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Auf zwei Rädern, zwei und vier Beinen durch Jordanien

„Wenn du in Eile bist, mach einen Umweg“, lau­tet eine japa­ni­sche Weis­heit. Von der die meis­ten Jor­da­nien-Rei­sen­den, die schnur­stracks von der Haupt­stadt Amman ins his­to­ri­sche Petra, in die Wüste Wadi Rum sowie ans Tote oder ans Rote Meer het­zen, noch nichts gehört haben. Ich ent­de­cke ein klei­nes Stück Jor­da­nien auf dem lang­sa­men Weg – vom Sat­tel eines Moun­tain­bikes aus, auf mei­nen eige­nen Bei­nen und zwi­schen den Höckern eines Kamels. Was schnel­lem Vor­an­kom­men und dem flot­ten Abha­ken der Must-sees nicht gerade för­der­lich ist. Aber dem Ankom­men. Ankom­men inmit­ten einer Schafs­herde. Bei Bedui­nen­kin­dern, die aus ihren Zel­ten her­bei­ei­len, um einer exo­ti­schen Rad­le­rin ‚High Five‘ zu geben. Auf einem Bedui­nen­weg in Rich­tung Petra. Auf allen Vie­ren auf Wadi Rums Sand­stein­fel­sen. Und bei Ahmad in Aqaba.

Ein Tag in der Hauptstadt

Meis­tens fängt eine Reise von dem Moment, wenn meine Pläne kaputt­ge­hen, an, gut zu wer­den. In Amman bereits in den ers­ten Minu­ten am Flug­ha­fen. Die Idee, über Uber ein güns­ti­ges Taxi zu rufen, schei­tert, als mir der Fah­rer mit­teilt, er könne wegen Poli­zei­kon­trol­len nicht kom­men. Es ist spät, ich habe Hun­ger, will zur Unter­kunft. Ein älte­rer Mann in der Ankunfts­halle wit­tert das. „Taxi? Nur 25 jor­da­ni­sche Dinar ins Zen­trum!“ Gut 31 Euro, na toll. Dass Jor­da­nien kein Bil­lig­rei­se­land ist, habe ich schon bei der Rei­se­vor­be­rei­tung begrif­fen. Wäh­rend ich dem alten Mann miss­mu­tig folge, fällt mir Ankomm-Regel Num­mer eins ein – mich nie­mals von einem Wild­frem­den, der sich als Taxi­fah­rer aus­gibt, abschlep­pen zu las­sen. Natür­lich hat der Wagen kein Taxi­schild. Aber er glänzt Wasch­an­la­gen-frisch und riecht, als hätte vor mir noch nie­mand drin­geses­sen. „Hun­ger?“ Der Fah­rer reicht mir einen Apfel. Eng­lisch spricht er genauso viel wie ich Ara­bisch, etwa vier Wör­ter, aber wir unter­hal­ten uns wun­der­bar: Er spricht auf Ara­bisch in eine App, die den Text für mich ins Eng­li­sche über­setzt und meine Ant­wort zurück ins Ara­bi­sche. Am Ende der Fahrt weiß ich über alle Sehens­wür­dig­kei­ten von Amman Bescheid und ein wenig über mei­nen Fah­rer Ali, ein Beduine. „Ich lebe seit über zehn Jah­ren in Amman, aber es gefällt mir nicht. Ich mag Pferde, Schafe und Kamele.“

Ich auch, finde mich aber an die­sem Abend auf der Suche nach etwas Ess­ba­rem auf Stra­ßen mit 95% neu­gie­rig schau­en­den Män­nern und ein paar ver­streu­ten Frauen wie­der. Mir ist komisch zumute – bis sich der erste neu­gie­rige Blick in einen wohl­wol­len­den ver­wan­delt und ich ein freund­li­ches „Will­kom­men in Jor­da­nien“ mit auf den Weg bekomme. Dem Will­kom­mens­gruß fol­gen wei­tere, bis mich der Hun­ger ins Tou­ris­ten­café Pascha treibt, wo qual­mende Tou­ris­ten zu den Klän­gen von Live-Musik bei­sam­men­sit­zen. „Volaaaaare“, grö­len die Sän­ger, beglei­tet von betrun­ke­nen Ita­lie­ne­rin­nen, denn ja – im Pascha wird im Gegen­satz zu den tra­di­tio­nell jor­da­ni­schen Restau­rants Alko­hol verkauft.

Wenn ich neu in einer Stadt bin, schaue ich sie mir am liebs­ten aus der Höhe an. Beim Blick von oben wird ein frem­der Ort greif­ba­rer, wie die Welt aus dem Flug­zeug. Ich beginne am nächs­ten Mor­gen mit dem Römi­schen Thea­ter, wohl aus der Herr­schafts­zeit von Anto­ni­nus Pius 138 bis 161 nach Chris­tus, das von unten nicht beson­ders groß erscheint, aber von der obers­ten Sitz­reihe aus wird ver­ständ­lich, dass dort um die 6.000 Per­so­nen Platz finden.

Auf dem Hügel gegen­über, über grauen, Lego­stein-ähn­li­chen Häu­sern, schlän­gelt sich die Mauer der Zita­delle über den grü­nen Jebel el-Qala-Hügel, Fes­tungs­hü­gel, einen der höchs­ten der Stadt. Die Zita­delle ver­spricht den bes­se­ren Weit­blick und eine wei­tere Geschichts­lek­tion, und gespannt mache ich mich auf den Weg. Ver­lasse bald die Asphalt­straße, weil mir ein Schlamm­weg eine geeig­nete Abkür­zung scheint. Nach kur­zer Kra­xe­lei stehe ich inmit­ten einer Schafs­herde unter­halb der Befes­ti­gungs­mau­ern aus römi­scher Zeit, unge­fähr aus dem 2. Jahr­hun­dert vor Chris­tus. Die Schafe und ihre Schä­fe­rin, eine ältere Frau mit Kopf­tuch, schauen mich genauso ver­blüfft an wie ich sie, aber mit kur­zem Lächeln und Kopf­ni­cken werde ich akzeptiert.

Mir feh­len noch ein paar Fels­bro­cken und Steine, um den Zita­del­len­hü­gel zu erklim­men – wobei ich unbe­ab­sich­tigt den offi­zi­el­len Ein­gang samt Kasse umgehe. Genauso römisch wie die Mau­ern ist der dem Her­ku­les geweihte große Tem­pel, von dem sich heute nur noch einige Säu­len auf einem Stein­po­dium gen Him­mel recken. Von einer einst 13 Meter hohen Sta­tue in Tem­pel­nähe ist nur noch eine Faust übrig, die ver­lo­ren auf dem Rasen liegt.

Stolz erhebt sich dahin­ter der Omay­ya­den-Palast aus den Rui­nen, eine ara­bi­sche Burg­fes­tung. Ich trete ein in den Audi­enz­be­reich der Kali­fen, und obwohl die Wände schlicht Grau sind mit aus­ge­ar­bei­te­ten Säu­len und Mus­tern, ver­mit­teln sie einen Ein­druck von Erhabenheit.

Ein kal­ter Wind bläst durch die alten Gemäuer, treibt mich zurück in die Sonne zu einer Bank, von wo sich das alte Amman zu mei­nen Füßen erstreckt. Das Amman der Souks, wo bunte Küken in Kar­tons ver­kauft wer­den und Kin­der das Por­trät des Königs her­um­tra­gen, der engen Stra­ßen, in denen sich die Autos durch farb­arme Häu­ser­rei­hen quet­schen. Wie eine Häu­ser­wüste, aus der Mina­ret­ten stak­sen, wal­zen die Bau­ten auf den Hori­zont zu. Irgendwo in dem Gewühl aus Kon­sum und Reli­gion und Autos schreit jemand durch ein Mega­fon, es wird gehupt, zum Gebet geru­fen. Und doch – von dort oben, wo ich Gras unter den Füßen spüre, wo ich nichts wol­len und ent­schei­den muss, gefällt mir Amman rich­tig gut.

Der Jor­dan Bike Trail und das kleinste Hotel der Welt

Meine Reise in die Gestein- und Wüs­ten­welt Jor­da­ni­ens beginnt in Dana, einem circa 500 Jahre alten Dorf im Her­zen West­jor­da­ni­ens, auf etwa hal­ber Stre­cke zwi­schen Amman und Aqaba. Dana ist auch der Namens­ge­ber eines 310 Qua­drat­ki­lo­me­ter gro­ßen Natur­re­ser­vats, das größte öko­lo­gi­sche Schutz­ge­biet Jor­da­ni­ens. Durch diese Natur aus Fel­sen, Geröll und ein wenig gedul­de­tem Grün führt das schönste Teil­stück des 2015 eröff­ne­ten Jor­dan Trail, ein 650 Kilo­me­ter lan­ger Wan­der­weg quer durch Jor­da­nien, von Umm Qais im Nor­den bis nach Aqaba am Roten Meer, für den man an die 40 Tage braucht. Dort tritt man teils in die Spu­ren des Wüs­ten­volks der Nabatäer.

Der Blick vom hoch gele­ge­nen Dana führt über das Araba Tal, und am liebs­ten würde ich gleich drauf­los­lau­fen, hin­ein in die durs­tige Land­schaft, die nichts ver­spricht, und doch Hei­mat des Ara­bi­schen Wol­fes und der Wüs­ten­katze ist und im Win­ter durch den Regen so grün wird, dass die Bedui­nen das Tal als Wei­de­land für ihr Vieh nut­zen. Aber ich soll an die­sem Tag nicht zu Fuß in diese dem Anschein nach lebens­feind­li­che Weite auf­bre­chen, son­dern auf dem Moun­tain­bike und einem wei­te­ren Trail für Aktive: dem 730 Kilo­me­ter lan­gen Jor­dan Bike Trail, der eben­falls von Nord nach Süd führt und sich wenige Abschnitte mit dem Jor­dan Wan­der-Trail teilt. Es geht vor­bei an der ehe­ma­li­gen Kreuz­fah­rer­burg Sho­bak, auch bekannt als ‚Mon­tréal‘, deren Rui­nen an der Pil­ger- und Kara­wa­nen­straße von Syrien nach Ara­bien lie­gen – ebenso wie ‚das kleinste Hotel der Welt‘: Ein Beduine hat an der Straße einen alten, aus­ge­schlach­te­ten VW-Käfer als gemüt­li­che Stube her­ge­rich­tet, die er für 60 JOD die Nacht an Besu­cher ver­mie­tet, inklu­sive Mahl­zei­ten und Füh­rung durchs Tal. Das Schild 1 Dol­lar ist dabei irre­füh­rend – das sei fürs Foto, erklärt er lachend.

Wer gut auf dem Sat­tel und unbe­fes­tigte Wege gewohnt ist, kann den Trail im Prin­zip allein bewäl­ti­gen. Mehr Spaß und siche­rer ist es aller­dings mit hei­mi­schem Guide, wie mit dem 32-jäh­ri­gen Anas vom loka­len Ver­an­stal­ter Ter­haal, der von 1998 bis 2007 im jor­da­ni­schen Natio­nal­team radelte und dabei zahl­rei­che Ren­nen gewann. Seit 2011 zeigt er Besu­chern vom Bike aus oder zu Fuß sein Land und ist mit vol­ler Lei­den­schaft dabei. „Pass auf, was du nach den Wor­ten ‚ich bin‘ sagst, denn das defi­niert, wer du bist“, lau­tet sein Wahlspruch.

An die­sem Nach­mit­tag bin ich vor allem ner­vös, denn meine Moun­tain­bike-Erfah­rung auf unbe­fes­tig­ten Wegen ist über­schau­bar. Die Teil­stre­cke über dem Wadi Araba – wobei Wadi ‚Tal‘ bedeu­tet‘ – bis nach Little Petra gilt als Schwie­rig­keits­stufe 3 von 5, doch in den ver­gan­ge­nen Wochen hat der Regen den Boden in ein ver­krus­te­tes Well­blech­dach ver­wan­delt, das nach Fahr­rad­rei­fen lechzt. „Yalla“, muss Anas die kleine Gruppe immer wie­der anfeu­ern – los! Bei mir sitzt die Erin­ne­rung an einen schlim­men Kopf­sturz mit dem Fahr­rad vor zwei Jah­ren noch tief, die Abfahr­ten berei­ten mir mehr Sorge als jeder steile Anstieg. Unter uns prä­sen­tiert sich die Natur unge­schminkt in ihren Gelb,- Braun- und Grüntönen.

Und dann, als ich mich end­lich ent­spanne, bekomme ich mein ers­tes Jor­da­nien-Tat­too, wie es Anas nennt: nicht bei einer der rasan­ten Abfahr­ten, in denen das Bike so schnell übers Geröll fliegt, dass mir das Herz im Hals ste­cken­bleibt. Auch nicht an einer Bach-Über­que­rung. Nein. Ich steige vol­ler Begeis­te­rung über das Pan­orama an einem Hang ab, mein Fuß sucht ver­ge­bens nach dem Boden, und ich fliege samt Fahr­rad auf die Steine. Der Schmerz durch­schießt mein ohne­hin mor­sches Knie, einige Minu­ten lang fürchte ich, nicht wei­ter­fah­ren zu kön­nen. Doch was vor zwei Jah­ren geklappt hat – trotz Sturz wei­tere Kilo­me­ter auf dem Sat­tel zurück­zu­le­gen – muss auch mit lädier­tem Knie gehen.

Als wir bereits zurück auf dem High­way sind, geht die Sonne hin­ter den Ber­gen unter, beglei­tet von einem ille­ga­len Para­gli­der. „Hier darf eigent­lich nie­mand flie­gen wegen der Grenze zu Israel“, erklärt Anas. Den Para­gli­der scheint das nicht zu stören.

Und wir, wir sind dank­bar, als wir end­lich Little Petra errei­chen, das einst ein Kara­wa­nen­rast­platz in einer engen Schlucht war. Dort sind noch heute in den Fels­wän­den Wohn­höh­len und Grab­stät­ten aus der Zeit der Naba­täer zu sehen. Doch für uns gibt es keine Fels­höh­len, son­dern Zelte, die der Beduine Abu Luai bei Bedarf für Grup­pen auf­stellt. Das Schlemm-Fest am Lager­feuer besteht aus einer Suppe und einer rie­si­gen Platte vol­ler Reis mit Gemüse, Huhn und Lamm, die uns die Anstren­gun­gen des Tages schnell ver­dauen las­sen. Wäh­rend die ande­ren noch ums Feuer sit­zen, laufe ich in Rich­tung der Sterne. Oder so kommt es mir vor, wenn ich die Taschen­lampe aus­schalte und Schritt für Schritt auf die Dun­kel­heit zugehe, die nur von Mil­lio­nen win­zi­ger hel­ler Punkte durch­bro­chen wird. Freude ist zu gering für die­ses Gefühl der Dank­bar­keit und des voll­kom­me­nen Daseins im Hier und Jetzt. Glück würde es wohl eher treffen.

Auf dem Bedui­nen­weg nach Petra

Petra. Mitt­ler­weile ist Jor­da­nien in den Köp­fen vie­ler syn­onym mit der eins­ti­gen Haupt­stadt der Naba­täer, anti­ker Noma­den­stämme und Kara­wa­nen­händ­ler aus Nord­west­ara­bien. Wahr­schein­lich besie­del­ten die Naba­täer die Region um Petra um 550 vor Chris­tus und hiel­ten einen wach­sa­men Blick auf die Han­dels­rou­ten nach Süd­ara­bien. Im 4. Jahr­hun­dert vor Chris­tus erlang­ten sie wirt­schaft­li­che und poli­ti­sche Größe, gewan­nen sogar bis nach Syrien Ein­fluss und grün­de­ten zwi­schen 150 vor und 105 nach Chris­tus das König­reich Naba­taea mit einer Flä­che von der Sinai­halb­in­sel bis nach Nord­ara­bien. Ihre Unab­hän­gig­keit brö­ckelte erst 106 nach Chris­tus unter dem römi­schen Kai­ser Tra­jan, als die Naba­täer als Pro­vinz Ara­bia Petraea Teil des Römi­schen Rei­ches wur­den. Heute steht die auf­wen­dige, 1985 zum UNESCO-Welt­kul­tur­erbe dekla­rierte Rui­nen­stadt mit ihrer in die Fel­sen gemei­ßel­ten Schatz­kam­mer, dem Klos­ter, den monu­men­ta­len Grab­tem­peln und unzäh­li­gen Höh­len auf der To-see-Liste der meis­ten Welt­rei­sen­den. Dabei machen es sich die meis­ten ein­fach, las­sen sich am Haupt­ein­gang abset­zen und spa­zie­ren oder rol­len dann in der Pfer­de­kut­sche in Rich­tung der mil­lio­nen­fach foto­gra­fier­ten Schatz­kam­mer – durch den 1,5 Kilo­me­ter lan­gen Siq, eine mehr als 70 Meter tiefe Fels­schlucht. Ich habe das Pri­vi­leg, es anders zu machen.

Mit Anas und Tala von Ter­haal wan­dern wir von unse­rem Zelt­la­ger in Beida bei Little Petra in Rich­tung des knapp drei Kilo­me­ter ent­fern­ten Klos­ters von Petra, Ad Deir. Der Bedui­nen­pfad, der Teil des Jor­dan Trail ist, führt hoch hin­auf in die Sand­stein­fel­sen­welt, die nur weni­gem Grün Platz lässt. Eine Berg­wüste vor der Wüste.

Kaum habe ich Steine und Fel­sen unter den Füßen, über­kommt mich Dank­bar­keit für diese lang­same Art des Rei­sens. Wir möch­ten nach Petra, ja, aber davor zählt die­ser Weg, zäh­len die Aus­bli­cke zum Great Rift Val­ley im Wes­ten, zäh­len die Ein­hei­mi­schen, die Wan­de­rer mit Tee oder klei­nen Mit­bring­seln ver­sor­gen. Wie Moham­med, der auf einem Fels­vor­sprung in einem aus Stei­nen gezim­mer­ten Ofen Min­ze­tee kocht und für einen JOD ver­kauft. Auch klap­pe­rige Stühle ste­hen für müde Wan­de­rer bereit, und über dem Abhang weht die jor­da­ni­sche Flagge, als hätte man hier bereits etwas Groß­ar­ti­ges erreicht. Viel­leicht dient sie als klei­ner Denk­an­stoß für alle, die es als selbst­ver­ständ­lich hin­neh­men, dass man in die­sem unru­hi­gen Teil der Welt längs durch ein Land wan­dern kann. Allein oder mit Bedui­nen, die von der Jor­dan Trail Asso­cia­tion zu Berg­füh­rern aus­ge­bil­det wer­den. In einem Land, das zwi­schen Syrien, dem Irak und Saudi-Ara­bien ein­ge­klemmt liegt und in dem wie in einer Oase umge­ben von Wüste ver­schie­dene Eth­nien mit- und neben­ein­an­der leben. Mit Mil­lio­nen von hin­zu­ge­kom­me­nen syri­schen Flüchtlingen.

Ein Aus­sichts­punkt jagt den nächs­ten, eine Flagge eine wei­tere, wo die­ses Mal eine alte Frau an einem klei­nen Sou­ve­nir­tisch „Happy hour“ hat. Ich beob­achte Anas, der minu­ten­lang bewe­gungs­los unter sei­ner Natio­nal­flagge sitzt und in die Ferne starrt, als wäre er allein an die­sem Ort. Was er wahr­schein­lich auch ist, denn wie ich spä­ter erfahre, ist er ein Meis­ter der ‚Ich-ver­schwinde-in-mei­ner-Welt‘ Kunst. „Ich habe heute Nacht drau­ßen geschla­fen“, erzählt er nach einer Nacht in Wadi Rum, die bereits im Zelt aus Zie­gen­haar bit­ter­kalt war. „Wenn ich schlafe, dann schlafe ich, egal, ob es kalt ist, hagelt oder regnet.“

Wenn die Sonne her­vor­lugt, malt sie die gelb­lich-grauen Fel­sen röt­lich an und lässt an den Grand Can­yon den­ken. Irgend­wann, tief im Tal, hält Tala inne. „Was glaubt ihr, wie weit es noch nach Petra ist?“ Wir haben keine Ahnung, tip­pen auf wei­tere ein bis zwei Stun­den Fuß­weg. Sie lächelt. „In zehn Minu­ten sind wir da!“ Sie deu­tet auf die Fel­sen in der Ferne, und nun sehe auch ich es: Eine Form erhebt sich aus dem Gestein. „Das ist das Klos­ter, Ad Deir.“

Die letz­ten paar Hun­dert Meter des Bedui­nen­we­ges tei­len wir mit einem Hir­ten­jun­gen und einer Schafs­herde, andere Tou­ris­ten gibt es kaum. Wirk­lich? Das soll das berühmte Petra sein? So men­schen­leer? Spä­ter ver­stehe ich, warum das Klos­ter nicht über­lau­fen ist: Wer vom Haupt­ein­gang kommt, muss einen stei­len Auf­stieg über viele Trep­pen auf sich neh­men, um zum Klos­ter zu gelan­gen, was viele nicht machen. Zum Glück.

Wir sit­zen auf einem Fels­vor­sprung gegen­über die­ses in den Fel­sen geschla­ge­nen Gebäu­des aus dem 1. Jahr­hun­dert nach Chris­tus und lau­schen Tala, die des­sen Geschichte mit uns teilt. Ein fus­si­ger Kater gesellt sich zu uns und hört gespannt zu.

Erfährt wie wir, dass Ad Deir wohl nicht als Klos­ter gedacht war, auch nicht als Grab­stätte wie viele der ande­ren gefun­de­nen Gebäude. Erst 2004 leg­ten Wis­sen­schaft­ler zwei Stein­bänke an den Saal­wän­den frei, ein Hin­weis dar­auf, dass Ad Deir das Mau­so­leum eines Herr­schers gewe­sen sein könnte. Ich spa­ziere zu den Fel­sen gegen­über dem Klos­ter, stoße auf meh­rere Höh­len, die frü­her von Ein­sied­lern genutzt wur­den und heute teil­weise als Zie­gen­stall die­nen. Meh­rere Tiere schauen mich neu­gie­rig über den not­dürf­tig hoch­ge­zo­ge­nen Blech­zaun an.

Danach fol­gen wir dem lan­gen Pro­zes­si­ons­weg der Naba­täer nach unten, gesäumt von Sou­ve­nir­stän­den mit Ver­käu­fern, die ganz­tä­gig „Happy hour“ ankün­di­gen. Frü­her mag der Pfad durch die Fel­sen etwas Andäch­ti­ges ver­mit­telt haben, heute ist er eine Vor­war­nung des­sen, was unten, im Her­zen der Rui­nen­stadt, war­tet: ein Groß­auf­ge­bot an Tou­ris­ten, die mit Kame­ras und Sel­fie-Sticks Rui­nen-hop­ping machen, Poli­zis­ten auf Pfer­den und Esel mit über­ge­wich­ti­gen Tou­ris auf dem Buckel.

Die in die Fel­sen gemei­ßel­ten Gebäude sind hier so zahl­reich, dass man gar nicht weiß, wohin man als Ers­tes schauen soll. Da sind Höh­len und Grä­ber, allen voran die 13 gro­ßen Königs­grä­ber unweit des Römi­schen Thea­ters, das einst Platz für 10.000 Zuschauer gebo­ten haben soll. Über die soge­nannte Säu­len­straße, die eins­tige Haupt­straße von Petra, geht es wei­ter bis zur Lieb­lings­höhle von Tala, in der aus­nahms­weise nie­mand ist. Die Farb­for­ma­tion der Fel­sen war­tet mit sämt­li­chen Kraft­tö­nen eines Insta­gram-rei­fen Son­nen­un­ter­gangs auf, die sich wie Wel­len über das Gestein ver­tei­len. Ich stelle mir vor, wie hier Men­schen leb­ten, zurück­ge­zo­gen von der glei­ßen­den Sonne und der stau­bi­gen Erde draußen.

Und dann geht es schnur­stracks auf das eigent­li­che High­light von Petra zu – das soge­nannte Schatz­haus im hel­le­nis­ti­schen Stil, Khazne al-Firaun, das auf kei­nem Petra-Foto feh­len darf. Fast 40 Meter ist es hoch und 25 breit. Die Bedui­nen nann­ten es ‚das Schatz­haus des Pha­rao‘, dabei war es nur eins von vie­len Fel­sen­grä­bern. Ob es nun im 1. oder 2. Jahr­hun­dert nach Chris­tus ent­stand, dar­über sind sich nicht ein­mal die For­scher einig. Wer genau hin­schaut, erkennt über sechs korin­thi­schen Säu­len einen Rund­tem­pel und auf des­sen Spitze Ein­schuss­lö­cher. Angeb­lich ver­such­ten Bedui­nen, den ‚Schatz­be­häl­ter‘ zu spren­gen, muss­ten aber fest­stel­len, dass er eben­falls nur aus Stein bestand. Vor dem Schatz­haus wim­melt es von Tou­ris­ten, ich bin müde, ver­zichte bewusst dar­auf, wie viele andere ille­gal an den Fel­sen empor­zu­klet­tern, um das beste Sel­fie mit dem Schatz­haus im Hin­ter­grund zu schießen.

Statt­des­sen setze ich mich ins Café und staune wie Indiana Jones, der im drit­ten Film eben­falls sprach­los diese Wand anstarrte. Sprach­los über das Werk, das Men­schen Jahr­tau­sende vor uns, ohne die von uns als selbst­ver­ständ­lich ange­se­he­nen tech­no­lo­gi­schen Hilfs­mit­tel, zustande brach­ten. Und dann steht die letzte Etappe an, die für die meis­ten Besu­cher die erste ist – der Weg durch den Siq zum Haupt­ein­gang. Auf dem man dau­ernd bei­seite sprin­gen muss, um nicht von einer der wie wahn­sin­nig durch die Fel­sen getrie­be­nen Pfer­de­kut­schen über den Hau­fen gefah­ren zu wer­den, aus der die Tou­ris­ten joh­len. Ich übe mich in Anas‘ Kunst der men­ta­len Ich-Welt, stelle mir vor, die Mas­sen wären weg und ich würde ganz ent­spannt durch den schat­ti­gen Gang, den Natur und Mensch Hand in Hand gestal­tet haben, spa­zie­ren. Vor­bei an vie­len in die Fel­sen gemei­ßel­ten Aquä­duk­ten, die Petra schon in der Antike eine opti­male Was­ser­ver­sor­gung zusicherten.

Angeb­lich bestand das Ver­sor­gungs­sys­tem dar­über hin­aus aus Ter­ra­kot­ta­röh­ren und über 200 Zis­ter­nen, die das Was­ser aus sämt­li­chen Was­ser­quel­len in einem Umkreis von 25 Kilo­me­tern zogen. Nach­dem ich mal wie­der knapp dem Pfer­de­kut­schen-Tod ent­gan­gen bin, denke ich an die Legende, laut der Mose beim Exodus des Vol­kes Israel an die­ser Stelle mit sei­nem Stab schlug und dar­auf­hin eine Quelle aus den Fel­sen spru­delte. Was auch erklärt, warum die Gegend um Petra Wadi Musa heißt, Mosetal.

Biking durch die Wüste

Schon oft habe ich mich gefragt, wie man eigent­lich auf dem Moun­tain­bike durch die Wüste fah­ren kann. Nun soll ich eine Ant­wort erhal­ten. Kurz hin­ter Petra geht es über den King’s High­way nach Rafif auf 1.565 Metern, dann run­ter ins Dorf Delagha, wo der Off-road-Pfad in die wüs­ten­ähn­li­che Land­schaft beginnt.

Ich habe keine Lust, stän­dig in der Gruppe zu radeln, pre­sche mal vor­aus, lasse mich mal zurück­fal­len. Atme die Leere und Stille ein, wäh­rend sich der Staub wie eine Maske auf mein Gesicht legt. Ab und an erhe­ben sich aus der Leere Stein­hüt­ten oder Zelte, manch­mal zie­hen schwarz­ge­klei­dete Bedui­nen mit ihren gleich­far­bi­gen Scha­fen durchs Geröll. Dass es für die Tiere auf dem dür­ren Boden etwas zu fut­tern gibt, ist kaum vor­stell­bar. Ein­mal halte ich an, um Fotos zu schie­ßen, und Kin­der stür­zen aus einem Bedui­nen­zelt auf mich zu. Sie lachen, geben mir High Five und bewun­dern mein Moun­tain­bike, als han­dele es sich dabei um ein Raumschiff.

Immer wei­ter geht es hin­ein ins große, stei­nige Nichts, bis nach Al Humai­mah, einem alten Rast­platz an der soge­nann­ten Gewürz­route, die frü­her Kara­mel­ka­ra­wa­nen nutz­ten. Dort erwar­tet uns im Bedui­nen­zelt des etwa Sieb­zig­jäh­ri­gen Abo Sab­bah ein Lunch-Buf­fet aus Huhn­fleisch, Salat, Hum­mus und Brot.

Bis nach Al Humai­mah war der Weg rela­tiv leicht, es gab wenige Stei­gun­gen oder steile Abstiege, und der Wüs­ten­bo­den unter den Rädern war stei­nig-hart. Das ändert sich nun, und dass die Rei­fen immer wie­der tief im Sand ver­sin­ken, liegt nicht allein an unse­ren vol­len Bäu­chen. „Du musst vor­aus­schauen und wenn ein Sand­stück kommt recht­zei­tig schal­ten und den Len­ker ganz fest umfas­sen“, weist mich Anas an, doch es will nicht klap­pen. Immer wie­der steige ich ab, schiebe durch die Sand­gru­ben, steige auf, steige wenige Meter wei­ter ab. Nein, Biken und ich, das wird nichts mehr auf die­ser Reise.

Bei Salem, dem Kamelspinnen-Kämpfer

Mir geht es ähn­lich wie den meis­ten ande­ren Jor­da­nien-Besu­chern – neben Petra möchte auch ich unbe­dingt nach Wadi Rum, in eine Wüste, die so ganz anders wirkt als die dünen­rei­chen Sand­wüs­ten, die ich aus Tune­sien und dem Oman kenne. Unzäh­lige Fotos habe ich gese­hen von Wadi Rums röt­li­chen Sand­stein- und Gra­nit­fel­sen, und direkt am Ein­gang thro­nen die ‚sie­ben Säu­len der Weis­heit‘ – benannt nach dem Buch des bri­ti­schen Offi­ziers Tho­mas Edward Law­rence, der dort zur Zeit der Ara­bi­schen Revolte 1917 und 1918 sta­tio­niert war und des­sen Werk als Grund­lage für das Dreh­buch von ‚Law­rence von Ara­bien‘ diente. T.E. Law­rence fasste Wadi Rum in drei Wör­tern zusam­men: „weit­läu­fig, ein­sam und gott­ähn­lich“. Direkt hin­ter dem klei­nen Dorf Rum geht es hin­ein in diese ein­same Stein­welt, in unse­rem Fall nicht mehr auf dem Draht­esel, son­dern auf dem Rücken von Kame­len, die wür­de­voll in Reih und Glied in die Unend­lich­keit schreiten.

Das Bedui­nen­camp Rums­hi­nes, in dem wir die nächs­ten zwei Nächte ver­brin­gen wer­den, liegt 12 Kilo­me­ter tief in der Wüste. Seit Tagen freue ich mich auf die Wüs­ten-Zeit, denn seit ich das erste Mal 2012 im Oman eine Wüste betrat, zieht es mich immer wie­der in die Welt der Leere und Stille. Im Camp erwar­ten uns gemüt­li­che schwarz-weiße Bedui­nen­zelte aus Zie­gen­haar, aus­ge­stat­tet mit ein­fa­chen Bet­ten und einer Menge Decken, die kalte Nächte ankün­di­gen. Es gibt sogar west­li­che WCs, betrie­ben mit gesam­mel­tem Regen­was­ser, und ein­fa­che Duschen, deren Was­ser sich in der Sonne aufheizt.

Auf mei­nem ers­ten Spa­zier­gang durchs Camp begegne ich Salem Geblan, der Rums­hi­nes 2005 eröff­nete. Auf meine Frage nach sei­nem Alter lacht er. „Ich bin etwa 33 Jahre alt, fühle mich aber wie 22.“ Er wurde als einer von sechs Schwes­tern und fünf Brü­dern in einer Fami­lie des etwa 2.500 Mann star­ken Zala­bia-Stam­mes in Wadi Rum gebo­ren, an der Grenze zu Saudi-Ara­bien, und ver­brachte die ers­ten sechs Lebens­jahre mit sei­ner Fami­lie in der Wüste. Sie hät­ten Kamele, Schafe und Zie­gen gezüch­tet. „Danach ging ich ins Dorf in die Schule, aber ich war lie­ber immer in der Wüste.“ Des­halb habe er das Wüs­ten­camp zusam­men mit einem Bru­der gegrün­det und von den Tou­ris­ten Eng­lisch gelernt. „Nur zwi­schen Mai und August ist es zu heiß für Tou­ris­ten, dann suche ich mit mei­nen Freun­den neue Wege, oder wir zie­hen mit unse­ren Kame­len durch die Wüste. Im Som­mer kann man auch gut drau­ßen schla­fen, da gibt es eine natür­li­che Kli­ma­an­lage.“ Angst vor Schlan­gen und Skor­pio­nen habe er dabei nicht. „Wir haben eine Tra­di­tion. Wenn ein Baby noch klein ist, nimmt die Mut­ter einen Skor­pion und kocht ihn in Öl, dann schmie­ren wir das Öl auf die Lip­pen des Babys.“ Das solle es sein Leben lang vor Skor­pion-Bis­sen schüt­zen. Bei ihm habe es funk­tio­niert, er hätte kein Pro­blem mit Skor­pio­nen oder Schlan­gen. „Und die hier ist von mei­nem Kampf mit einer Kamel­spinne!“ Er zeigt mir eine kleine Narbe auf sei­ner rech­ten Hand, macht vor, wie er der fie­sen Spinne, die unter die Haut eines Kamels krie­chen und es töten kann, eins rein­ge­schla­gen hat.

Ich frage Salem nach sei­nen Träu­men. Wie­der lacht er. „Ich schaue nie sehr weit hoch, weil ich dann mei­nen Hals bre­chen könnte. Und ich schaue auch nicht zu lange nach unten, weil ich dann aufs Gesicht fal­len könnte.“ Ich lasse mir Salems Ein­stel­lung durch den Kopf gehen, wäh­rend wir uns am köst­li­chen Bedui­nen­mahl sat­tes­sen – Zarb aus Fleisch und Gemüse, das unter der Asche des Cam­ping­feu­ers gegart wird. Danach sit­zen wir im Gemein­schafts­zelt am offe­nen Feuer zusam­men, weil es drau­ßen zu kalt ist. Der Rauch steigt in jede Pore von Haut und Kla­mot­ten, es zischt und fackelt, und süßer Min­ze­tee rinnt lang­sam meine Kehle hinab. Immer wie­der lerne ich auf Rei­sen Men­schen wie Salem ken­nen, die keine Gedan­ken an die Zukunft ver­schwen­den. Anders als in mei­ner Welt, wo die nächs­ten Wochen, Monate und manch­mal sogar Jahre geplant wer­den müs­sen. Wo sich alles ein­fü­gen muss in einen Ent­wurf, der für eins kei­nen Raum mehr lässt – für das Leben.

Wan­dern im Wadi

Es gibt kei­nen bes­se­ren Mann als Salem, um uns die Wege und Abwege sei­ner Hei­mat zu zei­gen. Wirk­li­cher Wege bedarf es in Wadi Rum nicht, denn die Sand­stein­fel­sen sind bei tro­cke­nem Wet­ter so rutsch­fest, dass man sie nahezu senk­recht hoch­lau­fen kann. Unsere erste Wan­de­rung führt nach einer früh­mor­gend­li­chen Fahrt im offe­nen Jeep zum 1.700 Meter hohen Jebel al Hash, einem der höchs­ten Jor­da­ni­ens, nur fünf Kilo­me­ter von der Saudi-Ara­bi­schen Grenze ent­fernt. Dabei bedeu­tet Jebel ‚Berg‘ und Hash ‚zer­brech­lich‘. Warum der Berg zer­brech­lich ist, macht uns Salem vor: Er hebt einen gro­ßen weiß-röt­li­chen Bro­cken vom Boden auf und knallt ihn auf den Boden – wor­auf­hin er zu einem fei­nen Pul­ver zer­fällt, das aus­sieht wie Kokain.

Salem kennt die Wüste wie unser­eins die Regale im Lieb­lings­su­per­markt. Immer wie­der hält er an und deu­tet auf Pflan­zen oder Blu­men, die in die­sem Teil des Wadis wie in einem wild wuchern­den Gar­ten aus dem Boden sprie­ßen. „Thy­mian und andere Pflan­zen sam­meln wir und nut­zen sie zu medi­zi­ni­schen Zwe­cken, zum Bei­spiel bei Magen­schmer­zen“, erklärt er uns. Eine Pflanze namens ‚shih‘ eig­net sich dage­gen wun­der­bar für gesund­heits­för­dern­den Tee. Und Salem hat auch Wüs­ten-Trick 17 auf Lager: „Wenn ihr euch mal in der Wüste ver­lauft, sucht nach einer Pflanze namens ‚tumer‘ und grabt sie aus. Unten hat sie Kar­tof­fel-ähn­li­che Wur­zeln, die könnt ihr essen.“ Zu erken­nen ist sie an klei­nen vio­let­ten Blüten.

Als wir eine Rast machen, gibt es zum Snack frisch gebrau­ten Tee. Dazu ent­zün­den Salem und Anas ein klei­nes Feuer und Salem kramt eine Tee­kanne aus sei­nem Ruck­sack. „Wir kochen Tee auch oft auf Koh­len, die nen­nen sich ‚ghada‘.“ „Auf ghada-Kohle zu schla­fen ist ein ara­bi­sches Sprich­wort und bedeu­tet, man ist ver­liebt“, fügt Tala hinzu. Dar­über gebe es sogar ein Lied, das Salem sofort anstimmt. Wenn wir Salem auf der Wan­de­rung mal aus den Augen ver­lie­ren, kön­nen wir ihn hören, denn er hat immer eine Melo­die auf den Lippen.

Obwohl der Blick über Wadi Rum an die­sem Tag ver­han­gen ist, ver­rät die immer mal wie­der durch­blit­zende Sonne die inten­siv röt­li­chen Farb­töne der Sand­stein­fel­sen, die mit Grau und Gelb harmonieren.

Bevor wir zu einer zwei­ten Wan­de­rung über Zie­gen­pfade in eine Schlucht auf­bre­chen, haben Salems Jungs bei den Jeeps für uns gekocht. Ein über­di­men­sio­na­ler Pick­nick­tep­pich und Sitz­pols­ter lie­gen bereit, dazu kom­men Sar­di­nen aus dem Toten Meer, Thun­fisch, Gur­ken mit Käse, Hum­mus und eine Gemü­se­suppe auf die Decke.

Mit vol­lem Bauch durch die schmals­ten Fel­sen zu krie­chen und rauf und run­ter zu klet­tern, gestal­tet sich schwie­rig, und doch gibt es keine schö­nere Art und Weise, ganz nah an die­ser schrof­fen und doch bald ver­trau­ten Natur dran zu sein. Die uns an die­sem Abend fast eines letz­ten Son­nen­un­ter­gangs hin­term Camp beraubt, in letz­ter Minute aber ein gro­ßes Loch in die Wol­ken­de­cke reißt, durch die der Son­nen­ball ver­sinkt – eine kleine Vor­schau auf den nächs­ten Tag, als die Sonne das Wadi lang­sam in all sei­ner natur­far­be­nen Pracht ausleuchtet.

Am letz­ten Tag geht es hoch zur Bur­dah Rock Bridge, eine wag­hal­sige Klet­ter­tour, die nur den Schwin­del­freien vor­be­hal­ten ist. Doch es lohnt sich – für den Weit­blick über ein Meer aus Stei­nen und Fel­sen in den sanf­tes­ten Tönen der Farb­pa­lette. Teils hän­gen wir an Fels­vor­sprün­gen und müs­sen mit dem Fuß nach dem einen ret­ten­den Stein tas­ten, der den nächs­ten Schritt erlaubt.

Dann erhebt sie sich vor uns – eine ele­gante Fels­brü­cke hoch im Berg, wie von Men­schen­hand errich­tet. Einige klet­tern mit Sicher­heits­seil um die Hüf­ten wei­ter, ich gebe mich mit dem Anblick von unten zufrie­den. Habe es auf­ge­ge­ben, immer auf den höchs­ten Gip­fel klet­tern zu müs­sen, wenn es ein Stück­chen wei­ter unten auch schön ist und ich ein­fach mal sein kann statt tun.

Wie­der mal hat es eine Wüste geschafft, mich für sich zu gewin­nen, mir diese Nost­al­gie ein­zu­imp­fen, die mich die Wüste schon ver­mis­sen lässt, wenn ich noch in ihrer Mitte bin.

Bei Ahmad in Aqaba

Eigent­lich dre­hen sich meine letz­ten Tage in Jor­da­nien um Kon­fe­ren­zen und Tref­fen mit jor­da­ni­schen Tour­anbie­tern im Hyatt Regency Hotel in Aqaba, das erst Januar 2019 eröff­nete und des­sen Zim­mer so neu rie­chen, als wären wir die ers­ten Gäste. Nach den Tagen in der Wüste fühle ich mich erschla­gen vom Luxus, von der anschei­nend gren­zen­lo­sen Ver­füg­bar­keit von Was­ser und Seife und dicken Bade­män­teln. So dank­bar ich auch bin für eine dicke Matratze und lange Dusche – die Wüste fehlt mir. Die rote Erde des Wadis steckt mir nicht nur in den Schu­hen, son­dern auch im Herzen.

Zu mei­nem Glück habe ich bald einen freien Nach­mit­tag und will raus – raus aus dem Ghetto, in dem das Hyatt liegt, im Ayla-Kom­plex, in dem auch rei­che Jor­da­nier ihre Häu­ser haben, abge­grenzt vom Rest der Stadt durch eine Schranke und Kon­troll­pos­ten. Es zieht mich ans Meer, und beglei­tet von mei­nem neuen Kum­pel Bruno von der Jor­da­nien-Tour, schwin­gen wir uns in ein Taxi zum South Beach am ande­ren Ende der Stadt. Ob ich an einem öffent­li­chen Strand über­haupt im Bikini baden kann? Die Ant­wort liegt in Form von meh­re­ren Tou­ris­tin­nen in Bade­klei­dung vor mir, nur, dass Poli­zis­ten in regel­mä­ßi­gen Abstän­den den Strand abfah­ren und nach dem Rech­ten schauen.

Die Stun­den am Strand ver­flie­gen, und Bruno und ich fra­gen uns, ob es nicht einen Bus zurück ins Zen­trum gibt. Hal­te­stel­len sind nicht zu sehen, also fra­gen wir einen Ein­hei­mi­schen, der an einem klei­nen Café im Schat­ten chillt. Der Mann stellt sich als Ahmad Moham­med vor uns lädt uns auf einen Min­ze­tee ein, den uns sein Kum­pel, der Café­be­sit­zer, bringt.

Nach weni­gen Minu­ten plau­dern wir, uns hät­ten wir uns nach lan­ger Zeit end­lich wie­der­ge­trof­fen. Wir erfah­ren, dass der Beduine Ahmad meis­tens in Ägyp­ten lebt und als Tauch- und Kite­l­eh­rer arbei­tet, aber auch als Musi­ker. Und sechs Jahre in einem Zir­kus in Frank­reich gear­bei­tet hat. „Ich hatte ein Haus im Wald, am liebs­ten lebe ich aber in einem Zelt am Meer.“ Auf die Frage, ob er Kin­der habe, reckt er die Arme zum Him­mel. „Gott sei Dank nicht! Aber ich küm­mere mich um die streu­nen­den Hunde hier an den Strän­den und bringe ihnen jeden Abend Fut­ter. Die sind meine Fami­lie.“ Er lädt uns ein, ihn bei die­ser abend­li­chen Füt­te­rung zu begleiten.

Ich quet­sche mich auf den Hin­ter­sitz neben Ahmads Oud, Kurz­hals­laute, und eine ara­bi­sche Harfe. Die Hunde erken­nen den Wagen schon von Wei­tem, sprin­gen freu­dig auf uns zu.

Eigent­lich sollte uns Ahmad danach im Zen­trum abset­zen, doch wenn wir die jor­da­ni­sche Gast­freund­schaft noch immer nicht begrif­fen haben, füllt Ahmad an die­sem Abend kurz vor Schluss die Lücke. „Warum kommt ihr nicht zu mir zum Essen? Ich kaufe noch schnell etwas Aqaba-Fisch, Obst und Wein.“ Inner­halb von Sekun­den hat uns Ahmad über­zeugt. Wir beglei­ten ihn beim Ein­kauf in den Obst- und dann Fisch­la­den, aber in den Alko­hol­shop möchte er allein gehen, damit wir auch ja kei­nen Cent zu dem edlen Trop­fen, den er aus­wählt, dazugeben.

Der Aqaba-Fisch wird direkt mit fri­schen Pom­mes und Zitro­nen ein­ge­packt, nun kann es los­ge­hen. Ahmad wohnt in einem Apart­ment hoch über Aqaba, mit Blick über die Stadt, die Hügel dahin­ter und das israe­li­sche Eilat auf der ande­ren Küstenseite.

Nach­dem wir ange­sto­ßen und von dem fri­schen Fisch gekos­tet haben, zeigt uns Ahmad Videos aus Ägyp­ten. Im Hin­ter­grund spielt stets ‚My heart will go on‘ von Celine Dion, Ahmads Lieb­lings­lied. „Das erin­nert mich an meine Exfreun­din!“ Doch jetzt will der fast Fünf­zig­jäh­rige erst­mal frei sein: „Ich liebe das Leben der Frei­heit, in der Wüste oder am Meer, das Drau­ßen­sein.“ Ahmad stimmt ein Lied auf der Oud für uns an. Erst, als von einem nahen Mina­rett zum Gebet geru­fen wird, legt er eine Pause ein. „Man sagt mir immer, wenn ich spiele, wäh­rend wir beten sol­len, ist das Got­tes­läs­te­rung.“ Dafür nimmt er einen gro­ßen Schluck vom Rot­wein. „Meine Fami­lie hält mich für ver­rückt, aber ich will so sein, wie ich bin.“ Bald ist der Gebets­ruf ver­stummt, und wäh­rend die Sonne hin­ter Israel ver­schwin­det und der Him­mel dun­kel wird, spielt und singt Ahmad wei­ter für uns. Wun­der­schöne ara­bi­sche Melo­dien, in die er so tief ein­taucht, dass die ihn umge­bende Welt versinkt.

Und auch ich ver­schmelze mit den Klän­gen der Oud und genieße seine tiefe Stimme, die mich in Gedan­ken zurück nach Wadi Rum bringt, ans Lager­feuer. In die weite, raue Land­schaft Jor­da­ni­ens, ein Land, wo ich von völ­lig Frem­den mit einem Apfel begrüßt und mit einem Fest­mahl ver­ab­schie­det werde.

 

Diese Reise wurde orga­ni­siert von ATTA Adven­ture Trade Tra­vel Asso­cia­tion, eine der füh­ren­den Orga­ni­sa­tio­nen und Part­ner für das Aben­teu­er­reise-Gewerbe. Die Tour durch Jor­da­nien mit dem loka­len Anbie­ter Ter­haal fand im Rah­men der jähr­li­chen ANext­Ne­arE­ast statt, einem Zusam­men­tref­fen von welt­wei­ten Medi­en­ver­tre­tern und Tour­anbie­tern im Aben­teu­er­be­reich, die hier­bei die Mög­lich­keit haben, Jor­da­nien bei ver­schie­de­nen Aben­teuer-Tou­ren zu ent­de­cken und Kon­takte zu ein­hei­mi­schen Anbie­tern zu knüpfen.

Jor­dan Trail: www.jordantrail.org mit Daten zu ein­zel­nen Etap­pen, emp­feh­lens­wert ist ein Guide, bei­spiels­weise vom Aktiv­rei­sen-Anbie­ter Ter­haal

Jor­dan Bike Trail: https://jordanbiketrail.com/

Emp­feh­lens­werte Unterkünfte:

Amman: Mar­riott Hotel

Petra: Edom Hotel 

Wadi Rum Camp: Rums­hi­nes Camp 

Aqaba: Hyatt Regency

 

 

Cate­go­riesJor­da­nien
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Bernadette Olderdissen

Bernadette Olderdissen ist eine Geschichtensammlerin- und schreiberin. Schon in jungen Jahren verstand sie, dass ganz so viel Fantasie zum Schreiben gar nicht nötig war, denn die besten Geschichten schenkte ihr das Leben umsonst. Schenkten ihr die Menschen um sie herum. Als sie viele Geschichten gehört hatte, zog sie weiter. Sperrte die Ohren auf und schrieb alles nieder, was ihr die Menschen zu erzählen hatten. So trieb es sie immer weiter durch die Welt, mit ungesättigter Neugier und in der Gewissheit, dass sich die Menschen zwar überall auf der Welt verdammt ähnlich sind, jedoch keine zwei Geschichten identisch. Dieser Umstand ist schuld daran, dass sie noch immer nichts für die Rente gespart hat, sondern das Geld immer nur für die nächsten Reisen reicht. Und das findet sie auch gank okay so.

  1. Bis­her reizte mich Jor­da­nien nicht, Dein Bei­trag hat mir jedoch große Lust gemacht, die­ses Land, seine Men­schen und die unge­wöhn­li­chen Wüs­ten dort selbst ken­nen­zu­ler­nen. Danke, Bernadette!

    1. Bernadette says:

      Liebe Karin,
      ganz lie­ben Dank für dei­nen net­ten Kom­men­tar, über den ich mich sehr gefreut habe. Ich wün­sche dir wirk­lich, dass du Jor­da­nien bald selbst erle­ben darfst :)
      Viele Grüße
      Bernadette

  2. Koray says:

    Ein durch und durch wun­der­vol­ler Text und gerade der letzte Teil hat mir Gän­se­häute beschert! Zwi­schen­zeit­lich dachte ich echt, dass ich sel­ber vor Ort bin. Ein­fach super Arbeit!

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