs einen neuen auf­ge­le­sen haben.

Auf­ge­wärmt von der Gemü­se­suppe und mit einer Por­tion grie­chi­schem Jogurt mit Honig geht es wei­ter bergab. Nach jeder Kurve reden wir uns ein, dass jetzt der steilste und rut­schigste Teil hin­ter uns lie­gen muss, doch die Berge legen immer wie­der neue Her­aus­for­de­run­gen auf. Die Beine wol­len nicht mehr, die Knie schei­nen gleich auf der Hütte geblie­ben zu sein. Noch immer kom­men uns ver­ein­zelte Wan­de­rer von unten ent­ge­gen, wir fra­gen sie, wie lang es denn noch sei. Bekom­men Ant­wor­ten zwi­schen einer hal­ben Stunde und drei Stun­den. Hat Maria nicht für 18.30 Uhr das Taxi bestellt? Was, wenn Dimi­trios weg­fährt und wir bei Dun­keln in der Pampa ste­hen? Bei Dun­keln! 19 Uhr und in den Wäl­dern, in denen wir seit gefühl­ten Stun­den her­um­stak­sen, geht lang­sam das Licht aus. Taschen­lam­pen sind wohl doch nicht über­be­wer­tet und die Han­dy­bat­te­rien klam­mern sich an den letz­ten Pro­zent. Als wir glau­ben, jede Minute anzu­kom­men, steht ein Schild am Weg. Ich mache den Feh­ler, drauf­zu­schauen. Wir sind unge­fähr auf der Hälfte der Stre­cke. Doch Zetern hilft nicht, Schnel­ler­ge­hen und die Schmer­zen in allen Kno­chen igno­rie­ren dage­gen schon. Wir lau­fen, als würde uns der Wald unterm Hin­tern weg­bren­nen. Ent­ge­gen kommt uns schon lange nie­mand mehr, uns über­holt nicht mal mehr einer.

19.40 Uhr. Mit dem letz­ten Licht des Tages und mit letz­ter Kraft tau­meln wir aus dem Wald. Über eine Brü­cke, gera­de­wegs zu auf die noch hell erleuch­tete Taverna. Vor der Dimi­trios‘ grauer Mer­ce­des steht.

Sobald er uns sieht, stürzt er aus dem Restau­rant, in dem er sich über eine Stunde lang warm­ge­hal­ten hat. „Meine Güte, ich hätte schon fast die Berg­ret­tung geru­fen, dass die nach euch suchen!“ Wir sin­ken ins Rück­pols­ter, krie­gen die Beine kaum nach. Dimi­trios grinst. „Aber es gab ein paar Ira­ner, die waren noch schlim­mer als ihr, sind erst um 22 Uhr ange­kom­men, obwohl sie mich für 18 Uhr bestellt hat­ten.“ Beru­hi­gend. Doch jetzt ist alles egal. Wir haben es geschafft. Waren zu Besuch bei den grie­chi­schen Göt­tern, die uns wohl­wol­lend emp­fan­gen und uns doch eini­ges abver­langt haben. Und die uns genug Schutz­en­gel mit auf den Weg gege­ben haben, damit wir sicher wie­der bei Dimi­trios ankom­men. Dem drit­ten und letz­ten Engel. Doch den bes­ten Job haben die Musen gemacht, die uns so oft geküsst haben, dass wir trotz Blei­bei­nen wie Lot­to­ge­win­ner strah­len. Bis an den Rand voll mit Glück und den schö­nen Ein­drü­cken, wie sie nur eine Berg­tour mit der bes­ten Freun­din besche­ren kann.

Infor­ma­tio­nen:

Berg­be­stei­gung: https://www.olympus-climbing.gr/

Geschäft 55 Peaks: https://www.facebook.com/55-Peaks-348715205292455/

Unter­künfte: 

Petrostrouga: www.hrt.org.gr / inform@hrt.org.gr

Apos­to­li­dis: http://www.apostolidisrefuge.gr/en/index.html

Kakalos: http://www.olympus-climbing.gr/index.php?id=4&page=refuges#

Spi­lios Aga­pi­tos: http://mountolympus.gr/de/index.php#.W_RQOOKNzIU

 

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Bernadette Olderdissen

Bernadette Olderdissen ist eine Geschichtensammlerin- und schreiberin. Schon in jungen Jahren verstand sie, dass ganz so viel Fantasie zum Schreiben gar nicht nötig war, denn die besten Geschichten schenkte ihr das Leben umsonst. Schenkten ihr die Menschen um sie herum. Als sie viele Geschichten gehört hatte, zog sie weiter. Sperrte die Ohren auf und schrieb alles nieder, was ihr die Menschen zu erzählen hatten. So trieb es sie immer weiter durch die Welt, mit ungesättigter Neugier und in der Gewissheit, dass sich die Menschen zwar überall auf der Welt verdammt ähnlich sind, jedoch keine zwei Geschichten identisch. Dieser Umstand ist schuld daran, dass sie noch immer nichts für die Rente gespart hat, sondern das Geld immer nur für die nächsten Reisen reicht. Und das findet sie auch gank okay so.

  1. Bernadette says:

    Vie­len Dank, liebe Svenja, das freut mich sehr. Und das mit den Hum­meln im Hin­tern kenne ich allzu gut ;) Ich wün­sche dir für 2019 auf jeden Fall, dass du die Hum­meln oft flie­gen las­sen kannst …

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