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Anek­do­ten aus einem unbe­kann­ten Land

Gemein­sam mit der Renn­sport-Legende Ellen Lohr war ich für die China Rally und das größte Off-Road-Fes­ti­val der Welt dort drü­ben, knapp 1000 Kilo­me­ter west­lich von Peking. Doch die eigent­li­che Attrak­tion die­ser Reise war die Innere Mon­go­lei selbst. Die dünn besie­delte Region Chi­nas ver­zückte mich vom ers­ten Moment an mit Wüs­ten, tibe­ti­schen Tem­peln, gast­freund­li­chen Men­schen, wil­den Kame­len, Jur­ten, und einem stets unwirk­lich blauen Him­mel. Vor allem aber damit, dass ich mich schon lange nicht mehr irgendwo so völ­lig fremd gefühlt hatte.

Anek­do­ten aus einem frem­den Land

Über­mü­det errei­che ich Yin­chuan. Das Per­so­nal am Flug­ha­fen trägt Wes­ten, auf denen lako­nisch ‚Help You‘ drauf­steht. Sym­pa­thisch. Alles ist hier ist bereits auf den ers­ten Blick völ­lig anders als zu Hause und meine Neu­gierde sofort geweckt.

Ich esse im Kung Fu Imbiss. Der Laden scheint eine Kette zu sein, aber ich mag die comic­ar­ti­gen Zeich­nun­gen am Ein­gang. Mit Wor­ten bestel­len ist auf­grund der Spra­che keine Option, also zeige ich sto­isch auf ein Gericht. Ich werde wohl nie erfah­ren, was man mir bringt, aber es schmeckt ganz vor­züg­lich. Um mich herum wer­den laut­stark Nudeln geschlürft, ein Kind am Nach­bar­tisch starrt mich unauf­hör­lich aus gro­ßen Augen an. Ich bin die ein­zige Lang­nase weit und breit.

Eine Ange­stellte des Flug­ha­fens hat ihren Tou­ris­ten­gruß auf Eng­lisch offen­bar nicht kom­plett aus­wen­dig gelernt und sagt ledig­lich ‚Have a Trip‘. Na, wenn das mal nicht wie die Faust aufs Auge passt!

Nach zwei Stun­den Fahrt im klei­nen Städt­chen Alxa Left (sprich: Alas­han Left) ange­kom­men, strol­che ich etwas rum. Erste Erkennt­nis: Kaum ver­steht man die Schil­der nicht mehr, ver­steht man eigent­lich gar nichts mehr. Ich genieße die­ses Gefühl der Ver­lo­ren­heit und streife durch den war­men Nie­sel­re­gen. Einige Men­schen arbei­ten im Freien vor ihren Geschäf­ten und begut­ach­ten mich neu­gie­rig. Eine Menge Hunde hat es sich auf den Geh­we­gen gemüt­lich gemacht. Ich kehre in einer klei­nen Gar­kü­che ein und deute auf das Essen am Nach­bar­tisch, die Wir­tin bringt mir lächelnd eine damp­fende Schale. Schon beim ers­ten Löf­fel Suppe stelle ich fest, dass ich mir in mei­ner Nai­vi­tät eine Inne­reien-Suppe bestellt habe. Doch ich springe über mei­nen Schat­ten und löffle drauf los. Das Gericht ent­puppt sich als schmack­haft und ziem­lich scharf. Ich tue es einer klei­nen Fami­lie am Nach­bar­tisch gleich und stippe das tro­ckene, süß­li­che Brot in die dick­flüs­sige Suppe. Die Imi­ta­tion der Ein­hei­mi­schen ist immer eine gute Stra­te­gie, wenn man sich so gar nicht auskennt.
Ein Betrun­ke­ner am Nach­bar­tisch will nicht begrei­fen, dass ich ihn nicht ver­stehe. Sicht­lich fas­zi­niert von mir spricht er mich immer wie­der auf Man­da­rin an. Bevor ihn die Köchin schließ­lich raus­wirft, demons­triert er mir noch schnell, wie er einen Bund Kräu­ter in einem Haps auf­es­sen kann.

Meine Rei­se­part­ne­rin Ellen ist nun auch im Hotel ange­kom­men. Wir essen in einem Restau­rant im Zen­trum Hot Pot mit Pil­zen; die chi­ne­si­schen Foto­gra­fen und Orga­ni­sa­to­ren der Ral­lye haben uns kur­zer­hand zu die­sem Fest­mahl ein­ge­la­den. Der Dreh­tisch ist stun­den­lang in Bewe­gung, stän­dig wer­den neue exo­ti­sche Gerichte gereicht. Im Flur vor dem Spei­se­raum sind bestimmt 20 Schäl­chen auf­ge­bahrt, aus denen man sich seine per­sön­li­che Lieb­lings­sauce zusam­men­mischt. Ich lade mir einen Löf­fel voll mit etwas, das ich für Ing­wer halte. Erst als ich es mei­ner Sauce bei­gemischt habe, merke ich, dass es sich um gerie­be­nen Knob­lauch han­delt. Auch da muss ich nun wohl durch.

Die Stim­mung am Tisch ist aus­ge­las­sen, wir trin­ken eine Menge Bier und einen star­ken Schnaps, des­sen Geruch an Make-Up-Ent­fer­ner erin­nert. Zum Glück spre­chen ein paar unse­rer Gast­ge­ber etwas Eng­lisch. Erstaunt stelle ich fest, dass wir einen ähn­li­chen Humor zu haben scheinen.

Am nächs­ten Tag kämp­fen wir uns noch tie­fer in die Innere Mon­go­lei, Ziel ist das Städt­chen Alxa Right. Knapp 350 Kilo­me­ter Nichts lie­gen zwi­schen die­sen bei­den Städ­ten. Die Weite, die sich uns bie­tet, sobald wir die Stadt­grenze hin­ter uns las­sen, ist beeindruckend. 

Stau­bige Stra­ßen füh­ren mit­ten durch eine schier end­lose Steppe, die von einer rau anmu­ten­den Berg­kette umrahmt wird. Immer wie­der fah­ren wir Teil­stü­cke der Stre­cke auf der brand­neuen, rie­si­gen Auto­bahn, auf der wir fast alleine unter­wegs sind. In regel­mä­ßi­gen Abstän­den ste­hen gigan­ti­sche Rast­tem­pel am Weges­rand, die jedoch alle noch nicht geöff­net haben. Ab und an müs­sen wir stop­pen für wilde Kamele, die mit­ten auf der Stra­ßen rumstehen. 

Ich ver­su­che mir aus­zu­ma­len, wo die LKW mit den stau­bi­gen Pla­nen wohl her­kom­men, die wir ab und an auf der Gegen­spur erblicken.

Die nächs­ten Tage ver­brin­gen wir im Biwak der China Rally unter Renn­fah­rern, ihren Mecha­ni­kern und einer Menge inter­es­sier­ter Ein­hei­mi­scher. Auf dem Dorf­platz von Alxa Right hat man eine Bühne und ein paar rie­sige Zelte auf­ge­baut. Nebenan schrau­ben die Teams nach einem lan­gen, beschwer­li­chen Tag in der Wüste ihre Fahr­zeuge wie­der zusammen. 

Ein über­di­men­sio­nier­tes Kup­pel­zelt ist der Ort fürs Cate­ring, nebenan ste­hen die Zelte für die vie­len chi­ne­si­schen Jour­na­lis­ten sowie uns fünf Schrei­ber­linge aus dem Wes­ten. Im Nach­bar­zelt hört man den eng­li­schen Spre­cher die heu­tige Etappe der Ral­lye vor dem Mikro­fon zusam­men­fas­sen, seine Stimme wird uns durch die nächs­ten Tage beglei­ten. Ich mag die geschäf­tige Atmo­sphäre vor Ort.

Kleins­ter gemein­sa­mer Nen­ner der Ein­hei­mi­schen vor den Zel­ten: Ihr vor­be­halt­lo­ses Lächeln und ihr unver­hoh­le­nes Inter­esse an den weni­gen west­li­chen Besu­chern. Alle nase­lang werde ich gebe­ten, mit wild­frem­den Men­schen Sel­fies zu schie­ßen. Sie bedan­ken sich stets herz­lich für meine Bereit­schaft. Auch ich habe mit ‚Xie­xie‘ wenigs­tens schon ein Wort auf Man­da­rin gelernt: Danke.

Als die Sonne unter­geht wird es erstaun­lich kühl im stau­bi­gen Biwak. Dafür heizt nun auf der Bühne ein chi­ne­si­scher Lokal­ma­ta­dor die Stim­mung an. Ich bin völ­lig fas­zi­niert von der Light­show in Kom­bi­na­tion mit den nebenan an den Fahr­zeu­gen schrau­ben­den Teams.

Der Abend dient uns von nun an zum Ord­nen unse­rer Fotos und dem Schrei­ben der täg­li­chen Zusam­men­fas­sun­gen der Ral­lye. Wer führt das Feld an, wer hatte eine Panne, wes­sen Auto ist bereits voll­stän­dig zer­stört? Mit vom Staub des Tages ver­stopf­ten Nasen kom­men wir zu spä­ter Stunde zum Ende. Mit Hilfe einer VPN-App ist es uns sogar mög­lich, noch ein paar Social Media Posts abzu­set­zen. Face­book und co sind hier eigent­lich gesperrt.

Die Rezep­tio­nis­tin unse­res Hotels ist nett wie alle ande­ren hier. Das erste Zögern der Ein­hei­mi­schen scheint ohne­hin immer nur Aus­druck ihrer Unsi­cher­heit zu sein, da die meis­ten nicht ein Wort Eng­lisch spre­chen. Doch das erste Lächeln ändert alles. Das, und die wahn­sin­nig popu­läre Über­set­zungs-App Baidu, die hier fast jeder auf sei­nem Tele­fon hat. Ich spre­che ihr also ins Handy: „I would like to buy beer.“ Die App rat­tert, die Rezep­tio­nis­tin blickt auf die chi­ne­si­schen Zei­chen, dann zieht sie mich hin­ter sich her aus dem Hotel raus. Auf der gegen­über­lie­gen­den Stra­ßen­seite liegt ein klei­ner Laden, der haupt­säch­lich Ziga­ret­ten zu ver­kau­fen scheint. Doch mit der Hilfe mei­ner neuen Bekann­ten sowie ihrer App halte ich schon bald einen Six­pack Tsingtao in den Händen. 

Das Unge­wohnte war­tet in der Inne­ren Mon­go­lei jeden Tag bereits beim Früh­stück. Kaf­fee sucht man am Buf­fet ver­geb­lich, statt­des­sen gibt es warme Kamel­milch. Dazu wer­den zahl­rei­che Schüs­seln mit herz­haf­ten, teils wirk­lich schar­fen Gerich­ten auf­ge­tischt. Gemüse, von dem man nicht mal sagen könnte, was es wohl ist. Nicht eines, son­dern dut­zende. Keine Chance her­aus­zu­fin­den, was man sich da mit Stäb­chen in den Mund schiebt. Doch alles, aber auch alles ist lecker. Das schrägste Gericht scheint eine Art Hefe-Wür­fel in Sauce zu sein, das man zu den ande­ren Spei­sen als Bei­lage isst. Wie schon zuvor beob­achte ich auf­merk­sam die Men­schen an den Nach­bar­ti­schen und ver­su­che alles genauso zu machen wie sie.

Die Innere Mon­go­lei scheint der letzte Ort auf der Welt zu sein, wo man von Lun­gen­krebs noch nichts gehört hat. Jeder raucht, und jeder raucht Kette. Über­all ste­hen Aschen­be­cher, sogar im Auf­zug trifft man auf kal­ten Qualm. Doch umden­ken muss man hier kul­tu­rell in vie­ler­lei Hin­sicht. Das Schlür­fen, Rülp­sen und stän­dige Aus­spu­cken der Chi­ne­sen etwa ist gewöh­nungs­be­dürf­tig, und doch bin ich irgend­wie fas­zi­niert davon. Nor­ma­li­tät ist eben immer auch eine Frage der Perspektive. 

Wir fah­ren mit den Gelän­de­wa­gen in die Bad­ain Jaran Wüste, die Wis­sen­schaft­lern bis heute Rät­sel auf­gibt. Denn das ewig schei­nende Meer aus Sand wird immer wie­der unter­bro­chen von klei­nen Seen, die nie­mals aus­trock­nen. Sogar Fische gibt es in die­sen Gewäs­sern. Neben einem die­ser Seen steht eine Sand­skulp­tur von Dschin­gis Khan. Man kann sich bei ihrem Anblick sofort vor­stel­len, wie er sei­ner­zeit mit sei­nen Män­nern auf Pfer­den durch diese wilde Region geprescht ist. 

Ent­lang der wenig befah­re­nen Straße sieht man außer ein paar unge­wöhn­li­cher Monu­mente nicht viel. Es ist so ver­las­sen hier, dass ich mich frage, ob unsere Fah­rer wohl genug Ben­zin und Was­ser dabei hat.

Die Bad­ain Jaran liegt auf 1600 Meter und ist damit die höchste Wüste der Welt; für viele Besu­cher gilt sie auch als die schönste. Mehr­fach pas­sie­ren wir kleine Grup­pen von Jur­ten, in denen die Men­schen hier leben wir vor Jahr­hun­der­ten. Vor eini­gen kau­ern die Män­ner mit wet­ter­ge­gerb­ten Gesich­tern und schlür­fen Tee. Man sieht ihnen an, dass sie hier bei jeder Wit­te­rung sit­zen. Sie strah­len eine ange­nehme Ruhe aus.

Nahe des Muse­ums des Alxa Geo­park mit sei­ner bizar­ren Archi­tek­tur ver­läuft die Stre­cke der Ral­lye. Ich erstehe noch schnell eine Dose Süßig­kei­ten aus Kamel­milch im Muse­ums­shop, dann sehe ich den PS-star­ken Boli­den dabei zu, wie sie sich durch den Sand wüh­len. Als wäre hier nicht alles schon schräg genug, set­zen die bun­ten, PS-star­ken Fahr­zeuge vor der Wüs­ten­ku­lisse noch eins drauf. Es ist die erste Ral­lye die­ser Art in die­ser Gegend und man merkt jedem ein­zel­nen der vor­wie­gend chi­ne­si­schen Teil­neh­mer ihre Begeis­te­rung an. Der Sand in der Luft und das Röh­ren der Moto­ren wird beglei­tet vom wirk­lich wil­den Geschmack, den die Kamel­milch-Bon­bons in mei­nem Mund entfalten. 

DAKAR SERIES CHINA RALLY /​ ETAPE 5 /​ 28−09−17 /​ VIALATTE AURELIEN

Ein Mit­tag­essen in einem unschein­ba­ren Laden an der Straße, das als kurze Stär­kung ange­dacht ist, artet in ein regel­rech­tes Gelage aus. Fast zwei Stun­den lang ser­viert man uns immer neue Töpfe und Scha­len mit damp­fen­den Spei­sen: Schwei­ne­fleisch mit Knob­lauch und Ing­wer auf Nudeln, Ei mit Tomate, süße gedämpfte Mais­kör­ner, aller­hand gedüns­te­tes Gemüse, Kamel­fleisch, gerös­tete Erd­nüsse, Ham­mel­ha­xen, … Am Ende trin­ken wir reihum aus einer gro­ßen Schale Schnaps aus ver­go­re­ner Milch und ver­brü­dern uns mit dem Wirt, der uns sogar noch ein klei­nes Ständ­chen darbietet. 

Das Tollste daran: Das ist hier nicht Folk­lore, son­dern alles echt! Die Men­schen vor Ort ken­nen das Kon­zept Tou­ris­mus über­haupt nicht, sie beneh­men sich ein­fach so wie immer. Ein paar beschwipste Sel­fies spä­ter zie­hen wir wei­ter, die­ses unver­gleich­li­che Gefühl in der Brust, gerade etwas wirk­lich Außer­or­dent­li­ches erlebt zu haben.

An einem Tag beob­ach­ten wir die Ral­lye-Teil­neh­mer beim Start im Nir­gendwo. Vor ihnen lie­gen hun­derte Kilo­me­ter Sand, und doch tre­ten die meis­ten gleich beim Start­schuss ordent­lich aufs Gas. War es tags zuvor noch som­mer­lich warm, frie­ren wir uns nun beim Knip­sen der Gelän­de­wa­gen fast die Fin­ger ab. Doch die vor­bei­ra­sen­den Boli­den kom­bi­niert mit der über der Wüste auf­ge­hen­den Sonne sind ein unver­gleich­li­ches Erleb­nis. Unsere Fah­rer bie­ten uns ein­zeln ver­packte Würste sowie leckere Früchte aus ihrer Hei­mat­re­gion an, dann geht es schon wie­der zurück auf die Straße.

Die Alas­han Region ganz im Wes­ten der Inne­ren Mon­go­lei ist rie­sig und sehr dünn besie­delt. Land­schaft­lich fährt sie mit Wüs­ten, Can­yons und bizar­ren Stein­for­ma­tio­nen große Geschütze auf. Beson­ders aber die schiere Weite der Natur lässt einen ehr­fürch­tig wer­den. Auf dem Weg zurück nach Alxa Left hal­ten wir für einen nähe­ren Blick auf diese fas­zi­nie­rende Land­schaft. Die Fels­ma­le­reien am Man­dela Moun­tain zeu­gen von eini­gen der ers­ten Men­schen, die ihren Fuß in diese raue Gegend gesetzt haben. Die simp­len Zeich­nun­gen frü­her Noma­den­stämme sind mit bis zu 6000 Jah­ren die ältes­ten ganz Asi­ens. Man nennt die Fel­sen daher auch die ‚Anci­ent Nomads Galery‘.

In Alxa Left ange­kom­men besich­ti­gen wir einen beein­dru­cken­den bud­dhis­ti­schen Tem­pel. Man ist gerade im Begriff, die­sen mit zusätz­li­chen Gebäu­den noch viel grö­ßer und pom­pö­ser zu machen. Diese Art des Umgangs mit his­to­ri­schen Stät­ten ist in Asien nicht unge­wöhn­lich. Beson­ders fas­zi­nie­rend sind jedoch gerade jene Teile des Tem­pels, die dort schon seit vie­len Jahr­hun­der­ten ste­hen. Im Schein der unter­ge­hen­den Sonne sind wir die ein­zi­gen Besu­cher zwi­schen den bun­ten Pago­den und den in den letz­ten Strah­len fun­keln­den Gebetsrollen.

Der Abend endet in einem Restau­rant mit vie­len Ver­wei­sen auf den guten alten Mao. Auch hier spricht natür­lich nie­mand Eng­lisch, und dies­mal haben wir kei­nen unse­rer chi­ne­si­schen Über­set­zer dabei. Nach eini­gen Minu­ten des Ges­ti­ku­lie­rens bringt man uns Gang um Gang unde­fi­nier­ba­rer Spei­sen, alles lecker, alles wahn­sin­nig scharf. Die Ein­hei­mi­schen an den Nach­bar­ti­schen schie­ßen Bil­der von unse­ren schmerz­ver­zerr­ten Gesich­tern. Wir freuen uns mit ihnen, wäh­rend uns die Trä­nen die Wan­gen herunterkullern.

In der Nähe von Alxa Left liegt ein fas­zi­nie­ren­der Lama-Tem­pel: Guang­zong ist eines der wich­tigs­ten lamais­ti­schen Hei­lig­tü­mer in der Inne­ren Mon­go­lei. Schon die Fahrt dort­hin ent­puppt sich als ech­tes Erleb­nis. Wilde Pferde kreu­zen unse­ren Weg, als wir uns den beein­dru­cken­den Ber­gen nähern. Ich hätte plötz­lich nicht übel Lust, eines die­ser Pferde zu zäh­men und mit ihm durch die Steppe zu jagen!

Vor dem Tem­pel darf man noch foto­gra­fie­ren, drin­nen nicht, da gerade eine Zere­mo­nie stattfindet. 

Das Innere des Tem­pels wäh­rend der Zere­mo­nie ist eine wahre Explo­sion an Far­ben, ein­zig die Mön­che in dunk­lem Rot beru­hi­gen das Auge. Wür­zi­ger Rauch hängt schwer in der Luft. Zivi­lis­ten hin­ter­las­sen Geld und schei­nen dafür einen Segen zu erhal­ten. Die Mön­che machen mit gro­ßen Trom­meln und einer Art Alp­hör­nern dis­so­nante Musik. Die Alten mur­meln, andere bah­ren rohes Fleisch auf Tischen auf und tele­fo­nie­ren dabei mit dem Handy. Mit Tep­pich umklei­dete Säu­len füh­ren unter hohe Decken mit bunt ange­stri­che­nen Bal­ken. Auf einer Seite des Raums ste­hen Dut­zende gol­dene Bud­dha-Sta­tuen, vor denen zahl­rei­che Ker­zen bren­nen. Flag­gen mit Zeich­nun­gen hei­li­ger Wesen flat­tern zwi­schen Ele­fan­ten­köp­fen aus Holz. An den Wän­den Schlan­gen, Dra­chen, mys­ti­sche Krea­tu­ren mit drei Augen und Toten­köp­fen unterm Arm. Man­da­las in allen Far­ben und gol­dene Gebets­müh­len. Eine wahr­lich andere Welt.

Am Nach­mit­tag besu­chen wir zum ers­ten Mal das FB Fes­ti­val. Es war unmög­lich, im Vor­feld irgend­et­was dar­über her­aus­zu­fin­den. Umso über­rasch­ter sind wir nun, da wir inmit­ten des größ­ten Off-Road-Fes­ti­vals der Welt ste­hen. Sagen­hafte eine Mil­lion Men­schen mit 300.000 Gelän­de­wa­gen fin­den ihren Weg in die Ten­ger-Wüste. Hier endet die China Ral­lye mit einer gro­ßen Sie­ger­eh­rung. Die Teams repa­rie­ren ein letz­tes Mal ihre Fahr­zeuge und packen zusam­men. Uns hat man ange­bo­ten, noch ein paar Tage beim Fes­ti­val zu blei­ben. Ich bin sehr froh, dass ich mal wie­der das Unbe­kannte gewählt und ein­fach kur­zer­hand zuge­sagt habe.

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In den nächs­ten Tagen beim Fes­ti­val gibt es immer wie­der neue Dinge zu bestau­nen. Etwa in einem der Essens­zelte, wo die Grill­spieß-Ver­käu­fer zu lau­ter Musik tan­zen und sin­gen, wäh­rend sie ihre Ver­käufe abschlie­ßen. Oder als ich an einem Auto­ma­ten einen Kaf­fee zie­hen möchte und fest­stelle, dass auch hier nie­mand bar zahlt. Dank der App Wechat, die in China Face­book, Whats­app und ebay in einem ist, hält man ledig­lich sein Handy-Dis­play an den Kaf­fee­au­to­ma­ten mit­ten in der Wüste. Als ich schon glaube, mir den Kaf­fee abschmin­ken zu kön­nen, bezah­len schließ­lich drei nette Ein­hei­mi­sche mit ihrem Tele­fon und las­sen sich von mir das Geld in bar geben. Belus­tigt schüt­teln sie den Kopf ob mei­ner Altmodischkeit.

Eines Nach­mit­tags don­nern Ellen und ich mit pro­fes­sio­nel­len Fah­rern in Bug­gies durch die Wüste. Die unglaub­lich rasante Fahrt mit eini­gen Sprün­gen ist jeden ihrer 10 Euro wert! Kurz dar­auf lau­fen wir gera­de­wegs in eine Drift-Show des You­tube-Stars BJ Bald­win. Es ist das gefühlt erste mal, dass wir über­haupt West­ler auf dem rie­si­gen Gelände begegnen.

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Das Fes­ti­val über­rascht stän­dig mit neuen Super­la­ti­ven und so stol­pern wir Tag für Tag mit offe­nen Mün­dern durch die Wüste. Stun­den­lang klap­pern wir etwa die Stände eines klei­nen Mark­tes mit Kla­mot­ten und Acces­soires ab, fas­zi­niert von der Indi­vi­dua­li­tät in die­sem für seine Indi­vi­dua­li­tät nicht gerade berühm­ten Land. Inter­es­siert beob­ach­ten wir das Trei­ben auf den Cam­ping­plät­zen, die bis in den letz­ten Win­kel mit höher­ge­leg­ten, ver­brei­ter­ten Gelän­de­wa­gen voll­ge­stopft sind. Ungläu­big ent­de­cken wir auf der Fahr­zeug­messe alle nase­lang chi­ne­si­sche Mar­ken, von denen wir noch nie gehört haben. In den rie­si­gen Zel­ten mit Gar­kü­chen pro­bie­ren wir uns durch zahl­rei­che Gerichte. Abends woh­nen wir ein­mal einem chi­ne­si­schen Rock­kon­zert bei und grö­len ein­fach mit der Menge mit. Auf der ein­stün­di­gen Rück­fahrt nach Alxa Left habe ich Abend für Abend ein dümm­li­ches Grin­sen im Gesicht von der Viel­zahl an neuen Eindrücken.

Die Region Alxa, die im Nor­den an den sou­ve­rä­nen Staat Mon­go­lei schließt, umfasst 270.000 Qua­drat­ki­lo­me­ter. Die 230.000 Men­schen, die hier leben, gehö­ren 28 unter­schied­li­chen Eth­nien an. Lebt man in den Städ­ten rela­tiv modern, so spie­len auf dem Land Volks­mu­sik, Tanz und tra­di­tio­nelle Klei­dung zum Teil noch eine große Rolle. Mit­tags in einer Sup­pen­kü­che in Alxa Left ler­nen wir ein paar Men­schen der eth­ni­schen Min­der­heit Hui ken­nen, die sich in ihrer Art zu klei­den deut­lich vom Rest der Men­schen in der Stadt unter­schei­den. Fra­gen wir uns erst noch, ob sie wohl foto­gra­fiert wer­den möch­ten, lie­gen wir uns schon bald mit ihnen in den Armen und wer­den selbst foto­gra­fiert. Diese rück­halt­lose Freund­lich­keit ist wirk­lich herzerwärmend.

An einem früh­lings­haf­ten Tag erkunde ich das schräge Städt­chen Alxa Left. Vom Hügel aus hat man wun­der­volle Aus­bli­cke über die Stadt und auf die von fri­schem Schnee bedeck­ten Gip­fel der Berge. Über­all um die chi­ne­si­schen Pago­den herum blüht es.

Ganz oben ent­de­cke ich einen gro­ßen Platz, an dem zahl­rei­che Anbie­ter elek­tri­sche Gefährte in allen Far­ben und For­men ver­mie­ten. Erst mache ich mich im Geiste etwas lus­tig über diese Art der Frei­zeit­ge­stal­tung. Doch dann tue ich das ein­zig Rich­tige und miete mir selbst eines der Fahr­zeuge, die erstaun­lich schnell sind und jeweils eine eigene Anlage ein­ge­baut haben. Meine plärrt in vol­ler Laut­stärke eine Musik, die sich wie Euro­trash anhört, aber von chi­ne­si­schem Gesang beglei­tet wird. Die zehn Minu­ten, in denen ich mir den Wind um die Nase pfei­fen lasse, sind ein ech­tes High­light. Ich feiere die Absur­di­tät der Situation.

Selbst im Tai­xixi Inter­na­tio­nal Hotel spricht nie­mand Eng­lisch. Aber mitt­ler­weile macht mir das gar nichts mehr aus. In mei­nem Zim­mer lege ich mich mit Blick auf den Tem­pel auf meine Chai­se­longue und blät­tere im Foto­buch über die Alas­han-Region. Hier­zu­lande bezeich­net man sie offen­bar als „schöne von Gott gemalte Kurve“. Wo hat es mich hier nur hin verschlagen?!

Unse­ren Rück­weg nach Yin­chuan nut­zen wir, um uns noch zwei Sehens­wür­dig­kei­ten der Inne­ren Mon­go­lei anzu­schauen. Unsere Beglei­te­rin Jing und die Fah­re­rin schei­nen sich nicht weni­ger als wir auf etwas Sight­see­e­ing zu freuen.

Zuerst besich­ti­gen wir die Xia Kai­ser­grä­ber, eine etwa tau­send Jahre alte his­to­ri­sche Stätte. Auf 50 Qua­drat­ki­lo­me­tern hat man hier gleich eine ganze Reihe von Grä­bern aus der Erde geschält, die vor der Berg­ku­lisse spek­ta­ku­lär aus­se­hen. Doch die Art der Besich­ti­gung scheint hier die eigent­li­che Attrak­tion. Gemein­sam mit vie­len Chi­ne­sen wer­den wir in klapp­ri­gen Anhän­gern von Trak­to­ren zu den Grä­bern gezo­gen und wie eine Herde Schafe durch das Museum geschubst. Sou­ve­nirs wol­len gekauft, Sel­fies wol­len geschos­sen werden. 

Unser zwei­ter Stopp ist die Chi­ne­si­sche Mauer. Kein Witz, auch hier kann man sie besich­ti­gen. Ver­geb­lich sucht man hier jedoch das klas­si­sche Foto der Mauer, wie sie sich in die Berge schlän­gelt. Denn was hier aus­ge­gra­ben wurde, ist das Ori­gi­nal, nicht restau­riert und nicht ausgebaut. 

Doch wie­der machen wir ein­fach, was die Chi­ne­sen auch machen, und hier ist das Ganze noch eine Spur unter­halt­sa­mer. Direkt nach dem doch eher unan­sehn­li­chen Stück Mauer ent­fal­tet sich ein wah­rer Frei­zeit­park, wie Per­len auf einer Schnur folgt eine Attrak­tion der nächs­ten. Das Wit­zigste daran: Ist man ein­mal drin, muss man auch alle Sta­tio­nen durch­lau­fen. Es gibt kei­nen Aus­weg! Vom Rücken eines Pfer­des geht es gewis­ser­ma­ßen naht­los auf eine kurze Boots­fahrt. Kaum hat sich die träge Masse aus dem Boot aufs Land gewälzt, wird sie auch schon auf zahl­rei­che Wägen ver­teilt, die von Kame­len gezo­gen wer­den. Die Kro­ko­dil­farm kön­nen wir zum Glück umge­hen, doch am Bam­bus­boot führt kein Weg vor­bei. Direkt anschlie­ßend ent­spinnt sich ein wah­rer Irr­gar­ten aus Höh­len und Sou­ve­nir­stän­den, bis wir schließ­lich wie­der an der chi­ne­si­schen Mauer ankom­men, die man bis dahin schon fast ver­ges­sen hat. 

Wir brau­chen fast zwei Stun­den, um wie­der zum Ein­gang zu fin­den und ver­pas­sen so fast noch unse­ren Flug nach Peking. Und doch hat die­ses letzte Erleb­nis in der Inne­ren Mon­go­lei viel gemein mit den Ein­drü­cken der letz­ten Tage vor Ort. Ungläu­big schüt­teln wir mit offe­nen Mün­dern unsere Köpfe. Und diese Bewe­gung haben wir mitt­ler­weile echt ganz gut drauf!

Cate­go­riesChina

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