Siebenbürgen – im Land der großen Bären

Rund 6.000 Braun­bä­ren durch­strei­fen hier das Gebir­ge – nir­gend­wo sonst in Euro­pa ist die Chan­ce so groß das Tier zu tref­fen, das kei­nen Feind fürch­ten muss außer dem Men­schen. In mei­nem Fall fürch­tet der Mensch den Bären ungleich mehr als anders her­um: Seit ich mei­nen ers­ten Bären vor 20 Jah­ren in Kana­da traf – ich über­nach­te­te in einer Holz­hüt­te, hat­te lecke­re gekocht, und er woll­te rein und mit­fut­tern – habe ich eine gewis­se Bären­pho­bie. Kei­ne gute Vor­aus­set­zung, um eine Wan­de­rung in den Sie­ben­bür­ger Wäl­dern genie­ßen zu kön­nen.

 

 

Dabei sind die rumä­ni­schen Kar­pa­ten ein gran­dio­ses Wan­der­ge­biet: End­lo­se Wäl­der, tie­fe Schluch­ten und immer wie­der bewirt­schaf­te­te Hüt­ten – Caba­nas – geben ein alpi­nes Fee­ling in unter­schied­li­chen Schwie­rig­keits­gra­den – und hier eben inklu­si­ve Aben­teu­er­fak­tor Bären.

Bärenjagd – ein großes Geschäft

Kei­ne Fra­ge: Die Kar­pa­ten sind ein idea­ler Lebens­raum für Bären. Aber dass es hier noch so vie­le gibt, hat auch his­to­ri­sche Grün­de: Der 1989 gestürz­te Dik­ta­tor Nico­lae Ceau­ses­cu war ein pas­sio­nier­ter Bären­jä­ger. Er ließ die Popu­la­ti­on anstei­gen, um all­zeit gute Abschuss­quo­ten garan­tie­ren zu kön­nen, wenn er mit Freun­den oder befreun­de­ten Poli­ti­kern auf die Pirsch ging. In den 1980er Jah­ren soll die Bären­po­pu­la­ti­on in Rumä­ni­en zwan­zig Mal so hoch gewe­sen sein wie die auf einer ver­gleich­ba­ren Flä­che im US-ame­ri­ka­ni­schen Yel­low­stone Park. Aber auch nach Ceau­ses­cu war die Bären­jagd ein Big Busi­ness im wirt­schaft­lich eher schwa­chen Rumä­ni­en: Rund 10.000 Euro zahl­ten Hob­by-Groß­wild­jä­ger für das ganz gro­ße Aben­teu­er Bären­jagd. Lan­ge galt: Ein toter Bär bringt Geld, ein leben­di­ger Bär bringt bes­ten­falls Ärger. Das wol­len Umwelt­schüt­zer umdre­hen: Sie pro­pa­gie­ren Bären­be­ob­ach­tun­gen als tou­ris­ti­sches Event. Rumä­ni­en soll mit einer intak­ten, kon­trol­lier­ten Bären­po­pu­la­ti­on ein Zen­trum des Öko­tou­ris­mus wer­den.

Das wol­len wir auch machen. Her­man Kur­mes, Sie­ben­bür­ger Sach­se, Wan­der­füh­rer, Natur­ak­ti­vist und Besit­zer der Vil­la Her­ma­ni in Magu­ra, in der wir Sta­ti­on gemacht haben, will uns eine Tour orga­ni­sie­ren. 45 Euro, Aben­teu­er­zeit­raum sind die frü­hen Mor­gen- und Abend­stun­den, wenn der Bär unter­wegs ist. „Da pas­siert nix“, beru­higt er mich.

Auf Bärenpirsch

Her­mann gabelt uns auf an der Mol-Tank­stel­le an der Aus­fahrt­stra­ße von Bra­sov. Als er kommt, sind die Jeeps schon gut besetzt: Vier bri­ti­sche Pär­chen und zwei Frau­en aus Hong­kong – alle bereit für Bären-Shoo­ting mit der Kame­ra. Wir fah­ren zu einem Park­platz im Natio­nal­park, um den Ran­ger zu tref­fen, der uns füh­ren soll. Aber der lässt auf sich war­ten. Als er nach einer hal­ben Stun­de kommt, ist er sicht­bar müde: In der letz­ten Nacht hat er einen jun­gen Bären gejagt, der sich in der Bra­so­ver Fuß­gän­ger­zo­ne ver­lau­fen hat­te. Das pas­siert immer mal wie­der, erzählt er. Dann muss der Ein­dring­ling betäubt und in sei­ne Welt zurück­trans­por­tiert wer­den.
Ande­re Rumä­ni­en-Rei­sen­de haben mir erzählt, dass die Ran­ger immer ein Gewehr bei sol­chen Tou­ren dabei haben – für alle Fäl­le. Unse­rer hat keins. Er ermahnt uns zu abso­lu­ter Ruhe und wir stap­fen los in den tie­fen Wald, durch Schlamm – es hat in die ver­gan­ge­nen Tage stark gereg­net. Ein lei­ser Schrei: die Frau aus Hong­kong ist mit ihren Flip-Flops im Matsch ste­cken geblie­ben. An einer Trep­pe bedeu­tet uns der Ran­ger wei­ter zu gehen und schlägt sich in die Büsche. Her­man kennt den Weg. Es geht steil berg­auf. Plötz­lich stoppt die Trup­pe: Rie­si­ge Bären­spu­ren auf unse­rem Weg. „Ganz frisch“ flüs­tert Her­man.

 

 

End­lich taucht die Hüt­te auf. Da will ich hin – so schnell wie mög­lich. Ich setz­te mich an die Spit­ze der Trup­pe. Und da ist er: 150 Meter vor mir steht ein Bär. Ihm folgt ein zwei­ter. Die Bären –Tou­ris mur­meln begeis­tert. Ich has­te in die Hüt­te, und las­se mich etwas atem­los auf eine der drei Bän­ke fal­len.

Die bei­den Bären trot­ten über die 50 Meter ent­fern­te Lich­tung und schnüf­feln an den gro­ßen Baum­stümp­fen, in denen der Ran­ger ein paar Lecke­rei­en ver­steckt hat. Die Lecker­lies – Obst, Kek­se und ein eine Honig­la­che – sol­len sie anlo­cken, aber nicht satt machen, hat Her­man auf der Hin­fahrt erklärt. Es wird wild foto­gra­fiert. Das Fens­ter ist noch offen. Die Bären schre­cken auf: sie haben etwas gehört. Der Ran­ger gibt mir Zei­chen, das Fens­ter zu schlie­ßen. Es macht lei­se „Klack“ – und weg sind die Bären. „Die sind nicht weg“ mur­melt Her­man. „Die beob­ach­ten jetzt erst mal, ob der Platz sicher ist.“ Wir war­ten. Nach 30 Minu­ten plötz­lich ein brum­men­des Geräusch. Ich bin sicher: Da steht ein Bär direkt vor der Hüt­ten­tür. Aber es ist nur eine Eng­län­de­rin, die ein­ge­nickt ist und gleich­mä­ßig schnarcht.

Nach einer drei­vier­tel Stun­de kom­men die bei­den Bären wie­der. Sie sind noch jung und offen­bar toll­kühn und begin­nen den Baum­stamm aus­ein­an­der zu neh­men. Nach zehn Minu­ten dann trot­tet ein sehr gro­ßer Bär den Hang her­un­ter. Der Ran­ger kennt ihn: Eins der stärks­ten Männ­chen im Wald, ca. 250 Kilo Lebend­ge­wicht. Die Tee­nie-Bären zie­hen sich zurück. Aber der Chef scheint fried­lich. Er küm­mert sich nicht um sie. Damit ist die Lich­tung offen­bar offi­zi­ell eröff­net. Bis zu sechs Bären tum­meln sich dort gleich­zei­tig, fres­sen, klet­tern auf den Stäm­men her­um, strei­chen über den Platz, ver­schwin­den im Wald, um dann doch noch mal wie­der zu kom­men. Ich begin­ne das Aben­teu­er zu genie­ßen. Bären sind Ein­zel­gän­ger. Sie tre­ten eigent­lich nicht in Grup­pen auf. Aber hier haben sie ein gemein­sa­mes Inter­es­se: Lecker­lies. Dafür neh­men sie die unge­wohn­te Gesell­schaft in Kauf. Also nicht ganz wil­de, rei­ne Natur, aber ver­dammt nah dran.

Eine Stun­de ver­geht wie im Flug. Der Ran­ger winkt uns: Wir müs­sen gehen – die Bären blei­ben noch. Ich schwe­be durch den Matsch zurück, sechs (oder mehr) Bären im Rücken, die mir gehö­ri­gen Respekt ein­flö­ßen, aber mei­ne Angst ist weg.

Libearty – Schutzgebiet für gequälte Bären

Wir fah­ren Rich­tung Zär­nest, um Cris­ti­na Lapis zu tref­fen. Sie hat dort vor 20 Jah­ren ein Bären­schutz­ge­biet ein­ge­rich­tet – ein Sanc­tua­ry, ein Hei­lig­tum nennt sie es.

An der Haupt­stra­ße wirbt ein gro­ßes Schild für die Bären­zu­flucht. Nach holp­ri­gen 5 Kilo­me­tern durch die Pam­pa errei­chen wir das Reser­vat. Es ist ein biss­chen wie Juras­sic Park: Gut gesi­cher­te Tore, elek­tri­sche Zäu­ne, die einem beim unvor­sich­ti­gen Foto­gra­fie­ren schon­mal einen gehö­ri­gen Schlag ver­pas­sen. Nur drei Stun­den täg­lich ist das Are­al für Besu­cher geöff­net, für den Rest des Tages sol­len die Bären ihre Ruhe haben. Das ist kein Zoo hier, sagt Chris­ti­na. Jun­ge Bären wer­den vom Publi­kum fern­ge­hal­ten, denn es geht nicht um Put­zig­keit son­dern um Tier­rech­te. Chris­ti­na lädt Schul­klas­sen und Kin­der­grup­pen ein, um ihnen die Bären und ihr schreck­li­ches Schick­sal näher zu brin­gen. Die Rumä­nen wis­sen nichts über Bären, sagt sie, obwohl sie hier mit­ten in der größ­ten Bären­po­pu­la­ti­on Euro­pas leben.

 

 

In der Ceau­ses­cu-Zeit waren Bären Staats­ei­gen­tum. Sie zu jagen oder zu fan­gen, war streng ver­bo­ten, denn der Dik­ta­tor lieb­te die Bären­jagd und brauch­te eine Men­ge Bären für sich und sei­ne Genos­sen. Nach dem Ende der Dik­ta­tur wur­den Bären zum In-Fak­tor: Als Kun­den­ma­gnet stell­ten Tank­stel­len, Super­märk­te und Restau­rants put­zi­ge jun­ge Bären aus – in den typi­schen drei mal drei Meter gro­ßen Eisen­kä­fi­gen, in denen die Tie­re sich kaum bewe­gen konn­ten. Im Som­mer heiz­ten sich die Git­ter so auf, dass sie sich die Pfo­ten­soh­len ver­brann­ten.

 

 

Als Rumä­ni­en in den 1990er Jah­ren euro­päi­sche Tier­schutz­ab­kom­men unter­zeich­ne­te, wur­de die­se Bären­hal­tung obso­let und Chris­ti­na Lapis Kampf für die geschun­de­nen Krea­tu­ren begann.

Bärenschicksale

Auf rund 70 Hekt­ar Wald­ge­biet leben hier ca. 80 Bären, die alle ein leid­vol­les Leben hin­ter sich haben.

Da gibt es Max, einen der ältes­ten Bewoh­ner. Max war ein Foto­bär – Tou­ris­ten konn­ten sich mit ihm ablich­ten las­sen. Weil ihn die Blitz­lich­ter in Rage brach­ten, ver­ätz­te ihm sein frü­he­rer Besit­zer die Augen. Max ist blind. Er bewegt sich nur auf einem klei­nen ver­trau­ten Ter­rain. Wenn Chris­ti­na ihn ruft, tapst er sicht­bar erfreut auf den Zaun zu. Außer­halb des Sanc­tua­rys hät­te er kei­ne Über­le­bens­chan­ce.

 

 

Mura radel­te in ihren jun­gen Jah­ren in Kin­der­kleid­chen durch eine Zir­kus­ma­ne­ge in Buka­rest – bis sie plötz­lich die Arbeit ver­wei­ger­te. Nach lan­gen, für Mura sicher schmerz­haf­ten Ver­su­chen, sie wie­der aufs Räd­chen zu zwin­gen, gaben die Zir­kus­leu­te auf und über­lie­ßen die Bärin Chris­ti­na. Mura brauch­te eine gan­ze Wei­le, sich ein­zu­fin­den, sie kann­te kei­ne ande­ren Bären und fürch­te­te sich vor ihnen. Lan­ge strich sie nur am Zaun ent­lang bis sie sich in die Wei­ten des Reser­vats trau­te.

 

 

Cie­re war ein Müll­bär. Sie hat­te von ihrer Mut­ter gelernt, dass es in den Städ­ten eine Art Selbst­be­die­nungs­re­stau­rant für Bären gibt: die Müll­con­tai­ner. So stieg sie lan­ge Zeit regel­mä­ßig in einen Wag­gon des Vor­stadt­zu­ges nach Bra­sov, fuhr 80 km zu den locken­den Müll­con­tai­nern und abends wie­der zurück in den Wald. Bis ihre Rei­se­tä­tig­keit auf­fiel und die Jagd auf sie geplant wur­de. Chris­ti­na konn­te sie ins Sanc­tua­ry ret­ten. Hier wird sie lebens­lang blei­ben: Eine Aus­wil­de­rung ist nicht mehr mög­lich – wie bei fast allen Bären hier.

Bärenschutz ist Menschenschutz

Jahr­zehn­te lang haben die Men­schen in Bra­sov die Bären ange­füt­tert, um Tou­ris­ten zu locken. Die Bären haben sich an die Men­schen gewöhnt, waren auf ihren Müll ange­wie­sen und es kam immer wie­der zu gefähr­li­chen Begeg­nun­gen. „Wir müs­sen den Men­schen ver­mit­teln, dass es in ihrem Inter­es­se ist, dem Bären sei­nen Platz zu geben. Rich­ti­ger Bären­schutz ist Men­schen­schutz“, sagt einer der Gui­des im Libe­ar­ty Sanc­tua­ry. Das Bären­zen­trum schützt Bären vor Men­schen , aber auch Men­schen vor Bären. Für 49 Jah­re hat die Stadt Zär­nes­ti Chris­ti­an Lapis und ihren Mit­strei­tern das Bären­schutz­ge­biet zur Ver­fü­gung gestellt – rund 40 Jah­re kann ein Bär in geschütz­ter Umge­bung gut leben und danach, so dach­te Chris­ti­na damals, wür­de es kein gequäl­ten Bären mehr in Rumä­ni­en geben. 20 Jah­re sind bereits ver­stri­chen und noch immer kom­men neue Schutz­su­chen­de in das Sanc­tua­ry. Die letz­te war Bet­sy, die ein Pri­vat­mann los­wer­den woll­te, weil ihr durch das per­ma­nen­te Fast-Food-Res­tees­sen die Zäh­ne aus­fie­len und sie kei­nen schö­nen Anblick mehr bot. Sie kam per Flug­zeug – aus Texas. Libe­ar­ty ist inter­na­tio­nal gewor­den – und eines der ein­drucks­volls­ten Tier­schutz­pro­jek­te, die ich auf mei­nen Rei­sen ken­nen­ge­lernt habe.

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Antworten

  1. Avatar von Mobilheime Kroatien

    Ich fin­de die­sen Bei­trag sehr schön und inter­es­sant. Ich per­sön­lich bin gegen das Töten oder Ein­sper­ren von Bären. Es ist super das es Men­schen gibt die sich dafür ein­set­zen das Bären so weit als mög­lich in einer guten Umfeld leben kön­nen. In Rumä­ni­en ist das ja lei­der nicht aller­orts so. Des­halb ist es beson­ders schön auch so etwas zu erle­ben.

  2. Avatar von K
    K

    Gute Sache- eine Mensch- Tier­be­geg­nung ohne das Aus­stel­len der Tie­re in Käfi­gen zur Belus­ti­gung der Men­schen, son­dern zur Ret­tung, bzw. Beob­ach­tung der Bären in ihrem tat­säch­li­chen Lebens­raum. Sol­che Geschich­ten lese ich ger­ne!
    Wirk­lich gut geschrie­ben!
    Rumä­ni­en fin­de ich sowie­so so span­nend, eine Rei­se unter dem Aspekt Bären und Bären­schutz geht defi­ni­tiv in Pla­nung!

  3. […] Die­sen Rei­se­be­richt aus Sie­ben­bür­gen (wer kann auf Anhieb sagen, wo das liegt?) fand ich sehr inter­es­sant: Sie­ben­bür­gen, im Land der gro­ßen Bären […]

  4. Avatar von desert trips

    Dan­ke für das Tei­len die­ses Posts! Es ist inter­es­sant und vol­ler nütz­li­cher Infor­ma­tio­nen!

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