Ein heißes Eisen in Sajama

Unse­re ver­blei­ben­den Tage in Boli­vi­en kön­nen wir an einer Hand abzäh­len. Es sind genau noch fünf Tage, bis wir auf unse­rer Expe­di­ti­on 6000 nach Argen­ti­ni­en wei­ter­zie­hen. Aber bevor wir das tun, wol­len wir dem Namen der Expe­di­ti­on alle Ehre erwei­sen und zwei 6000er bestei­gen. Eine Her­aus­for­de­rung, auf die Chris­ti­an und ich uns schon seit meh­re­ren Wochen vor­be­rei­ten. Man könn­te schon fast Mona­te sagen, wenn ich mein Aus­dau­er­trai­ning zu Hau­se mit zäh­le.

Kirche von Sajama

Unter­wegs sind wir mit Por­fi von Sued­ame­ri­ka­tours. Er ist schon seit Tagen unser treu­er Beglei­ter, Fah­rer, Gui­de und kennt Boli­vi­en wie sei­ne Wes­ten­ta­sche. Wir haben uns rund um La Paz schon auf dem Ham­pa­tu­ri Trek akkli­ma­ti­siert und schau­en den ers­ten bei­den Höhe­punk­ten unse­rer Rei­se ins Auge. Wir pla­nen, den Aco­tan­go und den Pari­na­co­ta zu bestei­gen. Bei­de sind über 6000 Meter hoch und befin­den sich direkt auf der Gren­ze zu Chi­le in unmit­tel­ba­rer Nähe zum Saja­ma, der mit 6542 Metern der höchs­te Berg Boli­vi­ens ist. Ihn zu bestei­gen heben wir uns für ein ande­res Mal auf. Das Wet­ter und die Jah­res­zeit sind heu­te nicht auf unse­rer Sei­te.

Sternenhimmel von Sajama

Von bunten Quellen und Lagunen in Sajama

Aus dem quir­li­gen La Paz führt uns eine knapp vier-stün­di­ge Fahrt bis an die west­li­che Gren­ze Boli­vi­ens. In der Ebe­ne des Alti­pla­no ist unser Ziel schon aus 100 Kilo­me­tern Ent­fer­nung zu erah­nen. Die Vul­kan­ket­ten im Grenz­ge­biet bil­den eine Art Mau­er am Ende der rie­si­gen Ebe­ne. Es gibt kei­ne nen­nens­wer­ten Hügel. Es geht sofort in die Höhe. Ein Bild ähn­lich dem gro­ßen afri­ka­ni­schen Gra­ben­bruch oder dem Blick von Mün­chen auf die Alpen gleich zu set­zen. Nur hier ist die Ebe­ne schon auf 4300 Metern.

Mit den Vul­ka­nen kom­men natür­li­che Boden­ak­ti­vi­tä­ten, die sich im Natio­nal­park Saja­ma in Form von hei­ßen Quel­len und Gey­si­ren zei­gen. Von dem namens­glei­chen Ort Saja­ma aus star­ten wir mit dem Land­crui­ser und fah­ren die letz­ten Kilo­me­ter durch die Ebe­ne, um in einem Ein­schnitt zwi­schen zwei Ber­gen dem Tal zu fol­gen und von dort aus unse­re ers­te Wan­de­rung zu star­ten. Die hei­ßen Gey­si­re blub­bern auf einer grün, grau, wei­ßen Flä­che von meh­re­ren Fuß­ball­fel­dern Aus­deh­nung. Dämp­fe stei­gen auf und legen sich mit leicht unan­ge­neh­men Geruch um uns. Der Boden ändert sei­ne Kon­sis­tenz von fest zu schwam­mig und macht jeden Schritt zu einem klei­nen Aben­teu­er und über­zieht die Schu­he mit wei­ßen Abla­ge­run­gen.

Geysiere in Sajama Nationalpark

Von hier aus fol­gen wir einem klei­ne Pfad bis zur Lagu­na Casi­ri Macho. Auf dem Pass liegt die chi­le­ni­sche Gren­ze. Ein ein­sa­mer Mast hält eine wei­ße Pla­ket­te mit den Namen Chi­le und Boli­vi­en hoch. Am Ufer der Lagu­ne wird es gleich grü­ner und bil­det einen Kon­trast zu den eher hell­brau­nen Fel­sen. Nur weni­ge hun­dert Meter wei­ter liegt die Lagu­na Sora Pata. Uns stellt sich die Fra­ge, ob wir die Gren­ze ein­fach so über­que­ren kön­nen. Zumin­dest sieht es nicht so aus, als wür­den wir gestoppt wer­den.
Die Höhen­luft und die Son­ne set­zen uns lang­sam zu und wir wol­len nicht unse­re gan­ze Ener­gie am Vor­tag der Aco­tan­go­be­stei­gung im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes »ver­bra­ten«.

Grenze zu Chile
Gräser

In unse­rer Unter­kunft war­tet ein kal­ter Topf und ein paar har­te Spa­ghet­tis auf uns. Bis wir das Was­ser auf Spa­ghet­ti­tem­pe­ra­tur haben, ver­geht eine gan­ze Wei­le und bis die Nudeln end­lich biss­weich sind, sind wir fast ver­hun­gert. Zu uns gesel­len sich Jan Wil­lem und Erik. Zwei Hol­län­der mit gro­ßen Ambi­tio­nen und wenig Pla­nung. Sie schlie­ßen sich unse­rer Tour zum Aco­tan­go an. Dar­auf sto­ßen wir mit einem Glas boli­via­ni­schen Wein an.

Mit Tanzeinlage auf dem Acotango

Wer hoch gehen möch­te muss früh auf­ste­hen. Die­se Weis­heit wird uns noch öfter begeg­nen. Aber jetzt ist sie erst­mal unbe­quem. Als der Wecker um 4 Uhr klin­gelt, sit­zen wir fast senk­recht im Bett. Die Klei­dung liegt schon bereit und das Früh­stück ist nicht weit ent­fernt. Als die ers­ten Son­nen­strah­len über das Alti­pla­no huschen, sit­zen wir schon im Land­crui­ser und hol­pern über die Pis­te. Schnel­ler als uns lieb ist, wird aus der Pis­te ein Schot­ter­weg, der die Minen am Berg mit der Außen­welt ver­bin­det. Der Motor heult an jeder Stei­gung auf und hievt das Auto mit uns in die Höhe. Wir sind sechs Per­so­nen. Por­fi ist heu­te unser Gui­de. Unter­stützt wird er durch Niel­son. Dazu kom­men die bei­den Hol­län­der, Chris­ti­an und ich.

Autofahrt
Aufstieg zum Acotango

Auf 5300 Metern hal­ten wir an. Zu ein­fach soll es auch nicht wer­den. Nein, Spaß bei Sei­te. Ab hier geht es wirk­lich nur noch zu Fuß wei­ter. Es sind immer­hin noch 700 Höhen­me­ter zum Gip­fel auf 6052 Meter. Der Pfad ver­läuft anfangs noch sanft aber bestimmt in die Höhe. Nach einer kur­zen ebe­nen Pha­se geht es nach knapp zwei Kilo­me­tern steil berg­an und führt uns auf den Grad. Es emp­fängt uns eine Eis­feld aus Büße­reis, spit­ze Eis­py­ra­mi­den von Wind und Wet­ter geformt. Ent­lang die­ses Fel­des stei­gen wir nach Atem rin­gend den Grad hin­auf. Die Hän­ge schim­mern gelb und grün. Schwe­fel­ge­stank liegt in der Luft.

Aufstieg zum Acotango
Panorama vom Acotango Gipfel

Nur zwei-ein-halb Stun­den nach dem ers­ten Schritt am Berg errei­chen wir den Gip­fel. Der Aus­sicht ist umwer­fend. Zwei Leu­te von unse­rer Gru­pe gehen zu Boden und müs­sen erst ein­mal ver­schnau­fen. Unse­re Gip­fel­fo­to­ses­si­on fällt dann unge­wöhn­lich lang aus. Wir haben unse­ren Spaß. Es wer­den Kopf­stän­de gemacht, klei­ne Gefech­te mit den Wan­der­hil­fen aus­ge­foch­ten und die Vul­ka­ne der Umge­bung beob­ach­tet. Auf chi­le­ni­scher Sei­te steigt aus einem der Ber­ge eine klei­ne Rauch­fah­ne empor. Schwe­fel, Rauch, Asche: Wir ste­hen auf einem Vul­kan und er lässt es uns wis­sen.
Erst als um unse­re Köp­fe ers­te Wol­ken ent­ste­hen, tre­ten wir den Rück­weg an.

Gipfelfoto vom Acotango
Niederländer am Kämpfen
Gewitter ziehen auf

Gera­de noch recht­zei­tig errei­chen wir einen Asche­hang und glei­ten den Hang hin­ab und errei­chen bald das Auto. Dunk­le Wol­ken hän­gen mitt­ler­wei­le über unse­ren Köp­fen und Schnee beginnt zu fal­len. Die Spit­ze lässt nicht lan­ge auf ihre wei­ße Hau­be war­ten. Wir sind froh, dass wir bei dem auf­zie­hen­den Gewit­ter mit Schnee­ein­la­gen nicht am Berg sein müs­sen. Selbst in Saja­ma bläst uns der Wind ordent­lich durch die Haa­re und staubt uns ein.

Straße in Sajama

Von Schülern mit Getöse

Als wir am nächs­ten Tag auf­ste­hen liegt in den Ber­gen Schnee. Das gan­ze Aus­maß lässt sich nur erah­nen, da die Wol­ken noch tief hän­gen. In Saja­ma selbst ist das Wet­ter sta­bil unan­ge­nehm. Es sieht nach Gewit­ter aus, aber es kommt nichts. Im Dorf ist die Höl­le los. Über­all ren­nen Kin­der in Kos­tü­men her­um und berei­ten sich auf ihren Schul­ab­schluss vor. Gefei­ert wird mit Tanz­ein­la­gen auf dem Sport­platz. Jede Klas­sen­stu­fe hat einen ande­ren Tanz vor­be­rei­tet und führt ihn vor einer Jury vor. Ein ech­ter Kraft­akt hier auf der Höhe, 15 bis 20 Minu­ten durch zu tan­zen. Mit Feu­er­werk, Böl­lern und Rauch­bom­ben setz­ten die Kin­der ihre Per­for­mance in Sze­ne. Jede Grup­pe ver­sucht, die Vor­gän­ger zu über­trump­fen. Es ist eine Rei­se durch die Volks­tän­ze Boli­vi­ens. Por­fi führt uns durch das Pro­gramm, inte­griert uns in die Tra­di­ti­on und unter­stützt uns beim Ver­ständ­nis der Tän­ze.

Schulabschluß
Tanzeinlage
Tanzeinlage
Tanzeinlage

Zum Abschluss des Tages fah­ren wir zu den hei­ßen Quel­len und sprin­gen in das war­me, erhol­sa­me Was­ser. Unse­re Mus­ku­la­tur dankt es uns mit voll­kom­me­ner Ent­span­nung. Die brau­chen wir auch für den nächs­ten Tag.

Heiße Quellen in Sajama

Mit letzter Kraft auf den Krater

Es geht wie­der früh aus den Federn. Die­ses Mal um 1 Uhr. Es ist unan­ge­nehm. Letz­te Ent­schei­dun­gen zur Klei­der­wahl fal­len schnell und wer­den schnell wie­der revi­diert. Wie in einem Amei­sen­hau­fen lau­fen Chris­ti­an und ich durchs Zim­mer. Wird es doch wär­mer als erwar­tet? Ist die Trink­fla­sche voll? Wie­so geht das Licht im Zim­mer nicht?
Erst mit dem Früh­stück kehrt etwas Ruhe ein. Por­fi und unser Gui­de des Tages Aloy ste­hen schon bereit. Wir sind es schluss­end­lich auch.

Nächtlicher Aufstieg zum Parinacota

Die Fahrt führt uns fast 2 Stun­den an den Fuß des Pari­na­co­ta. Wir blei­ben nicht nur ein­mal mit dem Land­cru­si­er im Sand ste­cken. Wie Por­fi bei dem gan­zen Gewirr von Wegen uns in voll­kom­me­ner Dun­kel­heit zum Ziel bringt, bleibt mir ein Rät­sel. Es wird die Erfah­rung von über 15 Jah­ren sein. Unglaub­lich, aber wahr. Wir ste­hen am Fuße des Ber­ges. Und unser Ziel ist 1200 Höhen­me­ter ent­fernt. Das sind 500 Meter mehr als beim Aco­tan­go und es geht noch­mal 300 Meter höher bis auf 6348 Meter. Zum Glück kön­nen wir den Gip­fel noch nicht sehen. Unse­re Kopf­lam­pen leuch­ten den klei­nen Pfad aus, dem wir in klei­nen Schrit­ten fol­gen. Ein Geröll­feld auf hal­bem Weg lässt uns vor­wärts stol­pern und zehrt an unse­ren Kräf­ten. Chris­ti­an fängt bald an, Schrit­te zu zäh­len. Am Anfang schaf­fen wir über 200 bis zu einer klei­nen Pau­se. Das Fens­ter redu­ziert sich aber schnell auf 100 und bald wei­ter auf 50. Ich fan­ge kei­ne 200 Höhen­me­ter spä­ter mit sto­cken an.

Sonnenaufgang am Parinacota
Aufstieg zum Parinacota
Gipfel vom Parinacota

Als Aloy dann ankün­digt, dass es nur noch 15 Minu­ten zum Gip­fel sind, hal­ten wir ihn für ver­rückt. Doch plötz­lich ste­hen wir auf dem Kra­ter­rand des per­fek­ten Vul­kans. Vor uns liegt ein 200 Meter tie­fer kreis­run­der Kra­ter und der Gip­fel ist in Sicht. Nur noch weni­ge Meter, die aber noch­mal drei Pau­sen for­dern. Klei­ne Schrit­te, kurz­fris­ti­ge Zie­le und dann ist es geschafft. Mit Genuss set­zen wir uns auf den höchs­ten Punkt auf boli­via­ni­scher Sei­te. Wir sind ein­fach nur zu platt, um auch nur einen wei­tern Schritt in Rich­tung Chi­le zu machen.

Gipfelfoto Parinacota
Gipfelfoto Parinacota

Wir haben es geschafft. Nach einem Monat Schin­de­rei, Pla­nun­gen, Fehl­schlä­gen und spon­ta­nen Ent­schei­dun­gen, sit­zen wir auf dem Pari­na­co­ta. Ein wun­der­vol­les Gefühl und eine gro­ße Erleich­te­rung. Die Anspan­nung der letz­ten Wochen fällt ab. Wir wür­den ger­ne wei­ter hier oben blei­ben, aber die letz­te Etap­pe der Expe­di­ti­on 6000 am Acon­ca­gua in Argen­ti­ni­en liegt in Reichweite…nur noch schnell den Flie­ger nach Men­do­za schaf­fen.

Mit etwas Weh­mut, aber auch Vor­freu­de auf den höchs­ten Berg Süd­ame­ri­kas, ver­ab­schie­den wir uns aus Boli­vi­en!

Die­se Wan­de­rung wur­de unter­stützt von www.suedamerikatours.de.

Steinfiguren am Gipfel des Parinacota

Expedition 6000+

Die­ser Arti­kel ist Teil mei­ner Serie „Expe­di­ti­on 6000+. Sie führt zwei Mona­te durch die schöns­ten Wan­der­re­gio­nen Süd­ame­ri­kas von Pata­gio­nen, Boli­vi­en bis zum höchs­ten Punkt der Rei­se, dem Acon­ca­gua in Argen­ti­nen. Fol­ge der Rei­se und genie­ße die wei­ten Land­schaf­ten, hohe Ber­ge und die abwechs­lungs­rei­che Kul­tu­ren Süd­ame­ri­kas.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert