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A truly uni­que Cali­for­nia experience!

Diese Gedan­ken resul­tie­ren aus mei­nem kur­zen Auf­ent­halt in Kali­for­nien im Früh­som­mer. Von die­sem voll­ge­pack­ten Trip ins Sili­con Val­ley, der Mate­rial für 100 Geschich­ten lie­ferte. Eine davon han­delt von Sehn­sucht. Und dem Santa Cruz Boardwalk.

Die Story ist schwer zu erzäh­len, da sie kaum greif­bar ist. Sie han­delt von etwas Abs­trak­tem. Von einem Gefühl, das in mir auf­fla­ckerte, als ich über den Santa Cruz Board­walk streifte und emp­fäng­lich wurde. Die bit­ter­süße Melan­cho­lie auf­kei­men­der Sehn­sucht umwehte mich. Klingt zuge­ge­be­ner­ma­ßen arg dra­ma­tisch, dabei fühlte ich mich wohl in die­sem Zustand. Doch wonach sehnte ich hier, an der höl­zer­nen Strand­pro­me­nade? Ich hielt inne, blickte auf den Ozean, wie er in der grel­len Sonne tau­send­fach glit­zerte. Hin­ter mir rat­terte die Ach­ter­bahn. Der Wind blies mir sal­zig-scharf ins Gesicht, so wie man es kennt am Meer. Doch die Ant­wort auf meine Frage trug er mir nicht zu.

Gibt es die Quint­essenz Kaliforniens?

Irgend­et­was schwang hier mit. Ein mäch­ti­ger Sub­text lag zwi­schen Roll­er­girls, Surf­er­du­des und brut­zeln­den Trut­hahn­keu­len. Offen­barte sich hier womög­lich die Quint­essenz Kali­for­ni­ens? Join us for a truly uni­que Cali­for­nia expe­ri­ence, stand schließ­lich am Eingang.

Ich war fas­zi­niert von dem Gedan­ken. Dass das über­haupt mög­lich war: Die Ver­dich­tung sämt­li­cher Asso­zia­tio­nen, Ideen und Kon­zepte über Kali­for­nien in die­ser einen Szene. Spe­zi­fi­scher wur­den meine Gedan­ken nicht in die­sem Moment, was auch daran lag, dass ich ihnen kaum Raum lies: Ich war in einer Gruppe von Rei­se­blog­gern unter­wegs und wir hat­ten hier selbst­ver­ständ­lich eine „gute Zeit“ zusam­men, was ja in Ame­rika immer ange­strebt wird.

Der Santa Cruz Board­walk ist eine Fla­nier­pro­me­nade am Strand. Das Rie­sen­rad dreht sich das ganze Jahr über, weil die Sonne hier nie­mals Pause macht. Und wäh­rend wir Shock­wave, Crazy Surf und Sky­gli­der tes­te­ten, wuchs in mir der Gedanke: Hier lag ein Sehn­suchts­ort, auf­ge­la­den mit kraft­vol­len Asso­zia­tio­nen. Erst mit etwas Abstand dachte ich, dass ich viel­leicht Fern­weh hatte. Fern­weh nach dem Ort an dem ich mich befand.

Kali­for­nien, eher Lebens­ge­fühl als Desti­na­tion? War das also mein Thema? Dann müsste man mal über­le­gen, was drin steckt in die­sem Begriff, Lebens­ge­fühl, von dem wir Deut­schen gerne behaup­ten, dass es in ande­ren Län­dern auf­zu­spü­ren sei. Ein­mal das Lebens­ge­fühl des Suns­hine State erle­ben, so wür­den es die Rei­se­ka­ta­loge formulieren.

Doch eine Geschichte über ein Gefühl ist eine Geschichte ohne Hand­lung. Ohne Anfang und Ende. Ohne Prot­ago­nis­ten. Wie ist sowas über­haupt zu erzäh­len? Ich könnte jetzt ein paar Adjek­tive anein­an­der­rei­hen: Mensch, Kali­for­nien war hip, sexy, läs­sig, {setze hier posi­tiv besetztes/​arg all­ge­mei­nes Adjek­tiv ein}. Die sit­zen jetzt vorne auf der Zunge, aber brin­gen nie­man­den wei­ter. Wie war’s im Urlaub? Cool.

Viel­leicht hilft es, das Thema mal ganz ratio­nal auf­zu­drö­seln. Woher kommt die Strahl­kraft Kali­for­ni­ens denn nun?

Aus sei­ner Geschichte!

Die­ser Mythos vom son­ni­gen Kali­for­nien als Land der Ver­hei­ßung kommt gewiss nicht Hokus­po­kus-mäßig aus dem Nichts. Er ist „his­to­risch gewach­sen“, und das auf den unter­schied­lichs­ten Fun­da­men­ten. Man kann das Geschichts­buch weit vorne auf­schla­gen, um Kali­for­ni­ens beson­dere Stel­lung in Nord­ame­rika nach­zu­voll­zie­hen. Schon Her­nan Cor­tés, der Erobe­rer Mexi­kos, hatte ein Auge auf Kali­for­nien gewor­fen, bevor es vom Por­tu­gie­sen Juan Cabrillo im Jahre 1542 bean­sprucht wurde. Die­ses wun­der­volle Land im Nord­wes­ten, wo es Ama­zo­nen und Edel­steine im Über­fluss geben sollte, reizte ihn.

An Sym­bo­lik kaum zu top­pen war jedoch der Gold­rausch Mitte des 19. Jahr­hun­derts: James W. Mar­shall ent­deckt ein paar Stück­chen Gold im Fluß, was eine Migra­ti­ons­welle unge­ahn­ten Aus­ma­ßes nach sich zog. Nur 4 Jahre spä­ter war die Bevöl­ke­rung um das 16-fache gestie­gen. Man kann das als Start­schuss sehen für ein Image, das Kali­for­nien bis heute anhaf­tet: Hier liegt das Glück begra­ben. Jeder kann es fin­den, unab­hän­gig von der eige­nen Vorgeschichte.

Wäh­rend der gro­ßen Depres­sion und der Dür­re­jahre in den 1930ern waren die Oran­gen das Gold. Ver­schul­dete Far­mer zogen hoff­nungs­froh über die Route 66 nach Kali­for­nien, wo die Erde noch frucht­bar war. Doch sie fan­den in Kali­for­nien vor allem eins: Aus­beu­tung. John Stein­beck hat diese zer­mür­bende Reise in sei­nem Roman Früchte des Zorns (The Gra­pes of Wrath) ein­drucks­voll beschrie­ben – ein Werk, das wegen sei­ner Sys­tem­kri­tik wie kein ande­res von der poli­tisch Rech­ten ange­fein­det wurde. Denn was ja auch mit­schwingt und im gegen­wär­ti­gen Ame­rika-Dis­kurs brand­ak­tu­ell ist: Der ame­ri­ka­ni­sche Traum ist nicht für alle. Damals wie heute fin­den viele hoff­nungs­froh auf­ge­bro­chene Men­schen in Kali­for­nien ein böses erwachen.

Aus der Gegenwart!

Die Hoff­nung zieht die Men­schen immer noch nach Kali­for­nien. Das ist wohl der kleinste gemein­same Nen­ner, denn es sind Men­schen mit den unter­schied­lichs­ten Hin­ter­grün­den, die eine Ver­bes­se­rung ihres Sta­tus Quo mit Kali­for­nien verknüpfen.

Auf der einen Seite die mit­tel­lo­sen Migran­ten aus Latein­ame­rika. Die ohne Papiere kom­men und hier ein Leben ohne Rechte füh­ren. Sie müs­sen im Schat­ten blei­ben: Kri­mi­nal­ta­ten kön­nen sie nicht anzei­gen, zum Arzt gehen geht auch nicht: Muss man den Aus­weis zei­gen, droht die Abschiebung.

Am ande­ren Ende der Skala sind die­je­ni­gen, die unter allen Umstän­den aus dem Schat­ten her­vor­tre­ten möch­ten. Die nach Kali­for­nien kom­men, obwohl es ihnen zuhause schon ver­hält­nis­mä­ßig gut geht. Zur Selbst­ver­wirk­li­chung. If you can make it there, you can make it any­where, gilt für Kali­for­nien genauso wie für New York. Schau­spie­ler, Models und neu­er­dings auch Tech-Nerds: Wer „es machen“ will, kommt hier­her. Der Mythos hat sich bis heute gehal­ten, Kali­for­nien kann dein Leben ver­än­dern. Noch mehr: hier kannst du dich kom­plett neu erfin­den und in einem ein­zi­gen Leben vom Body­Buil­der zum Ter­mi­na­tor und schließ­lich zum Gou­ver­nour werden.

Wegen der Popkultur!

Kaum ein Ort die­ser Welt wird so oft besun­gen, gefilmt oder ander­wei­tig kul­tu­rell insze­niert wie Kali­for­nien! Meine These: Jeder kann spon­tan min­des­tens 5 Songs auf­sa­gen, die von Kali­for­nien als Sehn­suchts­ort han­deln. Man kann die Liste mit Songs über Kali­for­nien minu­ten­lang her­un­ter­scrol­len, so lang ist die. Kali­for­nien funk­tio­niert offen­sicht­lich genreübergreifend.

Gangs­ter-Rap­per, Metal­heads und Coun­try-Sän­ger schei­nen sich einig, Kali­for­nien hat von allem das Beste: Wetter!Wellen!Girls!Beats!Partys!

I know a place | Where the grass is really gree­ner | Warm, wet and wild | There must be some­thing in the water.“ (Katy Perry, Cali­for­nia Gurls).

Musik öff­net ohne­hin sämt­li­che Zugänge zur Seele. Wenn nun jedes zweite Lied von der Schön­heit Kali­for­ni­ens han­delt, sickert diese Bot­schaft ste­tig ins Unter­be­wusst­sein. Mit Fil­men ist das ähn­lich: ich würde mal behaup­ten, dass 90% der Filme, die ich schaue, made in Hol­ly­wood sind und viele davon wie­derum in Kali­for­nien spie­len. Auch wenn das nicht immer Feel-Good-Movies sind, allein die Omni­prä­senz eines Schau­plat­zes sug­ge­riert doch, dass er irgend­wie beson­ders sein muss.

Cali /​ For­ni­ca­tion

Eine Bot­schaft hat mir mein US-las­ti­ger Medi­en­kon­sum kon­ti­nu­ier­lich ein­ge­häm­mert: Kali­for­nien = Frei­zü­gig­keit. Hier geht alles. Sämt­li­che hedo­nis­ti­sche Phan­ta­sien las­sen sich an die Strände der West­co­ast pro­ji­zie­ren. Viel­leicht hat es mit Bay­watch ange­fan­gen, die­sen hane­bü­chen kon­stru­ier­ten Geschich­ten rund um die Ret­tungs­schwim­mer von Malibu, erson­nen nur um immer wie­der die wirk­lich wich­ti­gen Sze­nen unter­zu­brin­gen: Zeit­lu­pen­auf­nah­men von ins Was­ser ren­nen­den Super­kör­pern, inklu­sive tol­ler Nah­auf­nah­men von Brüs­ten und Waschbrettern.

Ein moder­ne­res Bei­spiel ist Cali­for­ni­ca­tion, die TV-Serie über den Schrift­stel­ler Hank Moody, der gar nicht anders kann, als den Ver­lo­ckun­gen der stets ver­füg­ba­ren Girls in der Hitze von LA zu erlie­gen. Dabei immer ein Thema: die so inhalts­leere Gla­mour­welt, ihre abstrus-sku­r­il­len Gestal­ten und die Melan­cho­lie ver­geb­li­cher Sinn­su­che. Gelun­ge­nes Wort­spiel übri­gens aus Cali­for­nia und For­ni­ca­tion (Unzucht, Ehebruch).

„I drown in a sea of point­less pussy. I don’t know how I got here. But here I am, rot­ting away in the warm Cali­for­nia sun.“ (Hank Moody, Californication)

Die Beach Boys bie­ten den Sound­track Kali­for­ni­ens: deren Song Cali­for­nia Girls ist prak­tisch ein „Kata­log ame­ri­ka­ni­scher Män­ner­phan­ta­sien, der den natio­na­len und ero­ti­schen Dis­kurs ver­knüpft.“ Die Aus­sage des Songs: über­all in den USA haben die „Girls“ beson­dere Qua­li­tä­ten, aber alle soll­ten in den „ent­spann­ten Traum von Strand, Pal­men und Biki­nis inte­griert wer­den.“ (Quelle: Flo­rian Nied­lich. Facet­ten der Pop­kul­tur – Über die ästhe­ti­sche und poli­ti­sche Kraft des Popu­lä­ren, Tran­script, 2012). 

I wish they all could be Cali­for­nia Girls (Cali­for­nia Girls, Beach Boys).

It’s a spe­cial place!

Kali­for­nien ist ein Pro­dukt. Eine Marke. Viel­leicht ist es auch wie­der sym­bo­lisch, dass es geo­gra­phisch den west­lichs­ten Zip­fel der Welt besetzt und gleich­zei­tig den Gip­fel der damit ver­knüpf­ten Werte und Ideo­lo­gien mar­kiert. Man trifft hier Men­schen, die sich selbst als Pro­dukt begrei­fen, bei denen Selbst­ver­mark­tung und Per­sön­lich­keit zu einer nicht mehr trenn­ba­ren Ein­heit zerfließen.

It’s the edge of the world and all of wes­tern civi­liza­tion. The sun may rise in the East at least it sett­les in the final loca­tion. It’s unders­tood that Hol­ly­wood sells Californication.

(Red Hot Chili Pep­pers – Californication)

Der Bun­des­staat ist das wirt­schaft­li­che „Power­house“ der USA: Wäre Kali­for­nien ein unab­hän­gi­ger Ein­zel­staat, wäre er die fünft­größte Wirt­schafts­macht der Welt. Aber er nimmt auch eine ideo­lo­gi­sche Son­der­stel­lung ein: Hier ist das moderne Ame­rika, das den Blick nach vorne rich­tet. Den Plu­ra­li­täts­ge­dan­ken, auf dem die USA gegrün­det wur­den, haben sie hier tief in das Wer­te­sys­tem inte­griert. In San Fran­cisco wähl­ten nicht ein­mal 10% der Men­schen Trump. Und so posi­tio­niert man sich offen­siv als Gegen­pol zur Iso­la­ti­ons­po­li­tik, wie sie neu­er­dings im Wei­ßen Haus betrie­ben wird. Direkt am Mor­gen nach der Wahl­nacht gaben Senats­vor­sit­zen­der Kevin de León und sein Kol­lege im Abge­ord­ne­ten­haus, Anthony Ren­don, fol­gende Erklä­rung heraus:

„Heute mor­gen sind wir mit dem Gefühl auf­ge­wacht, Fremde im eige­nen Land zu sein. Denn ges­tern haben US-Bür­ger Ansich­ten über eine plu­ra­lis­ti­sche und demo­kra­ti­sche Gesell­schaft aus­ge­drückt, die abso­lut unver­ein­bar mit den Wer­ten der Kali­for­nier sind.“ 

(Quelle: Deutsch­land­funk Kul­tur)

Wie war er denn nun, mein Tag am Santa Cruz Boardwalk?

Zurück zum Santa Cruz Board­walk. Zurück zur Melan­cho­lie. Die Frage war jetzt: Was braucht es, für ein sol­ches Sehn­suchts­ge­fühl, wie ich es emp­fun­den habe? Das Meer und sein Rau­schen? Eine gewisse Anord­nung der Dinge? Ästhe­tik? Ich fürchte nicht. Es war per­sön­li­cher. Ich war pro­duk­tiv an die­sem Pro­zess betei­ligt. Erst durch mein Zutun wurde die Umge­bung, so wie sie sich dar­bot, zu einem Sehnsuchtsort.

Erst als das Licht sanf­ter und die Schat­ten län­ger wur­den ver­lie­ßen wir den Ort. Wir fuh­ren nach Capi­tola, um dort im fei­nen Shadow­brook-Restau­rant Essen zu gehen. Ein ange­mes­se­ner Aus­klang für die­sen beson­de­ren Tag. Ich zog mir im Auto mein schnee­wei­ßes Hemd über, dem Anlass ent­spre­chend. Da saßen wir nun bei­sam­men, mein Gesicht rot von der Sonne, das Herz ent­flammt von den Ereignissen.

Chris­tina, die Reprä­sen­tan­tin von Santa Cruz Tou­ris­mus war extra gekom­men. Sie wandte sich als Ers­tes an mich: „So, how was your day at the Santa Cruz Board­walk, Ste­fan?“ –  „Oh, it was fan­ta­stic!“, sagte ich. Das war kein Small-Talk, ich meinte es genau so. Es war in mei­nen Augen abzulesen.

Vie­len Dank an die Luft­hansa und an das Team von Visit San José für die Ein­la­dung und die super Orga­ni­sa­tion der Reise! 

Cate­go­riesUSA

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