Sebastian und Leo stehen mit ihren Fahrrädern auf einer Sanddüne.

Eine neue Tagesroutine

Vom Him­mel brennt die Sonne auf uns nie­der, kein ein­zi­ges Plätz­chen Schat­ten ist zu ent­de­cken. Selbst der Wind, der uns sonst immer kühlt, macht gerade eine Pause. Mein T‑Shirt klebt nass an mei­nem Rücken. Seit vier Tagen fah­ren wir bereits mit dem Fahr­rad durch Viet­nam, immer ent­lang der Küste. Jeden Tag ist es heiß. Doch manch­mal erwischt uns der nach­mit­täg­li­che Mon­sun­schauer und schenkt uns eine Abkühlung.

Trotz der Hitze macht es Spaß, mit dem Fahr­rad durch Viet­nam zu fah­ren. Die Unab­hän­gig­keit, eigen­be­stimmt die Route und unsere Stopps zu wäh­len, genau das haben wir gebraucht. Es ist befrei­end, Dank unse­rer Vor­be­rei­tun­gen jetzt mit mini­ma­lem Gepäck unter­wegs zu sein und uns um wenig küm­mern zu müs­sen. Unsere Haupt­fra­gen des Tages sind: Haben wir genug Trink­was­ser? Was wer­den wir essen? Und: Wo wer­den wir heute Nacht schlafen?

Mitt­ler­weile haben wir eine neue Tages­rou­tine ent­wi­ckelt. Der Wecker klin­gelt um 6 Uhr. Wir ste­hen auf, zie­hen uns an und packen zusam­men. In den ers­ten zwei Tagen hat­ten wir noch etwas Brot im Gepäck. Mitt­ler­weile sind wir fürs Früh­stück auf die über­all erhält­li­che Phơ, Viet­nams berühmte Nudel­suppe, umge­stie­gen. Wenn wir gut in der Zeit sind, begin­nen wir um 7.30 Uhr mit dem Fahr­rad­fah­ren. Wenn wir es ruhi­ger ange­hen las­sen, erst um 9 Uhr.

Gegen 11 Uhr stop­pen wir für eine zweite Phơ, fah­ren noch zwei Stun­den wei­ter und suchen uns einen Platz fürs Mit­tag­essen. Hier ruhen wir uns bis min­des­tens 15 Uhr aus, danach ist die größte Mit­tags­hitze vor­über. Dann geht’s zum End­spurt und wir ver­su­chen, bis spä­tes­tens 17 Uhr unser Tages­ziel zu erreichen.

Nach­dem wir eine Unter­kunft gefun­den haben, sprin­gen wir unter die Dusche, waschen unsere Fahr­rad­kla­mot­ten, hän­gen sie zum Trock­nen auf, gehen Abend­essen und kom­men gegen 19 Uhr zurück ins Zim­mer. Meist haben wir dann Zeit, die Erleb­nisse des Tages auf­zu­schrei­ben, mit der Fami­lie zu chat­ten oder zu lesen. Wenn wir lange durch­hal­ten, machen wir um 21 Uhr tod­müde das Licht aus, manch­mal aber auch schon früher.

Leo isst eine Pho in einem kleinen Restaurant in Vietnam. Sebastian schiebt sein Fahrrad in Vietnam über eine mit Schlamm bedeckte Straße. Sebastian schläft in einer Hängematte.

Dra­chen­früchte

„Die­ses Gehupe, nerv­tö­tend!“ Sebas­tian fährt neben mir her. Dem kann ich nur zustim­men. Die Last­wa­gen auf Viet­nams Stra­ßen fas­zi­nie­ren uns von Anfang an, nie zuvor haben wir solch rie­sige Zug­ma­schi­nen gese­hen. Was uns aber über­haupt nicht gefällt, ist die eigent­lich nette gemeinte Geste ihrer Fah­rer, genau neben uns ohren­be­täu­bend zum Gruß zu hupen. Ich erschre­cke mich dabei regel­mä­ßig zu Tode und bin im Anschluss halb taub auf dem lin­ken Ohr.

Schon kurz hin­ter Viet­nams größ­ter Stadt Ho-Chi-Minh-City ändert sich das Stra­ßen­bild. Die Last­wa­gen blei­ben auf der Haupt­straße, wir bie­gen Rich­tung Küste ab. Muss­ten wir uns zuvor die Stra­ßen mit Last­wa­gen, Bus­sen, Autos und vie­len Motor­rol­lern tei­len, ist nun weni­ger los. Dafür sind die Stra­ßen aber auch nicht mehr in einem so guten Zustand. Doch uns ist es trotz­dem lie­ber so.

„Was ist denn das da hin­ten?“ Ich zeige auf kak­teen­ähn­li­che Gewächse. Auf einer Wiese ste­hen etwa ein­ein­halb Meter hohe Beton­pflö­cke in ordent­li­chen Rei­hen, kleine Pflan­zen ran­ken sich an ihnen hoch. „Das sind doch Dra­chen­früchte, oder nicht?“ Lei­der sind wir zu weit weg, um auf dem ein­ge­zäun­ten Gelände die Pflan­zen gut erken­nen zu kön­nen. Wir fah­ren weiter.

Doch bald schon hal­ten wir erneut, denn nun ste­hen die Pflan­zen genau neben der Straße. Tat­säch­lich, so also wach­sen Dra­chen­früchte! Ich habe sie in Deutsch­land als hübsch, aber geschmack­los ken­nen­ge­lernt. Ob sie hier bes­ser schmecken?

Als wir eine Stunde spä­ter in unse­ren Über­nach­tungs­ort Văn Kê ein­fah­ren, bemer­ken wir einen Dra­chen­frucht­stand am Stra­ßen­rand und hal­ten an. Von der Ver­käu­fe­rin ler­nen wir, dass die Dra­chen­früchte von außen fast gleich aus­se­hen, dass sie innen aber wei­ßes oder vio­let­tes Frucht­fleisch haben kön­nen. „Wel­ches schmeckt bes­ser?“ Sie ant­wor­tet ohne zu zögern: „Das pinke Frucht­fleisch!“ Des­halb sind diese Dra­chen­früchte auch etwas teu­rer. Wir kau­fen jeweils eine und machen abends den Test. Uns schme­cken beide Vari­an­ten gleich gut. Wir sind vor allem ver­blüfft, dass sie über­haupt so inten­siv und fruch­tig schme­cken können.

Eine Drachenfrucht-Plantage in Vietnam.

Sea­food dinner

In Văn Kê gestal­tet sich die Unter­kunfts­su­che als schwie­rig. Es ist Sams­tag und der viet­na­me­si­sche Natio­nal­fei­er­tag steht vor der Türe. Wir sind nicht die Ein­zi­gen, die an die­sen Tagen durchs Land rei­sen. Bei unse­rer ers­ten Wahl sind alle regu­lä­ren Zim­mer bereits ver­ge­ben. Im Hof drän­gen sich sechs wind­schiefe und löch­rige Iglu­zelte. Eines ist noch frei. Da sich der Him­mel schon durch die her­an­na­hen­den Mon­sun­wol­ken ver­dun­kelt, leh­nen wir jedoch ab und schwin­gen uns wie­der auf den Sat­tel. Unsere zweite Wahl ist ganz in der Nähe.

Mitt­ler­weile ist der Him­mel pech­schwarz. Bei der zwei­ten Unter­kunft gibt es zum Glück noch Kapa­zi­tä­ten. Uns wird ein umge­bau­ter Schiffs­con­tai­ner vor­ge­schla­gen, der auf der Längs­seite zum Meer hin ver­glast ist. Super, den neh­men wir! Es ist per­fek­tes Timing, denn gerade, als wir uns für den Wohn­con­tai­ner ent­schie­den haben, beginnt es aus Kübeln zu schüt­ten und das Licht geht aus. Strom­aus­fall. Da sind wir ja gerade recht­zei­tig ange­kom­men. Nach­dem wir unser Abend­pro­gramm – Duschen und Fahr­rad­kla­mot­ten waschen – bei schwin­den­dem Tages­licht been­det haben, mel­den sich unsere Mägen. Abendessenszeit!

Wir has­ten durch den Regen unter das zen­trale Vor­dach und fra­gen nach einem Restau­rant. Die anwe­sen­den Per­so­nen schauen uns rat­los an. Unsere Unter­kunft ist aus­ser­halb des Orts gele­gen, hier gibt es kein Restau­rant und noch immer reg­net es in Strö­men. „Please, sit down!“ Eine Frau deu­tet auf zwei Stühle am Tisch, auf dem bereits diverse damp­fende Scha­len ste­hen. „We are fri­ends of the owners. Please, eat with us!“

Über­ra­schend kom­men wir damit in den Genuss eines etwas ande­ren Abend­essens: Heute gibt es Mee­res­früchte und das heißt: aus­schließ­lich Mee­res­früchte! Rohe Gar­ne­len ste­hen neben Fischen, große Muscheln neben klei­nen Muscheln neben lan­gen Muscheln. Extrem tin­tige Tin­ten­fi­sche gibt es auch. Was soll ich hier nur essen? Sebas­tian freut sich über das Ange­bot, aber ich bin nicht so die Mee­res­früchte-Lieb­ha­be­rin. Immer­hin ent­de­cke ich gebra­tene Gar­ne­len und auf dem Bei­stell­tisch eine Fisch-Reis-Suppe. Damit werde auch ich satt. Die Tin­ten­fi­sche, Muscheln und Schne­cken über­lasse ich den anderen.

Gewitterwolken an der Küste Vietnams. Leo sitzt mit Vietnamesen am Abendessenstisch. Sebastian zeigt seine vom Tintenfisch schwarz gefärbte Zunge.

Dem Pau­sen­tag entgegen

Am nächs­ten Mor­gen klin­gelt unser Wecker um 6 Uhr. Bevor wir auf­bre­chen, sprin­gen wir heute erst ein­mal ins Meer. Wir haben mehr Zeit als an den vor­he­ri­gen Tagen, denn es lie­gen heute nur 47 Kilo­me­ter vor uns. Gar nicht so viel. Zudem haben wir einen zwei­ten Anreiz für diese Tages­etappe, denn wir fah­ren nach Mui Ne und machen mor­gen einen Tag Pause! Die erste nach fünf Tagen non­stop Radfahren.

Moti­viert schwin­gen wir uns nach unse­rer Früh­stücks-Phơ in den Sat­tel. Es ist viel los auf den Stra­ßen, denn heute ist der viet­na­me­si­sche Natio­nal­fei­er­tag. Fünf­köp­fige Fami­lien samt Gepäck tei­len sich einen Motor­rol­ler, andere sind ver­gleichs­weise unbe­la­den mit nur zwei Per­so­nen und einer Katze. Auch die darf schein­bar mit­kom­men in den Urlaub. Die Stim­mung ist gelöst, wir fah­ren an pick­ni­cken­den Fami­lien vor­bei, win­ken, wer­den um gemein­same Fotos gebe­ten und fah­ren nach einem Schwätz­chen weiter.

Trotz einer Tem­pe­ra­tur von 30 °C macht das Rad­fah­ren Spaß und wir kom­men gut voran. Bis auf ein­mal ein Anstieg vor uns erscheint. Jetzt spüre ich wie­der die Hitze des Asphalts, die unbarm­her­zig meine Beine zum Glü­hen bringt und die Sonne, die mir von oben auf den Rücken brennt. Waren wir bis­lang auf abso­lut fla­chen Stra­ßen unter­wegs, treibt mir jetzt eine Erhe­bung von 10 auf 85 Meter Höhe die Röte ins Gesicht und den Puls nach oben.

Als mich nach einer beschwing­ten Abfahrt der zweite Hügel des Tages von 5 auf 65 Meter hoch­zwingt, nähert sich meine Gesichts­farbe immer mehr mei­nem pin­ken T‑Shirt an. Wir machen eine Trink­pause. Doch dann fah­ren wir wei­ter. Egal, wenn es jetzt noch ein­mal anstren­gend wird – wir sind auf dem Weg nach Mui Ne und das heißt: Pau­sen­tag, wir kommen!

Leo steht mit ihrem Fahrrad auf einer Brücke in Ho-Chi-Minh-Stadt. Leo hält ein Mädchen auf dem Arm und wird von Vietnamesen fotografiert. Sebastian steht mit seinem Fahrrad am Rand einer Küstenstraße in Vietnam. Fischerboote am Strand von Vietnam.
Cate­go­riesViet­nam
Leo Sibeth & Sebastian Ohlert

Die beiden Wahl-Augsburger änderten im März 2017 ihr Leben: Jobs und Wohnung haben sie gekündigt, die Möbel verkauft und Persönliches in Kisten verpackt. Mit Bus und Bahn reisten sie 20 Monate lang über Land nach und durch Asien. Mit einem Containerschiff überquerten sie den Pazifik und erkunden nun Mittelamerika. Sie reisen möglichst nachhaltig, langsam und bewusst. Das Flugzeug ist dabei tabu! Wichtig sind ihnen Begegnungen mit Menschen und das Infragestellen ihrer eigenen Bilder und Stereotype.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert