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Per Anhalter über den Atlantik

“Ein See­unge­heuer, kommt schnell hoch!” schreit Jeppe, der heute die Früh­wa­che über­nom­men hat, ins Boot­s­in­nere. So plötz­lich aus dem Schlaf geris­sen, schre­cke ich auf und stoße mir den Kopf an dem Holz­bal­ken über mei­ner Schlaf­koje. Es muss noch recht früh sein, draus­sen sind gerade die ers­ten Son­nen­strah­len zu sehen. “Ver­dammt, was ist denn los?” flu­che ich im Halb­schlaf vor mich hin und reibe mir die schmer­zende Stelle am Kopf. Ich schäle mich aus mei­nem Schlaf­sack und ver­su­che mit akro­ba­ti­schen Bewe­gun­gen aus der Koje, die wegen ihren knap­pen Maßen, dem mod­ri­gen Geruch und der sich darin sam­meln­den Feuch­tig­keit von allen zynisch “the Coffin” (der Sarg) genannt wird, her­aus zu klettern.

Atlantiküberquerung, Atlantik, Ozean

Als wir am 21. Dezem­ber in Kap Verde able­gen, lie­gen noch 2300 See­mei­len vor uns, bis wir die andere Seite des Atlan­tiks errei­chen werden.

Julia und Lisa, Bootstrampen

Wir freuen uns, mit Karl, Jeppe, Micole und Tara die letzte Etappe unse­res Segel­aben­teu­ers zurück zu legen: Von Kap Verde über den Atlan­tik nach Tobago in der Karibik.

Oben an Deck, zeigt Jeppe auf die Wel­len hin­ter dem Boot. „Seht ihr den Schat­ten?“ fragt er ganz auf­ge­regt. Auch der Rest der Crew und unsere kleine, neu­gie­rige Boots­katze Tara, haben sich mitt­ler­weile oben ein­ge­fun­den, um nach dem ver­meint­li­chen Mons­ter Aus­schau zu hal­ten. Dort hin­ten sehen wir tat­säch­lich einen gro­ßen Schat­ten und kurz dar­auf eine spitze Rücken­flosse, die die Was­ser­ober­flä­che scharf durch­schnei­det. Schnell sind wir uns einig, dass es sich bei dem “See­unge­heuer“ um einen ziem­lich gro­ßen Hai han­deln muss. Der Gedanke, dass die­ser Besuch aus den Tie­fen des Oze­ans, auch ges­tern, als wir zur Erfri­schung ins Was­ser gesprun­gen sind, schon hätte vor­bei­schauen kön­nen, lässt uns alle erschaudern.

Bad im Atlantik

Ein Bad im Atlan­tik. Hof­fent­lich las­sen uns die Haie in Ruhe…
An der Leine im Vor­der­grund hängt gesal­ze­ner Fisch, den wir zum trock­nen in die Sonne gehängt haben.

Jetzt aber hei­ßen wir die kleine Abwechs­lung sehr Will­kom­men, denn seit unse­rem Start vor zehn Tagen, umgibt uns nichts als die schein­bar unend­li­che Weite des Atlantiks…blaues Was­ser, blauer Him­mel. Selbst die Wol­ken sind weiß-blau. Kein Sti­mu­lus, kein Reiz, den das Auge auf­fan­gen und ver­ar­bei­ten kann. Die zehn Qua­drat­me­ter Flä­che, die wir uns mit fünf Leu­ten tei­len, fühlt sich von Tag zu Tag enger an. Und vor uns lie­gen wei­tere elf Tage, bis wir Tobago in der Kari­bik errei­chen. Am 21. Dezem­ber, genau zwei Monate nach unse­rer Abfahrt in Gibral­tar, haben wir mit Karls Segel­boot „TARA“ den Hafen in Min­delo (Kap Verde) ver­las­sen. Kurs: 270 Grad! Gerade Rich­tung Westen…

Karl, unser Kapi­tän, hatte vor einem Jahr die Idee, mit einem Segel­boot um die Welt zu rei­sen. Er machte kur­zer­hand den Segel­schein, übte ein wenig in hei­mi­schen Gewäs­sern, schmiss sei­nen Job als Hotel­ma­na­ger, kaufte sich das Boot “Tara” und segelte vor eini­gen Mona­ten in Schwe­den los. „Wie lange ich unter­wegs sein werde, weiß ich noch nicht. Viel­leicht die nächs­ten zwan­zig Jahre. Mal sehen…“

Der ganz normale Wahnsinn – unser Alltag auf dem Ozean

Bald ver­liert sich der grosse Schat­ten end­gül­tig in den schäu­men­den Wogen des Mee­res und der Fokus liegt schnell auf unse­ren knur­ren­den Mägen, die uns an das aus­ste­hende Früh­stück erin­nern. Seit ein paar Stun­den ist der Wind stär­ker gewor­den und die Wel­len wer­fen das Boot von der einen auf die andere Seite. Kochen ist bei die­sem Wel­len­gang ein ganz beson­de­res Kunststück.

Die Balance zu hal­ten, ist mit zwei freien Hän­den schon kein ein­fa­ches Unter­fan­gen – wäh­rend­des­sen noch alle Zuta­ten zusam­men zu mixen, um dar­aus irgend­wie eine Mahl­zeit zu kre­ieren, ist eine echte Her­aus­for­de­rung. Ganz stolz dar­auf, dass es doch funk­tio­niert hat, stelle ich den Topf mit Por­ridge kurz auf die Ablage, um ein paar Löf­fel aus dem Schrank zu holen. Noch im sel­ben Moment rutscht unser Früh­stück her­un­ter und brei­tet sich gleich­mä­ßig über dem Boden aus.

Sal­zi­ges Popcorn…eines unse­rer täg­li­chen Highlights.

Zur Krö­nung kommt Karl im sel­ben Moment aus dem Bade­zim­mer und teilt uns mit, dass die Toi­lette nicht mehr funk­tio­niert. „Ich habe die Pumpe aus­ge­baut und schaue mir mal an, wo der Feh­ler liegt“. Mit der Pumpe in der Hand klet­tert er über unser „Früh­stück“ nach Drau­ßen ins Cock­pit. Ich bin immer noch damit beschäf­tigt, den Brei auf­zu­krat­zen, als Karl laut anfängt zu flu­chen. „Ver­dammt Leute, die Pumpe wurde von einer Welle mit­ge­ris­sen. Die Toi­lette kön­nen wir bis zur Ankunft vergessen.“

Nagut…dann müs­sen wir uns für die nächs­ten knapp zwei Wochen, eine krea­tive Alter­na­tive über­le­gen. Jeppe fin­det eine aben­teu­er­li­che Lösung: Er rutscht unter der ers­ten Sprosse der Reh­ling mit dem Ober­kör­per hin­durch und hält den Hin­tern über das offene Was­ser- auf Papier kann dabei ver­zich­tet wer­den, denn je nach Lage des Boo­tes gibt es eine Dusche inklusive.

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Die­ser Vor­mit­tag war außer­ge­wöhn­lich ereig­nis­reich. Nor­ma­ler­weise lau­fen die Tage an Bord eher ruhig ab. Die letzte Wach­schicht endet mor­gens um neun, dann berei­tet meis­tens jemand das Früh­stück zu und danach haben wir erst­mal wie­der Zeit. Zeit ist hier keine knappe Res­source. Knapp drei­hun­dert­und­fünf­zehn Stun­den (Schlaf abge­zo­gen) blei­ben uns zum Lesen, Schrei­ben, Kochen, Essen, Musi­zie­ren, Fischen, Pod­cast hören, Dis­ku­tie­ren, Phi­lo­so­phie­ren, Wel­len­be­ob­ach­ten und Tagträumen.

Kartenspiel, Schifffahrt

Eine Mög­lich­keit zum Zeit­ver­trei­ben: Kartenspielen.

Lisa, Julia

Von Lethar­gie zum Wahn­sinn. Vom Wahn­sinn zur Lethar­gie. In der letz­ten Woche auf See gibt es keine Ver­fas­sung mehr dazwischen.

Aus­ser­dem haben wir jetzt genug Zeit, um uns dar­über Gedan­ken zu machen, wie wir von Tri­ni­dad, der süd­lichs­ten Insel in der Kari­bik,  auf das süd­ame­ri­ka­ni­sche Fest­land kom­men. Eigent­lich hat­ten wir ja nach einem Boot gesucht, dass direkt nach Bra­si­lien segelt. Bis Karl uns im Hafen von Min­delo auf sein cha­ris­ma­ti­sches, altes Holz­boot ein­ge­la­den hat. „Ihr sucht nach einem Boot? Kommt doch mit uns! Wir segeln heute Abend, bes­ser gesagt, in vier Stun­den los“. Die Crew, Karl, Jeppe und Micole, war uns sofort sym­pa­thisch und das alte Segel­boot sah auch ein­fach so ein­la­dend gemüt­lich aus, dass wir uns kur­zer­hand ent­schie­den mitzusegeln.

Katze, Boot

Die kleine ehe­ma­lige Stras­sen­katze “Tara” (nach dem Boot benannt) gehört seit Marokko mit zur Boots­fa­mi­lie. Sie lief Jeppe und Karl auf der Strasse hin­ter­her und folgt den bei­den seit je her auf Schritt und Tritt.

Zum Mit­tag soll’s heute Pasta geben. Wäh­rend ich das etwas mod­rig rie­chende Was­ser für die Nudeln aus unse­rem Süß­was­ser­tank in den Topf pumpe, das letzte Stück Käse für die Soße aus unse­rem Vor­rat hole und ihn von dem pel­zig, blau-grü­nen Schim­mel befreie, muss ich unwei­ger­lich an den Lager­feu­er­klas­si­ker “Wir lagen vor Mada­gas­kar” den­ken und summe das Lied vor mich hin… “Der Langhein war der erste, er soff von dem fau­len Naß. Die Pest gab ihm das Letzte und wir ihm ein Seemannsgrab”.

Mod­ri­ger Geruch und Schim­mel sind an Bord inzwi­schen unsere stän­di­gen Beglei­ter. Unsere Kla­mot­ten füh­len sich an, wie in mei­ner Vor­stel­lung jene von Scott und Amund­sen: Als ich damals von ihren Aben­teu­ern gele­sen habe, konnte ich mir nicht recht vor­stel­len, wie es sich anfüh­len muss, von Salz­was­ser, Schmutz und Schweiß ganz steife und ölige Klei­dung zu tra­gen. Jetzt weiß ich es…

Es gibt nicht all­zu­viel zu tun in den ein­und­zwan­zig Tagen…

Nach dem Mit­tag­essen machen wir es uns ein biss­chen auf Deck gemüt­lich, schrei­ben, lesen und erzäh­len uns lus­tige Geschich­ten. Karl schau­kelt in der Hän­ge­matte hin und her, die er zwi­schen den Mas­ten befes­tigt hat, wäh­rend Jeppe die Angel­leine aus­ge­wor­fen hat und dar­auf hofft, dass es heute einen fri­schen Fisch zum Abend­essen geben wird.

Fisch, Angeln, Ozean

Manch­mal beißt eine Gold­ma­krele, ein Thun­fisch, ein­mal sogar ein Schwert­fisch an. Fri­scher Fisch bie­tet eine will­kom­mene Abwechs­lung in unse­rem täg­li­chen Menü aus Reis und Nudeln.

Gegen Abend nimmt der Wind wie­der zu und die Wel­len wer­den mit jedem Kno­ten Wind­ge­schwin­dig­keit höher. Das Boot ächzt und knackt bei jeder Bewe­gung. Die Kräfte der Natur zei­gen Ihre Stärke. Ich hin­ge­gen fühle mich kraft­los. Nach zehn Tagen auf See sehnt sich mein gan­zer Kör­per nach Bewe­gung, sinn­li­chem Input, ange­neh­men Gerü­chen und Klän­gen. Wir haben gerade erst die Hälfte der Stre­cke hin­ter uns – vor uns lie­gen noch 1200 See­mei­len. Ich ver­liere mich in Gedan­ken, träume von der Ankunft, von grü­nen Wäl­dern, Fel­sen, Vogel­ge­sang und fri­schen saf­ti­gen Früchten.

Atlantik

Bis zum Hori­zont nichts als Was­ser. Manch­mal bekom­men wir Besuch von Del­fi­nen, Haien oder Walen. Und dann sind wir wie­der alleine…zumindest gefühlt. Immer­hin erstreckt sich unter uns ein par­al­le­les, uner­gründ­li­ches Universum.

Eine stürmische Nacht

Heute über­nehme ich die erste Schicht der Nacht­wa­che, halte nach mög­li­chen Gefah­ren Aus­schau (Fracht­schiffe oder andere Segel­boote, die unse­ren Weg kreu­zen könn­ten), behalte den Wind und die Segeln im Blick.

Für uns alle ist diese Zeit des Tages ein High­light: die ein­zige Zeit, die wir für uns ganz alleine haben. Die Nacht ist magisch. Das Boot schwebt – wie in einem psy­che­de­li­schen Traum – auf einer Licht­wolke durch die Dun­kel­heit. Fast so, als würde der Ster­nen­him­mel im Meer reflek­tiert wer­den. Das “Mee­res­leuch­ten” tritt auf, wenn bestimmte Mikro­or­ga­nis­men bei Berüh­rung oder Bewe­gung kurze Licht­si­gnale aus­sen­den. Manch­mal blit­zen sogar ganze „Licht­bälle“ hin­ter dem Boot auf, bis sie eine Sekunde spä­ter für immer in der Dun­kel­heit des Oze­ans verschwinden.

Als Micole zum Schicht­wech­sel ins Cock­pit kommt, ist der Wind so stark, dass sich das Boot stark nach links lehnt. Kalte Regen­trop­fen pras­seln herab. „Wir soll­ten das Fock ein­neh­men“ rufe ich Nicole zu. Inzwi­schen drückt der Wind das Boot so stark zur Seite, dass es kaum mög­lich ist, noch auf­recht zu ste­hen. Micole reisst an der Leine, um das Segeln zu ref­fen – aber die Leine hat sich irgendwo festgeklemmt.

Ich klet­tere ins Boot­s­in­nere, um den Rest der Crew zu wecken. Mit ver­ein­ten Kräf­ten, ver­su­chen wir die klem­mende Leine zu befreien. Der Boots­rand und die Was­ser­ober­flä­che sind mitt­ler­weile auf der­sel­ben Höhe. „Wie sehr kann sich ein Boot wohl nei­gen, bevor es ken­tert?“ Im sel­ben Moment schwappt eine rie­sige Welle ins Cock­pit, sodass wir Knie­hoch im Was­ser ste­hen. End­lich schafft es Karl die Leine zu lockern und das Segel ein­zu­neh­men. Erleich­tert schauen wir uns an und müs­sen lachen – wenigs­tens mal ein biss­chen Aktion an Bord!

 

Sehn­suchts­vol­ler Blick zum Hori­zont. „Heute oder mor­gen müsste die Insel Tobago in der Ferne auftauchen.“

Land in Sicht!

Am Mor­gen des ein­und­zwan­zigs­ten Tages auf See, zeich­nen sich am Hori­zont end­lich die Kon­tu­ren von Tobago ab. Wir kön­nen es kaum erwar­ten, wie­der Fest­land unter unse­ren Füs­sen zu spü­ren. Je näher wir der Insel kom­men, desto inten­si­ver neh­men wir die neuen, auf­re­gen­den Gerü­che wahr…der Duft tro­pi­scher Blü­ten und feuch­ter, moo­si­ger Wäl­der. Aben­teuer und Unge­wiss­heit lie­gen in der Luft. Peli­kane krei­sen um unser Boot, vor uns erhe­ben sich schroffe Fel­sen und dahin­ter der satt­grüne, ber­gige Regenwald.

Drei Monate sind ver­gan­gen, seit­dem wir das euro­päi­sche Fest­land ver­las­sen haben, wir sind mit fünf ver­schie­de­nen Boo­ten mit­ge­se­gelt und haben über 3000 See­mei­len zurück­ge­legt. So wirk­lich kön­nen wir noch nicht glau­ben, dass wir tat­säch­lich per Anhal­ter auf der ande­ren Seite des atlan­ti­schen Oze­ans ange­kom­men sind!

Tobago

Land in Sicht! Endlich!

 

Karibik, Tobago

Ange­kom­men!

Cate­go­riesWelt
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Lisa & Julia Hermes

"Reisen ist unsere Leidenschaft. Vor allem langsam zu reisen: wenn wir uns trampend, radelnd oder zu Fuß von Ort zu Ort bewegen, haben wir das Gefühl, die Länder, die Menschen und Kulturen unmittelbarer erleben zu können." Gemeinsam reisen die zwei Schwestern seit Juli 2017 ohne Flugzeug um die Welt.

  1. Jens H. Lohmann says:

    Hallo, ein tol­ler Bericht! Vie­len Dank dafür. Ich bin selbst ein wenig segel­erfah­ren und find die unspek­ta­ku­läre und rea­lis­ti­sche Schil­de­rung der Erleb­nisse sehr gut und wohl­tu­end unan­ge­strengt. SUPER!

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