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Mini-Road­trip durch Luxemburg

Es ist mein ers­ter Abend in Luxem­burg, als ich eine Frage stelle, die hier wahr­schein­lich nur Aus­län­dern in den Sinn kommt. Es ist Ende Juni, die Fuß­ball-WM ist in vol­lem Gange und die Hoff­nung der deut­schen Mann­schaft noch nicht gänz­lich erstickt. Gerade spielt Frank­reich gegen Peru, auf dem Platz vor der Public Vie­w­ing-Lein­wand ist nicht viel los, das Spiel scheint kaum jeman­dem so wich­tig zu sein, dass er dafür frü­her die Arbeit ver­lässt. „Wen unter­stüt­zen denn die Luxem­bur­ger?“, will ich wis­sen und treffe auf über­raschte Gesich­ter. Nicht nur bei die­ser WM, son­dern bei jeder – die luxem­bur­gi­sche Natio­nal­mann­schaft hat sich schließ­lich noch nie für ein gro­ßes Tur­nier qua­li­fi­ziert. „Gute Frage. Wahr­schein­lich man­che Frank­reich, man­che Deutsch­land, man­che Bel­gien. Oder ein­fach den, der am wei­tes­ten kommt.“ Rachel von der Tou­ris­mus­zen­trale in Luxem­burg zuckt mit den Schul­tern. Für sie selbst ist die Frage nach der Natio­nal­mann­schaft aller­dings ein­fach – sie ist Fran­zö­sin und drückt die Dau­men für Les Bleus.

Luxem­burg ist ein ziem­lich diver­ses Land: Etwa die Hälfte der Men­schen, die hier leben, hat die Staats­bür­ger­schaft eines ande­ren Lan­des. Noch dazu gibt es 167.000 Men­schen, die in den angren­zen­den Län­dern leben und täg­lich für die Arbeit nach Luxem­burg pendeln.

Dass Luxem­burg bei der WM nicht mit­spielt, das könnte man bei­nahe anzwei­feln bei all den luxem­bur­gi­schen Flag­gen, die über­all in der Stadt hän­gen. Das Land ist in rot-weiß-hell­blau gehüllt und in jedem zwei­ten Schau­fens­ter hängt ein Bild des Groß­her­zogs, aller­dings aus einem ande­ren Grund: Der Natio­nal­fei­er­tag steht vor der Tür. Ursprüng­lich gedacht, um den Geburts­tag des jewei­li­gen Groß­her­zogs zu fei­ern, wurde das Datum 1961 auf den 23. Juni fest­ge­legt – um nicht im Win­ter fei­ern zu müs­sen. Ist auch schö­ner so: Heute kann man am Abend vor­her ver­schie­denste kos­ten­lose Open-Air-Kon­zerte hören, einem Feu­er­werk zuschauen und – wenn man Lust hat – mit­ten auf der Straße tanzen.

 

 

Am nächs­ten Mor­gen: Kater­stim­mung. Leere Becher, Glit­zer, Kon­fetti, Lam­pi­ons, und eine Kolonne der Stadt­rei­ni­gung, die sich darum küm­mert, die Hin­ter­las­sen­schaf­ten nach und nach weg­zu­räu­men. Ich fliehe in die Unter­stadt, nach Grund, wäh­rend sich die Stadt lang­sam wie­der her­aus­putzt. Hier bin ich ganz alleine unter­wegs, laufe ent­lang der Alzette, die die Stadt ent­spannt durch­fließt. Ein klei­nes Ruder­boot hängt träge unter einer Weide und tän­zelt zwi­schen den glit­zern­den Reflek­tio­nen der Mor­gen­sonne. Ich setze mich auf eine Bank vor einer moos­be­wach­se­nen Stein­wand und lasse den Blick über die engen Gas­sen schwei­fen, als es mir auf­fällt: Aus so vie­len der Fens­ter hängt nicht eine, son­dern ganz ein­fach zwei Flag­gen – die luxem­bur­gi­sche und die deut­sche, die luxem­bur­gi­sche und die fran­zö­si­sche und natür­lich ganz oft die luxem­bur­gi­sche und die por­tu­gie­si­sche, eine der größ­ten Ein­wan­de­rer­grup­pen im Land.

Die Men­schen in Luxem­burg schei­nen etwas begrif­fen zu haben, was in Deutsch­land immer noch nicht selbst­ver­ständ­lich ist: Das mit dem Anfeu­ern, das mit dem Zu-Hause-Füh­len, das mit der „Hei­mat“, die­sem umkämpf­ten Begriff – das ist ganz sicher kein Entweder-Oder.

 

 

Wäre auch schwie­rig, so ein abge­schot­te­tes Luxem­burg. Als wir vor dem Coun­ter der Miet­wa­gen­stelle ste­hen und uns über das geringe Kilo­me­ter­li­mit wun­dern, fragt ein Mit­ar­bei­ter, ob wir vor­ha­ben, mit dem Auto das Land zu ver­las­sen. Nein, eigent­lich nicht. „Dann sage ich Ihnen, die Kilo­me­ter sind mehr als ausreichend.“

Letzt­end­lich schaf­fen wir es dann doch noch in ein ande­res Land: Nach einem lan­gen Tag mit ver­schie­de­nen Stopps im hal­ben Land sind wir an der Mosel unter­wegs und suchen nach einem schö­nen Lokal, um den Abend mit Wein, Essen und dem Blick auf den Fluss aus­klin­gen zu las­sen. Auf ein­mal wird die Straße zu einer Brü­cke, rechts taucht ein Grenz­schild auf. Upps, da sind wir doch tat­säch­lich mal eben wie­der in Deutsch­land gelandet.

Als wir wen­den, stel­len wir fest: Einen sehr guten Grund gibt es, auf die deut­sche Seite zu fah­ren: Man bekommt einen wun­der­schö­nen Blick auf das Ört­chen Gre­ven­ma­cher und die umlie­gen­den Wein­berge – die zwar eben­falls ver­kös­ti­gen, aber abends schon geschlos­sen haben. Am Ende wer­den wir im Bis­tro Quai fün­dig und hät­ten uns nichts Bes­se­res wün­schen kön­nen: Der Cré­mant lecker wie über­all in Luxem­burg, das Essen groß­ar­tig und nicht mal extrem teuer, wir sit­zen auf dem Bal­kon direkt über der Mosel und kön­nen von dort aus den Son­nen­un­ter­gang beob­ach­ten. Gegen die Kälte, die vom Fluss nach oben kriecht, gibt es Decken. Müsste ich die eine Sache, die man in Luxem­burg getan haben sollte, benen­nen, es wäre das hier, ein Glas Wein zur Abend­stunde am Moselufer.

 

 

Dabei gibt es doch noch ein paar andere Sachen, die ich erwäh­nen muss: Zum Bei­spiel das Schloss von Vian­den, zu dem einen ein Ses­sel­lift mit traum­haf­ter Aus­sicht bringt. Zwar sind meine Mit­rei­sen­den aus Aus­tra­lien, Grie­chen­land und Eng­land um eini­ges mehr beein­druckt von dem fairy­tale castle als ich, doch die Aus­sicht von oben ist der Wahn­sinn – und die kleine Stadt Vian­den strömt noch so viel gemüt­li­chen Charme aus, dass man gar nicht glau­ben kann, hier in einem der tou­ris­tischs­ten Orte des Lan­des zu stehen.

 

 

Oder unser nächs­ter Stopp, Ech­ter­nach, wo wir nach dem Mit­tag­essen einen klei­nen Spa­zier­gang machen und ganz plötz­lich vor einem alten Klos­ter mit gro­ßer Gar­ten­an­lage ste­hen. Von hier aus gehen jede Menge Wan­der­rou­ten ins Mül­ler­thal ab, auch kleine Luxem­bur­ger Schweiz genannt. Die gro­ßen, alten Wäl­der hier sind vol­ler Sand­stein­fel­sen, die man umwan­dern oder auf denen man klet­tern kann. Manch­mal kann man auch mit­ten durch: Unser Wan­der­weg führt uns durch enge Zwi­schen­räume in den Fel­sen, wie durch ein Laby­rinth, das defi­ni­tiv nicht für Klaus­tro­pho­bi­ker geeig­net ist. Wäh­rend in den ers­ten Fel­sen von oben noch Licht durch die Baum­kro­nen fiel, ste­hen wir im zwei­ten nach ein paar Metern plötz­lich voll­kom­men im Dun­keln. Der Weg scheint immer enger zu wer­den, aber irgend­wie kann man das auch nicht so gut beur­tei­len, ohne etwas zu sehen. Ich bin froh, dass ich nicht alleine bin, und vor allem: Dass ich nicht vorne lau­fen muss. Ich glaube, in den Fel­sen im Mül­ler­thal habe ich mehr Adre­na­lin gespürt als in jeder Geisterbahn.

 

 

Die längste Stre­cke, die wir in Luxem­burg zurück­le­gen, führt uns nach Clerf, wo im Schloss Clervaux seit 1994 die Foto­aus­stel­lung „The Family of Man“ resi­diert. Hier ste­hen gar nicht so sehr die ein­zel­nen Fotos als viel­mehr die Aus­stel­lung als Gan­zes im Vor­der­grund: Der Foto­graf Edward Stei­chen, der aus Luxem­burg stammte, jedoch bereits als Kind in die USA emi­grierte, sam­melte ab 1951 Bil­der berühm­ter Foto­gra­fen von Men­schen aus aller Welt in ver­schie­dens­ten Situa­tio­nen. Die Aus­stel­lung, die ab 1955 im Museum of Modern Art in New York zu sehen war, wurde expli­zit als eine Art Lehre nach den Kriegs­er­fah­run­gen kon­zi­piert. Sie sollte das Ver­ständ­nis gegen­über Men­schen ver­schie­de­ner Her­kunft för­dern – und zei­gen, dass alle Men­schen gleich sind, egal, woher sie stam­men, egal, was sie tun. Außer­dem soll­ten die Bil­der als War­nung die­nen, als eine Art „nie wie­der“: Am Ende der Aus­stel­lung ist ein gro­ßes Bild einer Atom­bom­ben­ex­plo­sion zu sehen.

 

Die Anord­nung der Bil­der in ver­schie­dene The­men wie Liebe, Glaube, Arbeit oder Tanz, unter denen Bil­der von ver­schie­de­nen Men­schen gezeigt wer­den, wirkt aus heu­ti­ger Sicht ziem­lich alt­mo­disch. Aber irgend­wie ist das gerade das Span­nende: Man besucht hier nicht nur eine nor­male Foto­aus­stel­lung, son­dern ein Zeit­do­ku­ment, man erhält einen Blick in die Gedan­ken und Hoff­nun­gen nach dem zwei­ten Welt­krieg. Wobei viele der Fotos selbst­ver­ständ­lich auch für sich spre­chen und einen Besuch loh­nen – es sind bei­spiels­weise Bil­der von so berühm­ten Foto­gra­fen und Foto­gra­fin­nen wie Henri Car­tier-Bres­son, Doro­thea Lange, Robert Capa, Ansel Adams oder Bras­saï darunter.

Ich will die­sen Arti­kel nicht pathe­tisch been­den, aber ich finde, die Aus­stel­lung passt irgend­wie ganz gut nach Luxem­burg, in die­ses kleine, viel­sei­tige, immer wie­der über­ra­schende, offene und inter­na­tio­nale Land, in dem ein Road­trip zwar ein biss­chen klei­ner, aber dafür auf kei­nen Fall weni­ger span­nend ist.

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Die­ser Arti­kel ent­stand im Rah­men einer Pres­se­reise mit Visit Luxem­bourg.

Cate­go­riesLuxem­burg
Ariane Kovac

Hat ihr Herz irgendwo zwischen Lamas und rostigen Kleinbussen in Peru verloren. Seitdem möchte sie so viel wie möglich über andere Länder und Kulturen erfahren - wenn möglich, aus erster Hand.

Wenn sie gerade nicht unterwegs sein kann, verbringt sie viel Zeit damit, den Finger über Landkarten wandern zu lassen und ihre eigene Heimat ein bisschen besser zu erkunden, am liebsten zu Fuß. Immer dabei, ob in Nähe oder Ferne: Kamera und Notizbuch, denn ohne das Schreiben und das Fotografieren wäre das Leben für sie nicht lebenswert.

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