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Wind, Schlaglöcher und ein Hauch von Zen

Die Vor­aus­set­zun­gen waren sim­pel: Die xeno­phobe turk­me­ni­sche Regie­rung gewährte mir die Gna­den­frist von fünf Tagen in Form eines soge­nann­ten Tran­sit­vi­sums, mit dem ich ohne den für län­gere Auf­ent­halte benö­tig­ten Rei­se­füh­rer ihr Land von Iran nach Usbe­ki­stan durch­r­a­deln durfte. Fünf Tage für knapp 500 Kilo­me­ter – das klang ange­sichts mei­nes übli­chen Tages­schnitts von 100 Kilo­me­tern durch­aus mach­bar; ich würde schon nicht fünf Tage Gegen­wind haben, dachte ich.

Ich hatte fünf Tage Gegenwind.

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Die ira­ni­schen Wüste auf dem Weg zur turk­me­ni­schen Grenze

Als ich die turk­me­ni­sche Grenze über­quere, habe ich bereits zwei Tage Fahrt (durch teils spek­ta­ku­läre Wüs­ten­land­schaft) mit Gegen­wind aus der ost­ira­ni­schen Metro­pole Mash­had hin­ter mir. Um schon den ers­ten der fünf Tage des Tran­sit­vi­sums voll aus­zu­nut­zen bin ich früh an die Grenze gekom­men. Lei­der gilt das nicht für den ira­ni­schen Zoll­be­am­ten, der sich eine halbe Stunde ver­spä­tet und direkt meine Geduld auf die Probe stellt. Nach einer wei­te­ren hal­ben Stunde War­te­zeit auf den Aus­rei­se­stem­pel durch­quere ich end­lich das Nie­mands­land (es ist Nie­mands­land von der Art, das ver­mut­lich wirk­lich nie­mand haben will: tro­cken und trost­los) zum turk­me­ni­schen Grenz­pos­ten. Auf die dort fol­gende Pro­ze­dur von Pass­kon­trol­len, Aus­fül­len von Zoll­do­ku­men­ten, dop­pel­ter Gepäck­über­prü­fung (mit Rönt­gen­ge­raet sowie manu­ell) bin ich gefasst. Der Zeit­un­ter­schied zwi­schen Iran und Turk­me­ni­stan beraubt mich einer wei­te­ren hal­ben Stunde und es ist Mit­tag als ich auf dem Weg zum Grenz­dorf Serahs meine erste Begeg­nung mit turk­me­ni­schen Schlag­lö­chern mache: tief und zahl­reich sind sie eine dia­bo­li­sche Ergän­zung zum wüten­den Wind, der mir ins Gesicht weht.

Изображение 051Die schrä­gen Gestal­ten, die „Money exch­ange; Dol­lar, Euro“ wis­pern und dabei Bün­del ein­hei­mi­scher Geld­no­ten in ihren Fin­gern wäl­zen, glän­zen an die­ser Grenze mit Abwe­sen­heit, wes­halb ich mich in Serahs erst­mal auf die Suche nach dem Geld­wech­sel-Schwarz­markt mache: In eine Bank geht man in Turk­me­ni­stan zum Wech­seln wohl nur, wenn man bereit ist auf drei Vier­tel sei­nes Gel­des zu ver­zich­ten. Der Wech­sel­kurs ist nur auf dem Schwarz­markt rea­lis­tisch, den ich an einer Tank­stelle finde: ein Auto­fah­rer drückt mir ein paar bunte Schein im Tausch gegen zehn Dol­lar und meine letz­ten ira­ni­schen Rial in die Hand. Ohne Ahnung vom aktu­el­len Wech­sel­kurs ver­traue ich (zurecht, wie sich her­aus­stellte) auf die Ehr­lich­keit des Gele­gen­heits-Geld­wechs­lers und des Tank­warts, der das Geschäft überprueft.

Der Rest des Tages ist ein ver­zwei­fel­ter Kampf um Kilo­me­ter. Die Geg­ner sind Hitze, Schlag­lö­cher und unbän­di­ger Gegen­wind. Ich fühle mich wie eine Socke in einer Wasch­ma­schine, die bei 45 Grad (ohne Was­ser) geschleu­dert wird, wäh­rend sie gleich­zei­tig ein über­di­men­sio­na­ler Föhn durch­pus­tet. Links und rechts das immer ein­tö­nige Bild nied­ri­ger Büsche im Wüstensand.

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Mein ers­ter Tag in Turk­me­ni­stan war hart

Ich pas­siere mei­nen ers­ten von Sol­da­ten besetz­ten Kon­troll­pos­ten. Mit Blick auf mei­nen Pass wer­den Name und per­soen­li­che Daten in eine Liste ein­ge­tra­gen. Neben der bereits fest­ge­stell­ten Xeno­pho­bie attes­tiere ich der turk­me­ni­schen Regie­rung Kontrollzwang.

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Eine der vie­len gol­de­nen Sta­tuen des ver­stor­be­nen Turk­men­ba­shi („Füh­rer der Turkmenen“)

Las­ter über­ho­len mich rum­pelnd, etwa einer pro Minute. Bei jedem, der freund­lich hupt oder gar einen hoch­ge­reck­ten Dau­men aus dem Fens­ter streckt flüs­tert das kleine Teu­fel­chen (oder ist es das ver­nünf­tige, wohl­mei­nende Engel­chen?): „Der würde dich bestimmt gerne nach Turk­men­abat mit­neh­men. Der Kampf gegen den Wind wäre sofort vor­bei. Ver­mut­lich hat er sogar eine Kli­ma­an­lage in der Fah­rer­ka­bine und gibt dir küh­les Was­ser.“ Die Ver­lo­ckung igno­rie­rend steuere ich mein Rad in ein klei­nes Schlag­loch um einem grös­se­ren auszuweichen.

Als es Abend wird nimmt zu mei­ner gros­sen Erleich­te­rung nicht nur die Hitze son­dern auch der Wind ab. Das Rad­fah­ren macht wie­der Spass und ich kann ein paar ein­fa­che Kilo­me­ter machen. Aus­ser­dem bin ich nun in einer Gegend, wo Bewäs­se­rungs­ka­naele die Wüste in grü­nes, frucht­ba­res Acker­land ver­wan­deln. Feld­ar­bei­ter win­ken mir von den Lade­flä­chen von Pick-Ups zu. Als ich gerade ein Foto mit ein paar freund­li­chen Turk­me­nen am Weges­rand machen will, fährt eine Poli­zei­streife an uns vor­bei und for­dert mich ohne einen Hauch von Freund­lich­keit auf, den Kon­takt mit der Bevöl­ke­rung zu unter­las­sen und wei­ter­zu­fah­ren. Auf mei­ner ima­gi­nä­ren psy­cho­lo­gi­schen Pati­en­ten­liste ueber den turk­me­ni­schen Staat mache ich ein Häk­chen hin­ter Xeno­pho­bie und füge hinzu: „Para­noia?“

Kurz vor Son­nen­un­ter­gang schlage ich mein Zelt am Rand eines Baum­woll­fel­des auf. Ich bin ver­dammt müde.

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Bewaes­se­rungs­ka­näle sor­gen fuer grüne Oasen in der Wüste

In den nächs­ten Tagen stehe ich jeweils vor Son­nen­auf­gang auf um die küh­len, etwas wind­schwä­che­ren Mor­gen­stun­den zum Radeln zu nut­zen, dann eine lange Mit­tags­pause im Schat­ten zu machen und am Abend dann noch ein paar Kilo­me­ter draufzulegen.

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Mit­tags­pause im Schatten

 Gruene, von Kanä­len mit Was­ser ver­sorgte Agrar­land­schaft wech­selt sich ab mit unwirt­li­chen Halb­wüs­ten. Ich pas­siere erst die Stadt Mary und über­quere dann den Kara­kum, den laengs­ten Bewäs­se­rungs­ka­nal der Welt. In sei­nen brau­nen Flu­ten erfri­sche ich mich gemein­sam mit ein paar aus­ge­las­se­nen Turk­me­nen. Ein Bad in der Wüste!

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Baden im Kara­kum Kanal

Danach kommt die grosse Wüste. Kara­kum. Das heisst „Schwar­zer Sand“, obwohl die Dünen weiss sind. Am vier­ten Tag erwa­che ich in mei­nem Zelt, das ich am ver­gan­ge­nen Abend ver­steckt von der Strasse hin­ter den Dünen auf­ge­schla­gen habe. Die Sonne ist noch nicht auf­ge­gan­gen, doch der Hori­zont über dem Wüs­ten­sand zeigt schon einen rosa Strei­fen, der durch eine graue Zone vom Dun­kel­blau des übri­gen Nacht­him­mels getrennt ist. Lang­sam wird der graue Bereich klei­ner, das Dun­kel­blau hel­ler und das Rosa verschwindet.

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Son­nen­auf­gang in der Wüste

Als die Sonne ueber dem Hori­zont erscheint und sich anschickt, die fried­li­che, kühle Wüs­ten­nacht in ein heis­ses, win­di­ges Inferno zu ver­wan­deln, sitze ich bereits im Sat­tel. Ich habe an die­sem Mor­gen nur wider­wil­lig mei­nen Schlaf­sack geöff­net, in den ich mich see­lig träu­mend gegen die Kälte der Nacht ein­ge­ku­schelt hatte. Beim Klin­geln des Weckers fühle ich mich die­ser Tage wie ein Büro­ar­bei­ter, der keine Lust hat auf den sel­ben Trott, die selbe Schin­de­rei wie am Tag zuvor mit Gegen­wind und Schlag­lö­chern. Doch schnell auf­ste­hen, sonst komme ich zu spät zur Arbeit und Wind und Hitze sind noch schlim­mer als ohne­hin schon.

 Изображение 071 Изображение 101 Изображение 100 Изображение 090  Kara­kum

Waeh­rend ich an die­sem Tag meine Kilo­me­ter abspule, wün­sche ich mir, in mei­nem Bett zu lie­gen und mit mei­ner Freun­din Sit­coms zu anzu­se­hen. Dabei ist mir klar, wie sinn­los es ist, sich immer das zu wün­schen, was man gerade nicht hat. Ich beru­hige mich damit, dass selbst ein Zen-Meis­ter ange­sichts die­ses Gegen­win­des ver­mut­lich die Schnauze voll hätte vom Im-Moment-Leben. Dann über­lege ich, ob ein Zen-Meis­ter nicht ein­fach den Zug durch Turk­me­ni­stan genom­men hätte.

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Die Brü­cke ueber den Amur­dar’ja und ein alter Turk­mene vor einem Baumwollfeld

Am Vor­mit­tag des fünf­ten Tages errei­che ich Turk­men­abat und damit das Ende der Wüste. Hin­ter den selt­sa­men, lan­gen Stras­sen der zweit­gröss­ten turk­me­ni­schen Stadt liegt der Amur­dar’ja, ein rie­si­ger Strom gefuellt mit wäl­zen­dem, brau­nen Was­ser. Ich über­quere ihn auf einer wacke­li­gen, aus meh­re­ren Tei­len zusam­men­ge­setz­ten Metall­brü­cke und fahre durch Baum­woll­fel­der die letz­ten Kilo­me­ter zur Grenze. Mein Sieg über den turk­me­ni­schen Wind war perfekt!

Wäre ich ein Zen-Meis­ter, hätte ich wahr­schein­lich den Zug genom­men. Aber um irgend­wann des­sen Weiss­heit zu erlan­gen, war es viel­leicht för­der­lich, mich mit dem Fahr­rad durch Turk­me­ni­stan zu kämpfen.

 

Cate­go­riesTurk­me­ni­stan Welt
Sebastian Haas

Mit dem Fahrrad in den fernen Osten. Nach 5-jährigem Studium der (Mikro)biologie zieht es mich wieder hinaus auf die Strassen der Welt. Ich suche das grosse Abenteuer alleine auf dem Fahrrad: auf meinem Weg durch die geheimnisvollen und fremdartigen Länder West-, Zentral- und Ostasiens erlebe ich die Freiheit und Einfachheit des Lebens auf dem Rad, kämpfe gegen die Elemente, bewundere die exotische Schönheit der Steppen, Wüsten und Gebirge, und erfahre grenzenlose Gastfreundschaft.

  1. Danke euch Bei­den! Turk­me­ni­stan war sicher­lich eines der haer­tes­ten Abschnitte mei­ner Reise. Das Land gibt es sicher­lich kein zwei­tes mal mit sei­ner Kom­bi­na­tion aus extre­men Land­schaf­ten, sehr net­ten Leu­ten und der sehr abge­dreh­ten Regierung.

  2. Ronald Kandelhard says:

    Wow, reife Leis­tung, ich war da mit dem Auto und für einige kurze Spa­zier­gänge, das war schon anstren­gend und ein­tö­nig. Aber ist schon noch ein beson­de­res Land, der­art abgeschieden.

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