I

In einem Land vor unserer Zeit

„Wann ist denn heute der Wech­sel zur Ebbe“, frage ich den Fischer, nach­dem er das als bes­ten Zeit­punkt angibt, um mit den Man­tas zu schnor­cheln. „Am Nach­mit­tag.“ Aha. Durch­aus ver­ständ­lich. Ver­schiebt sich jeden Tag. Kann man nicht so genau wis­sen, wann das mor­gen sein wird. „Wann wol­len wir uns denn dann tref­fen?“ „Am Mor­gen.“ Aha. Ver­stehe ich auch, wenn man sich da nicht so ganz fest­le­gen will. Und als ich ihn dann noch frage, was denn die beste Zeit wäre, um als Fischer einen guten Fang zu lan­den, da ant­wor­tet er nur kühn: „Na, wenn die Sonne nicht mehr so hoch steht.“

Je mehr man den Papua Fra­gen stellt, die mit der Zeit in Zusam­men­hang ste­hen, desto mehr bekommt man den Ein­druck, dass man es mit dem Ver­ständ­nis für die Zeit hier nicht ganz so hat. Geschweige denn, mit dem Rich­ten nach der Zeit. Die nette Dame, die einen vom Flug­ha­fen abholt, ver­spä­tet sich eine Stunde. Das scheint nicht außer­ge­wöhn­lich und auch nicht erwäh­nens­wert. Wenn sich die Men­schen ver­ab­re­den, so ist das ent­we­der am Mor­gen, am Nach­mit­tag oder am Abend. Der Mit­tag würde sich zwar auch anbie­ten, da ist es aber schlicht­weg zu heiß.

Die Zeit, sie ist ein west­li­ches Kon­zept. Hier in Papua-Neu­gui­nea, zwi­schen den tau­send klei­nen Insel­chen inmit­ten von dich­tem, unbe­rühr­tem Urwald ist sie noch nicht ganz ange­kom­men. Nach sie­ben Wochen im Land sehe ich die Desti­na­tion nicht mehr als irgend ein wei­te­res exo­ti­sches Rei­se­ziel in Süd­ost­asien an, nein, es ist schlicht­weg das Ende der Welt. Ja, ich weiß, viele bezeich­nen Ushuaia in Argen­ti­nien als das Ende der Welt, doch ich bin der Auf­fas­sung, Papua-Neu­gui­nea ist das heu­tige Ende der Welt, und zwar genau aus die­sem Grund: Die Zeit scheint hier still zu ste­hen. Nein, so kann man es eben nicht mal aus­drü­cken. Das Kon­zept ‚Zeit‘ ist ein­fach nie durch­ge­drun­gen. Es ist eine Erfin­dung der bim bims, der Wei­ßen, wie man die Neu-Ankömm­linge hier­zu­lande nennt. Einst waren es die Kolo­nia­lis­ten, die alles bes­ser wuss­ten, viel ver­bo­ten und Irrun­gen und Wir­run­gen in die Köpfe der Men­schen setz­ten. Jetzt sind es die weni­gen Tou­ris­ten die vor­bei­kom­men, alles foto­gra­fie­ren, viel fra­gen und am Ende doch nichts ver­ste­hen. Sie alle brach­ten ihre Uhren, diese klei­nen Maschin­chen, die mit dem stän­di­gen Drang alles schnel­ler und effek­ti­ver zu machen einhergehen.

In Port Moresby (die Haupt­stadt) baut man jetzt Hoch­häu­ser, man will die Wirt­schaft ankur­beln. Die Arbei­ter müs­sen dort schmerz­haft ler­nen, dass wenn sie sich nicht nach den klei­nen Zei­gern und den Zah­len rich­ten, sie am Abend manch­mal nichts zu essen haben. Doch außer­halb der ein­zi­gen grö­ße­ren Stadt, sprich im rest­li­chen Teil des dritt­größ­ten Insel­staa­tes der Welt, ist vom ver­meint­li­chen Fort­schritt nichts, aber auch gar nichts zu spü­ren. Zeit ist hier, wenn die Sonne auf­geht. Zeit ist auch, wenn sie wie­der unter geht. Alles dazwi­schen geschieht eben. Und alles andere ist Hokus­po­kus. Wer die Dorf­be­woh­ner der Milne Bay, unse­rem ers­ten Stop auf der Reise, fragt, wie alt sie sind, erhält zwar eine Ant­wort – gerne gibt man groß­zü­gige Schät­zun­gen ab – doch man merkt schnell: Genau weiß es eigent­lich nie­mand. Das Kon­zept Alter ist bekannt, der Rest verschwimmt.

Milne Bay

Ich lerne Jef­frey ken­nen. Wo? Na wo man sich eben so trifft, in der Pro­vinz Milne Bay. Auf dem Was­ser. Im Kanu. Als ich ange­fah­ren komme, da freut der Fremde sich. Er setzt sein brei­tes­tes Lächeln auf, dass sein Mund voll Betel­nuss gefärb­ter Zähne her­gibt. Jef­frey ist Fami­li­en­va­ter, mitt­ler­weile sogar stol­zer Opa. Gemein­sam mit sei­ner Fami­lie, lebt er in einer Holz­hütte, die er eigen­hän­dig gebaut hat. Auf Stel­zen, denn der Regen macht den Boden schlam­mig, weich und kalt.

Jef­frey kommt von Fer­gusson, einer ande­ren Insel, etwa vier Stun­den mit der klei­nen Fähre von Alo­tau ent­fernt. Das Land auf dem er und seine Fami­lie leben gehört sei­ner Frau. Das ist hier so üblich in der Milne Bay Pro­vinz. Die Frauen sind die Grund­eig­ner, ver­er­ben das Land wei­ter an ihre Töch­ter. Und die Män­ner haben umzu­zie­hen, wenn sie ein Mäd­chen hei­ra­ten wol­len. Frü­her haben die Mäd­chen dann das Gesicht täto­wiert bekom­men. Mit einer Farbe aus Kohle und Pflan­zen­ex­trakt. Mit einem spit­zen Dorn wurde das Gemisch unter die Haut gesto­chen. Das ganze Gesicht erhielt ein Mus­ter. So wusste jeder, Fin­ger weg, diese Frau ist ver­hei­ra­tet. Heute mögen die Mäd­chen keine Gesicht­st­a­toos mehr, Jeffrey’s Frau und ihre alten Freun­din­nen tra­gen sie noch mit Stolz.

Der herz­lich Alte bringt mir das Lang­lei­nen­fi­schen bei. Ein Stein wird in ein Stück Palm­blatt ein­ge­wi­ckelt, so hat er ein Gewicht, an das er oben eine Schlaufe kno­ten, und die Ange­leine mit dem Haken daran befes­ti­gen kann. Der Haken ist aus Metall, frü­her musste ein spit­zes Stück Kno­chen oder ein gro­ßer Dorn aus­rei­chen. Mitt­ler­weile benutzt er auch ab und zu schim­mernde Schwim­mer, wenn er in der vier Stun­den ent­fern­ten Stadt wel­che ergat­tern kann. Doch der tra­di­tio­nelle Weg sind die Vogel­fe­dern. Und schwups, ist der Stein schon unten. Jef­frey legt den Kopf auf die Seite. Ich halte unsere bei­den Kanus zusam­men, damit wir nicht von­ein­an­der abge­trie­ben wer­den. Die Leine gibt etwas nach. „Siehst du, jetzt bin ich unten auf den Koral­len gelan­det.“ Er beginnt zu zie­hen. Ruck­ar­tige, kleine Züge. „Die Feder muss tan­zen, wie ein Fisch.“ An man­chen Tagen fange er etwas, manch­mal eben nicht. Jef­frey lächelt. „So ist das eben.“ Da ist nicht der Hauch von Ver­bohrt­heit oder Ver­bis­sen­heit. Da ist kein Drang zu grö­ßer, höher, bes­ser, mehr. Da ist ein­fach nur Jef­frey und seine Fami­lie. Da ist das Meer. Und die Fische. Und die, die er heute nicht fängt, na die sind ja mor­gen auch noch da. Kein Pro­blem also. „In mei­nem Gar­ten wächst alles, was wir zum Leben brau­chen. Süß­kar­tof­feln, Papaya, Mango, Kokos­nuss.“ Und dann zählt er noch eine Reihe loka­ler Gemü­se­sor­ten auf, von denen ich vor­her noch nie etwas gehört habe. „Ja, das Leben ohne Strom ist manch­mal hart.“ Das ist das erste Nega­tive, was ich aus sei­nem Mund zu hören bekomme. Doch sofort setzt er wie­der sein unwi­der­steh­li­ches Lächeln auf. „Aber es geht uns gut und wir sind gesund.“ Ist das echt?



Nicht immer ging es nach dem Motto Friede, Freude, Eier­ku­chen zu. Papua-Neu­gui­nea ist eine krie­ge­ri­sche Nation. Betrach­tet man das Land mit sei­nen über 850 ver­schie­de­nen Spra­chen, so wird deut­lich, wel­che Plu­ra­li­tät hier herrscht. 850 Spra­chen, bei gerade ein­mal 8 Mil­lio­nen Ein­woh­nern. Diver­si­fi­zier­ter geht nicht. Das ist Welt­rang­liste Num­mer 1. Jedes Dorf lebt für sich, in sei­nem eige­nen Kos­mos. Somit waren die Ande­ren tra­di­tio­nell eben keine Lands­leute, son­dern eine stän­dige Bedro­hung. Aus der Bedro­hung durch den Feind, in Kom­bi­na­tion mit dem tief ver­wur­zel­ten ani­mis­ti­schen Glau­ben, ist eine krie­ge­ri­sche Kul­tur gewor­den, vol­ler Riten und Ver­tei­di­gungs­ma­nö­ver. Voll hei­li­ger Kos­tüme, die den Fein­den das Fürch­ten leh­ren sol­len – den mensch­li­chen, sowie den feind­li­chen Geis­tern, die im Wald hau­sen. Denn Wald gibt es viel und Wald­geis­ter, so der Glaube, zahl­reich. Gute, als auch böse. Allein jedes Tier reprä­sen­tiert schon einen ande­ren ‚Spi­rit‘.



Sing Sing

Wir neh­men an Sing Sings teil. Auf die­sen ritu­el­len Fes­ten prä­sen­tie­ren die Dör­fer die gesamte Stärke ihrer Krie­ger. In Mas­ken gehüllt, leh­ren sie allem das Fürch­ten, was da aus dem Wald so kom­men möge. Sei es der Feind, so solle er glau­ben, das Dorf habe sich mit den Wald­geis­tern ver­brü­dert. Seien es die Geis­ter, so sol­len sie glau­ben, die Dorf­be­woh­ner haben noch grö­ßere Kräfte, als sie selbst. Die ein­drucks­volls­ten Kos­tüme fin­den wir in den Ber­gen. Hier gibt es die ‚Ske­le­ton-Men‘, die sich mit Kohle und Koral­len­staub in lau­fende Ske­lette ver­wan­deln, oder die Mud Men, die Mat­sch­män­ner, die rie­sige Ton­mas­ken auf dem Kopf tra­gen, ihre Kör­per ganz in den brau­nen Schlamm ein­ge­rie­ben haben und auf ihre Fin­ger lange Bam­bus­kral­len ste­cken. In der Insel-Pro­vinz East New Bri­tain, in der Berg­re­gion hin­ter der Stadt Rabaul, fin­den wir die Feu­er­tän­zer der Bai­ning-Peo­ple. Die Tän­zer unter den Mas­ken, die wie eine Kreu­zung aus mutierte Rie­se­nente und dem Außer­ir­di­schen E.T. aus­se­hen, lau­fen über das Feuer – und das für Stunden.

Ein Lager­feuer wird von den Feu­er­schü­rern für zwei bis drei Stun­den am Bren­nen gehal­ten, wäh­rend die Tän­zer dar­über sprin­gen, lau­fen und dabei die feu­ri­gen Äste und die Glut mit ihren blo­ßen Füßen tre­ten, als wären es nur Fuß­bälle. Unter­malt wird das Ganze von rhyth­mi­schen Gesän­gen und dem Gestampfe von unge­fähr vier­hun­dert Dorf­be­woh­nern – in völ­li­ger Dun­kel­heit. Nur das Licht des Feu­ers erhellt die Mas­ken. Dazwi­schen tan­zen zwei der Geis­ter mit einer leben­di­gen Kobra-Schlange.

Frisch geba­ckene Müt­ter aus dem Dorf brin­gen ihre Neu­ge­bo­re­nen zu den Tän­zern, las­sen sie von ihnen her­um­wir­beln, um ihre Zög­linge immun gegen die bösen Geis­ter wer­den zu las­sen. Jedes Mal wenn einer der Geis­ter­tän­zer wie­der wag­hal­sig in das Feuer kickt oder dar­über läuft, geht ein Rau­nen durch die Menge. Man spürt, wie­viel Bedeu­tung die Men­schen der Zere­mo­nie zuspre­chen. Das ist kein Tou­ris­ten­ab­klatsch. Hier steckt Glaube dahin­ter. Wer einer sol­chen Zere­mo­nie bei­gewohnt hat, dem wird klar, dass er nie­mals alles ver­ste­hen kann, was hier pas­siert. Dass er das aber auch nicht muss, um die Spi­ri­tua­li­tät in sich auf­zu­sau­gen und das Erleb­nis auf sich wir­ken zu las­sen. Das Auf­ein­an­der­tref­fen des phy­si­schen und des geist­lich spi­ri­tu­el­len, in kei­ner der zahl­rei­chen Zere­mo­nien des Lan­des wird es uns so deut­lich wie in die­ser. Mit Sicher­heit trägt auch das Gewit­ter sei­nen Teil dazu bei. Denn die Kulisse, gepaart mit zucken­den Blit­zen am Hori­zont, sie ist ein­fach nur atem­be­rau­bend. Die­ses Erleb­nis lässt Adre­na­lin durch unsere Adern flie­ßen und mich ganz und gar leben­dig fühlen.

East Sepik

Die Reise geht wei­ter in die Sumpf­re­gion des Sepik- und des Kara­wari-Flus­ses. Hier kann man die Kro­ko­dil­män­ner tref­fen. In den Dör­fern ent­lang des Flus­ses, in denen die Men­schen in per­fek­ter Sym­biose mit dem gro­ßen Was­ser­lauf leben, sich von ihm ernäh­ren, sich in ihm waschen, ihn als Straße zur Fort­be­we­gung nut­zen, hier fin­det man ein paar beson­ders eigen­tüm­lich aus­se­hende Bewoh­ner. Ein Mus­ter aus Nar­ben ziert ihren gesam­ten Ober­kör­per. Ein paar aus­er­wähl­ten Jugend­li­chen, wird dazu am gan­zen Kör­per die Haut auf­ge­ritzt – eine Initi­ie­rungs-Zere­mo­nie. Anschlie­ßend wer­den die Wun­den mit Fluss-Schlamm ein­ge­rie­ben. Begin­nen sie zu ver­hei­len, wer­den sie wie­der auf­ge­kratzt und es kommt noch mehr Schlamm hin­ein. So ent­ste­hen dicke dau­er­haft anhal­tende Nar­ben – in Kro­ko­dil­mus­ter­form. Die Trans­for­ma­tion hin zu Kro­ko­dil­män­nern ist fast per­fekt. Denn die alten Geschich­ten der Ahnen müs­sen noch aus­wen­dig gelernt wer­den, um die Her­kunft und Kul­tur des Stam­mes wei­ter­zu­tra­gen, zu kon­ser­vie­ren. In einer Kul­tur, die rein auf ora­ler Tra­di­tion beruht, sprich in der es keine Schrift­stü­cke gibt, ist das der ein­zige Weg.

Die Jun­gen sol­len nun beson­dere Kräfte haben, mit denen sie den Geis­tern das Fürch­ten leh­ren und die Kro­ko­dile im Sumpf erle­gen kön­nen. Aus einer west­li­chen Per­spek­tive her­aus, mag es kaum nach­voll­zieh­bar sein, dass ein Mensch durch eine wochen­lange, zer­mür­bende Zere­mo­nie voll qual­vol­ler Schmer­zen geht, dar­auf stolz ist und die Ver­stüm­me­lung mit Hal­tung auf sich nimmt. Doch für die Dorf­be­woh­ner der East Sepik Pro­vinz ist es eine große Ehre Kro­ko­dil­mann zu wer­den. Ich frage mich, ob auch ich es über mich erge­hen las­sen würde, wenn mir die Ehre zu Teil komme. Das Risiko ein­ge­hen, dass sich die Wun­den infi­zie­ren, gebrand­markt für das Leben zu sein, im Gegen­zug als Schutz­pa­tron, ja fast schon als Hei­li­ger eines Dor­fes ange­se­hen zu werden.

Ein­mal hat ein Wei­ßer das Ver­trauen der Dorf­ge­mein­schaf­ten gewon­nen. Ein Kana­dier, der jah­re­lang als Guide Gäste in den Dschun­gel führte, eng mit eini­gen Fami­lien befreun­det war. Ihm wurde die Auf­nahme in die Fami­lie ange­bo­ten, wenn er die Zere­mo­nie über sich erge­hen ließe. Er schreibt von uner­mess­li­chen Schmer­zen. Schmer­zen, die er nie­mals wie­der ertra­gen wol­len. Von hal­lu­zi­nie­ren­den Fie­ber­träu­men, in denen er seine Ent­schei­dung bereute, doch auch von einer Gemein­schaft, die sei­nes­glei­chen sucht. Wahr­schein­lich würde ich mich ratio­nal dage­gen ent­schei­den. Auch wenn es sicher schmei­chel­haft wäre, und eine große Ehre, wenn eine fremde Kul­tur einem ein der­ar­ti­ges Ver­trauen gegen­über aufbringt.

Wir wol­len uns mit einem Mann unter­hal­ten, der die Zere­mo­nie am eige­nen Kör­per durch­ge­macht hat. Timi, aus dem nächst­ge­le­ge­nen Dorf ist dazu bereit – aller­dings nur im Gegen­zug für ein wenig Taschen­geld. Wir erfah­ren, dass er das öfter macht, wenn es Foto­gra­fen in die Gegend ver­schlägt. Als wir Timi tref­fen, starrt er auf den Boden. Sein rech­ter Fuß scharrt ein wenig im Sand. Alle Augen sind auf ihn gerich­tet. Er kennt das und doch scheint es ihm ein wenig unan­ge­nehm zu sein. Aber mit dem Geld kann er Reis und Zucker kau­fen – abso­lute Luxus­gü­ter in einer Gegend wie die­ser. Viel­leicht reicht es auch für eine Hose für sei­nen klei­nen Sohn. Und ein wenig Stolz scheint es ihn dann auch zu machen, dass diese White Men über den gan­zen Ozean geflo­gen kom­men nur um ihn zu sehen – das merkt man an sei­nen Bli­cken wenn es ans Fotos machen geht.

Doch es ist kein leich­tes Unter­fan­gen sich mit ihm zu unter­hal­ten. Der Mann mit dem schüch­ter­nen Blick ver­steht mich zwar ein wenig, sich aus­zu­drü­cken fällt ihm jedoch schwer. Eng­lisch ist ver­brei­tet in Papua Neu Gui­nea, doch hier in der weit­ge­hend abge­schot­te­ten Pro­vinz East Sepik fin­det man nur wenige, die die Spra­che beherr­schen. Hier spricht man eine von sech­zig ver­schie­de­nen Spra­chen der Fluss­re­gion. Ein paar hun­dert Meter den Fluß hin­auf, schon braucht man einen ande­ren Über­set­zer, wenn es denn über­haupt einen gibt. Unser Guide hilft zu über­set­zen. Was er gespürt habe, möchte ich wis­sen. Nun ja diese höl­li­schen Schmer­zen. Diese unglaub­lich Schmer­zen und dann war da eben noch etwas. Er habe die Geis­ter gese­hen. Sie waren vor der Hütte in der sie aus­har­ren mussten.

Ob er es frei­wil­lig gemacht habe oder von sei­nen Eltern gesandt wurde. Nein, seine Eltern hät­ten ihn nicht gesandt, aber sehr sehr stolz seien sie gewe­sen, als er nach den vier Wochen im Spi­rit Haus wie­der nach Hause gelau­fen kam. Da war er erwach­sen und wurde auf ein­mal von allen aner­kannt. Ob er es denn noch ein­mal machen würde, frage ich. Timi ver­steht nicht. Ja, aber das geht doch gar nicht. Nun ja, ich meine wenn er noch­mal ent­schei­den müsste. Beide, Über­set­zer und Kro­ko­dil­mann kön­nen mir nicht fol­gen. Ja, aber er ist doch ver­wan­delt. Ein zwei­tes Mal initi­iert zu wer­den geht nicht. Ich ver­su­che zu erklä­ren. Na wenn er quasi wie­der­ge­bo­ren wer­den würde. Aaaaaaah. Jetzt wird es den bei­den klar. Nun ver­ste­hen wir uns wie­der. Na ja, ansatz­weise, hof­fent­lich. Dann würde er alles genau so machen, wie er es getan habe. Er sei froh und stolz. Selbst­ver­ständ­lich würde er wie­der Kro­ko­dil­mann wer­den, auch wenn die Schmer­zen hart waren.






Wer das auf sich wir­ken lässt, wer in die Kul­tur der Men­schen ein­taucht, wer ver­sucht zu ver­ste­hen, auch wenn er nicht ver­ste­hen kann, wer beob­ach­tet und nicht urteilt, wer mit einem offe­nen Lächeln auf die Men­schen zugeht, die auf Grund der Geschichte nicht immer jeden Frem­den offen­her­zig in die Arme schlie­ßen, dem kön­nen sich Erfah­run­gen eröff­nen, die ihn ver­än­dern. Mit einem west­li­chen Ver­ständ­nis von Zeit, ja gerade mit der deut­schen Tugend von Pünkt­lich­keit, ein Land wie Papua berei­sen zu wol­len, das kann ver­rückt machen. Wer auf sei­nem Ver­ständ­nis beharrt, der wird sich ärgern, der wird ver­zwei­feln und der wird immer und immer wie­der auf die Uhr schauen, den Kopf schüt­teln und sagen: „Was soll aus denen bloß werden.“

Wer aber davon abrückt, und das dürfte man wohl jedem Papua-Rei­sen­den nur raten kön­nen, wer sich trei­ben lässt, die Uhr aus den Augen ver­liert, ja am bes­ten sogar ganz zu Hause lässt, wer sich davon ver­ab­schie­det einem Zeit­plan hin­ter­her­zu­ren­nen und die Augen weit öff­net für alles, was sich hier manch­mal schon fast in Zeit­lupe abspielt, der lernt eine Nation ken­nen, die über­haupt keine Uhren braucht. Eine Nation, die in Ein­klang mit der Natur lebt und das schon seit Jahr­tau­sen­den getan hat. Völ­lig abge­schot­tet von der rest­li­chen Welt­be­völ­ke­rung. Völ­lig unab­hän­gig vom Zir­kus der auf dem Pla­ne­ten um sie herum ver­an­stal­tet wird. Der dichte Wald schirmt sie von all dem ab. Dichte, grüne Urwäl­der. An vie­len Stel­len des Lan­des noch zu erfor­schen, noch nie von einer Men­schen­seele betre­ten. Hier lernt man Zeit anders wahr­zu­neh­men, die Abläufe der Natur aus einem ande­ren Win­kel zu betrachten.

Und viel­leicht, ganz viel­leicht, am Ende des Tages auch das Kon­zept Zeit zu hin­ter­fra­gen. Denn was ist die Zeit denn schon? Nur eine Ein­heit, irgend­wie linear, und irgend­wann ein­mal defi­niert. Ein nume­ri­sches Sys­tem, dass hier in Papua nicht so wich­tig ist. Schließ­lich hat man es nie gebraucht. Warum also auch jetzt?




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Timo Dersch

Timo Dersch ist Journalist, Redakteur und Fotograf. In seinen Reportagen geht es um das Tauchen und verwandte Reiseziele. Er sagt: „In jedem Gewässer, egal ob süß oder salzig gibt es etwas spannendes zu finden.“ Seine Kamera verwendet er beim Tauchen in Gehäusen von Hugyfot (http://www.hugyfot.com/).

  1. Reelika says:

    WOW!! In 5 Wochen ist es bei mir soweit, dann darf ich eben­falls das „Ende der Welt“ mit mei­nen eige­nen Augen erle­ben. Inzwi­schen habe ich hier im Netz einige Berichte über PNG gele­sen und habe auf Grund die­ser gefühls­mä­ßig auf allen Ebe­nen – vom gro­ßen Respekt bis hin zur tie­fer Über­zeu­gung genau das rich­tige Ziel aus­ge­wählt zu haben – Halt gemacht. Deine Erleb­nisse wecken in mir eine noch stär­kere Rei­se­lust und las­sen mich auf diese Zeit – lei­der sind es nur 3 Wochen – sehr sehr doll freuen. Danke dir dafür!!

  2. Doris says:

    .… Ein Wahn­sinns Arti­kel, ich habe ihn ver­schlun­gen beim Lesen.… Ich glaube für diese Reise bin ich noch nicht soweit, bin Allein­rei­sende , viel Spaß noch bei wei­te­ren Aben­teu­ern und die Fotos sind 

  3. Anna says:

    Das hört sich alles mehr als abend­teu­er­lich an! Danke für den schö­nen Artikel…ich packe mal meine Kof­fer und komme vor­bei! Die Fotos sind der hammer!!!

    Liebe Grüße,
    Anna

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