An den Fuß des Everest II

Das zwei­te Stück mei­ner Wan­de­rung an den Fuß des Ever­est führ­te mich mit einem neu­ge­won­nen Freund ins Hoch­ge­bir­ge. Nach dem Frie­den des ers­ten Teil­stücks, befan­den wir uns nun auf einem wah­ren High­way. 

 

Von einem Moment auf den ande­ren war es mit dem himm­li­schen Frie­den vor­bei. Es schien uns, als wären wir auf einem Rum­mel­platz gelan­det; der unge­wohn­te Lärm­pe­gel war sehr befremd­lich: Stim­men schnat­ter­ten durch­ein­an­der, grel­les Lachen ertön­te, die unver­meid­li­chen Tele­skop­stan­gen kla­cker­ten im Takt auf den Boden, und aus einem Gast­haus dröhn­te grau­en­vol­le Pop­mu­sik. Drin­nen saß ein Mann von solch volu­mi­nö­sem Kör­per­um­fang, dass wir uns frag­ten, ob man die Hüt­te um ihn her­um errich­tet hat­te. Wie war er nur hier­her­ge­langt? Ein Blick auf die Tafel ver­riet, dass sich die Prei­se inner­halb weni­ger hun­dert Meter ver­dop­pelt hat­ten. Von nun an stie­gen die Prei­se buch­stäb­lich mit jedem Kilo­me­ter.

Wir erblick­ten Wan­de­rer, die voll­aus­ge­stat­tet in ihrer Funk­ti­ons­klei­dung aus­sa­hen, als stün­den sie im Begriff, eine Mond­mis­si­on in Angriff zu neh­men. Trä­ger schlepp­ten Unmen­gen an Gepäck­stü­cken hin­ter­her. Eini­ge Tou­ris­ten müh­ten sich red­lich, um mit der Video­ka­me­ra nur ja kei­nen Schritt für die Nach­welt undo­ku­men­tiert zu las­sen. Wir waren gera­de ein­mal eine Woche am Ran­de der Zivi­li­sa­ti­on gewan­dert und fühl­ten uns wie Autis­ten in einem 3‑D-Kino. Wie hat­ten wohl die Syn­ap­sen getanzt, als Mog­li die Lich­ter der Stadt erblickt hat­te?

In der nächs­ten Ort­schaft kon­kur­rier­ten meh­re­re Läden mit Pool­bil­lard. Seit einer Woche hat­ten wir kei­ner­lei Kühl­schrän­ke gese­hen – nun waren sie prall gefüllt mit den Ver­hei­ßun­gen der Kon­sum­in­dus­trie – Soft­drinks und Scho­ko­rie­gel in allen Varia­tio­nen lach­ten uns von wei­tem an. Von einem klu­gen Mann las ich ein­mal, welch gro­ßer Unter­schied zwi­schen Ver­zicht und einem erlo­sche­nen Ver­lan­gen besteht. Das traf es gut: Die Kon­sum­gü­ter reiz­ten uns noch immer, und wir deli­rier­ten scherz­haft über einen Über­fall auf einen der prall gefüll­ten Kühl­schrän­ke. Auf dem ers­ten Teil der Wan­de­rung hat­te sich das Ange­bot an Luxus­gü­tern auf ein paar ver­staub­te Dosen Cola in einem Bret­ter­ver­schlag beschränkt – wenn über­haupt.

Doch wir beschlos­sen, bei unse­rem ein­fa­chen Leben zu blei­ben und uns wei­ter in Ver­zicht zu üben. Wir woll­ten der Gier, die uns die Sug­ges­ti­on der Wer­bung seit Ewig­kei­ten ein­trich­ter­te, auf die­ser Wan­de­rung bewusst ent­sa­gen. Wir schöpf­ten unser Trink­was­ser wei­ter aus den Flüs­sen. Das war bes­ser, als drei oder vier Plas­tik­fla­schen am Tag zu hin­ter­las­sen. Die Fol­gen waren deut­lich sicht­bar. Es war tröst­lich, dass wir das Befrem­den ob des Trei­bens um uns her­um teil­ten. So schu­fen wir unse­ren eige­nen Kos­mos, ori­en­tier­ten uns wei­ter an der Natur und igno­rier­ten die blin­ken­den Lich­ter oder mach­ten unse­re Scher­ze dar­über. Unse­re Ernäh­rung bestand aus­schließ­lich aus ver­schie­de­nen Varia­tio­nen von Kar­tof­feln, Reis, Gemü­se, Eiern und Schwarz‑, Masala‑, Ing­wer- oder Pfef­fer­minz­tee.

Am Abend fan­den wir ein Gast­haus, des­sen gemüt­li­cher Auf­ent­halts­raum von einem Kamin beheizt wur­de. Seit län­ge­rem wur­den die Kno­chen mal wie­der rich­tig warm. Das war wirk­li­cher Luxus.

 

Der Anstieg nach Nam­che war anspruchs­voll. Die gera­de in Luk­la gestar­te­ten Wan­de­rer taten uns fast leid. Ich muss­te wei­ter auf die Zäh­ne bei­ßen, doch Johan­nes dros­sel­te sein Tem­po ein wenig, so dass ich Schritt hal­ten konn­te. Immer­hin waren die Schmer­zen berg­auf klei­ner. Unter­wegs begeg­ne­te uns eine unge­wöhn­li­che Erschei­nung. Da lie­fen wir schwer atmend den Berg hin­auf und wur­den plötz­lich von einer jun­gen Frau über­holt, die locker an uns vor­bei­schweb­te. Am nächs­ten Rast­platz voll­führ­te sie ein Aero­bic-Pro­gramm, das mich an unsäg­li­che Vide­os aus den 80ern erin­ner­te. Trotz der Käl­te trug sie ein bauch­frei­es Top, und wir bemerk­ten bos­haft, dass ihr Gepäck nur aus einem Vor­rat an Lip­pen­stift zu bestehen schien. Sie hät­te deut­lich bes­ser an einen Par­ty­strand oder in eine Dis­ko­thek gepasst. In die­ser Umge­bung wirk­te sie reich­lich deplat­ziert – als käme sie von einem ande­ren Stern. Sie erschien selt­sam ent­rückt.

Kurz vor unse­rem Ziel hat­ten wir eine wei­te­re Visi­on: aus dem Nichts tauch­te ein Wan­de­rer in Bade­ho­se, Bade­lat­schen und Zip­fel­müt­ze auf – ein uner­war­te­tes Bild. John kam aus Schwe­den und war auch sonst ein amü­san­ter Bur­sche. Gemein­sam bezo­gen wir ein Gast­haus.

Nam­che liegt auf 3400 Metern und ist wie ein Amphi­thea­ter in den Hang gebaut. Die­se spe­zi­el­le Lage ver­leiht dem Ort einen gewis­sen Charme. Gleich­zei­tig bestä­tig­te sich, was wir gehört hat­ten: Der Ort war auf grau­sa­me Wei­se kom­mer­zia­li­siert. Neben zahl­lo­sen Aus­rüs­tungs­lä­den, Restau­rants und rie­si­gen Lodges waren es die Super­märk­te mit ihrer beacht­li­chen Aus­wahl an Luxus­gü­tern, die uns am meis­ten irri­tier­ten. Schließ­lich muss­te alles müh­sam hier hoch­ge­tra­gen wer­den. Und wer um alles in der Welt konn­te nicht wenigs­tens hier oben auf den gan­zen Quatsch ver­zich­ten? Offen­sicht­lich die Wenigs­ten. Sie schei­nen nicht begrif­fen zu haben, in welch fra­gi­lem Öko­sys­tem sie sich befin­den. Ein Aben­teu­er ohne Ver­ant­wor­tung. Es bedarf einer deut­li­chen Stei­ge­rung des Bewusst­seins, damit auch fol­gen­de Gene­ra­tio­nen die Wun­der der Natur erle­ben kön­nen.

 

­­­­­­Ab Nam­che muss­ten wir zur wei­te­ren Höhen­an­pas­sung lang­sa­mer wer­den. Den­noch beschlos­sen wir dort kei­nen Rast­tag ein­zu­le­gen – wir woll­ten so schnell wie mög­lich wie­der weg.

Der angeb­li­che Geld­au­to­mat ist ein Phan­tom, obwohl er in allen Rei­se­füh­rern beschrie­ben wird. Daher hat­ten wir geplant, unse­re Devi­sen hier auf­zu­fri­schen. Ich war bis auf umge­rech­net 10 Euro blank. Doch wir erfuh­ren, dass der Geld­au­to­mat fast nie funk­tio­niert. Es gibt eini­ge Anhalts­punk­te, dass die­ser Umstand kein Zufall ist. Denn sei­ne Dys­funk­ti­on schafft ein ganz eige­nes Geschäfts­feld, nur über eine Kre­dit­kar­te konn­te man an Geld zu kom­men. Bevor wir uns näher dar­über infor­miert hat­ten, streif­ten wir durch ein Aus­rüs­tungs­ge­schäft. Ich bat den Ver­käu­fer, eini­ge Klei­nig­kei­ten zurück­zu­le­gen, da wir zunächst Geld besor­gen müss­ten. Doch er wuss­te selbst Rat. Er kön­ne uns gegen die übli­che Ser­vice­ge­bühr von 10 Pro­zent eine über­höh­te Rech­nung schrei­ben und uns die Dif­fe­renz aus­zah­len. So nahm das kurio­se Schau­spiel sei­nen Lauf: Der Mann tätig­te einen kur­zen Anruf und kei­ne zehn Minu­ten spä­ter betrat ein Mann mit zwei Plas­tik­tü­ten den Laden. Aus der einen zog er einen abge­zähl­ten Sta­pel nepa­le­si­scher Rupi­en, aus der ande­ren ein Kre­dit­kar­ten­le­se­ge­rät. Wir staun­ten nicht schlecht. Wo moch­te wohl der gehei­me Ort lie­gen, an dem all die­se Bar­re­ser­ven lager­ten?

Da ich mit mei­ner auf­lad­ba­ren Kre­dit­kar­te nur Geld für den Rück­flug von Luk­la ein­kal­ku­liert hat­te, wür­de es für mich sehr eng wer­den. So kauf­te ich mir nur einen ein­zel­nen Tele­skop­stock zur Unter­stüt­zung für das Knie. Aus finan­zi­el­len Grün­den war das sinn­voll, aus Balance­grün­den kei­nes­wegs.

 

Als wir Nam­che am nächs­ten Mor­gen ver­lie­ßen, stapf­ten wir unter fins­te­rem Him­mel berg­an. Das Wet­ter wur­de immer trost­lo­ser. Schließ­lich begann es in Strö­men zu reg­nen. Wir ret­te­ten uns in eine Lodge. Der Besit­zer woll­te uns davon über­zeu­gen, dort abzu­stei­gen. Wir woll­ten abwar­ten, ob sich das Wet­ter nicht doch noch bes­ser­te.

Ein völ­lig abge­hetz­ter und schwer nach Luft schnap­pen­der Japa­ner erschien in der Lodge. Da wir gera­de über eine Land­kar­te gebeugt waren, zeig­te er uns, wel­che Rou­te er in den letz­ten Tagen absol­viert hat­te. Er hat­te rie­si­ge Stre­cken in kür­zes­ter Zeit zurück­ge­legt und an Höhen­ak­kli­ma­tis­a­ti­on kaum Gedan­ken ver­schwen­det. Er setz­te voll­stän­dig auf die pro­phy­lak­ti­sche Ein­nah­me von Diam­ox – einem Medi­ka­ment, das die Pro­duk­ti­on von roten Blut­kör­per­chen beschleu­nigt. Das senk­te das Risi­ko, doch es blieb ein Spiel mit dem Feu­er. Die Höhen­krank­heit kann von Schwin­del, Übel­keit, Gleich­ge­wichts­stö­run­gen über schwe­re Ver­wirrt­heit bis hin zum Tode durch ein Hirn­ödem füh­ren. Die Sym­pto­me tre­ten mit Ver­zö­ge­rung auf; wenn man sie bemerkt, ist es manch­mal schon zu spät. Doch wir hat­ten Geschich­ten von Tou­ris­ten gehört, die sich per Hub­schrau­ber nach Nam­che ein­flie­gen las­sen, um sich direkt auf einem Pferd noch höher brin­gen zu las­sen. Gera­de Japa­ner, die ihre kur­zen Urlau­be opti­mal aus­nut­zen wol­len, ris­kie­ren alles. Es ver­ging kein Tag mehr, an dem wir nicht Heli­ko­pter hör­ten, die Tou­ris­ten in tie­fe­re Lagen aus­flie­gen muss­ten. Höher, schnel­ler, wei­ter.

Wir erfuh­ren, dass bald eine grö­ße­re Grup­pe von Korea­nern erwar­tet wur­de. Die Inha­ber der Lodge began­nen, Schir­me auf­zu­span­nen und teu­re Sou­ve­nirs aus­zu­le­gen. Wir ergrif­fen die Flucht. Die­se Rei­se­grup­pe hat­ten wir schon unter­wegs gese­hen; sie film­te ihren gan­zen Trip unun­ter­bro­chen. Ret­te sich, wer kann!

So stie­gen wir bei wei­ter schlech­tem Wet­ter nach Teng­bo­che auf. In end­lo­sen Ser­pen­ti­nen schraub­te sich der Pfad nach oben. Ich fühl­te mich wie eine alters­schwa­che Dampf­lok, die Ket­te raucht. Unter­wegs begeg­ne­ten wir einem Rus­sen, der uns schon auf­ge­fal­len war, als er, mit einer Video­ka­me­ra bewaff­net, wahl­los in Gast- und Pri­vat­häu­ser hin­ein­ge­stol­pert war, um alles zu fil­men, was nicht bei drei auf den Bäu­men war. Womög­lich wähn­te er sich in einer Fas­sa­den­stadt und hat­te nicht ver­stan­den, dass hier wirk­lich Men­schen wohn­ten. Eine schwer zu schla­gen­de Igno­ranz. Es schien ein wenig, als hiel­te er sich mit der Kame­ra die Rea­li­tät auf Distanz. Auf sei­nem brei­ten Kreuz trug er einen gewal­ti­gen 120-Liter-Ruck­sack. Als er außer Hör­wei­te war, klag­te uns sein Füh­rer sein Leid. Es war offen­sicht­lich kein Zucker­schle­cken, mit die­sem kan­ti­gen, wort­kar­gen Brumm­bär unter­wegs zu sein. Laut sei­nen Schil­de­run­gen besaß er die Empa­thie eines Stahl­rohrs. Als wir den jun­gen Füh­rer am nächs­ten Tag wie­der tra­fen, waren wir erstaunt zu erfah­ren, dass er sei­nen unge­lieb­ten Auf­trag­ge­ber unter einem Vor­wand ste­hen gelas­sen hat­te. Er ver­zich­te­te lie­ber auf das Geld, anstatt in den Wahn­sinn getrie­ben zu wer­den.

Plötz­lich riss die Wol­ken­de­cke auf, die Son­ne brach durch und gab inner­halb weni­ger Augen­bli­cke die Sicht auf die Umge­bung frei, die wir zuvor nicht mal erah­nen konn­ten.

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Stau­nend stan­den wir vor dem Pan­ora­ma. Mei­ne Ver­su­che, Wor­te zu fin­den, ver­san­de­ten in sinn­lo­sem Geplap­per. Die Zeit stand still. Nach­dem wir die letz­ten hun­dert Meter des Auf­stiegs hin­ter uns gebracht hat­ten, war es end­gül­tig um uns gesche­hen. Der Wind hat­te die Wol­ken davon­ge­bla­sen. Vom Pla­teau, auf dem das bud­dhis­ti­sche Klos­ter Teng­bo­che liegt, bot sich ein Blick in alle Him­mels­rich­tun­gen. Zum ers­ten Mal konn­ten wir die gan­ze Majes­tät der Ber­ge vor uns lie­gen sehen. Der Ama Dablam glänz­te im Abend­licht der Son­ne.

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Wir genos­sen den Anblick, bis die Son­ne unter­ge­gan­gen war und die Käl­te uner­träg­lich wur­de. In einem ange­nehm abseits ste­hen­den Gast­haus fan­den wir das letz­te freie Zim­mer.

Kaum hat­ten wir uns in den Gast­raum gesetzt, als ein klein­wüch­si­ger Mann den Raum betrat. Für sei­ne Kör­per­grö­ße trug er einen völ­lig über­di­men­sio­nier­ten Ruck­sack. Sein Kopf war hoch­rot, als wür­de er gleich plat­zen. Er japs­te nach Luft. Doch anstatt sich hin­zu­set­zen und aus­zu­ru­hen, lief er wie Rum­pel­stilz­chen durch den Raum. Sei­ne Unru­he schien nicht klei­ner zu wer­den. Manch­mal frag­ten wir uns, ob die Leu­te wirk­lich wuss­ten, was sie hier oben taten. Als ich ihn Tage spä­ter fast tau­send Meter höher wie­der­sah, war ich ver­wun­dert, dass er durch­ge­hal­ten hat­te.

Außer­dem bevöl­ker­ten zwei Liver­poo­ler den Raum, die ein wenig durch­ge­knallt wirk­ten. Sie ver­kün­de­ten uns stolz, sie sei­en die lang­sams­ten Wan­de­rer aller Zei­ten. Das hing wohl nicht unwe­sent­lich mit ihrem erheb­li­chen Mari­hua­na­kon­sum zusam­men. Es schien, als sei­en sie direkt aus den 60ern hier­her tele­por­tiert; rein optisch hät­ten sie sofort bei den Beat­les mit­spie­len kön­nen. Ich habe noch nie Men­schen zuge­hört, bei denen „dude“, „Hey, man“ und ähn­li­che Flos­keln so essen­ti­el­le Bestand­tei­le der Kom­mu­ni­ka­ti­on waren…

Abends saßen wir drau­ßen auf einer Holz­bank hin­ter dem Gast­haus ober­halb eines jähen Abgrunds. Wir betrach­te­ten die vom Mond­licht silb­rig erleuch­te­ten Ber­ge, die in ihrer kon­tu­ren­haf­ten Zeich­nung noch ein­drück­li­cher wirk­ten. Über uns zeig­ten sich Tau­sen­de Ster­ne in ihrer gan­zen Pracht. Die Milch­stra­ße war deut­lich zu erken­nen. Sel­ten war uns der Him­mel so nah erschie­nen.

In Teng­bo­che muss­ten wir end­gül­tig eine Pau­se zur Höhen­an­pas­sung ein­le­gen. Inzwi­schen war ich 12 Tage am Stück gelau­fen. Johan­nes war seit zehn Tagen unter­wegs. Wir freu­ten uns über die ver­dien­te Pau­se.

Unser Hip­pie­le­ben hat­te auch sei­ne Schat­ten­sei­ten. Hei­ßes Was­ser für eine Dusche kos­te­te hier oben drei Dol­lar und die woll­ten wir uns spa­ren. Wir baten den Haus­herrn um einen Eimer kal­tes Was­ser – der war umsonst. Er war aus­ge­spro­chen amü­siert – das kam wohl sel­ten vor. Ich bestieg den klapp­ri­gen Bret­ter­ver­schlag, in dem mir schon so arsch­kalt war. In dem Bot­tich schwam­men Eis­klum­pen. Wäh­rend sich Johan­nes im Anschluss mit drei Litern Was­ser für die Kör­per­wä­sche begnü­gen wür­de, ver­stand ich das als Wett­be­werb zwei­er Idio­ten und jag­te mir 40 Liter des eis­kal­ten Nass Becher für Becher über den Kör­per. Ich emp­fand ein fürch­ter­li­ches Zie­hen am Hin­ter­kopf; mein Kör­per ver­such­te ver­zwei­felt, die Kör­per­ober­flä­che zu ver­rin­gern. Ich fühl­te mich, als müss­te ich ster­ben.

Wenigs­tens schien seit einer gefühl­ten Ewig­keit wie­der die Son­ne, so dass wir gleich wie­der tro­cken waren. Die war­me Höhen­son­ne war eine Wohl­tat. Als wir uns ein wenig die Bei­ne ver­tra­ten, stie­ßen wir auf John, der gera­de den Ort erreich­te. Auch er fand einen Platz in unse­rem Gast­haus und wür­de sich uns anschlie­ßen.

Wir muss­ten drin­gend waschen; kein ande­rer Mensch hät­te frei­wil­lig unser Zim­mer betre­ten. Johan­nes, John und ich wuschen wie die Wasch­wei­ber unse­re Klei­der an einer offe­nen Was­ser­lei­tung. Die Nepa­li, die uns als Beglei­ter ver­schie­de­ner Rei­se­grup­pen pas­sier­ten, amü­sier­ten sich präch­tig über uns. In den orga­ni­sier­ten Trecks muss­te man sich um nichts küm­mern. Män­ner, die ihre Wäsche selbst wuschen, pass­ten nicht ins Bild. Dum­mer­wei­se begann es bald wie­der zu reg­nen, und so blie­ben unse­re Sachen klatsch­nass.

Am nächs­ten Mor­gen pack­ten wir die nas­sen Kla­mot­ten wie­der ein und mach­ten uns auf den Weg. Mir war nur ein T‑Shirt geblie­ben, doch Johan­nes lieh mir sei­ne Fleece-Jacke. Er hat­te sich in den Kopf gesetzt, in den nächs­ten Tagen eini­ge har­te Rou­ten zu gehen, und woll­te sich für die ker­ni­gen Päs­se abhär­ten. Kurz nach der nächs­ten Ort­schaft über­quer­ten wir die Baum­gren­ze. Nur noch ein­zel­ne Sträu­cher fan­den sich am Weges­rand. Schließ­lich ging die Land­schaft in kar­ge Geröll­fel­der über. Es wur­de extrem neb­lig, so dass wir kaum die Hand vor Augen erken­nen konn­ten. Es war, als tas­te­ten wir uns auf einem Ter­rain ent­lang, das jen­seits die­ser Welt lag. Es hät­te auch ein Traum sein kön­nen. Bald hat­ten wir kei­ne Ahnung mehr, ob wir in die rich­ti­ge Rich­tung gin­gen. Schließ­lich wur­de es wie­der kla­rer, und wir erreich­ten Ding­bo­che auf 4400 Metern. Dort muss­ten wir dann einen wei­te­ren Ruhe­tag ein­le­gen. Wir spiel­ten schließ­lich kein rus­si­sches Rou­lette wie die Japa­ner.

Hier schloss sich Hug­han aus Schott­land unse­rer Grup­pe an. Inzwi­schen fiel es mir schwer, etwas Ver­nünf­ti­ges nie­der­zu­schrei­ben. Oft fühl­te ich mich ein wenig benom­men. Das fühl­te sich jedoch sel­ten unan­ge­nehm an, eher wie ein leich­ter Rausch; mei­ne Gedan­ken fühl­ten sich leicht an. Ich konn­te mich ganz auf die unmit­tel­ba­re Natur­er­fah­rung ein­las­sen. Über uns thron­te der impo­san­te Ama Dablam. In der Höhen­son­ne las ich ein gutes Buch und schwelg­te in dem Anblick.

Johan­nes und ich hiel­ten uns kon­se­quent an Daal Bhat – das Natio­nal­ge­richt der Nepa­li aus Reis und Lin­sen­sup­pe. Je nach Zube­rei­tung gehö­ren auch Kar­tof­feln und/​oder Gemü­se dazu. Es war das ein­zi­ge Gericht, bei dem man eine zwei­te Por­ti­on erhielt, und wir aßen, bis wir zu plat­zen droh­ten. Wir ver­brann­ten Unmen­gen an Ener­gie – ent­spre­chend groß war der Hun­ger nach Kalo­rien. John hat­te eine ande­re Tak­tik und trug eine Groß­pa­ckung Scho­ko­rie­gel mit sich. Er hat­te auf der Wan­de­rung bereits eine regel­rech­te Sucht ent­wi­ckelt.

Johan­nes hat­te gro­ße Plä­ne: Am nächs­ten Mor­gen wür­de er nach Chu­kung auf­bre­chen, um den Chu­kung Ri zu bestei­gen. Dann woll­te er über einen höl­li­schen Pass auf die Ever­est-Rou­te zurück­ge­lan­gen und nach dem Besuch des Base Camps über einen wei­te­ren ker­ni­gen Pass zu den Seen von Gokyo gelan­gen. Ich hät­te ihn ger­ne beglei­tet, doch das war mit dem lädier­ten Knie uto­pisch. Ich konn­te mir den Schmer­zen ein­fach nicht schnell genug gehen; ohne High-Tech-Aus­rüs­tung war eine dro­hen­de Über­nach­tung auf einem der Päs­se lebens­ge­fähr­lich. So wür­de ich mich mit Hug­han und John auf die Rou­te zum Kala Patar beschrän­ken.

Johan­nes und ich waren uns in der Kür­ze der Zeit rich­tig ans Herz gewach­sen. Wir hat­ten viel zusam­men gelacht und eini­ge beson­de­re Momen­te mit­ein­an­der geteilt. Die­se Begeg­nung war ein Glücks­fall und hat­te der Wan­de­rung eine beson­de­re Tie­fe gege­ben. Er drück­te mir einen 50-Euro-Schein in die Hand, damit ich auf jeden Fall zuran­de kam. Ich bat ihn, auf sich auf­zu­pas­sen; ich wuss­te, wie sehr er das Risi­ko lieb­te.

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John war die letz­ten Mona­te durch Süd­ost­asi­en gereist. Er war auf den Back­pa­cker­stra­ßen in Thai­land, Laos, Kam­bo­dscha und Malay­sia unter­wegs gewe­sen. Mit sei­nen 20 Jah­ren war er ein unbe­küm­mer­ter, offe­ner und locke­rer Typ – ein ange­neh­mer und lus­ti­ger Rei­se­be­glei­ter. Hug­han war ein völ­lig ande­rer Typ. Er war Mit­te 30, ernst­haf­ter, aber genau­so aben­teu­er­lus­tig. Er gehör­te zu den Rei­sen­den, die in kür­zes­ter Zeit mög­lichst viel sehen möch­ten. Er leb­te im Moment in Abu Dha­bi. Als pas­sio­nier­ter Gleit­schirm-Flie­ger bot ihm die Wüs­te per­fek­te ther­mi­sche Bedin­gun­gen.

 

Nach­dem wir den Grat hin­ter Ding­bo­che erklom­men hat­ten, bot sich hin­ter uns erneut ein impo­san­ter Anblick auf den Ama Dablam – für mich der schöns­te Berg in der Regi­on.

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Nach einem fla­che­ren Abschnitt wur­de der Weg extrem steil. Wir erreich­ten einen wei­te­ren Pass, an dem auf­ge­türm­te Stei­ne und ein klei­nes Mahn­mal an die töd­lich ver­un­glück­ten Men­schen erin­ner­ten. Im dich­ten Nebel hat­ten die tibe­ti­schen Gebets­fah­nen über den Geröll­fel­dern etwas Gespens­ti­sches. Es schien, als woll­te das Wet­ter unter­strei­chen, wie unge­eig­net die­ser Ort für uns Men­schen war. Immer wie­der kam ich mir ange­sichts der über­mäch­ti­gen Kulis­se wie ein Ein­dring­ling in eine frem­de Welt vor. Das hat­te etwas Furcht­ein­flö­ßen­des und zugleich etwas zutiefst Tröst­li­ches. Dies war ein Ort, den wir uns nie­mals unter­tan machen wür­den. Ange­sichts der alles beherr­schen­den Natur wird man sich der eige­nen Win­zig­keit unmit­tel­bar bewusst.

Natür­lich gibt es Men­schen, die mei­nen, sie könn­ten die Natur bezwin­gen. So gilt die Bestei­gung des Mount Ever­est man­chem als rei­ne Mut­pro­be. Als Hel­den­tat. Doch was man wirk­lich ler­nen kann, ist Demut. Viel­fach wur­de der Hoch­mut bit­ter bestraft. Die zuneh­men­de Kom­mer­zia­li­sie­rung zer­stört die ursprüng­li­che Magie des Berg­stei­gens. Längst gehö­ren Staus zum All­tag bei der Bestei­gung. Jeder, der die 60 000 Euro für die Bestei­gung auf­bringt, kann es heu­te nach oben schaf­fen. Es bleibt natür­lich eine unglaub­li­che kör­per­li­che Anstren­gung, aber den Groß­teil der Arbeit machen die Sher­pas.

 

Am letz­ten Auf­stieg nach Lobu­che schien die Luft mit jedem Schritt dün­ner zu wer­den. Selbst wäh­rend der Pau­sen schlug mir das Herz bis zum Hals. Auf 5000 Metern wird der Sau­er­stoff nur noch mit hal­bem Druck in die Lun­gen­bläs­chen gepresst. Daher braucht man mehr Atem­zü­ge, um den not­wen­di­gen Sau­er­stoff auf­zu­neh­men. Die Sher­pas haben den Vor­teil, dass sie von Geburt an die Ver­hält­nis­se gewöhnt sind und in ihrem Kör­per mehr rote Blut­kör­per­chen pro­du­zie­ren. Das schmä­lert mei­ne Bewun­de­rung für die Trä­ger in kei­ner Wei­se. Fas­zi­niert betrach­te­te ich, wie sie auf dem Steil­stück schwe­re Holz­ele­men­te in die Höhe wuch­te­ten. Die Las­ten sind mit Stirn­gur­ten befes­tigt und die Trä­ger beherr­schen eine ganz beson­de­re Tra­ge­tech­nik, die ein hohes Gleich­ge­wicht vor­aus­setzt. Sie sind unglaub­lich zäh: ihre Seh­nen müs­sen aus Stahl sein. Die meis­ten tra­gen eine Art Sche­mel bei sich, auf dem sie ihre Last immer wie­der abstüt­zen und vie­le kur­ze Pau­sen ein­le­gen – dafür mar­schie­ren sie den gan­zen Tag. Kon­zen­tra­ti­on und Anstren­gung ste­hen ihnen ins Gesicht geschrie­ben und den­noch habe ich sie oft lächeln sehen. Sie wer­den meist anhand des Gewichts bezahlt, das sie tra­gen. Bei eini­gen sind das über 100 kg. Ein­mal durf­te ich das Gepäck eines Sher­pas eini­ge Meter tra­gen. Es schien mir unglaub­lich, dass sie dau­er­haft ein sol­ches Gewicht stem­men kön­nen. Über mein Gewicht hät­ten sie herz­lich gelacht.

 

Längst hat­te sich die Land­schaft in eine ein­zi­ge Stein­wüs­te ver­wan­delt. Nur der Schnee und das bläu­lich schim­mern­de Eis boten eine farb­li­che Abwechs­lung. Schließ­lich erreich­ten wir Lobu­che auf etwa 4900 Metern. Der Ort war gera­de­zu absto­ßend und bestand aus rie­si­gen Lodges – ein wah­res Tou­ris­ten-Ghet­to. Wir fan­den ein Drei­bett­zim­mer. Unse­re rus­si­schen Zim­mer­nach­barn ver­trie­ben sich den Abend mit Wod­ka und Kra­kee­len.

Ich bekam hef­ti­ge Kopf­schmer­zen – eine eisi­ge Kral­le hat­te sich in mein Hirn gebohrt. Hug­han hat­te für den Not­fall Diam­ox dabei und ich nahm vor­sichts­hal­ber eine Tablet­te. Sie brach­te Lin­de­rung, hat­te aber den Nach­teil, dass ich nachts noch öfter in die Eises­käl­te hin­aus muss­te. Ohne­hin fühl­te man sich bei den Flüs­sig­keits­men­gen, die man in sich hin­ein­schüt­ten muss­te, wie ein nie­ren­kran­kes Pferd.

Am Mor­gen fühl­te ich mich deut­lich bes­ser, dafür fühl­te sich John, als wäre er über Nacht see­krank gewor­den. Er war kurz­at­mig und bekam eben­falls star­ke Kopf­schmer­zen. Die letz­te Etap­pe lag vor uns. Wir fühl­ten uns zuneh­mend berauscht ange­sichts des nahen Ziels. Von den Kup­pen der auf- und abstei­gen­den Geröll­fel­der sahen wir immer wie­der die mäch­ti­gen Ber­ge, deret­we­gen wir uns auf den Weg gemacht hat­ten. Wir konn­ten es kaum noch erwar­ten. Schließ­lich erreich­ten wir die letz­te Ort­schaft – Gorak Shep auf etwa 5100 Metern. Der Ort besteht aus einer Hand­voll Lodges und einem Inter­net­ca­fé. Ich fra­ge mich bis heu­te, wel­che gel­tungs­süch­ti­gen Idio­ten sich hier bei Face­book ein­log­gen, um der Welt zu ver­kün­den, dass sie nun den Ever­est sehen kön­nen. In Teng­bo­che hat­te das Inter­net­ca­fé gar mit Busi­ness Con­fe­ren­cing gewor­ben. Deka­den­ter geht es wohl nicht mehr.

 

Da das Wet­ter ziem­lich gut war, depo­nier­ten wir unse­re Ruck­sä­cke und mach­ten uns gleich dar­an, den Kala Pat­tar zu bestei­gen. Aus der Fer­ne erscheint er nur wie ein klei­ner Hügel, doch das stimmt nur in der Rela­ti­on.

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John fühl­te sich inzwi­schen rich­tig mies. Hug­han schien die Höhe weni­ger aus­zu­ma­chen. Ich war ziem­lich am Limit. Es erschien mir, als wäre der Sau­er­stoff fast voll­stän­dig aus der Luft gewi­chen. Es war kaum noch mög­lich, sich auf den Weg zu kon­zen­trie­ren, da die Kulis­se mit jedem Meter ein­drück­li­cher wur­de. End­lich erreich­ten wir den Gip­fel auf 5675 Metern. All die Stra­pa­zen waren in die­sem Moment ver­ges­sen; der Blick auf die in glei­ßen­des Son­nen­licht getauch­ten Ber­ge war atem­be­rau­bend. Wir hat­ten ein gutes Zeit­fens­ter erwischt und konn­ten eine hal­be Stun­de lang einen fast unge­trüb­ten Blick auf den Ever­est und die umge­ben­den Ber­ge genie­ßen. Der Wind weh­te in kräf­ti­gen Böen. Sein Pfei­fen über­tön­te alle ande­ren Geräu­sche.

Nun waren wir schon so hoch gestie­gen und noch immer blick­ten wir auf Gigan­ten, die wie Wän­de vor uns stan­den. Es war leicht, sich vor­zu­stel­len, war­um die umlie­gen­den Ber­ge als Wohn­sitz der Göt­ter gel­ten. Der Ever­est heißt bei den Nepa­li Sag­ar­man­tha – „Stirn des Him­mels“ – die Tibe­ter nen­nen ihn Qoma­l­ang­ma – „Mut­ter des Uni­ver­sums“.

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Doch lei­der ist Respekt nicht allen Men­schen zu Eigen. Trotz der Gebets­fah­nen, die die­sen Ort als hei­lig kenn­zeich­nen, nutz­te ein 50-jäh­ri­ger Rus­se die Gele­gen­heit, um sei­ne deut­lich jün­ge­re Freun­din oben ohne vor die­ser Kulis­se abzu­lich­ten. Sicht­bar stolz auf die Rei­ze sei­ner Gefähr­tin, erklär­te er mir, dies wäre sein Hob­by. Sie hät­ten ähn­li­che Fotos auf allen Kon­ti­nen­ten gemacht. Man­che Leu­te wis­sen wohl wirk­lich nicht, was sie mit ihrem über­mä­ßi­gen Reich­tum anfan­gen sol­len!

Ich war glück­lich, dass ich bis zum Schluss durch­ge­hal­ten hat­te. Da saß ich nun, umge­ben von beängs­ti­gen­den Abgrün­den auf allen Sei­ten, blick­te auf gigan­ti­sche Ber­ge, Glet­scher und Seen und ver­such­te die Atmo­sphä­re tief in mich ein­zu­sau­gen. Ich war berauscht. Höher wür­de ich in mei­nem Leben viel­leicht nie­mals kom­men – mei­ne Höhen­angst hat­te ich auch mit einer Rei­he von Ross­ku­ren nicht ver­rin­gern kön­nen. Im Gegen­teil. Also schied Berg­stei­gen aus.

Schließ­lich war es ein beson­de­res Schau­spiel zu beob­ach­ten, wie sich die Wol­ken­wän­de blitz­schnell aus dem Tal nach oben beweg­ten und die Ber­ge ver­hüll­ten.

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Auf dem Weg zurück ins Tal schweb­te ich fast.

 

Hug­han und John bra­chen nach der Rück­kehr zum Base Camp auf. Da mich der Besuch dort wenig reiz­te, mach­te ich mich deut­lich spä­ter auf den Weg, um zumin­dest einen Blick auf den Khum­bu-Glet­scher zu wer­fen, der sich vom Ever­est hin­ab­zieht. Der tosen­de Lärm, wenn Spal­ten vom Glet­scher abbra­chen, war ohren­be­täu­bend. An man­chen Stel­len hat­ten sich klei­ne Seen gebil­det; das schim­mern­de Hell­blau bestimm­ter Eis­schich­ten wirk­te unwirk­lich. Eini­ge hun­dert Meter vor dem Base Camp mach­te ich kehrt. Spä­ter sah ich in einem Muse­um in Pokha­ra Auf­nah­men ver­schie­de­ner Glet­scher, 40 Jah­re alte Bil­der ver­gli­chen mit aktu­el­len. Ich war scho­ckiert zu sehen, dass der Kumbhu-Glet­scher in die­sem Zeit­raum die Hälf­te sei­ner eins­ti­gen Grö­ße ein­ge­büßt hat. Wenn man bedenkt, dass der Hima­la­ya mit sei­nen Glet­schern das Was­ser­re­ser­voir für gro­ße Tei­le Asi­ens und Lebens­grund­la­ge für über eine Mil­li­ar­de Men­schen dar­stellt, muss man sich gro­ße Sor­gen machen. An weni­gen Orten kann man so deut­lich die Kli­ma­ver­än­de­run­gen erken­nen, die sich gera­de voll­zie­hen.

 

Nachts war die Tem­pe­ra­tur im Zim­mer unter dem Gefrier­punkt; im Bart setz­te sich Eis fest.

Am nächs­ten Mor­gen hat­ten wir kla­res Wet­ter. Nach der Käl­te der Nacht wur­de es in der Son­ne rich­tig heiß. Ich genoss einen letz­ten Blick auf das unglaub­li­che Natur­schau­spiel. Dann mach­ten wir uns wie­der an den Abstieg. Schon nach weni­gen Kilo­me­tern wur­de offen­sicht­lich, dass ich den bei­den nicht fol­gen konn­te. Sie hat­ten sich vor­ge­nom­men, den gan­zen Weg bis nach Nam­che in einem Stück zu lau­fen. Doch berg­ab kam ich nur lang­sam vor­an. Ich ver­ab­schie­de­te mich herz­lich von ihnen. Für einen Moment war ich betrübt. Doch schnell wur­de mir klar, dass ich im Grun­de ganz froh war, nie­mand mehr hin­ter­her­he­cheln zu müs­sen und mein eige­nes Tem­po zu gehen. Außer­dem erschien es unsin­nig zu het­zen. War­um soll­te ich die tol­le Wan­de­rung nicht gemäch­lich aus­klin­gen las­sen? So fokus­sier­te ich mich auf das ein­ma­li­ge Pan­ora­ma.

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Mit jedem Kilo­me­ter ström­te mehr Luft in mei­ne Lun­gen. Der Treck ende­te wie er begon­nen hat­te – allei­ne. Doch ich war vol­ler neu­er Kraft. Das Kämp­fer­herz hat­te den Schmerz besiegt.

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Antworten

  1. […] Etwas höher hin­aus woll­te Ole­an­der, und nimmt uns bei den Rei­se­de­pe­schen mit An den Fuß des Ever­est. Das fin­de ich beson­ders inter­es­sant, da ich davon aus­ge­he, dass der Hima­la­ya (neben Mond, Mars und allem wo man per Tauch­aus­rüs­tung hin­muss) defi­ni­tiv eine der Regio­nen ist, die ich in die­sem Leben nicht per­sön­lich erkun­den wer­de. Die groß­ar­ti­gen Fotos sind eine ganz eige­ne Rei­se in eine für mich fer­ne bis uner­reich­ba­re Welt. Teil 1: Von Frie­den, Schmerz und Freund­schaft – Teil 2: Ins Hoch­ge­bir­ge […]

  2. […] Etwas höher hin­aus woll­te Ole­an­der, und nimmt uns bei den Rei­se­de­pe­schen mit An den Fuß des Ever­est. Das fin­de ich beson­ders inter­es­sant, da ich davon aus­ge­he, dass der Hima­la­ya (neben Mond, Mars und allem wo man per Tauch­aus­rüs­tung hin­muss) defi­ni­tiv eine der Regio­nen ist, die ich in die­sem Leben nicht per­sön­lich erkun­den wer­de. Die groß­ar­ti­gen Fotos sind eine ganz eige­ne Rei­se in eine für mich fer­ne bis uner­reich­ba­re Welt. Teil 1: Von Frie­den, Schmerz und Freund­schaft – Teil 2: Ins Hoch­ge­bir­ge […]

  3. Avatar von Ahihogodav
    Ahihogodav

    lus clo­mid iden­ti­cal or fra­ter­nal twins clo­mid start day 6

  4. Avatar von Jozef
    Jozef

    Dan­ke Ole­an­der fur dein tol­ler bericht, aus dem her­zen geschrie­ben. Wir haben dei­nen sto­ry genos­sen und wer­den in marz 2017 die stre­cke Jiri-bis Gokyo-Jiri zu fuss machen.

    1. Avatar von Oleander Auffarth

      Lie­ber Jozef! Freut mich sehr, dass Euch mei­ne Geschich­te gefal­len hat und Ihr sie mit dem Her­zen lesen konn­tet. Ich wün­sche Euch unver­gess­li­che Ein­drü­cke auf Eurer Wan­de­rung. Von den Gokyo-Seen habe ich lei­der nur Bil­der von mei­nem Freund gese­hen, aber sie sind defi­ni­tiv ein beson­ders schö­nes Ziel.
      Alles Gute für Euch! Lie­be Grü­ße! Ole­an­der

  5. […] Etwas höher hin­aus woll­te Ole­an­der, und nimmt uns bei den Rei­se­de­pe­schen mit An den Fuß des Ever­est. Das fin­de ich beson­ders inter­es­sant, da ich davon aus­ge­he, dass der Hima­la­ya (neben Mond, Mars und allem wo man per Tauch­aus­rüs­tung hin­muss) defi­ni­tiv eine der Regio­nen ist, die ich in die­sem Leben nicht per­sön­lich erkun­den wer­de. Die wun­der­schö­nen Fotos sind eine ganz eige­ne Rei­se in eine für mich fer­ne bis uner­reich­ba­re Welt. Teil 1: Von Frie­den, Schmerz und Freund­schaft – Teil 2: Ins Hoch­ge­bir­ge […]

  6. Avatar von Aylin

    Ole­an­der, es ist immer ein Genuss, über Dei­ne Aben­teu­er zu lesen!

    1. Avatar von Oleander Auffarth

      Vie­len herz­li­chen Dank, Aylin! Da freue ich mich tie­risch! Ganz lie­be Grü­ße, Ole­an­der

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