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Impres­sio­nen aus Tbilisi

Ankunft in Geor­gien heißt eigent­lich immer: total gerä­dert sein. Die güns­ti­gen Flüge legen einen end­los erschei­nen­den Zwi­schen­stopp am Istan­bu­ler Flug­ha­fen SAW ein, der irgendwo abseits der Stadt in einem Indus­trie­ge­biet liegt. Da ist es schön, end­lich da zu sein und auch um fünf Uhr früh freund­lich von Tbi­lisi, „The city that loves you“, emp­fan­gen zu wer­den. In der Tou­ris­ten­info am Flug­ha­fen bekomme ich eine „Wine map of Geor­gia“ geschenkt und ein paar Minu­ten spä­ter sitze ich in einem Auto, das nicht mal ein Taxi­schild auf dem Dach hat. Der Fah­rer zeigt uns unter­wegs die Sehens­wür­dig­kei­ten, viele hoch­mo­derne, glä­serne und in allen Far­ben leuch­tende Gebäude, neben der Alt­stadt, in der sich nied­rige Häu­ser in schma­len Gas­sen an die Hügel drü­cken. Zur Begrü­ßung gibt es direkt Chin­kali, das geor­gi­sche Natio­nalessen, Teig­ta­schen mit Fleisch‑, Kar­tof­fel- oder sons­ti­ger Fül­lung, die zu essen einer klei­nen Her­aus­for­de­rung gleicht. Den Strunk lässt man jeweils auf dem Tel­ler lie­gen, um spä­ter nach­se­hen zu kön­nen, wie viele man geschafft hat, wir kom­men jede auf fünf.

 

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Am nächs­ten Mor­gen, oder eher Mit­tag, dann der erste Blick auf Tbi­lisi im Hel­len, auf die merk­wür­dige Kon­stel­la­tion aus klei­nen alten Häus­chen, sowje­ti­schen Prunk­bau­ten und moder­nen Archi­tek­tur­ex­pe­ri­men­ten. Die Häu­ser in der Alt­stadt zeu­gen von frü­he­rer Schön­heit, sind aber fast alle sehr schlecht erhal­ten. Auf­ge­ris­sene Bür­ger­steige füh­ren durch schmale Stra­ßen, in denen die Bal­kone der gegen­über­lie­gen­den Gebäude sich fast zu berüh­ren schei­nen. Über­all Kabel­ge­wirr, dazwi­schen Wäsche, die zum Trock­nen auf­ge­hängt wurde, ab und an sieht man Hunde und Kat­zen durch die Stra­ßen streu­nen. Die kunst­voll ver­zier­ten Bal­kone, die ganze Häu­ser umlau­fen und offene Gänge dar­stel­len, von denen die ein­zel­nen Woh­nun­gen abge­hen, wer­den teils mit Holz­bal­ken abge­stützt, teils hän­gen sie halb schief oder haben schon vor Län­ge­rem begon­nen, zu brö­ckeln. Dazwi­schen immer wie­der kom­plette Häuserruinen.

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Gleich­zei­tig wird in der Stadt über­all gebaut, Gerüste und Kräne prä­gen das Stadt­bild. Es enste­hen neue Hotels, Museen, Büro­ge­bäude, eines höher und pom­pö­ser als das andere. Der Bau­wahn hat zu kurio­sen Ergeb­nis­sen geführt – das Jus­tiz­ge­bäude erin­nert an Pilze, die neben­ein­an­der aus dem Boden sprie­ßen, die neue „Frie­dens­brü­cke“ über den Mtk­vari scheint so gar nicht ins Stadt­bild zu pas­sen und ein neues Kon­zert­ge­bäude zu Fuße des Prä­si­den­ten­pa­las­tes (der wie­derum dem Reichs­tag nach­emp­fun­den wurde) lässt viele Inter­pre­ta­tio­nen offen.

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Unser Weg durch die Alt­stadt führt uns zu ver­schie­de­nen war­men Bädern, die der Stadt ihren Namen gaben – Tbi­lisi heißt so viel wie „warme Quelle“. Dane­ben reißt ganz plötz­lich die Land­schaft auf, eine rie­sige Schlucht mit­ten in der Stadt, aus deren Ende ein Was­ser­fall stürzt. Hier sind viele Geor­gier unter­wegs, eine ganze Hoch­zeits­ge­sell­schaft ist gerade dabei, Fotos zu machen. Auch hier ducken sich viele Häu­ser sehr nah und sehr wacke­lig an den Abgrund. Denkt man daran, dass in Geor­gien Erd­be­ben keine Sel­ten­heit sind und diese in der Ver­gan­gen­heit teil­weise meh­rere hun­dert Tote gefor­dert haben, kann einem da doch ein biss­chen unwohl werden.

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Im Ver­lauf der Tage ler­nen wir viel von Tbi­lisi ken­nen, die Alt­stadt, schi­cke kleine Cafés und Bars, die mit ihrem zusam­men­ge­wür­fel­ten Alt­bau-Charme auch in Ber­lin oder Ams­ter­dam ste­hen könn­ten, die neu gestal­te­ten Gebäude und Parks rund um den Fluss, den Floh­markt und den Basar, den Rusta­weli-Bou­le­vard, eine der größ­ten und pracht­volls­ten Stra­ßen Tbi­li­sis mit vie­len wich­ti­gen Gebäu­den, die Straße rund um die Uni-Gebäude der zwei wich­tigs­ten staat­li­chen Uni­ver­si­tä­ten, den aus der Sowjet­zeit stam­men­den Vake-Park. Ich habe das Gefühl, Tbi­lisi ist vol­ler Wider­sprü­che und das bunte, fast zusam­men­ge­wür­felte Stadt­bild zeigt, wie viele unter­schied­li­che Men­schen, wie viele ver­schie­dene Lebens­rea­li­tä­ten es dort gibt. Viele junge Leute haben span­nende Kla­mot­ten­stile, den­ken inter­na­tio­nal, ver­rei­sen viel, spre­chen flie­ßend Eng­lisch. Doch die Armut ist aus dem Stadt­bild nicht weg­zu­den­ken, mit alten Frauen, die auf der Straße bet­teln, Blu­men, Süßig­kei­ten oder Churchk­hela, an einer Schnur auf­ge­hängte Nüsse in Trau­ben­si­rup, die ent­fernt an Würste erin­nern, ver­kau­fen, und dem Blick auf her­un­ter­ge­kom­mene Plat­ten­bau­ten. Zwi­schen den schi­cken Cafés oder inter­na­tio­na­len Super­markt­ket­ten fin­den sich kleine Tante-Emma-Läden oder Bäcke­reien, in denen manch­mal auch noch ein Foto von Sta­lin an der Wand hängt.

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Cate­go­riesGeor­gien
Ariane Kovac

Hat ihr Herz irgendwo zwischen Lamas und rostigen Kleinbussen in Peru verloren. Seitdem möchte sie so viel wie möglich über andere Länder und Kulturen erfahren - wenn möglich, aus erster Hand.

Wenn sie gerade nicht unterwegs sein kann, verbringt sie viel Zeit damit, den Finger über Landkarten wandern zu lassen und ihre eigene Heimat ein bisschen besser zu erkunden, am liebsten zu Fuß. Immer dabei, ob in Nähe oder Ferne: Kamera und Notizbuch, denn ohne das Schreiben und das Fotografieren wäre das Leben für sie nicht lebenswert.

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