Herzlichkeit. Begegnung mit Burma

Der Wecker klin­gelt, es ist früh am Mor­gen. Ich schwin­ge mich aus dem Bett und schaue auf mein leuch­ten­des Han­dy-Dis­play: zwan­zig nach fünf. Gut. Noch ist es dun­kel hin­ter den Vor­hän­gen mei­nes Zim­mers, aber die Son­ne ist schon auf dem Weg zum Hori­zont. Ich schlüp­fe in mei­ne Klei­der, ver­las­se das Hos­tel und stei­ge auf mein E‑Bike.

Die brei­te Stra­ße ist für asia­ti­sche Ver­hält­nis­se unty­pisch gut asphal­tiert, aber noch ver­las­sen. Sie wird rechts und links von unsicht­ba­ren Tem­peln gesäumt, ich sau­se durch sie hin­durch wie eine Fle­der­maus. Das Fahr­rad surrt lei­se vor sich hin. Hin­ter den Ber­gen in mei­nem Rücken brei­tet sich das ers­te Oran­ge aus und aus Sil­hou­et­ten wer­den Umris­se, aus Umris­sen wer­den Far­ben. Ich beei­le mich.

Ein klei­nes Mäd­chen kommt mir ent­ge­gen und winkt, wir nicken uns zu. »Hi I‑I«, begrü­ße ich sie, »Hi David«, ant­wor­tet sie. Ich stel­le mein Gefährt ab, I‑I schließt eine Git­ter­tür auf und zusam­men klet­tern wir schma­le Trep­pen­stu­fen hin­auf, ich muss mich bücken, und dann sind wir auf dem Dach der Pago­de.

Vor uns erstreckt sich ein unver­gess­li­ches Pan­ora­ma. Die ers­ten Licht­strah­len tref­fen auf die Step­pe von Bagan, der Wind ist das ein­zi­ge Geräusch und ich sehe hun­der­te Tem­pel aus ver­wit­ter­tem Zie­gel­stein, deren gol­de­ne Spit­zen leuch­ten.

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Begeg­nung mit I‑I

I‑I hat­te ich am Tag zuvor ken­nen­ge­lernt. »Min­ga­la­ba«, schall­te es mir ent­ge­gen, wäh­rend ich auf dem E‑Bike durch die Ebe­ne von Bagan bret­ter­te. Ein fre­ches Mäd­chen in grü­ner Schul­uni­form stand plötz­lich vor mir, die Haa­re kurz gescho­ren und die Hän­de in die Hüf­ten gestemmt.

»Hi, who are you? Whe­re are you from?«

Ich stieg von mei­nem Fahr­rad, die Son­ne knall­te mir auf die Kap­pe und unter mei­nen Schu­hen bil­de­ten sich klei­ne Staub­wol­ken aus Sand.

»I’m David, I’m from Ger­ma­ny. Who are you?«

»I am I‑I, and I live here. Are you a tou­rist?«

»Yes«, sag­te ich, und die klei­ne Bur­me­sin ent­geg­ne­te: »Gre­at. You want to see my home?«

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Sie stell­te mich ihren Geschwis­tern vor, zeig­te die win­zi­ge Hüt­te, in der die fünf­köp­fi­ge Fami­lie lebt und beschmier­te mich mit Tha­na­ka-Creme. Die wird eigent­lich nur von Frau­en und klei­nen Jun­gen als Make-Up und Son­nen­schutz ver­wen­det, ich war trotz­dem stolz auf mei­ne neue Kriegs­be­ma­lung. Direkt neben der Hüt­te stand ein Tem­pel, und I‑Is Fami­lie hat­te den Schlüs­sel für die obe­ren Eta­gen anver­traut bekom­men. I‑I frag­te mich, ob ich am nächs­ten Mor­gen zum Son­nen­auf­gang vor­bei­kom­men wol­le. Und ich sag­te natür­lich zu.

Nach einem kur­zen Schlaf klin­gel­te also der Wecker und ich mach­te mich auf den Weg, im Ruck­sack ein paar Süßig­kei­ten und Abzü­ge der Fotos vom Vor­tag. I‑I war auch schon wach und wir stie­gen auf die höchs­te Eta­ge des Tem­pels. Zwei Nie­der­län­der kamen zufäl­lig vor­bei und setz­ten sich still zu uns. Der Ira­wa­di floss hin­ter uns durchs Tal. Der Him­mel wur­de blau und wäh­rend die Son­ne auf­ging, erwach­ten fast tau­send­jäh­ri­ge Tem­pel wie­der zum Leben.

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Gast­freund­schaft und Neu­gier

Beim Blick über die vie­len Bau­wer­ke habe ich mich mehr als nur ein­mal gefragt, war­um Bagan in unse­ren Brei­ten­gra­den noch vie­len Men­schen unbe­kannt ist. Über 2200 Tem­pel in allen Grö­ßen und Aus­prä­gun­gen ver­tei­len sich über die Ebe­ne. Sie wur­den zwi­schen 1100 und 1300 zu Ehren Bud­dhas errich­tet. Die rei­chen Bau­meis­ter lie­ßen Skla­ven schuf­ten, erhoff­ten sich aber posi­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf ihr Kar­ma. Weil hier und da heu­te immer noch eini­ge Zie­gel­stei­ne gesetzt wer­den, sieht die UNESCO die Bedin­gun­gen für eine Ernen­nung zum Welt­kul­tur­er­be als nicht erfüllt.

Bis zur Jahr­tau­send­wen­de war Myan­mar für Tou­ris­ten kaum zugäng­lich. Durch die lan­ge Zeit der Abschot­tung sind die Bewoh­ner Aus­län­dern gegen­über immer noch neu­gie­rig gesinnt und froh über jeden Kon­takt. Die über­all im Land prä­sen­ten Mön­che in ihren roten Roben sind stets auf der Suche nach Gesprächs­part­nern, um ihr Eng­lisch zu prak­ti­zie­ren. Bei mei­nem Trip durch das Land wur­de ich immer wie­der von der über­wäl­ti­gen­den Gast­freund­schaft und Neu­gier der Bur­me­sen über­rascht.

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Kei­ne Mas­sen­ab­fer­ti­gung

Es klingt viel­leicht naiv, aber letzt­end­lich sind es sol­che Begeg­nun­gen wie die mit I‑I und ihrer Fami­lie, die eine Rei­se durch Myan­mar zu einem indi­vi­du­el­len und authen­ti­schen Erleb­nis machen. Hier fühlt man sich (noch) nicht als Teil einer Mas­sen­ab­fer­ti­gung. Eini­ge Tage spä­ter, wäh­rend eines drei­tä­gi­gen Treks von Kalaw zum Inle Lake, über­nach­te­te unse­re klei­ne Wan­der­grup­pe in Homestays, in den Häu­sern der Dorf­be­woh­ner also.

Oben war­te­ten unse­re Bet­ten auf uns, dün­ne Schaum­stoff-Auf­la­gen auf den Holz­die­len, und unten spiel­te sich das Leben ab. In der Hüt­te sta­pel­ten sich klei­ne Hügel aus Knob­lauch, die Gast­mut­ter trenn­te die guten von den schlech­ten Knol­len. Wir setz­ten uns zu ihr und hal­fen, sie öff­ne­te den zahn­lo­sen Mund und ver­zog das fal­ti­ge Gesicht zu einem Lachen, Kör­per­spra­che statt Eng­lisch. Sie sah aus wie weit über acht­zig, hat­te aber laut unse­rem Gui­de nicht mal die sech­zig über­quert.

Unser Gui­de hieß Jola und war erst 18 Jah­re alt. Beim Abend­essen erzähl­te er über sei­ne Fami­lie und Arbeit, wäh­rend der schüch­ter­ne Koch scheu im Hin­ter­grund blieb. Wir hör­ten zu und nie­mand dach­te an die lan­ge Weg­stre­cke, die am nächs­ten Tag vor uns lie­gen wür­de. Die Gast­mut­ter lag schon längst im Bett, wir unter­hiel­ten uns wei­ter und die gan­ze Welt schien sich in die­sem einen Raum zum ver­dich­ten. Nur das gele­gent­li­che Grun­zen der Was­ser­büf­fel erin­ner­te uns dar­an, dass es noch ein Leben außer­halb die­ser Holz­hüt­te gab.

Irgend­wann hör­te die Glut auf zu glim­men und die Gas­lam­pen fin­gen an zu fla­ckern. Wir wur­den müde und die Gesprä­che wur­den lei­ser. Als sie schließ­lich voll­ends ver­stumm­ten, gin­gen wir nach oben, leg­ten uns auf die dün­nen Matrat­zen und schlie­fen sanft ein.

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Antworten

  1. Avatar von Ildi
    Ildi

    Hal­lo David,

    es ist ein echt schö­ne Beschrei­bung von den Men­schen in Myan­mar. Wir haben die Bur­me­sen sehr nett gefun­den, sie lachen viel und sind sehr neu­gie­rig. Unse­re blon­de, blau­äu­gi­ge 3,5‑jährige Toch­ter war für sie ein High­light. Sogar Mön­che woll­ten mit ihr Foto machen. (Sie war mal bereit Model zu ste­hen, mal nicht.) Wir berich­ten über unse­re Ein­drü­cke mit Infos und Tipps über das Land in einem Bericht (https://www.travelsicht.de/rundreise-myanmar-reisebericht/). Wir keh­ren ger­ne mal nach Bur­ma zurück.

    Vie­le Grü­ße,

    Ildi

  2. Avatar von Anne

    Ein sehr berüh­ren­der Bericht, der Lust auf mehr macht. Es ist immer wie­der erstaun­lich, wie viel man gewinnt, wenn man ein wenig aus der Kom­fort­zo­ne des »nor­ma­len« Rei­sen her­aus­tritt.

  3. Avatar von Walter

    Tol­ler Bericht mit super Fotos !
    Wir sind ja auch Myan­mar-Fans, sie­he unse­ren Blog
    http://reise-berichte.at
    lg
    Doris und Wal­ter

  4. Avatar von Ina

    Das ist ein sehr schö­ner Bericht über Bur­ma. Mei­ne Erfah­run­gen waren ähn­lich herz­lich. Ich fin­de es immer fas­zi­nie­rend, auf was für lie­bens­wer­te Men­schen man am ande­ren Ende der Welt stößt- und manch­mal gar nicht damit gerech­net hat. 🙂 Einen mei­ner bes­ten Freun­de habe ich vor vier Jah­ren im Urlaub im Sei­ser Alm Hotel ken­nen gelernt, dabei woll­te ich nur mal für ein paar Tage aus dem All­tag flüch­ten. *g*

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