Vor­ge­schichte

Es waren gerade ein­mal sechs Tage ver­gan­gen, seit ich eine der anstren­gends­ten und wag­hal­sigs­ten „Wan­de­run­gen“ mei­nes Lebens hin­ter mich gebracht hatte: Ich war von Lamayuru durch die Shila-Schlucht und über den Kanji La nach Rang­dum gelau­fen. Diese Tour hatte mich an meine letz­ten Gren­zen geführt. Von Rang­dum war ich nach Padum getrampt, der Haupt­stadt von Zans­kar. Diese abge­le­gene, und von mäch­ti­gen Berg­ket­ten ein­ge­schlosse Region, liegt süd­öst­lich von Kasch­mir und süd­west­lich von Lad­akh im nord­in­di­schen Himalaja.

Am vor­letz­ten Tag mei­ner Wan­de­rung hatte ich mir das linke Knie ver­dreht; seit­dem fühlte es sich nicht mehr sta­bil an. Ich hoffte dar­auf, nicht ernst­haft ver­letzt zu sein, und dass sich die Schmer­zen bald geben wür­den. In alter Fami­li­en­tra­di­tion unter­ließ ich jeden Ver­such, nach einem Arzt zu fahn­den. Statt­des­sen ver­ord­nete ich mir Ruhe und hum­pelte nur gele­gent­lich durch den Ort, der wirkt, als sei die Zeit vor Jahr­zehn­ten stehengeblieben.

Die sechs Tage ver­brachte ich anfangs in aus­ge­zeich­ne­ter Gesell­schaft von eini­gen wag­hal­si­gen Rad­lern, die die aben­teu­er­li­chen und hoch­ge­le­ge­nen Stra­ßen von Kasch­mir, Lad­akh und Hima­yal Pra­desh nicht schre­cken konn­ten; doch schließ­lich „fei­erte“ ich mut­ter­see­len­al­lein mei­nen 31. Geburts­tag. Ich las Hun­ter S. Thomp­sons „Rum Diary“ und „to have and to have not“ von Ernest Heming­way in einem Rutsch. Mehr Sym­bo­lik war kaum möglich.

Das aus­ge­zeich­nete Char­ras – von Hand zer­rie­be­nes Mari­huana -, das ich seit Manali mit mir her­um­trug und das meine Wan­de­run­gen ver­süßte, war auch nicht zu ver­ach­ten. Aller­dings hatte ich damit auch die Auf­merk­sam­keit des ört­li­chen Poli­zei­chefs auf mich gezo­gen, der sich regel­mä­ßig selbst in das Hotel zum Essen ein­lud und mich völ­lig distanz­los ver­ein­nahmte, bis es dem Hotel­ma­na­ger zu bunt wurde und er ein­dring­lich Respekt für sei­nen Gast ein­for­derte. Obwohl in Zans­kar fast aus­schließ­lich Bud­dhis­ten leben, wird die Region von Kar­gil aus ver­wal­tet und die Poli­zei besteht haupt­säch­lich aus Mus­li­men. Das sorgt immer wie­der für Spannungen.

Für den Rest an Sku­r­il­li­tät hatte die nahe Trink­halle besorgt, die auch gut und gerne in die Zei­ten der Proh­bi­tion in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­rika gepasst hätte. Bewaff­net mit Papier­tü­ten ver­ließ ich die Bar mit Stark­bier und kam mir vor wie ein rebel­li­scher und unver­bes­ser­li­cher Schwerstalkoholiker.

Was lag also näher als die nächste Wan­de­rung in Angriff zu nehmen?

Alles!

Meine Ent­schei­dung, wie­der zurück nach Lamayuru zu lau­fen, muss man anders ein­ord­nen: Trieb­fe­dern waren maß­lose Stur­heit, eine schwere Form von grenz­de­bi­ler Abgrund­ro­man­tik und/​oder toll­kühne Dummheit.

Durch Zufall erstand ich am letz­ten Tag vor mei­nem Auf­bruch eine Ban­dage, durch die sich das Knie end­lich wie­der halb­wegs gefes­tigt anfühlte. Rund lau­fen konnte ich trotz­dem nicht. Nun gab es Umstände, die ich mir trös­tend vor Augen hielt: mein Ruck­sack wog nicht mehr über 30 Kilo­gramm, son­dern höchs­tens 25. Ich konnte davon aus­ge­hen, dass ich unter­wegs Ver­pfle­gung fand und ich abwech­selnd im Zelt und in Unter­künf­ten über­nach­ten konnte. Denn die­ser Treck wird im Gegen­satz zu mei­nem vor­he­ri­gen häu­fig began­gen. Außer­dem hatte ich gehört, dass ich ab Lings­hed auf der Straße fah­ren könnte, soll­ten alle Stri­cke rei­ßen. Zwar war ich vom Stra­ßen­bau per­sön­lich wenig begeis­tert, da er der Stre­cke viel von ihrem Reiz nimmt, aber in die­sem Fall, schien mir die Straße als Ver­hei­ßung. Über­dies wäre ich wahr­schein­lich einer der Ers­ten, der sich eine Straße wün­schen würde, wenn ich so abge­le­gen woh­nen würde.
Dum­mer­weise erwie­sen sich beide Hoff­nungs­schim­mer im Hara­kiri als wenig belast­bar. Es gab zwar ver­ein­zelt die Mög­lich­keit, etwas zu essen auf­zu­trei­ben und ein paar wenige Tage fand ich auch ein Dach über dem Kopf, aber die Sai­son war fast zu Ende. Somit waren die meis­ten Zelte, die Ver­pfle­gungs- oder Über­nach­tungs­mög­lich­keit bie­ten, bereits ver­schwun­den, was mich häu­fig wie­der auf Zelt und Kochen zurückwarf.

 

Die Wan­de­rung

Am ers­ten Tag stellte ich ber­rascht fest, dass ich zumin­dest im größ­ten­teils ebe­nen Ter­rain bes­ser lau­fen konnte als befürch­tet. Auch der Ein­bruch der Nacht konnte mich nicht auf­hal­ten, ich wollte ein­fach nicht ste­hen­blei­ben. Am Ende hatte ich 40 Kilo­me­ter zurück­ge­legt und wurde erst auf den letz­ten Metern von einem Jeep mit­ge­nom­men. Im Haus des Fah­rers über­nach­tete ich auch schließ­lich. Impres­sio­nen vom ers­ten Tag der Wanderung:

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Kurz nach Ver­las­sen von Padum rückt das Klos­ter Kar­sha in den Fokus.

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Das Klos­ter thront über dem Dorf:

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Der Blick über das gegen­über­lie­gende Ufer des Zans­kars ist imposant:

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Der Sohn mei­ner Gastgeberfamilie:

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Die­sem Gewalt­marsch musste ich fortan Tri­but zol­len. Am Ende war es ein Durch­hal­te­wett­be­werb mit ver­ein­zel­ten Glücks­mo­men­ten, aber mehr von der Sorte, bei denen ich an mei­nem Rest­ver­stand zwei­felte und mich end­los quälte. Auf­grund mei­nes geschä­dig­ten Knies war ich viel zu lang­sam unter­wegs und so regel­mä­ßig in der Dun­kel­heit zu einem unbe­kann­ten Ziel unter­wegs. Auf der Tour erlebte ich alle Wet­ter­la­gen: Hitze, Stürme, eisige Kälte, Hagel und Schnee. Es galt drei hohe Pässe zu über­que­ren; der Sengge La ist mit 4960 Metern das größte Hindernis.

Beson­ders ein­drucks­voll war die Stre­cke direkt am Zans­kar-Fluss ent­lang. Im Win­ter friert der mäch­tige Strom für einige Wochen zu und wird dann von den Ein­hei­mi­schen für die Wan­de­rung nach Leh genutzt. Eine spek­ta­ku­läre, gefähr­li­che Wan­de­rung, die die Schul­kin­der mit ihren Ver­wand­ten unter­neh­men, um ihre Aus­bil­dung in Inter­na­ten in Leh zu beginnen.

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Zunächst nahm mich der Anblick des wei­ßen Yak in Anspruch. Doch dann tauchte die Ruine des eins­ti­gen Königs­pa­last von Zan­gla auf und es dau­erte nicht lange, bis ich den neuen Gas­sen­hauer: „wenn ich König von Zan­gla wär“ anstimmte.

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Unre­gel­mä­ßig durch­querte ich kleine Dörfer:

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Dann nahm mich wie­der der Anblick des Zans­kar gefangen:

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Dann ver­ließ ich end­gül­tig den Fluß und machte mich an die Über­que­rung des ers­ten Pas­ses. Ange­sichts des Tem­pos mit dem ich hoch­schlich, schwante mir Böses für die Tour.

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Begeg­nun­gen waren rar. Die ers­ten Tage lief ich par­al­lel mit einem fran­zö­si­schen Pär­chen, das mir mei­nen Zustand deut­lich vor Augen führte. Ich erreichte zwar das glei­che Tages­ziel, aller­dings kam ich Stun­den spä­ter an. Die rest­li­chen Begeg­nun­gen mit ande­ren Wan­de­rern lie­ßen sich an zwei Hän­den abzählen.

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Auch an mei­nem nächs­ten Ett­ap­pen­ort Snertse stan­den alle Zei­chen auf Auf­bruch. Die Ein­hei­mi­schen, die hier im Som­mer ihren Lebens­un­ter­halt mit Zelt­platz und Ver­pfle­gung ver­die­nen, kehr­ten für den Win­ter in tie­fere Lagen zurück.

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Es dau­erte nicht lange bis mich der nächste Pass for­derte. Von der Pass­höhe bot sich ein über­wäl­ti­gen­der Blick auf das seit tau­send Jah­ren bewohnte Dorf Lings­hed mit sei­nem Klos­ter. Es liegt ein­ge­bet­tet in eine atem­be­rau­bende Landschaft:

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Nach der Über­nach­tung in Lings­hed wan­derte ich über wei­tere Pässe zum Base­camp des Sengge La. Meine Hoff­nung auf eine Mit­fahr­ge­le­gen­heit erfüllte sich nicht. Zwar gibt es in der Tat inzwi­schen eine Straße, die auch bald Lings­hed errei­chen wird, aber auf ihr fuhr kaum ein Auto. Für mich hiel­ten sie nicht; bald ver­suchte ich es gar nicht mehr, son­dern trot­tete in mei­nem Fata­lis­mus dem tröst­li­chen Unter­gang ent­ge­gen. Die eisige Über­nach­tung auf 4500 Metern im Berg­schat­ten eines gigan­ti­schen Fel­sen, der bereits am frü­hen Nach­mit­tag die Sonne ver­schluckt hatte, bleibt unvergessen.

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Am nächs­ten Tag über­querte ich den Sengge La und quälte mich danach end­los durch ein lang­ge­zo­ge­nes Tal, bis ich Pho­tok­sar erreichte, des­sen Klos­ter ähn­lich spek­ta­ku­lär liegt, wie das in Lings­hed. Dort über­nach­tete ich in einem Gast­haus, des­sen Haus­herr ein for­mi­da­bler Trin­ker war und mich mit sei­nem Reis­wein betrun­ken machte. Es viel mir extrem schwer, mir vor­zu­stel­len, wie das Leben hier bei ‑30 Grad Cel­sius im Win­ter zu meis­tern ist.

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Meine Wan­de­rung wollte ein­fach kein Ende neh­men. Der nächste Tag, der nächste Pass. Ver­folgt von einem Unwet­ter erreichte ich wie­der in stock­dunk­ler Nacht das Dorf Hanu­pata. Ich fand erst mit eini­ger Mühe Unter­schlupf; meine Gast­ge­ber bewohn­ten offen­bar das erste Haus am Ort. Aller­dings zwang mich die Toch­ter vor­her meine dre­cki­gen Füße zu waschen; allzu ver­ständ­lich, zumal sie blu­te­ten. Eine assis­tierte Fuß­wa­schung war mir zuvor jeden­falls nicht vergönnt.

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Am Ende war ich neun Tage unter­wegs, die spär­li­chen Noti­zen spie­geln mei­nen kon­di­tio­nel­len und geis­ti­gen Zustand, und es wäre hilf­reich, einen Sprach­wis­sen­schaft­ler zur Ent­schlüs­se­lung hin­zu­zie­hen. Gegen Ende schleppte ich mich jeden Tag wei­ter, in der Hoff­nung end­lich eine Mit­fahr­ge­le­gen­heit zu fin­den, die nicht kom­men wollte. Erst kurz vor Wanla, dem letz­ten Etap­pen­ort vor Lamayuru, hatte das Schick­sal Gnade mit mir.

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Wer gerne mehr über diese Region erfah­ren will, dem emp­fehle ich den Bericht von mei­nem Grenz­gang von Lamayuru über den Kanji La nach Rang­dum. Darin liegt auch der Schlüs­sel für das tie­fere Ver­ständ­nis die­ser Wanderung:

Rei­se­de­pe­sche: Über den Kanji La von Lad­akh nach Zanskar

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