Ich wache auf einer durch­ge­le­ge­nen Matratze auf, der Rücken schmerzt, als wäre er die ganze Nacht auf Tuch­füh­lung mit dem Holz­bo­den gegan­gen. Ein Hahn kräht, wird aber sofort über­tönt von einer Män­ner­stimme, die über Mega­phon auf Thai ver­kün­det, was es im und um das Dorf Ban Pao Sam Kha öst­lich von Chiang Mai Neues gibt. „Der Wagen kommt jeden Mor­gen durch, er ist unsere Nach­rich­ten­an­sage, damit alle wis­sen, was gerade pas­siert“, hat uns Gast­ge­be­rin Aoi Som­kate Sil­phi­suth, 50, am Vor­tag gewarnt. Nein, so stellt man sich den typi­schen Thai­land­ur­laub nicht vor. Wahr­schein­lich auch nicht, dass man dabei viel Zeit am Herd steht und sich sein Pad Thai und die Tom Yam Suppe selbst kocht. Doch genau dies tue ich – und lerne Thai­land mal von einer ande­ren Seite kennen.

Radeln dahin, wo der Reis wächst 

Ein biss­chen kommt es mir vor, als würde ich durch eine Post­karte radeln – durch Reis­fel­der, auf denen hier und dort jemand mit spit­zem Stroh­hut arbei­tet, vor­bei an klei­nen Holz­häu­sern, vor denen Hunde auf den Post­bo­ten oder Ähn­li­ches lau­ern oder wo Men­schen im Schat­ten die Beine hoch­le­gen. Vor­bei an Dorf­lä­den, die The­ken voll­ge­stopft mit exo­ti­schen Früch­ten wie Man­gostane (die Köni­gin der Früchte), Durian (den König der Früchte) oder Dra­chen­frucht. Ich mache Halt. In einer Ecke des Geschäfts steht eine win­zige Gefrier­truhe, darin liegt ver­pack­tes Eis mit Mais-Geschmack und ech­ten Maiskörnern.

Ein Mönch kehrt in sei­nem oran­ge­far­be­nen Gewand die Straße, wenig spä­ter folgt ein Tem­pel, zu dem eine breite Treppe mit hell geflies­ten Stu­fen führt. Nur die Luft ist post­kar­ten­un­taug­lich trüb: Es ist Februar, die Jah­res­zeit, wo viele Bau­ern ihre Fel­der ver­bren­nen in der Hoff­nung, dass aus der Asche eine neue, bes­sere Ernte ent­steht. Vor allem viele Zuta­ten, die man für leckere Thai-Rezepte braucht. An ers­ter Stelle: Reis.

Auch wenn die thai­län­di­sche Küche über die Jahr­zehnte viel von chi­ne­si­scher und indo­ne­si­scher Cui­sine sowie teils von euro­päi­schen Ein­flüs­sen geprägt wurde, war eins schon immer da – der Reis, das Grund­nah­rungs­mit­tel, das in Thai­land mor­gens, mit­tags und abends auf den Tisch kommt. „Ins­ge­samt gibt es an die 130 Reis­sor­ten“, lerne ich spä­ter von Vasin, der gemein­sam mit sei­ner Frau Pom Koch­kurse außer­halb von Chiang Mai anbie­tet. Es ist also aus gutem Grund, dass ‚eine Mahl­zeit ein­neh­men‘, auf Thai­län­disch ‚kin khao‘, wört­lich über­setzt ‚Reis essen‘ bedeu­tet. Doch um zu sehen, wo der Reis wächst, muss man noch wei­ter raus aus der Stadt – zum Bei­spiel in Aois Dorf Ban Pao Sam Kha, das an die 250 Fami­lien behei­ma­ten soll.

Gemein­sam mit Aoi geht es zu einer Reis-Farm. „Ganz wich­tig ist, dass der Reis immer im Was­ser steht“, erklärt sie. Als Saat­gut wür­den die hoch­wer­tigs­ten Reis­kör­ner der Vor­ernte genutzt. Jedoch gebe man sie nicht direkt in die über­flu­te­ten Reis­fel­der, son­dern ließe sie zuerst in sau­be­rem Was­ser quel­len, bis sie leicht keim­ten. In spe­zi­el­len Saat­bee­ten wüch­sen sie heran und seien erst dar­auf­hin reif für die eigent­li­chen Rei­se­fel­der. „Es dau­ert einige Monate, bis der Reis geern­tet wer­den kann, und beste Ern­te­zeit ist Dezem­ber und Januar, aber ins­ge­samt ern­ten wir etwa vier Mal pro Jahr.“ Jedoch wür­den die Reis­fel­der bereits einige Wochen vor der Ernte tro­cken­ge­legt. Sind die tro­cke­nen Ris­pen, die jeweils 150 bis 200 Reis­kör­ner abge­ben, erst ein­mal geern­tet, müs­sen sie in der Sonne trock­nen, danach wer­den die Reis­kör­ner gedro­schen und danach in die Luft gewor­fen, damit die Spreu – der ‚Abfall‘ beim Dre­schen – davon­fliegt. Doch damit ist der Reis noch längst nicht fer­tig: Aoi zeigt gelb­lich aus­se­hende Reis­kör­ner, die wenig zu tun haben mit dem wei­ßen Reis, den man auf dem Tel­ler fin­det. „Die Kör­ner müs­sen jetzt noch in die Reis­mühle, denn dort wer­den die Scha­len von den Kör­nern ent­fernt.“ Am Ende ver­kau­fen die Bau­ern einen Kilo Reis für 25 Baht, gut 70 Cent. Den güns­tigs­ten ‚khao‘, Reis, gebe es stets auf dem Markt, doch Aoi warnt uns, Acht zu geben, falls wir auch einen Kür­bis kau­fen woll­ten: „‘Fuck me mei‘ bedeu­tet ‚Haben Sie Kür­bis?‘, und ‚fuck me‘ bedeu­tet ‚Ich habe Kürbis‘!“

Doch nicht nur Reis-Far­men gibt es in Aois Dorf, son­dern auch eine Pilz-Farm. Ein Arbei­ter zupft eine Spore aus einem Pilz und hält sie uns mit einer Pin­zette unter die Nase: „Aus die­ser einen Spore kön­nen 3.600 Kilo Pilze ent­ste­hen“, behaup­tet er. Als Dün­ge­mit­tel dient orga­ni­sches Mate­rial, und durch stän­dige Bewäs­se­rung tritt letz­ten Endes der Pas­teu­ri­sie­rungs­pro­zess ein. In einem dunk­len Gang rei­fen die Pilze dann in den Tüten mit Sub­strat heran, bis zur ers­ten Ernte kön­nen etwa drei Wochen ver­ge­hen. Aoi schickt uns mit einem Korb in den Gang, bis er gefüllt mit Pil­zen fürs Mit­tag­essen wie­der vor ihr steht.

3‑Kat­zen- statt 3‑S­terne-Hotel

Wer bei Aoi und ihrer Toch­ter Amie, 27, wohnt, braucht sich nicht darum zu sor­gen, dass er nicht genug Essen bekommt. Als ers­ter Snack kommt Miang Kham auf den Tisch, über­setzt ‚Ein-Bis­sen-Wrap‘, denn weni­ger als eine Hand­voll Zuta­ten wer­den dabei in ein Betel­nuss­blatt ein­ge­rollt. Mit von der Par­tie sind Ing­wer, Scha­lot­ten, Limet­ten, Chili, gerös­tete Erd­nüsse und Kokos­nuss­stück­chen, dar­auf gibt man Gar­ne­len­paste und etwas Palm­zu­cker. Dann sind wir selbst an der Reihe mit Kochen. Ich muss an Japan den­ken, als ich das Regal mit spe­zi­el­len Küchen-Slip­pern vor der offe­nen Küche ent­de­cke, die Teil des als Wohn­zim­mer ein­ge­rich­te­ten Hofs vorm Haus ist. Nur, dass es in Japan keine extra Lat­schen für die Küche, son­dern fürs Klo gibt.

Bei Aoi gibt es ansons­ten nicht viele Regeln. Die Schuhe wer­den ledig­lich aus­ge­zo­gen, bevor man das Haus betritt, wo eine enge Holz­treppe zu einem gro­ßen Raum unterm Dach führt. Auf dem Boden lie­gen acht Paar Matrat­zen, wo bis zu 16 Gäste schla­fen kön­nen – vor mög­li­chen Insek­ten durch Mos­ki­to­netze geschützt. Seit 20 Jah­ren emp­fängt Aoi Gäste. Auf der durch­ge­le­ge­nen Matratze bekommt man einen Ein­druck davon, wie viele Thai­län­der gerade auf dem Land noch immer schla­fen. Für Mönch-Novi­zen wären die Matrat­zen sogar Luxus, denn sie schla­fen erst ein­mal einen Monat lang auf dem nack­ten Boden. Ein 3‑S­terne-Hotel sucht man also ver­geb­lich, dafür gibt es drei Kat­zen – von denen sich die unge­zo­genste nachts ins Haus stiehlt, um es sich auf einer der für Kat­zen­rü­cken sicher äußerst freund­li­chen Matratze gemüt­lich zu machen.

Aois Toch­ter Amie hält für uns an die­sem Tag ein beson­de­res Rezept bereit: Wir kochen Nam Prik Ong, eine wür­zige Toma­ten­sauce aus Nord­thai­land. Sie besteht aus Chili, Scha­lot­ten, Knob­lauch, Kori­an­der und Gar­ne­len­paste, und am Ende kommt sie zu Huhn­stück­chen mit Tomate, Fisch­sauce und Palm­zu­cker. Kochen zählt daheim wahr­lich nicht zu mei­nen Hob­bys, doch hier, irgendwo auf dem Land in Thai­land, mit einem exo­ti­schen Gericht, macht es auf ein­mal Spaß.

Noch bes­ser schmeckt mir ein Klas­si­ker unter den Thai-Des­serts: Bua Loi, über­setzt mit ‚schwim­men­der Lotus‘, eine bunte, warme Koko­s­creme-Suppe. Die bun­ten Bäll­chen darin bestehen aus Kle­be­reis, die dank Lebens­mit­tel­farbe gelb (Kür­bis), grau (Zehr­wur­zel), orange (Möhre), grün (Pan­dan­blät­ter) oder blau (Schmet­ter­lings­erbsen) sein kön­nen. Schade nur, dass nicht jeder Magen den unge­wohn­ten Köst­lich­kei­ten zuge­neigt ist – man­cher Besu­cher erweist sich wäh­rend der Nacht als unfrei­wil­li­ger Tes­ter der drei Außentoiletten.

Scharf essen dank Europäern

„Ursprüng­lich war thai­län­di­sches Essen über­haupt nicht scharf – Chi­lis brach­ten por­tu­gie­si­sche Mis­sio­nare aus Por­tu­gal mit“, weiß Pom, die genauso gerne kocht wie Aoi und mit ihrem Mann Vasin 2009 ihre eigene Koch­schule bei Chiang Mai eröff­nete. „Ich habe Kochen von mei­ner Mut­ter gelernt, viele Rezepte wer­den in der Fami­lie seit Gene­ra­tio­nen über­lie­fert“, erzählt sie. Das Kochen machte ihr so viel Freude, dass sie 1993 eine Aus­bil­dung in der Chiang Mai Thai Coo­kery School begann und Gäs­ten mitt­ler­weile sogar ihr eige­nes Koch­buch mit auf den Weg gibt. Teil des Ser­vice: Zuvor holt Vasin Koch­be­geis­terte in Chiang Mai ab und fährt mit ihnen zunächst auf den Markt, damit sie die Zuta­ten dort beschnup­pern und even­tu­ell kau­fen kön­nen, wo auch der durch­schnitt­li­che Thai­län­der ein­kauft – zum Bei­spiel auf dem Uit­har Markt. „Auf dem Markt ist Reis viel bil­li­ger als im Super­markt, und man bekommt auch Reis­sor­ten, die im Super­markt gar nicht ver­kauft wer­den – zum Bei­spiel kaput­ten Reis.“ Vasin zeigt auf die win­zi­gen Kör­ner, die aus­se­hen, als hätte daran schon jemand gepickt. „Die­ser Reis ist güns­ti­ger, obwohl er nicht weni­ger nahr­haft ist als ande­rer.“ Die meis­ten Leute kauf­ten Reis immer pro Liter und nur für ein paar Tage im Vor­aus. Wäh­rend ich mich umsehe und oft­mals kei­nen Unter­scheid zwi­schen Reis­e­i­mern erkenne, die mit unter­schied­li­chen Prei­sen aus­ge­schil­dert sind, wird mir lang­sam deut­lich, warum Thai­land das Land mit den größ­ten Reis­expor­ten ist, noch vor Viet­nam und Indien.

Wir schlen­dern durch die vie­len Stände, vor­bei an Gar­kü­chen, wo Frauen für all jene kochen, die sich nach der Arbeit etwas Schnel­les und doch frisch Gekoch­tes mit­neh­men möch­ten – Fast Food Deluxe, für wenige Cent. „Die meis­ten Märkte sind Fami­li­en­be­triebe, man kann für etwa 6.000 Baht im Monat einen Stand mie­ten“, erklärt Vasin. Das sind etwa 170 Euro.

Dann sind wir bei Vasin und Pom zu Hause, wo die bei­den im Hof einen über­dach­ten Raum zum Kochen ein­ge­rich­tet haben. Ich komme mir vor wie im Koch­stu­dio, wäh­rend Pom hin­ter ihrem Tre­sen beginnt, Töpfe und Zuta­ten auf­zu­rei­hen und uns gedul­dig zu erklä­ren, wie man Kle­be­reis für mei­nen abso­lu­ten Lieb­lings­nach­tisch – Kle­be­reis mit Mango – bereits am Mor­gen zuzu­be­rei­ten beginnt, wenn man ihn am Abend essen will. Das Ganze muss näm­lich nicht nur ein­ge­weicht, son­dern auch gesäu­bert wer­den. Dann weiht uns Pom in die Grund­la­gen thai­län­di­scher Küche ein.

„Für thai­län­di­sche Gerichte neh­men wir nie­mals Kuh­milch, immer nur Kokos­milch.“ Ich erfahre, dass die beliebte Tom Yam Suppe umso schär­fer wird, je klei­ner man die Chi­li­scho­ten mahlt – für die deut­sche Weichei-Ver­sion kann man sie auch ganz weg­las­sen. Und dass Papaya Salat, Som Tam, gar kein Obst­sa­lat ist, wie ich zuvor geglaubt habe. In Gedan­ken ent­schul­dige ich mich bei dem armen Koch, den ich zuvor auf Koh Pha­yam ver­flucht habe, weil mir statt einem mil­den Obst­sa­lat ein schar­fer Salat mit Möh­ren und ande­rem Kraut ser­viert wurde. Die­ses Kraut war also unreife, grüne Papaya-Frucht. „Ursprüng­lich waren weder Sup­pen noch Salate oder Des­serts Teil der thai­län­di­schen Küche, das wurde alles aus dem Aus­land über­nom­men“, erklärt Pom. „Die Thai­län­der aßen haupt­säch­lich Reis, Fisch, Obst und Gemüse.“

Als Letz­tes darf eins der belieb­tes­ten Gerichte der nord­thai­län­di­schen Küche nicht feh­len: Khao Soi, eine cre­mige Nudel­suppe mit Kokos­nuss­curry, die aus Myan­mar stammt. Pom ent­schei­det sich für die Chi­cken-Vari­ante, es gibt die Suppe aber auch mit Rind­fleisch, Schwein oder vege­ta­risch. Gedan­ken­ver­lo­ren werfe ich beide Chi­lis vom Zutat­en­tel­ler in die Suppe – wor­auf­hin mir schon bei der ers­ten Kost­probe die Luft weg­bleibt. Pom lacht. „Alles kein Pro­blem, wenn eure Suppe zu scharf wird, kippt ein­fach noch mehr Kokos­nuss­milch rein.“ Wenn doch alles im Leben so ein­fach wäre. Ich ver­lasse Poms Koch­stu­dio pap­pen­satt und zufrie­den. Kochen macht doch Spaß. Und irgend­wie fühle ich mich auf dem Land immer woh­ler als in den gro­ßen Städ­ten – selbst in einem 3‑Kat­zen-Hotel, das zwar kei­nen gro­ßen Kom­fort, aber einen win­zi­gen Ein­blick in das echte Thai­land jen­seits der Tou­ris­ten­hoch­bur­gen und Voll­mond­par­tys bietet.

Diese Reise wurde orga­ni­siert von Intr­epid Tra­vel: https://www.intrepidtravel.de. Intr­epid Tra­vel steht für Aben­teuer- und Erleb­nis­rei­sen mit Begeg­nun­gen mit Ein­hei­mi­schen, lan­des­ty­pi­schen Unter­künf­ten und teil­weise öffent­li­chen Trans­port­mög­lich­kei­ten nach dem Motto ‚real life expe­ri­ence‘. Die Phi­lo­so­phie von Intr­epid Tra­vel ist es, Rei­sen anzu­bie­ten, ohne öko­lo­gi­sche Fuß­ab­drü­cke zu hin­ter­las­sen und gleich­zei­tig die Men­schen in den Gast­ge­ber­län­dern zu respek­tie­ren und ihre Volks­wirt­schaft zu fördern. 

Anreise nach Thai­land mit Thai Air­ways ab Frank­furt nach Bang­kok und von dort wei­ter nach Chiang Mai

Koch­schule Cooking@home: http://www.cookingathome-chiangmai.com/

Cate­go­riesThai­land
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Bernadette Olderdissen

Bernadette Olderdissen ist eine Geschichtensammlerin- und schreiberin. Schon in jungen Jahren verstand sie, dass ganz so viel Fantasie zum Schreiben gar nicht nötig war, denn die besten Geschichten schenkte ihr das Leben umsonst. Schenkten ihr die Menschen um sie herum. Als sie viele Geschichten gehört hatte, zog sie weiter. Sperrte die Ohren auf und schrieb alles nieder, was ihr die Menschen zu erzählen hatten. So trieb es sie immer weiter durch die Welt, mit ungesättigter Neugier und in der Gewissheit, dass sich die Menschen zwar überall auf der Welt verdammt ähnlich sind, jedoch keine zwei Geschichten identisch. Dieser Umstand ist schuld daran, dass sie noch immer nichts für die Rente gespart hat, sondern das Geld immer nur für die nächsten Reisen reicht. Und das findet sie auch gank okay so.

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