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Wir sind mitten im Amazonasgebiet, das artenreichste und größte zusammenhängende Urwaldgebiet der Erde. Hier auf einer Sandbank, am Ufer des Rio Napo – fernab von jeglicher Straßenverbindung – wollen wir heute die Nacht verbringen…
Vor drei Wochen sind wir in der ecuadorianischen Kleinstadt Coca los gepaddelt. In einer Kichwa– Gemeinschaft, nahe Coca, hatten wir unser Holzkanu gekauft. Ein handgemachtes Kanu, fünf Meter lang und eineinhalb Meter breit – genau die richtigen Maße für uns beide plus Gepäck. Dass die von der Ölindustrie geprägte Stadt Coca inzwischen weit hinter uns liegt, lässt uns aufatmen. Dort hatte die ecuadorianische Marine unser Kanu konfisziert, mit zurück zum Hafen geschleppt und uns dazu gezwungen, das Boot registrieren zu lassen.
Regen: kostbares Trinkwasser
Jetzt aber sind wir hier am Flussufer und beobachten ganz gebannt die Szenerie: Eine dicke, dunkle Wolke bewegt sich langsam auf uns zu. Den Regen schleppt sie wie einen undurchdringlichen Schleier hinterher. „Heute könnte es vielleicht klappen, mit unserer Regenwasser-Auffangstation…“, überlege ich. Gestern hatten wir mit Hilfe von Bananenblätter versucht, Regenwasser zu sammeln, um unsere Wasservorräte aufzufüllen. Der Regen war aber nicht stark genug oder das Bananenblatt zu klein. Heute soll unsere vier mal vier Meter große Plastikfolie als Auffangstation dienen.
tropische wasserfluten
Inzwischen hat uns die Regenfront erreicht. Der Regen ist so stark und dicht, dass wir fast nichts mehr sehen können. „Ahhh, das das ist ja der Wahnsinn! Das macht unser Zelt doch niemals mit!“, brülle ich und laufe zu unserem Zelt, dass wir eben auf einer ebenen Fläche im grünen Dickicht aufgebaut hatten. Und tatsächlich: Es regnet so stark, dass das Wasser keine Möglichkeit hat abzufließen. „Wir müssen einen Wassergraben um das Zelt herum ausheben!“ ruft Lisa. Schnell suchen wir unsere Macheten und machen uns an die Arbeit. Um uns herum blitzt und donnert es, der Regen wird immer stärker
Irgendwann wird uns ein bisschen gruselig beim Anblick dieser Wassermassen. Denn hier am Fluss gibt es drei Gefahren, vor denen uns bisher alle gewarnt haben: hohe Wellen, die entstehen, wenn ein größeres Schiff an uns vorbei fährt und unser Kanu zum kentern bringen könnten, plötzlich auftauchende Strudel, die manchmal kleine Boote „verschlucken“ und in die Tiefe ziehen und schließlich: der sich in wenigen Stunden verändernde Wasserstand des Flusses. Was eben noch Sandinsel war, kann gleich komplett im Wasser versinken.
Aber wir haben Glück, auch nach drei Stunden Tropenregen bleibt der Wasserstand unverändert – weiter oben am Fluss scheint es nicht so stark zu regnen.
Als der Regen nachlässt ist es schon stockdunkel. Nach der erfrischenden Regendusche machen wir es uns unter unserem „Tarb“- der aufgespannten Folie – gemütlich, zünden ein kleines Feuer an und bereiten unser Abendessen zu.
Wir haben die Wahl: Mükenstich oder Hitzestich
Am nächsten Morgen steigt leichter Nebel aus den Bäumen auf. Es regnet nicht mehr, nur ein paar Tropfen fallen hie und da von den Blättern auf unserer Zelt herab. Schwül und feucht klebt die Luft auf unsere Haut.
Auch die Stechmücken, unsere ständigen Begleiter, sind schon hellwach. Seitdem wir hier unterwegs sind, haben wir jeden Morgen aufs neue die Wahl zwischen Mückenstich oder Hitzestich. Für eines von beiden müssen wir uns zwangsläufig entscheiden, denn die lange Jeans, das Hemd und die kniehohen Gummistiefel schützen zwar vor Mücken – können bei den schwülen durchschnittlichen 32 Grad aber sehr unangenehm werden. Heute Morgen entscheiden wir uns erst mal für die Schutzuniform gegen die Mücken und kriechen aus unserem Zelt hervor.
Nach unserem Frühstück – es gibt Reis und Banane – fangen wir an, das Kanu zu beladen. Wir haben einiges hin und her zu schleppen: Zwei große Plastiktonnen für Lebensmittelvorräte, Gummistiefel, Rettungswesten, eine Wasserfeste Tonne für Wertsachen, unsere Rucksäcke, Regenmäntel, Macheten, Paddel…
Blinder Passagier
Wir haben uns angewöhnt, alle Sachen genau auf ungewollte Gäste zu überprüfen. Damit sich nicht wieder, wie vor ein paar Tagen, eine rießige Spinne in unserem Boot verirren kann.
Aber eigentlich war die Begegnung mit der Spinne schon fast eine kleine Ausnahme. Das Amazonasgebiet weist zwar die höchste Artenvielfalt der Erde auf, aber die Tiere leben eher in den Seitenarmen oder verstecken sich tief im Wald und im Dickicht der Bäume. An den Ufern hat der Mensch das Regime: Häuser, Siedlungen, Plantagen, Ölplattformen, laute Motoren, Kettensägen und Musikanlagen drängen die Tiere vom Flussrand in den Wald.
Heute sind keine blinden Passagiere an Bord – also kann es losgehen. Als wir alles eingeladen haben, fährt mit lautem knattern ein kleines Holzboot an uns vorbei. Ein „Schulbus-Boot“, das die Kinder der einzelnen Siedlungen am Fluss einsammelt und zur nächstgelegenen Schule fährt. Zwanzig neugierige Augenpaare schauen in unsere Richtung, „Buon diaaaa!“, rufen uns die Kinder zu, dazwischen lautes Gelächter und aufgeregtes Gemurmel.
Christliche Siedlungen
Das Ufer des Rio Napos in Ecuador ist relativ dicht besiedelt, was sich erst ab der Grenze zu Peru schlagartig ändert. In kurzen Abständen gibt es kleine Siedlungen, „Communas“ genannt, in denen teilweise bis zu 600 Menschen leben.
Die meisten dieser Siedlungen haben christliche Namen wie „Santa Elena“ oder „San Francisco“. Früher haben die meisten Menschen im Amazonasgebiet als Nomaden gelebt, sie waren nicht sesshaft. Erst die Missionare haben die Menschen zur Sesshaftigkeit gebracht und den Siedlungen ihre Namen gegeben.
einzug des Kapitalismus
Die Lebensrealitäten entlang des Rio Napos und Rio Amazonas sind heutzutage unglaublich vielseitig und vielschichtig. Sie entsprechen schon lange nicht mehr dem von Reiseagenturen verkaufte Bild, von im Urwald lebenden Indigenen, die mit Lendenschurz bekleidet und Speer bewaffnet durch den Wald laufen.
Der Kapitalismus hat längst in die Lebenswelten der Einheimischen Einzug gehalten. In Ecuador kommen Ölfirmen mit großen Versprechungen und Verlockungen in das Gebiet. Zum Ausgleich für die von den Ölfirmen verursachten gravierenden Umweltschäden werden manchmal Betonblock-Wohnsiedlungen inklusive Innenausstattung gebaut und es gibt „kostenlose“ Strom- und Wasserversorgung (die Kosten dafür, hat die Umwelt ja bereits bezahlt).
Für die Einheimischen werden Niedriglohnjobs in der Ölbranche angeboten, während die qualifizierten, studierten Angestellten aus anderen Gegenden in das Gebiet kommen. Wer Geld hat, kann jetzt endlich auch Nestlé und Coca Cola am Kiosk kaufen und später in der neu eingerichteten Krankenstation sein Diabetes behandeln lassen. Andere, die noch in den traditionellen Häusern leben, die noch jagen und fischen gehen, leben nach Analyse der aus Quito angereisten Lehrerin in „Extremer Armut“ und ihnen muss endlich geholfen werden, da raus zu kommen.
Tief im Wald, abseits der großen Flüsse leben aber doch noch Gruppen, die ihren alten Traditionen nachgehen. Sie haben sich für eine „gewählte Isolation“ entschieden und wollen kein Kontakt zu anderen Menschen. Doch auch diese Gruppen werden immer seltener. Illegale Rodungen, Ölplattformen, Goldsucher rücken dem Wald und seiner Lebenswelt auf die Pelle und drängen die Natur immer weiter zurück.
Gefahren auf dem Fluss
Es gibt keine Straßen zwischen den Siedlungen, aber eine menge Bootsverkehr auf dem Fluss: Fährverbindungen, kleine Transportschiffe für Reisende und/ oder Lebensmittel und große Industrieschiffe, die ganze LKWs von einer Ölförderplattform zur nächsten transportieren.
Wir sind mit unserem motorlosen Paddelboot schon fast eine Ausnahme auf dem geschäftigen Fluss. Daher haben uns auch viele Leute davor gewarnt, in der Flussmitte zu paddeln. Denn manchmal werden kleinere Boote einfach übersehen und kollidieren mit den großen Schiffen. Aber ganz nah am Flussrand entlang zu paddeln ist auch nicht die sicherste Lösung: Vor einer Woche sind zwei dicke Bäume ganz knapp hinter uns mit einem lauten Donnern ins den Fluss gekracht. Seitdem paddeln wir immer in ausreichendem Abstand zu den Uferböschungen….
Piranhas, Schlangen und Stachelrochen
Ein kurzer Blick auf unsere Flusskarte zeigt, dass wir nur noch wenige Kilometer von der ecuadorianisch-peruanischen Grenze entfernt sind. Nach wenigen Paddelmetern bleibt unser Boot plötzlich mitten auf dem Fluss stehen. Schon wieder eine Sandbank die wir in dem trüben Wasser nicht gesehen haben.
Nachdem wir von ein paar Leuten am Fluss gehört hatten, dass sich auf dem Boden gefährliche Rochen mit langen Stacheln tummeln, die sich mit Widerhaken tief in die Haut bohren (selbst durch die Sohlen der Gummistiefel hindurch), klingt dieses Vorhaben nicht so verlockent. Von den Piranhas und Schlangen mal ganz abgesehen. Aber wir haben keine Wahl: Wir schlüpfen in die Gummistiefel und steigen aus dem Boot. Mit vereinter Kraft ziehen wir das Kanu von der Sandbank. Geschafft!
Wenn jetzt sonst nichts mehr dazwischen kommt, können wir gegen Mittag in dem Grenzstädtchen Nuevo Rocafuerte sein. Die Erfahrung mit der Marine in Ecuador sitzt uns noch ziemlich im Nacken und wir hoffen, dass es an der Grenze zu Peru ein bisschen geschmeidiger ablaufen wird….
Eine Bootstramperin kommt mit
Irgendwann am Nachmittag kommen wir in Nuoeva Rocafuerte an. Auf dem Weg zum Immigrationsbüro treffen wir auf Isabella und Matthias. Isabella will auch weiter flussabwärts und so bieten wir ihr kurzerhand an, das Stück bis zur peruanischen Grenze mit uns im Kanu mitzukommen. Sofort sind wir alle begeistert von der Idee und laufen ganz aufgeregt zum Kanu, um zu gucken, ob wir denn auch zu dritt hinein passen. Nachdem wir alles ein bisschen hin und her geschoben und zusammengequetscht haben, ist tatsächlich genug Platz für drei Leute. „Hängt das Boot jetzt auch nicht zu tief im Wasser?“ rufen wir Matthias vom Kanu aus zu. „Nein, alles Prima! Sieht stabil aus!“
Juhuu, wir haben eine Bootstramperin an Bord! Und dann noch ein so wundervoller Mensch, mit der wir uns auf Anhieb gut verstanden haben. Morgen Früh soll es los gehen: mit einem kleinen Abstecher in den Rio Yasuni, der durch Ecuadors größten Nationalpark, den Parque National Yasuni, fließt.
Orangen pflücken mit der Marine
Die einzige Hürde, die uns jetzt noch bevor steht, ist die Marine. Alle Boote, die die Grenze passieren, werden früher oder später sowieso an dem Marinegebäude vorbei fahren müssen. Wir haben also keine andere Wahl.
Aber dann erleben wir die zweite Überraschung für heute: Wir werden freundlich begrüßt, freundlich darauf hingewiesen, dass wir ohne Probleme weiter paddeln dürfen und zu guter Letzt sogar dazu eingeladen, mit Orangen pflücken zu gehen. Soviel Freundlichkeit von Seiten dieser Staatsgewalt sind wir gar nicht gewöhnt – ihre Kameraden in Coca hatten zwei Wochen lang eine Menge Schikane für uns auf Lager.
Als wir schließlich von einem Offizier den Satz hören „ Ach das ist ja lustig, ihr habt ’ne Matrikelnummer an Eurem Kanu? Ist doch ohne Motor. Das habe ich ja noch nie gesehen“, sind wir einfach nur froh, dass wir Coca weit hinter uns gelassen haben und gespannt darauf, was uns noch alles in Peru erwarten wird….
Von unseren Erlebnissen in Peru erzählen wir Euch im nächsten Teil!
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Antworten
Wow! Und ich dachte unsere Wanderreisen in Schweden wären schon »weit« und »außergewöhnlich«. Das ist nochmal eine andere Dimension.
[…] Du Lust auf etwas anderes? Dann lies Dir diesen Bericht über 1500 km mit dem Kanu durch den Amazonas von Reisedepeschen durch oder diese Challenge von RedBull bei […]
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