La Morenada

Kennt ihr den Spie­le­klas­si­ker Frog­ger? Da geht es darum, einen Frosch über eine Straße zu manö­vrie­ren. Immer in der rich­ti­gen Sekunde vor­wärts gehen und Lücken suchen. Genau so fühle ich mich gerade. Würde es einen End­geg­ner geben, so wäre er der Ver­kehr in La Paz. Pures Chaos oder doch nicht? Viel­leicht gibt es ja ein Sys­tem und ich habe es ein­fach noch nicht ver­stan­den. Ich weiß nur, wenn ich auf die andere Seite möchte, so darf ich des Lebens nicht müde sein, son­dern hell wach! Jetzt und mit jedem Schritt hier in die­ser Stadt.

Kaktus

Ruhekultur

Es dau­ert nicht lange, da will ich eigent­lich auch schon wie­der raus aus der Stadt. So leben­dig, frisch und far­ben­froh die Stadt auch sein mag, ich brau­che schon nach nur einem vol­len Tag hier einen Tape­ten­wech­sel. Naja. Ich über­treibe viel­leicht auch. Ich will ein­fach nur nicht rum­sit­zen und auf pas­sive Akkli­ma­ti­sie­rung hof­fen. Chris­tian und ich wäh­len also die vor­ge­fer­tigte Tour „Tia­hua­naco“. Ein­fach bequem die Stadt ver­las­sen und etwas die Höhen­luft im Alti­plano, der boli­via­ni­schen Hoch­ebene, schnup­pern. Und ja, ich weiß, ich bin kein Fan von sol­chen Tou­ren. Vor­ge­kaut, Hos­tel zu Hos­tel Trans­port, Guide, fixes Pro­gramm und kein Lebens­ge­fühl auf­neh­men. Die Aus­rede heute: wir sind faul, es ist bil­li­ger und Kul­tur kommt spä­ter. Gekauft?

Tiahuanaco

Tia­hua­naco schreibt sich nicht nur viel­fäl­tig, wie zum Bei­spiel auch Tiwa­n­aku, son­dern es ist auch von viel­fäl­ti­ger Geschichte. Schon bevor die Inka die­ses Gebiet erreich­ten, sie­del­ten hier tau­sende Men­schen, die sich von Land­wirt­schaft mit aus­ge­klü­gel­ten Regen­was­ser­sys­te­men ernähr­ten. Tia­hua­naco war nicht nur das admi­nis­tra­tive Zen­trum der Epo­che von 1500 v. Chr. bis 1200 n. Chr. son­dern auch der Mit­tel­punkt von Reli­gion und Kul­tur. Viel davon ist nicht geblie­ben. Der Palast ist größ­ten­teils im Lehm zer­schmol­zen. Einige Mau­er­reste zeu­gen von der gro­ßen Kul­tur. Dabei ste­chen der ver­sun­kene Hof mit sei­nen Reli­efffi­gu­ren und das Son­nen­tor beson­ders her­vor. Wir haben mehr erwar­tet und sind etwas ent­täuscht von Tia­hua­naco. Zurück in La Paz las­sen wir uns in El Alto aus­set­zen. Mitt­ler­weile ist El Alto nicht mehr ein Stadt­teil von La Paz son­dern eine eigene Stadt. Das Chaos hier hat sich nicht ver­bes­sert. Mit kul­tu­rel­ler Ruhe ist es vorbei.

Tiahuanaco

Tanzkultur

Wir ste­hen direkt vor der neuen Seil­bahn „El Tele­fé­rico“. Um genauer zu sein, an der blauen Linie. Für eine Metro ist La Paz zu ber­gig, die Stra­ßen sind ver­stopft und so ist die Seil­bahn eine geniale Option. Die Bewoh­ner in La Paz und El Alto kön­nen nicht nur über ihre Stadt schwe­ben und den Ver­kehr ver­mei­den, son­dern es ist mit „El Tele­fé­rico“ auch eine Tou­ris­ten­at­trak­tion ent­stan­den. Im Ver­gleich zu den lau­ten Stra­ßen schwe­ben die moder­nen Kabi­nen über die Häu­ser und beför­dern Men­schen aller Natio­nen und Kulturen.

El Alto von oben

Durch die gezwun­gene „Enge“ kom­men wir sofort mit ande­ren Leu­ten ins Gespräch. Wir erfah­ren schnell mehr über die Märkte unter uns, wer­den selbst aus­ge­fragt und ich ver­su­che in mei­nem bes­ten Spa­nisch zu erklä­ren, dass La Paz ein ein­zig­ar­ti­ges Sys­tem hat und ich es genieße nicht in einen Wagen unter der Erde gepfercht zu sein. Chris­tian ver­lässt in der Tal­sta­tion die Bahn. Ich finde den Aus­blick so ein­zig­ar­tig und fahre wei­ter. Schon bald ent­de­cke ich in einem der Stra­ßen­züge einen Folk­lo­re­um­zug im Tanz­stil „La Morenada“.

La Morenada

Ohne Seil­bahn hätte ich sie nie ent­deckt, um Momente glück­li­cher springe ich an der nächs­ten Sta­tion aus der Gon­del und schlängle mich die Stra­ßen ent­lang, um der klei­nen Parade zu fol­gen. Ein lau­tes und far­ben­fro­hes Spek­ta­kel in den Hän­gen von La Paz. Autos und Busse wer­den zum Anhal­ten gezwun­gen. Poli­zis­ten auf Motor­rä­dern ver­su­chen das Chaos irgend­wie in den Griff zu bekom­men, aber die Parade läuft ein­fach wei­ter und begeis­tert seine Zuschauer.

La Morenada
La Morenada

Ich folge der Parade eine Weile bevor ich auf eine Treppe hin­un­ter zu der nächs­ten Seil­bahn­sta­tion abbiege. Und wie­der lande ich in einer lau­ten Ecke, dem Plaza Vil­larr­oel. Auf dem Platz tan­zen ver­schie­dene Grup­pen zu laut pochen­der Musik, die Düfte des „Food Fes­ti­vals“ lie­gen über den gan­zen Platz und auf einer Bühne stellt eine Band ihr Kön­nen vor. Auf einer klei­nen erhöh­ten Platt­form ste­hen Kin­der und las­sen ihre Dra­chen in den Him­mel stei­gen. Ich traue mich fast gar nicht, vor­bei zu lau­fen. Die dün­nen Angel­schnüre sind ein­fach unsicht­bar und so kommt es, dass ich einen Dra­chen ins Strau­cheln bringe. Ich befreie mich gerade noch recht­zei­tig und werde von dem Kind nur ange­lä­chelt. Ich bin anschei­nend nicht der ein­zige, der hier im wahrs­ten Sinne des Wor­tes hän­gen bleibt.

Drachen an Himmel

Ich starre in den Him­mel und meine Bli­cke fol­gen ver­träumt den Dra­chen. Nur schwer kann ich mich los rei­ßen. Aber mein Magen knurrt und so gehe ich Chris­tian suchen. Meine Gedan­ken und auch ich fin­den zurück in die wusse­lige Stadt.

Wanderkultur

Der nächste Tag erwacht und ich muss alleine los­zie­hen. Chris­tian hat sich ver­ges­sen. Also irgend­was geges­sen und mit etwas Pech etwas magen­feind­li­ches abbe­kom­men. Mir geht es soweit gut und so ziehe ich los, dem Teu­fel den Zahn zu zie­hen. Zum ers­ten Mal seit dem ich La Paz kenne, fahre ich mit einem Mini­bus in die „Zone Sur“ und wei­ter bis Ped­re­gal. Von dort aus wan­dere ich steil die Hänge in Rich­tung Süden hin­auf und folge der Straße bis zum „Muela del Dia­blo“. Wie ein gro­ßer Zahn ragt er aus dem Fels und erin­nert die Leute mit sei­nem Aus­se­hen an den Zahn des Teu­fels. Ich ver­su­che ein Stück den Fels zu bestei­gen, bre­che den Ver­such aber schnell ab. Kno­chen will ich mir nicht bre­chen. Auch die Idee, auf der ande­ren Seite „ein­fach“ abzu­stei­gen, lasse ich schnell fal­len. Ein paar Poli­zis­ten auf Streif­fahrt raten mir ab. Es sei ein­fach nur steil und rutschig.

Muela del Diablo
Tal bei La Paz

So folge ich der Straße bis zu ihrem Ende. Immer mit dem Rücken zum „Muela del Dia­blo“ und zur rech­ten La Paz in den Hän­gen und auf dem Pla­teau El Alto. Die Straße endet in einer wil­den Ansamm­lung aus Gegen­stän­den und Ästen, die die Wei­ter­fahrt ver­hin­dern. Aber ich passe durch und stehe auf der alten ver­fal­le­nen Straße nach Lipari. Die schleicht sanft den Berg auf sei­nem Grat hin­un­ter. Mit dem Blick auf die kar­gen „Hügel“ im Osten und auf das des „Río de La Paz“, dem Fluss im Tal. Die Straße ist an man­chen Stel­len aus­ge­wa­schen und die vie­len Ser­pen­ti­nen las­sen mein Ziel zu nah erschei­nen. Aber heute ist für mich der Weg das Ziel. Ich genieße die Ruhe und den son­ni­gen Tag.

Straßen von La Paz

In Lipari ist es mit der Ruhe wie­der vor­bei. Schon von der Ferne aus höre ich den Fluss tosen. Ich winke einen Mini­bus heran und fahre zurück nach La Paz. Oh Gott, was für ein Chaos hier!

Expedition 6000+

Die­ser Arti­kel ist Teil mei­ner Serie „Expe­di­tion 6000+. Sie führt zwei Monate durch die schöns­ten Wan­der­re­gio­nen Süd­ame­ri­kas von Pata­gio­nen, Boli­vien bis zum höchs­ten Punkt der Reise, dem Acon­ca­gua in Argen­ti­nen. Folge der Reise und genieße die wei­ten Land­schaf­ten, hohe Berge und die abwechs­lungs­rei­che Kul­tu­ren Südamerikas.

Mehr Infor­ma­tio­nen zum Weg, den der Anreise und der nöti­gen Aus­rüs­tung fin­det ihr hier.

Cate­go­riesBoli­vien
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Dominik Mohr

Dominik folgt seinem Schatten durch die Welt. In einem minimalistischen und einfachen Reisestil wird man von ihm um die Welt geführt und einmal beschleunigt, geht es dann immer weiter. Meist geht die Tour an abgelegene Orte und bringt das tägliche Leben und die Hürden der Menschen näher.
Ausgefallene und teilweise auch ungewöhnliche Reiseziele rund um Afrika und den Nahen Osten stehen vereinzelten Reisezielen in den beliebten Gegenden entgegen und zeigen den Kontrast der Welten und der Natur.

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