Reisen zum Nachdenken

Aber von vor­ne. Ich kom­me gera­de aus einem Pro­jekt. Ein ande­res Land, ande­re Sit­ten und eine kom­plett ande­re Kul­tur. Ich weiß zu dem Zeit­punkt nicht mehr wo für mich oben und unten ist. Ich bin fer­tig und freue mich auf mei­nen Urlaub oder bes­ser gesagt auf mei­ne ver­trags­freie Zeit. Das Stu­di­um liegt nicht zu lan­ge hin­ter mir und so rich­tig weiß ich nicht in wel­che Rich­tung ich gehen möch­te. Ich muss nach­den­ken. Drin­gend. Und die Idee einer Rei­se, so mit Ruck­sack und so, klingt ver­lo­ckend: »On the road« – auf mich gestellt. Viel Zeit für mich und mei­ne Gedan­ken. So grob liest sich mein Plan. Kurz­fris­tig buche ich einen Flug nach Bra­si­li­en. Flo­rianó­po­lis, die ers­te Sta­ti­on.

Regen in Florianópolis

Ein Freund aus dem Stu­di­um wohnt dort. Viel­leicht suche ich nach dem Leben und den Ver­bin­dun­gen aus dem Stu­di­um? Viel­leicht suche ich einen siche­ren, ers­ten Anlauf­punkt auf mei­ner »Back­pack­ing-Rei­se« ins Unbe­kann­te. Mein Rück­flug ist zwar auch schon gebucht, aber von Lima. Auf der ande­ren Sei­te des Kon­ti­nents. So unge­fähr fünf viel­leicht sechs Zen­ti­me­ter west­lich. Ver­dammt habe ich die­ses Mal die Distan­zen unter­schätzt. Anfän­ger­feh­ler oder ein­fach egal? Ich habe ja genau 100 Tage Zeit für mich und mei­ne Gedan­ken.

Gegen alle Erwartungen

Bra­si­li­en ist für mich genau das Gegen­teil mei­ner Erwar­tun­gen. Aus Strand­flair und Son­ne wer­den lan­ge neb­li­ge Tage, Regen und nur weni­ge Licht­bli­cke. Erst als ich nach 10 Tagen die Gren­ze zu Uru­gu­ay über­que­re kommt die Son­ne her­aus und so lang­sam setzt auch eine etwas ande­re inne­re Ruhe ein. Minu­ten zum Nach­den­ken hat­te ich bis­her nur über mich und mei­ne abso­lut neue Situa­ti­on. Auf mich allei­ne gestellt und noch vol­ler Auf­re­gung kämp­fe ich eher mit mir selbst. Der Plan, ein­fach über mei­ne Zukunft nach­zu­den­ken, ist noch in wei­ter Fer­ne. Aber ich habe ja noch Zeit – 90 Tage.

Buenos Aires

Gedankenspiele

In Bue­nos Aires gebe ich mei­nem Plan eine neue Chan­ce. Ich tref­fe eine ande­re Back­pa­cke­rin. Wir ver­ste­hen uns gut und unter­neh­men die Tage viel rund um die Stadt. Wir quat­schen viel und sie lässt sich ein wenig auf mei­ne Gedan­ken­spie­le ein. Aber schnel­ler als ich sehen kann, reist sie wei­ter und ich las­se mich getrie­ben von dem nächs­ten Ziel in den tie­fen, schnel­len »Rei­se­strom« fal­len und flie­ße im Dun­kel der Nacht aus Bue­nos Aires her­aus. Ich jage mei­ne neu­en kurz­fris­ti­gen Zie­le mit einem neu­en Ehr­geiz. So schnell wie mög­lich von A nach B, zwi­schen­durch noch C besu­chen. Fal­le von per­sön­li­chen Aben­teu­ern ins ande­re. Genie­ße die Zeit ohne Bin­dung, ohne Han­dy, mit ein­fa­chen Ver­ab­re­dun­gen, locke­ren »Rei­se­freund­schaf­ten« und den spon­ta­nen Ent­schei­dun­gen.

Busfahrplan

Mei­ne Zukunft kennt nur den Bus­fahr­plan für über­mor­gen, viel­leicht das Restau­rant für den Abend, sel­ten das Bett im Hos­tel am nächs­ten Ort. Auch als mein Ruck­sack sich ent­schei­det oder anders gesagt, sanft zu sei­nem eige­nem Glück gezwun­gen wird und eige­ne Wege geht, flie­ße ich wei­ter. Erst als Pla­s­tic-Bag-er, dann schnel­ler wie­der als Back­pa­cker.

Im Rausch

Mei­ne Zukunft defi­niert sich schnell ganz anders. Was ich nach der Rei­se machen möch­te, wel­che Rich­tung ich ein­schla­gen möch­te und was auch immer…nicht mehr wich­tig. Das hier und jetzt genie­ßen, die Sucht nach dem Neu­en befrie­di­gen. Erst Jah­re spä­ter mer­ke ich, dass die Rei­se wie auf Dro­gen gewe­sen sein muss. Die Dro­ge war viel­leicht die nächs­te »Sehens­wür­dig­keit«, die nächs­te ver­rück­te Akti­on, der wil­de Kick in der Höhe von Boli­vi­en, der rie­si­ge Abgrund am Col­ca Can­yon oder das ver­se­hent­li­che Tan­zen auf einer Stu­den­ten­de­mo in Chi­le. Ich kom­me sechs Jah­re spä­ter in die Regi­on zurück und kann mich an kaum etwas erin­nern. Wo war ich noch­mal genau in La Paz? Was hat­te ich in Sant­ia­go damals gemacht? Anschei­nend das Leben genos­sen und nicht nach­ge­dacht.

Sonnenuntergang in Peru

Die Kapitulation

Erst als ich die letz­te Bus­fahrt nach Lima antre­te, um dort den Flie­ger zu bestei­gen, der mich aus mei­ner Rei­se zurück in den All­tag kata­pul­tie­ren wird, wird mir klar, wie doof ich doch war. Ich habe den Flug nicht ver­scho­ben, um an einer aus heu­ti­ger Sicht unwich­ti­gen Uni-Ver­an­stal­tung teil­zu­neh­men. Mei­ne Zukunft nach der Rei­se so unge­wiss, wie zuvor. Kei­nen Gedan­ken ver­lo­ren an was danach? Oder viel­leicht doch? Die Job­in­ter­views von unter­wegs waren nur ein Vor­schmack auf das Leben zu Hau­se. Gefun­den habe ich am Ende nur die Gewiss­heit: auf Rei­sen kann ich kei­ne Zukunft pla­nen, nur die Gegen­wart erle­ben. Das wür­de viel­leicht erklä­ren, war­um ich immer wie­der ver­su­che, aus dem All­tag aus­zu­bre­chen. Bin ich viel­leicht Pla­ner im All­tag, aber lie­be doch irgend­wie das Unvor­her­seh­ba­re. Das darf nur kei­ner mer­ken 🙂

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Antwort

  1. Avatar von Florian135
    Florian135

    Ja das ist kei­ne schlech­te Idee. So einen Urlaub muss ich auch mal machen. Aktu­ell bin ich aber in Schen­na Süd­ti­rol 🙂

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