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Griechenland beschwört viele Urlaubsträume herauf – den Blick auf die Akropolis, einen Sonnenuntergang auf Santorini, Partys auf Mykonos – die Liste ist lang. Doch eins kommt viel seltener auf: der Wunsch, aufs Dach Griechenlands zu steigen, den Olymp. Dementsprechend sind die Informationen zum Wie und Wo und Was noch nicht perfekt filetiert und zum Nachkauen aufbereitet wie sonst. Und das macht den Weg auf die Berge der Götter erst richtig spannend.
Götter als Gastgeber
Daran gibt‘s nichts zu rütteln: Wer den Olymp besteigt, ist zu Gast bei Göttern. In einem Heiligtum der Griechen, das fast gänzlich aus mesozoischem Kalkstein besteht und an der Ostküste liegt, nahe der Kleinstadt Litochoro. Laut griechischer Mythologie ist das Bergmassiv Olymp, dessen höchster Gipfel, Mytikas, 2.918 Meter misst, Tendenz steigend, nämlich die Heimat der Götter. Kein Wunder also, dass auf einem Nebengipfel, Profitis Ilias, auch die höchstgelegene christliche Kapelle nicht nur Griechenlands, sondern der ganzen Balkanhalbinsel steht. Besonders gläubige Griechen stiegen zum Olymp hoch, um den Göttern Opfer zu bringen. Das heißt jenen 12 Göttern des Olymp, zu denen Zeus, der Göttervater, Poseidon, Gott des Meeres, Hermes, Gott der Diebe, des Handels und der Reisenden und Aphrodite, Göttin der Liebe und Schönheit, zählen.
Die Götter persönlich treffen heute die wenigsten Wanderer, dafür aber reichlich Gämsen. Da auch darüber hinaus acht Amphibien‑, 22 Reptilien- und 108 Vogelarten in dem Gebirge leben sollen und dort eine ganz eigene Flora und Fauna gedeiht, erklärte die UNESCO das Gebirgsmassiv bereits 1981 zum Biosphäre-Reservat. Mit sehr viel Glück lassen sich weitere Tiere beobachten, darunter Schakale, Wölfe, Dachse und Wiesel. Wenn man die Griechen fragt, verbirgt sich hinter manchem Pelz natürlich eine Göttergestalt.
Litochoro, das Wartezimmer für Bergsteiger
Wer den Olymp besteigt, kommt zwangsläufig nach Litochoro, in „die Stadt am Fuß des Olymp“. In einen nicht einmal 7.000-Seelenort, wo die Opas jeden Abend im selben Restaurant am selben Tisch dasselbe Essen bestellen. Wo fast immer, wenn der große Bus von Thessaloniki die Hauptstraße hochfährt und um den Springbrunnen am Hauptplatz kurvt, Stress aufkommt, weil wieder mal einer falsch geparkt hat und den Bus blockiert. Wo wenn es warm ist fast täglich und besonders an Wochenenden in der orthodoxen Kirche geheiratet wird und wo die modebewusste Griechin den letzten Schrei an Kleidern und Hüten zur Schau stellt. Und wo es das beste Eis in der Bäckerei gibt.
Das Warten in Litochoro macht Spaß. Warten darauf, dass es einen freien Platz für eine Übernachtung in einer der fünf Berghütten am Olymp gibt, denn wenn das Wetter gut ist, strömen Einheimische als auch Ausländer in die Berge. Über Internet habe ich wenig darüber gefunden, wie man läuft, wo schläft und wo bucht. Gegenüber der offiziellen Bushaltestelle – markiert von einer Bank vor einem Fenster, hinter dem Tickets verkauft werden – ist die sogenannte Touristeninformation für Olympbesteiger-Wannabes. Nur, dass diese auch mal geschlossen ist und ein Schild auf Griechisch erklärt, warum. Doch die Götter, auch wenn sie hoch oben in den Bergen wohnen, haben zumindest in Litochoro einen ihrer Engel abgesetzt. Der heißt Monika Michalekova und hat ein Geschäft mit Wanderausrüstung, Wanderkarten und allen nötigen Informationen, wie es auf Griechenlands höchste Gipfel geht. 55 Peaks heißt der Laden, zu Ehren der 55 Gipfel, aus denen sich das Gebirge zusammensetzt.
Ein Blick auf meine beste Freundin Sandra und mich reicht aus, und Monika weiß, welchen Weg sie uns empfehlen kann. „Am besten geht ihr auf der einen Seite rauf, ab Prionia, und kommt auf der anderen wieder runter, nach Gortsia. Zum Start- und vom Endpunkt nehmt ihr ein Taxi, sonst wird es zu lang.“ Alles klar. Dass Monikas Route, nach ihrer Aussage ganz leicht, einen Höhenunterschied von etwa 1.800 Metern pro Weg mit sich bringt, schwant uns erst, als wir die rot umkringelten Orte und Hütten auf der Karte studieren. Aufgrund der ausgebuchten Hütten haben wir nur die Chance auf eine Übernachtung, und die muss natürlich auf der den Göttern am nächsten Hütte sein – Giosos Apostolidis auf 2.720 Metern Höhe, auf dem sogenannten Plateau der Musen. Monika telefoniert mit der Hütte und stattet uns mit Wanderstöcken und Kartenmaterial aus. „Am liebsten würde ich gleich mitkommen, aber einer muss ja den Laden schmeißen.“ In der letzten Nacht vor dem großen Aufstieg träumen wir von Musen und Zeus, dessen Profil angeblich in einer Felswand zu erkennen ist. Endlich geht es los. Hinauf zu den Göttern.
Der lange Weg zu den Musen
Die Sonne ist noch längst nicht aufgegangen, als wir in Dimitrios‘ Taxi sitzen und die Lichter der Stadt kompletter Dunkelheit weichen, als es höher hinauf geht. Zur Waldlage Prionia, wo die Wanderung laut Monika beginnt. „Wenn ihr morgen zurückkommt, ruft mich an!“ Dimitrios reicht uns seine Karte. „Denkt daran, dass es in Gortsia keinen Handyempfang gibt. Ihr könnt nur von der Taverna aus anrufen, und die schließt am frühen Abend. Wenn ihr also nach 18 Uhr zurück seid, ruft mich besser von Hütte A an, damit ihr nicht am Ende blöd rumsteht.“ Wir lachen. Wir? Blöd rumstehen? Niemals! Und spät zurückkommen werden wir auch nicht, den schlappen Abstieg schaffen wir doch mit Links! Von den Wartetagen tiefenentspannt und bereit, jeden Berg zu erklimmen, kann uns absolut nichts schrecken. Dimitrios klaubt unsere Rucksäcke und Wanderstöcke aus dem Kofferraum, wünscht uns viel Spaß und braust davon. Wäre es nicht doch sinnvoll gewesen, eine Taschenlampe mitzunehmen? Sandra winkt ab. Taschenlampen sind überbewertet, der Himmel wird ja sogar schon rosalich, und zuerst wird gefrühstückt. Und eine abgeschiedene Waldtoilette gesucht.
Als wir zurückkommen, sind drei neue Wanderer angekommen – und unsere Wanderstöcke, die wir leichtgläubig an der Infotafel stehengelassen haben, verschwunden. Panik. Sandra hat Knie und will auf keinen Fall ohne Stöcke los, und auch ich habe mich an das simple Hilfsmittel gewöhnt. Die neuen Wanderer wissen von nichts. Das fängt ja gut an. Nach langer Diskussion, ob vielleicht der Taxifahrer der Drei unsere Stöcke eingepackt habe, biegt ein Taxi um die Ecke. Der Fahrer öffnet das Fenster. „Habt ihr vielleicht Wanderstöcke hier stehenlassen? Ich wollte sie zur Polizei bringen, dachte dann aber, dass ich lieber noch mal nachschaue, ob sie jemandem fehlen.“ Gerade noch mal gut gegangen. Von den Stöcken werden wir uns in den kommenden 48 Stunden nicht mehr trennen.
Unser erstes Etappenziel ist die Berghütte Petrostrouga auf 1.940 Metern Höhe, verwaltet von der griechischen Rettungsmannschaft. Es geht sanft hinauf durch Buchen- und Schwarzkieferwald, geschützt vor der Sonne, die selbst Ende September schon frühmorgens ordentlich lacht. So mag ich den Aufstieg – nicht in senkrechtem Steilhang, sondern immer schön gemächlich, bis die ersten 900 Höhenmeter überwunden sind, ohne dass man ständig außer Puste ist. Er meint es gut mit seinen Besuchern, der Götterberg. Oder vielleicht haben die Götter einfach etwas gegen Schweißgeruch in der Bude. Die Petrostrouga, die wir nach zweieinhalb Stunden erreichen, liegt inmitten von hohen alten Schlangenhaut-Kiefern, eine breite Holzschaukel lädt dazu ein, das rucksackgepeinigte Kreuz mal kurz zu strecken. Beim Picknick schauen wir einem Einheimischen zu, der mit seinen vollbepackten Pferden und Eseln aufsteigt – Proviant für die Hütten. Hier ist auch die Heimat der Gliederkräuter, einer Pflanze, aus welcher der bekannte Mount Olympus Tee gewonnen wird.
Bald kommen wir an den Punkt, wo der Wald Geschichte ist und die alpine Vegetation beginnt. Wir sind noch längst nicht oben und trotzdem fühlt es sich an, als läge uns Griechenland zu Füßen. In der Ferne glitzert der Thermaische Golf, im Landesinneren setzen sich pünktchenhafte Häuser von der grauen und grünen Landschaft im Tal ab. Oberhalb der Baumgrenze anzukommen, ist für mich auf Bergwanderungen einer der schönsten Momente. Obwohl es jetzt steiler und karg wird. Es ist eine Art Neuanfang. Ein Klarkommen-müssen mit neuen Herausforderungen, rutschigeren Wegen, weniger Sonnenschutz, aber auch die Nähe zum Ziel, die anspornt. Oder sind es die Musen, von denen jeder Wanderer nach einem letzten Stück entlang eines Steilhangs geküsst werden möchte, die uns antreiben, die Wanderstöcke immer hartnäckiger in den Boden zu rammen?
Es ist, als würde oberhalb von Gestein und Felsbrocken nach drei weiteren Wanderstunden ein Tor zum Garten Eden aufgehen – auf einmal stehen wir auf einem Grasplateau. Die Musen waren weiß Zeus nicht blöd, sich gerade hier anzusiedeln. Wäre ich sie, hätte ich die kleine Schutzhütte Christos Kakalos als Zuhause ausgewählt, die direkt überm Abgrund auf einem Felsen klebt.
Oder doch lieber Giosos Apostolidis knapp 100 Meter höher, Sandras und mein Heim für eine Nacht, die nur von der Gipfelkirche auf dem Prophitis Elias an 430 Höhenmetern übertrumpft wird. Ein letzter steiler Aufstieg führt zur winzigen Kirche, passenderweise dem Propheten Elija gewidmet, die aus flachen, teils schieferähnlichen und naturbelassenen Steinen aufgeschichtet ist. Das Etappenziel ist erreicht, die Stille hörbar, und die Sonne macht sich langsam zum Untergehen hübsch. Plötzlich schreit Sandra auf, deutet auf eine Stelle des Plateaus. Eine Gämse! Dann eine zweite, eine dritte, bis das Plateau der Musen gespickt voller Tiere ist, die sich von den letzten Sonnenstrahlen den Pelz wärmen lassen. Sandra hat Tränen in den Augen. „Ich bin so glücklich.“
Die Launen des Zeus
Die Nacht auf der Apostolidis-Hütte in Mehrbettzimmern mit 16 Betten ist so, wie man sich eine Übernachtung auf einer Berghütte vorstellt. Am Eingang stehen dermaßen viele Paar Wanderschuhe, dass dem Nikolaus schwindelig würde, und in den Stockbetten schnarchen schon die ersten Wanderkaputten. Alle anderen stehen Schlange an der Essenausgabe. Es gibt Suppen und Spaghetti Bolognese, denen die meiste Bolognese flöten gegangen ist. Aber wenn man 1.800 Meter hochgewandert ist, würden sogar frittierte Heuschrecken und Kakerlaken aus Kambodscha schmecken. Einige wärmen sich vorm Ofen, in dem ein kleines Feuer flackert, andere warten, dass sie endlich ihr Handy in einer der wenigen Steckdosen, mit Sonnenenergie betrieben, aufladen können. Dann gibt es auch die Unermüdlichen, die es noch schaffen, sich ans andere Geschlecht heranzumachen und die Spezialisten, die sich nach – und vor – dem Wandertag mit Wein und Hochprozentigerem zuschütten, um dann mitten in der Nacht ins falsche Zimmer zu trampeln oder im richtigen Zimmer alle mit einem unvergleichlichen Schnarchkonzert zu unterhalten.
Lange stehe ich draußen, ziehe die Jacke immer fester um mich, während die Temperaturen fast auf den Gefrierpunkt absinken. Jemand hat etwas davon erzählt, dass es im Verlauf der Woche schneien soll. Der Himmel über den Gipfeln am Horizont ist kitschig rosa, der Mond auch. Und als sich der Schein des Mondes mitten in der Nacht auch noch auf dem Mittelmeer spiegelt, ist es nicht mal mehr ein Problem, noch einmal raus in die Kälte und zur Toilette zu müssen. An diesem ersten Tag hatte Zeus verdammt gute Laune, hat uns mit schönstem Sonnenschein und angenehmen Temperaturen empfangen – ob er uns am Folgetag auch so sanft verabschieden wird?
Wir stehen um sechs auf, als die meisten noch ins Kissen grunzen. Wollen früh frühstücken und los, denn unser Tagesziel ist nicht nur der Abstieg – wir wollen noch auf einen Gipfel. „Auf den Mytikas, den höchsten Gipfel, müsst ihr mit passender Ausrüstung klettern“, hat uns Monika gewarnt. Wir wollen nicht klettern, wollen nicht mal auf den zweithöchsten Gipfel Skolio, sondern werden uns mit dem vierthöchsten, Skala, bescheiden. Der nicht unbedingt leicht zu erklimmen ist, aber unserer Strecke am nächsten liegt. Zeus hat schlecht geschlafen, schaut mit geschwollener Nase vom Bergkamm über den an diesem Morgen von einem Schaumbad bedeckten Thermaischen Golf.
Die Sonne kämpft sich erst über die Wolken, als wir uns auf den Weg machen – guter Hoffnung, dass die Watteschicht brav unter uns bleibt. Fast eine halbe Stunde sind wir gelaufen, da bemerkt es Sandra – sie hat ihre Kniebandage in der Hütte liegenlassen. Ich bleibe unter Zeus‘ strengem Blick mit unserem Gepäck auf dem schmalen Pfad sitzen, während sie zurückläuft. 45 Minuten vergehen. Minuten, in denen unzählige Wanderer an mir vorbeiziehen, Minuten der Stille, in denen die Weite mein Komplize ist. Allein die immer näher und höher rückenden Wolken beunruhigen mich.
Als es endlich weitergeht, wird der Gipfel des Mytikas bereits von den Wolken umwoben. Auf einem fernen Felsen steht eine einzelne Gämse im Nebel. Erhaben. Mystisch. Zeus in Kostüm? Bald geht es steil bergab.
Sollten wir nicht eigentlich weiter bergauf gehen, wenn wir auf einen Gipfel wollen? Schilder sind weit und breit keine zu sehen, und als wir zurück auf 2.400 Metern doch endlich an eine Informationstafel kommen, ist diese genauso lesbar wie Chinesisch für Nicht-Chinesen. Was tun, wenn man nicht weiterweiß? Picknicken. Neue Kraft für Körper und Hirn und genug Zeit für andere Wanderer, anzukommen und zu beweisen, dass sie im Kartenlesen fitter sind als wir. Ein junger Typ, der über die Pfade hüpft wie eine Gämse, weist uns den Weg zum Skala. Doch warum sollten wir überhaupt auf einen Gipfel klettern, wenn die Wolken uns schon jetzt über den Kopf streichen? Zwei Freundinnen aus Israel, mit denen wir auf der Hütte übernachtet haben, entscheiden sich für den direkten Abstieg. Wir überlegen. Sind da nicht schon ein paar Lücken in der Wolkenschicht? Einige Nüsse später die Entscheidung: Wir steigen die 2.882 Meter hoch. Wer sich mit dem vierthöchsten Gipfel zufriedengibt, dem kann auch eine wolkenverhangene Aussicht nichts mehr anhaben.
What comes up must go down
Dafür, dass der Skala nicht mal so hoch ist, ist der Aufstieg – Teil der Fernwanderroute E4 – ziemlich senkrecht. Und von der Rutschigen-Steine-Sorte, wo einem die entgegenkommenden Leute entgegenschlittern. Dafür hat Zeus mittlerweile wohl einen Espresso getrunken und bläst die Wolken weiter in die Tiefe. Wie ein flauschig weißer Teppich bedecken sie die Täler und Landschaft unter uns, und oben knallt die Sonne vom postkartenblauen Himmel. Strahlt den Mytikas an, mit dem wir bald Auge in Auge stehen. Die Menschen, die ihn versuchen zu erklimmen, kraxeln meist auf allen Vieren und ohne vernünftige Ausrüstung herum. Später erfahren wir, dass sich ein Serbe an diesem Nachmittag das Bein beim Aufstieg gebrochen haben soll. „Offiziell ist der Mytikas 2.918 Meter hoch, wird aber jedes Jahr ein Stückchen höher“, erfahren wir von einem Bergführer. „Und nein, das ist nicht eine Erfindung der Griechen, es stimmt! Das liegt an der Verschiebung der afrikanischen Erdplatte.“
Links von uns lockt der zweithöchste Olymp-Berg Skolio mit ein paar weiteren Höhenmetern, doch Sandra und ich packen den zweiten Teil unseres Lunches aus und sind wunschlos glücklich. Wieso nach dem Höchsten streben, wenn es auch ein paar Meter tiefer traumhaft schön ist? So schön, dass wir am liebsten in der Sonne liegenbleiben würden, aber der schlimmste Teil – der etwa 1.800 Meter tiefe Abstieg nach Gortsia – wartet noch auf uns. Es ist schon 13 Uhr und uns fällt der Taxifahrer ein, der etwas von der schließenden Taverna in Gortsia erzählt hat. Ob das wohl gutgeht? Wer behauptet, der Abstieg vom Berg sei einfacher als der Aufstieg, hat in der Regel keine Knieprobleme. Ich bewundere die Leute, die in Turnschuhen leichtfüßig in einer Staubwolke an uns vorbeiziehen, während wir die Wanderstöcke und Hacken der Wanderstiefel in die Steine graben. Als wir zurück auf 2.400 Metern ankommen, hat Zeus den Vorhang wieder zugezogen, mehr als ein kleiner Weitblick soll an diesem Tag nicht drin sein.
Unser nächstes Etappenziel ist Schutzhütte A, Spilios Agapitos, auf knapp 2.100 Metern, die wir nach etwa zweieinhalb weiteren Stunden erreichen sollen. Wieder ist der Weg rutschig, voller blanker Felsen und voll von Eselskacke, die einen genauso ins Straucheln bringt wie die fiesen kleinen Steine. Zuerst hören wir von Weitem das Rattern der Generatoren, dann erscheint die Hütte wie eine Fata Morgana aus dem Nebel.
Müde und hungrig stolpern wir in das graue Steinhäuschen, die älteste aller Olymp-Berghütten, 1930 erbaut und seitdem ständig erweitert. Seit 2001 wird sie von Maria Zolota und ihrem Mann Dionysios Pourliotis betrieben – davor war es Marias Vater, der Bergführer Kostas Zolota, der die Hütte ab 1954 bewirtschaftete. Zunächst umarmt uns die Wärme im Inneren, dann steigen uns verführerische Düfte in die Nase. Maria steht selbst hinterm Tresen, lässt Gäste ein Übernachtungsbuch ausfüllen und nimmt gleichzeitig Bestellungen für die Küche entgegen. Es ist 16 Uhr und wir machen uns Sorge, dass wir in der Taverna am Endpunkt niemanden mehr antreffen werden. „Ihr braucht etwa zweieinhalb Stunden für den Abstieg, wenn ihr mögt, kann ich euer Taxi schon jetzt anrufen“, bietet sich Maria an. Wieder einer dieser Engel, die Zeus geschickt hat. Dionysios zeigt mir noch einige Schlafräume mit Betten für insgesamt 110 Menschen, darunter Doppelzimmer für jene, die etwas Zweisamkeit mit dem Partner wünschen oder unterwegs einen neuen aufgelesen haben.
Aufgewärmt von der Gemüsesuppe und mit einer Portion griechischem Jogurt mit Honig geht es weiter bergab. Nach jeder Kurve reden wir uns ein, dass jetzt der steilste und rutschigste Teil hinter uns liegen muss, doch die Berge legen immer wieder neue Herausforderungen auf. Die Beine wollen nicht mehr, die Knie scheinen gleich auf der Hütte geblieben zu sein. Noch immer kommen uns vereinzelte Wanderer von unten entgegen, wir fragen sie, wie lang es denn noch sei. Bekommen Antworten zwischen einer halben Stunde und drei Stunden. Hat Maria nicht für 18.30 Uhr das Taxi bestellt? Was, wenn Dimitrios wegfährt und wir bei Dunkeln in der Pampa stehen? Bei Dunkeln! 19 Uhr und in den Wäldern, in denen wir seit gefühlten Stunden herumstaksen, geht langsam das Licht aus. Taschenlampen sind wohl doch nicht überbewertet und die Handybatterien klammern sich an den letzten Prozent. Als wir glauben, jede Minute anzukommen, steht ein Schild am Weg. Ich mache den Fehler, draufzuschauen. Wir sind ungefähr auf der Hälfte der Strecke. Doch Zetern hilft nicht, Schnellergehen und die Schmerzen in allen Knochen ignorieren dagegen schon. Wir laufen, als würde uns der Wald unterm Hintern wegbrennen. Entgegen kommt uns schon lange niemand mehr, uns überholt nicht mal mehr einer.
19.40 Uhr. Mit dem letzten Licht des Tages und mit letzter Kraft taumeln wir aus dem Wald. Über eine Brücke, geradewegs zu auf die noch hell erleuchtete Taverna. Vor der Dimitrios‘ grauer Mercedes steht.
Sobald er uns sieht, stürzt er aus dem Restaurant, in dem er sich über eine Stunde lang warmgehalten hat. „Meine Güte, ich hätte schon fast die Bergrettung gerufen, dass die nach euch suchen!“ Wir sinken ins Rückpolster, kriegen die Beine kaum nach. Dimitrios grinst. „Aber es gab ein paar Iraner, die waren noch schlimmer als ihr, sind erst um 22 Uhr angekommen, obwohl sie mich für 18 Uhr bestellt hatten.“ Beruhigend. Doch jetzt ist alles egal. Wir haben es geschafft. Waren zu Besuch bei den griechischen Göttern, die uns wohlwollend empfangen und uns doch einiges abverlangt haben. Und die uns genug Schutzengel mit auf den Weg gegeben haben, damit wir sicher wieder bei Dimitrios ankommen. Dem dritten und letzten Engel. Doch den besten Job haben die Musen gemacht, die uns so oft geküsst haben, dass wir trotz Bleibeinen wie Lottogewinner strahlen. Bis an den Rand voll mit Glück und den schönen Eindrücken, wie sie nur eine Bergtour mit der besten Freundin bescheren kann.
Informationen:
Bergbesteigung: https://www.olympus-climbing.gr/
Geschäft 55 Peaks: https://www.facebook.com/55-Peaks-348715205292455/
Unterkünfte:
Petrostrouga: www.hrt.org.gr / inform@hrt.org.gr
Apostolidis: http://www.apostolidisrefuge.gr/en/index.html
Kakalos: http://www.olympus-climbing.gr/index.php?id=4&page=refuges#
Spilios Agapitos: http://mountolympus.gr/de/index.php#.W_RQOOKNzIU
Antworten
Vielen Dank, liebe Svenja, das freut mich sehr. Und das mit den Hummeln im Hintern kenne ich allzu gut 😉 Ich wünsche dir für 2019 auf jeden Fall, dass du die Hummeln oft fliegen lassen kannst …
Ich liebe deine Erzählungen so sehr, liebe Bernadette. Ich hab richtig mitgefiebert und hab nun wieder Hummeln im Hintern 😀
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