Endlich Marokko! Teil 2: Die Überfahrt.

Marok­ko ist voll­kom­men harm­los,“ sagen die, die schon mal da waren.

„MAROKKO?! Herr­je, lass dich bloß nicht weg­fan­gen,“ sagen die, die noch nicht da waren.

„Marok­ko ist im regio­na­len Kon­text ein ver­gleichs­wei­se poli­tisch sta­bi­les Land mit guter tou­ris­ti­scher Infra­struk­tur. Es gibt aber auch in Marok­ko Gefah­ren­ele­men­te. So besteht ein Risi­ko ter­ro­ris­ti­scher Anschlä­ge mit isla­mis­ti­schem Hin­ter­grund, die ins­be­son­de­re auf aus­län­di­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge abzie­len kön­nen,” sagt das Aus­wär­ti­ge Amt.

Irgend­wo zwi­schen die­sen drei Aus­sa­gen ste­he ich jetzt vorm Spie­gel in mei­nem kar­gen Zim­mer des Lis­boa Hos­tal in Alge­ci­ras und über­le­ge, was ich mor­gen anzie­hen soll.

Den Tag habe ich auf dem Fel­sen von Gibral­tar ver­bracht und mit einer Mischung aus Sehn­sucht, Angst und Auf­re­gung schon mal das Ufer betrach­tet, zu dem ich mor­gen über­set­zen wer­de.

Jetzt betrach­te ich mein Spie­gel­bild und stel­le fest, dass ich zwar nicht mehr aus­se­he wie ein Tou­rist, dafür aber eher wie ein Ter­ro­rist. Immer­hin. Hört bei­des mit “-rist” auf.

terrorist

Ja gut, das ist dann viel­leicht doch etwas über­trie­ben, den­ke ich und wüh­le mich wei­ter durch mei­nen Ruck­sack. Die Fra­ge nach dem  Out­fit ist für mich auf Rei­sen nor­ma­ler­wei­se über­flüs­sig.

Wer all sein Hab und Gut auf dem Rücken trägt, dem bleibt nicht viel Platz für Eitel­kei­ten.

Mir ist natür­lich klar, dass Marok­ko längst von euro­päi­schen Tou­ris­ten über­lau­fen ist und ich mir die Gedan­ken um den “Dress­code” eigent­lich gar nicht machen muss. Aber da drü­ben war­tet immer­hin eine mir völ­lig frem­de Kul­tur und der will ich zumin­dest mit Respekt begeg­nen.

Das, was ich schluss­end­lich für den Mor­gen auf dem Bett dra­pie­re, ist eine aus­ge­gli­che­ne Mischung aus den bei­den  ”-ris­ten”. Zufrie­den mit die­ser Aus­wahl mache ich das Licht aus und decke mich mit Vor­freu­de zu.

Nach dem Wecker­klin­geln brau­che ich am Mor­gen nicht lan­ge, bis ich unten vor der Pen­si­on auf der noch müden Stra­ße ste­he. Zwei Näch­te war ich hier. Und bin froh, wei­ter­zu­zie­hen.

Alge­ci­ras besticht durch den tris­ten Charme einer War­te­hal­le.

Kei­ne lie­be­voll bepflanz­ten Bee­te, kei­ne gepfleg­ten Häu­ser­fas­sa­den, kei­ne gemüt­li­chen Tapas-Restau­rants. Nein, die­se Hafen­stadt will ein­fach kein Urlaubs­ort sein. Ums Ver­re­cken nicht. Wer hier­her kommt, ist bit­te­schön nur auf der Durch­rei­se! Und wer hier lebt, bestrei­tet sei­nen Lebens­un­ter­halt damit, irgend­was (Touristen/​ hof­fent­lich lega­le Waren/​ sich selbst) auf die ande­re Sei­te zu brin­gen.

Die Stadt ist men­schen­leer. Und das liegt nicht nur an der frü­hen Stun­de. Es ist Herbst. Die letz­ten Tou­ris­ten haben den Hafen ver­las­sen. Und hin­ter ihnen wur­den die Bür­ger­stei­ge hoch­ge­klappt.

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Am Hafen gehe ich nicht an Bord eines Schif­fes, son­dern set­ze mich in einen Bus, der mich ins nahe gele­ge­ne Tarifa bringt. Von hier legt die Fäh­re in Marok­ko direkt in Tan­ger Ville an (und nicht im neu­en Hafen Tan­ger Med, der weit außer­halb der Stadt liegt.)

Die Fäh­re hat­te ich mir vor­her aus­ge­malt wie den schä­bi­gen Tan­ker, auf dem King Kong nach New York gebracht wur­de. Natür­lich bin ich dar­um ziem­lich ent­täuscht, als ich in Tarifas Hafen­be­cken die moder­ne Fast Fer­ry von FRS lie­gen sehe, die mit den gepols­ter­ten Sit­zen, der gut aus­ge­stat­te­ten Bar und den freund­lich lächeln­den Fähr­mit­ar­bei­tern eher an ein Luxus-Kreuz­fahrt­schiff erin­nert.

Es ist 09.00 Uhr, als wir able­gen – und  09.00 Uhr, als wir anle­gen.

In die­ser geklau­ten Stun­de auf See hebt sich die Son­ne im Osten und ich ste­he Schlan­ge. War­um, weiß ich auch nicht. Aber da das alle  machen, mach ich ein­fach mit. Am Ende der Schlan­ge erbli­cke ich dann einen marok­ka­ni­schen Grenz­be­am­ten, der bereits an Bord flei­ßig die Päs­se stem­pelt. Im Hafen von Tan­ger geht es des­halb zügig run­ter von der Fäh­re und rein ins Land.

Und jetzt kommt das Schlimms­te. Den­ke ich. Der Hafen von Tan­ger wur­de mir vor­her als Tum­mel­platz der Trick­be­trü­ger, Taschen­die­be und Taxi­fah­rer beschrie­ben – „nichts wie weg da!“ hieß es.

Doch als ich von Bord gehe, ist da kei­ner. Ein paar gelang­weil­te Taxi­fah­rer ste­hen rum, rau­chen, reden. Kei­ne zehn sind es. Und kei­ner scheint beson­ders scharf drauf zu sein, mit mir Geschäf­te zu machen. Erst spä­ter ler­ne ich, dass heu­te das gro­ße Isla­mi­sche Opfer­fest gefei­ert wird – einer der wich­tigs­ten Fei­er­ta­ge im Islam. Für die Tou­ris­ten im Hafen hat heu­te kei­ner Zeit.

„Ach herr­je, eine jun­ge Frau ganz allein,“ sagt ein Deut­scher besorgt zu sei­ner Frau, als ich mich aus der Men­ge an Pas­sa­gie­ren löse und allein los­zie­he.

Ob ich Angst habe? Biss­chen.

Aber mit den gro­ßen Schrit­ten eines Men­schen, der sich aus­kennt, mar­schie­re ich wei­ter. Nur, dass ich mich natür­lich Null aus­ken­ne.  Den Schal tra­ge ich jetzt wie ein Kopf­tuch, durch die Glä­ser mei­ner Son­nen­bril­le sau­ge ich die neue Umge­bung auf.

Die streu­nen­den Kat­zen, die lee­ren Stra­ßen, die ver­zier­ten Mina­ret­te, der schla­fen­de Obdach­lo­se, die krei­schen­den Möwen, die abge­blät­ter­te Far­be an der Stadt­mau­er, die zer­beul­ten Autos, das Hotel Rama­da, das Meer zu mei­ner Lin­ken und die Frem­de zu mei­ner Rech­ten.

Mein Ziel? Die CTM Bus­hal­te­stel­le, von der kei­ner so wirk­lich weiß, wo sie sich neu­er­dings befin­det und von der aus nur ein Bus am Tag die Stadt ins Berg­dorf Chef­chauoen ver­lässt.

Auf der schier end­lo­sen Ave­nue Moham­med VI blei­be ich schließ­lich ste­hen. Der Ruck­sack drückt auf mei­ne Schul­tern, die Hit­ze auf mei­nen Kopf. Ab die­sem Zeit­punkt habe ich knapp zwei Stun­den Zeit – und kei­ne Ahnung wo ich über­haupt hin muss.

tanger

(Fort­set­zung folgt)

 

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Antworten

  1. Avatar von Ko.Jo.Te
    Ko.Jo.Te

    Ohh­h­je! Sieht das heu­te tou­ris­tisch gelang­wei­ligt aus! Als ich vor 18 Jah­ren mit dem Rad via Por­tu­gal nach Marok­ko gera­delt war, traf ich in ein Chef­chaouen an, das urtüm­lich war, ein Tou­rist eher nicht gern gese­hen wur­de, in Tan­ger unten am Strand unter der Neu­stadt gabs noch einen inti­men Hei­rats­markt jun­ger Mädels und Bur­schen. Die Bau­ern im Rif hat­ten und brauch­ten kein Geld. Das gan­ze Dorf für mit nur einem Auto. Alles sah ganz und gar nicht wie in einem Muse­um voll her­ge­rich­tet zur Schau aus. Die Angst ver­tei­len­den Spa­ni­er hat­ten schon damals kei­ne Ahnung, was und wie drü­ben hin­ter der Stra­ße von Gibral­tar die Welt aus­schaut. Das was die Spa­ni­er über­haupt nicht aus­strahl­ten, besa­ßen die Marok­ka­ner, die Riff­er umso mehr: Selbst­wer­tig­keit und Selbst­si­cher­heit auch ohne Geld, Wür­de unab­hän­gig von Besitz­tü­mern, Respekt auch ohne Waf­fen, Direkt­heit und Spon­ta­nei­tät auch ohne Arro­ganz. Das hat mich natür­li­cher­wei­se am ers­ten Tag – in Ceu­ta ange­kom­men – voll umge­hau­en. Ich kann­te ja an ers­ter Stel­le die­ses „Misstrauen“.Am zwei­ten Tag sah ich aus wie ein Ber­ber, ein Basar-Besit­zer, ich habe mich in einem Klei­der-Bazar neu ein­ge­deckt, weil ich für Ara­bi­en kei­ne Kla­mot­ten in den Rad­ta­schen bei­hat­te.

  2. […] Gesa schreibt bei den Rei­se­de­pe­schen sehr schön über ihren Marok­ko-Trip. Bis­lang sind Teil 1, Teil 2 und Teil 3 online. […]

  3. Avatar von Radio Pelicano via Facebook

    schö­ner arti­kel, gruss aus mar­rak­ech!

  4. Avatar von Alex

    Du bist nicht gleich in einem Tep­pich­la­den gelan­det – hast also offen­sicht­lich alles rich­tig gemacht 😀 Genie­ße dei­ne Zeit in Marok­ko. Es ist ein wun­der­schö­nes Land und selbst, wenn es im Nor­den manch­mal etwas stres­sig sein kann, je wei­ter Du in den Süden kommst, des­to ent­spann­ter wird es…

  5. Avatar von Stefanie Schwarz

    Schön geschrie­ben! Ich hab das glei­che Anfang März gemacht, nur anders­her­um, aus Marok­ko Rich­tung Spa­ni­en. Die­sen neu­en Bus­bahn­hof in Tan­ger zu fin­den war echt nicht so ein­fach, nicht mal Taxi­fah­rer wuss­ten Bescheid… bin ja mal gespannt wie du dort hin­ge­fun­den hast 😉
    PS: Wenn du in »Tan­ger Med« ange­kom­men wärst, hät­te der Shut­tle-Bus dich übri­gens direkt zum CTM Bus­bahn­hof gebracht.. aber das wäre ja auch lang­wei­lig gewe­sen 😉

    1. Avatar von Gesa

      …Ja, die Bus­hal­te­stel­le von CTM zu fin­den, war wirk­lich etwas ver­wir­rend. Aber ach was, der Bus von Tan­ger Med hät­te mich direkt dort­hin gebracht? Siehs­te mal, das konn­te mir in Alge­ci­ras kei­ner so genau sagen. Wie­der was gelernt. Ich dan­ke dir, Ste­fa­nie!

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