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Mit Yusuf und Emina auf dem Basar von Urfa

Wenn ich Şan­lıurfa mit einer Farbe beschrei­ben müsste, dann wäre das Lila. In der Pro­vinz­stadt im tie­fen Süd­os­ten der Tür­kei, von allen nur kurz Urfa genannt, tra­gen Frauen und Män­ner vor­nehm­lich vio­lette Kopf­tü­cher in allen Schat­tie­run­gen – Laven­del, Flie­der, Pur­pur. Auch Emina trägt ein sol­ches Kopf­tuch, dazu einen glit­zern­den und mit Pail­let­ten bestick­ten roten Samt­man­tel, wie er bei den Land­frauen hier üblich ist. Sie kam mir auf der Haupt­straße von Urfa ent­ge­gen, als ich gerade meine letz­ten Besor­gun­gen vor mei­ner Wei­ter­fahrt Rich­tung Iran machte.

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Ein Lächeln genügte, um mit Emina ein Gespräch zu begin­nen. Sie spricht Ara­bisch als Mut­ter­spra­che, wie ein Groß­teil der Men­schen in den Grenz­re­gio­nen zu Syrien und Irak, die hier schon seit Jahr­hun­der­ten leben. Durch die vie­len syri­schen Flücht­linge – die damals bit­ter umkämpfte Stadt Kobanê liegt gerade ein­mal 60 Kilo­me­ter von hier – war der Anteil der Ara­bisch-Spre­cher in den letz­ten Jah­ren enorm gestiegen.

Glück­li­cher­weise beherrscht Emina auch Tür­kisch – das musste sie in der Schule ler­nen. So erfahre ich, dass sie 17 Jahre alt und seit zwei Jah­ren mit ihrem Cou­sin ver­hei­ra­tet ist. Das ist bei wei­tem nicht das erste Mal, dass ich so etwas höre. Arran­gierte Hoch­zei­ten inner­halb der Fami­lie und in die­sem jun­gen Alter sind im Süd­os­ten der Tür­kei immer noch ziem­lich nor­mal – der Fami­li­en­be­sitz wird schließ­lich ungern über die Mit­gift mit einer ande­ren Fami­lie geteilt. Emina freut sich über mein Kom­pli­ment zu ihrem Kopf­tuch. Ihr Mann käme gleich, und dann könn­ten wir zusam­men auf den Basar gehen und ein sol­ches Kopf­tuch für mich kaufen.

Kurz dar­auf erscheint Yusuf. Der drah­tige 25-jäh­rige in eng geschnit­te­ner Hose, blauem Jeans­hemd und dem modi­schen Car­di­gan passt gar nicht so recht zu Emina. Auf einem Arm balan­ciert er eine grauen Tra­ge­ta­sche. Da drin ist doch nicht etwa ein Baby? Stolz lässt er mich in die Tasche luren, um die zwei Monate alte Toch­ter Elif Nur zu sehen. Die bei­den bit­ten mich um ein Familienfoto.

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Bevor es zum Basar geht, möchte das junge Paar noch mit­tag­essen. Wir neh­men Platz im „Fami­li­en­sa­lon“ (aile salonu) eines Kebab-Ladens, dem für Frauen und Fami­lien reser­vier­ten Sitz­be­reich, der sich im Ober­ge­schoss von so gut wie jedem tür­ki­schen Restau­rant befindet.

Yusuf spricht gut Eng­lisch, was in die­ser Region sehr sel­ten ist. Im Som­mer arbei­tet er in einem Hotel in Anta­lya mit skan­di­na­vi­schen Tou­ris­ten, im Win­ter in einem gro­ßen Waren­haus in Istan­bul. Beide Städte sind 20 Stun­den mit dem Bus von Urfa ent­fernt. Gibt es denn keine Arbeit in Urfa? Gerade für jeman­den mit Eng­lisch­kennt­nis­sen? Nicht wirk­lich, dafür kämen zu wenig aus­län­di­sche Tou­ris­ten hier­her. Und in Anta­lya werde man auch viel bes­ser bezahlt als in Urfa.

Die bei­den möch­ten mich auf einen gegrill­ten Fleisch­spieß ein­la­den, aber ich habe gerade erst gefrüh­stückt und nehme nur eine Tasse schau­mig gerühr­tes Ayran. Emina befüllt ihren Rind­fleisch-Dürüm mit Zwie­beln, Kori­an­der, Zitrone und so vie­len roten Pfef­fer­scho­ten, dass mir schon vom Zuschauen die Augen tränen.

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Kaum haben die Bei­den die ers­ten Bis­sen genom­men, wird die Kleine quen­ge­lig. Sie hat wohl auch Hun­ger, und jetzt? Emina setzt sich etwas abseits vom Tisch auf den Boden und holt Elif Nur aus der Tra­ge­ta­sche. Das Baby ist fest in eine hell­blaue Woll­de­cke ein­ge­wi­ckelt, und, was mich etwas scho­ckiert, mit einem rot-gel­ben Häkel­band ein­ge­schnürt wie ein Post­päck­chen. Die Kleine kann weder Arme noch Beine bewe­gen. Emina öff­net einen seit­li­chen Reiß­ver­schluss an ihrem Man­tel, packt ihre linke Brust aus und stillt das Baby in Anwe­sen­heit frem­der Män­ner. Diese Selbst­ver­ständ­lich­keit ist für mich dann doch eigen­ar­tig, da die Frauen in die­ser Gegend so kon­ser­va­tiv geklei­det sind (kurze Hosen, Schul­tern zei­gen? Undenk­bar!) und Män­ner stark dar­auf ach­ten, dass nie­mand ihrer Frau „etwas wegschaut“.

Als Emina an den Tisch zurück­kommt, frage ich, wie viele Kin­der die Bei­den noch möch­ten. „Fünf! Oder noch bes­ser, zehn!“, platzt es aus Yusuf her­aus. Emina lächelt und sagt nichts. Solch kin­der­rei­che Fami­lien sind in der Ost­tür­kei immer noch gang und gäbe; fast jeder, mit dem ich hier rede, hat um die zehn Geschwister.

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Wir ver­las­sen den Kebab-Laden und bege­ben uns in den über­dach­ten Basar von Urfa. Mit „pazar“ wird im Tür­ki­schen übri­gens der Wochen­markt bezeich­net, der dau­er­hafte Basar heißt hin­ge­gen „çarşı“. Jedes Ver­kaufs­gut hat dort sei­nen eige­nen Bereich – Gewürze, Küchen­uten­si­lien, Tep­pi­che, Schuh­ma­cher, Anzug­schnei­der und sogar Tau­ben. Wie auf ande­ren untou­ris­ti­schen Märk­ten wird man hier als Aus­län­de­rin null von Händ­lern beläs­tigt oder ange­spro­chen, außer mit einem gele­gent­li­chen unauf­dring­li­chen buy­urun! („Bitte schön!“). Nach kur­zer Zeit errei­chen wir den Kopf­tuch-Bazar. Fach­män­nisch sucht Emina für mich das beste Tuch aus und bin­det es mir in Haus­frau­en­ma­nier um – ein­mal dia­go­nal fal­ten und die bei­den Enden im Nacken verknoten.

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Yusuf und Emina ent­schul­di­gen sich, sie müss­ten jetzt zurück nach Hause. Ich kaufe das Tuch für 15 Lira, umge­rech­net 5 Euro, und bedanke mich für ihre Hilfe. Auf dass wir uns eines Tages wie­der­se­hen, ins­hal­lah – so Gott will.

Ich schlen­dere wei­ter durch den Bazar, ein kur­di­scher Tuch­ver­käu­fer bit­tet mich um ein Foto. Als des­sen Sohn sein Handy zückt, um meine Email­adresse zu notie­ren, lese ich auf sei­nem Hin­ter­grund­bild Bijî Berx­we­dana Kobanê – „Es lebe der Wider­stand in Kobanê“. Ener­gisch erklärt Cenap, dass er in Kobanê gegen den Isla­mi­schen Staat mit­kämp­fen möchte, aber sein Vater ihn nicht gehen ließe. Ich wün­sche den Bei­den alles gute und ver­lasse den Basar durch den Teegarten.

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Cate­go­riesTür­kei
Stefanie Schwarz

Einen Rucksack und jede Menge Neugier - mehr braucht die Abenteurerin Steffi auf ihren Solo-Reisen nicht, die sie seit 2009 an ungewöhnliche Orte verschlagen haben: per Anhalter und Bus von München bis Iran, couchsurfend durch Marokko, trekkend durch Kirgisistan oder in alten Sowjet-Zügen durch Usbekistan. Ihr Herz hat Steffi allerdings an Lateinamerika verloren, wo sie mehrere Monate in Ecuador, Brasilien und El Salvador lebte.

Mit ihrem Blog "A World Kaleidoscope" möchte Steffi zu Reisen in außergewöhnliche Länder animieren, Stereotypen brechen und Frauen dazu ermutigen, auch solo ihre Reiseträume zu erfüllen.

  1. Schö­ner Text Stefanie! 

    Wie lange ist es her, dass du in San­li­urfa warst?

    Das ist aktu­ell nicht die meist­be­reiste Gegend in der Türkei. 

    Ich teile den Text dann spä­ter bei mir auf Fb. 

    Lg Tho­mas

    1. Danke, Tho­mas! Das war im Okto­ber 2014.

      Ich habe auch damals lange damit geha­dert, ob ich die Gegend berei­sen soll, aber damals galt sie noch als sicher, obwohl der IS gerade ver­suchte, das nahe Kobane ein­zu­neh­men und etwa hun­dert­tau­send Syrer bin­nen weni­ger Tage in die Tür­kei geflüch­tet waren. Mein Hos­tel in Urfa war vol­ler unab­hän­gi­ger Foto­gra­fen und Jour­na­lis­ten, die jeden Tag an die Grenze fuh­ren, und ich habe in der Süd­tür­kei viele syri­sche Flücht­linge ken­nen­ge­lernt. War ein sehr auf­rei­ben­der und inten­si­ver Abschnitt mei­ner Reise, aber das muss ich mal in nen ande­ren Blog­post packen ;)

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