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Durch die Wüste – Teil II

Irgendwo in der Sahara

Ich habe irgend­wann auf­ge­hört auf meine Uhr zu gucken.

Seit Stun­den rei­ten Hamid und ich nun schon über flim­mern­den Wüs­ten­sand in Rich­tung des Ber­ber­la­gers, in dem Hamid wohnt und in dem wir die erste Nacht in der Sahara schlafen.

Mein Arsch hat noch nie so weh getan.

Scheiß Kamel.

Im glei­chen Moment tut mir der Gedanke schon wie­der leid und ich beuge mich auf dem schwan­ken­den Unge­tüm, das mich treu in Rich­tung des Lagers trägt, nach vorne und tätschle des­sen Hals.

»War nicht böse gemeint, Zada. Gutes Kamel«, sage ich, wäh­rend Zada in einer Art zustim­men­der Geste laut­stark rülpst.

Zwar kön­nen wir die Jur­ten des Lagers schon seit eini­ger Zeit sehen, wirk­lich näher zu kom­men schei­nen sie aller­dings nicht.

Nach einer gefühl­ten Ewig­keit im Sat­tel, der sich eher so anfühlt wie eine Eisen­stange, über die jemand lieb­los eine Woll­de­cke gewor­fen hat, beschließe ich abzu­stei­gen und das letzte Stück bis zum Ber­ber­la­ger zu laufen.

Ich werde herz­lich von den acht oder neun Ber­bern emp­fan­gen, die im Lager leben. Alle­samt Män­ner zwi­schen 15 und 50 Jah­ren. Das Lager selbst besteht aus fünf geräu­mi­gen Zel­ten und einem Gemein­schafts­zelt, in das wir direkt nach der Begrü­ßung gehen, um zu essen. Es gibt Fisch mit Gemüse, der in einer gro­ßen Tajine auf dem Tisch steht und in die jeder ein­fach rein­greift und sich bedient. Ich frage lie­ber nicht, wo sie den Fisch herhaben.

Als Dan­ke­schön für das leckere Essen mache ich ihnen Ost­frie­sen­tee, den ich von zuhause mit­ge­bracht habe. Mit Kamel­milch als Sahne-Ersatz. „Mucho good!“, sagt Hamid und die ande­ren stim­men aner­ken­nend nickend zu. Anschlie­ßend holen sie Trom­meln und Ras­seln her­vor, set­zen sich ums Feuer und star­ten eine Jam-Ses­sion, die bis spät in die Nach andauert.

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Bevor ich ins Bett gehe, sagt Hamid mir noch, dass ich ein wenig auf Skor­pione auf­pas­sen soll, die gerne mal unter die Decke krab­beln wür­den. „Die mögen es warm“, erzählt er.

Warum auch nicht, ich ja auch.

Miss­trau­isch halte ich noch ein­mal Aus­schau nach irgend­wel­chen ver­däch­ti­gen Bewe­gun­gen im Zelt, bevor ich einschlafe.

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Spä­ter

Mit­ten in der Nacht schre­cke ich plötz­lich hoch. Irgend­et­was hat mei­nen lin­ken Fuß berührt! Ich bleibe zunächst stock­steif lie­gen, kann mich aber schnell wie­der ent­span­nen. War nur mein rechter.

Am nächs­ten Mor­gen werde ich von den Rülps- und Furz­ge­räu­schen der Kamele geweckt. Ich recke und stre­cke mich, schüttle den Sand aus mei­nen Ohren und gehe zum gro­ßen Gemein­schafts­zelt, wo die ande­ren bereits am essen sind. Es gibt fri­sches, auf getrock­ne­ter Kamel­ka­cke geba­cke­nes Fla­den­brot und dazu Pfef­fer­minz­tee – das Früh­stück der Champions!

Ich habe mich mitt­ler­weile an Hamids merk­wür­dige Aus­drucks­weise gewöhnt und ver­stehe ihn immer mehr. Wir reden meist mit Hän­den und Füßen, aber haben viel zu lachen.

Er ist gerade dabei die Kamele zu sat­teln. Mit einem der Brun­nen in der Nähe sei etwas nicht in Ord­nung, den will Hamid sich angu­cken und hat mich gefragt, ob ich mit möchte. Einige Minu­ten spä­ter sitze ich also schon wie­der auf dem wohl unbe­quems­ten Fort­be­we­gungs­mit­tel der Welt und schaukle durch die Wüste.

Nach eini­ger Zeit frage ich Hamid, ob wir schon in Alge­rien sind. Weiß er nicht genau. Ich runzle die Stirn und frage ihn, ob wir uns ver­lau­fen hät­ten, aber er beru­higt mich. Er wisse ganz genau, wo wir uns befin­den, nur eben nicht in wel­chem Land. Gren­zen spie­len für ihn keine Rolle. Nicht in der Sahara. Hamid wird mir gerade noch sympathischer.

Nichts­des­to­trotz gebe es auch hier Ter­ri­to­rien, erzählt er, und seit eini­gen Jah­ren auch einige blu­tige Aus­ein­an­der­set­zun­gen um die ter­ri­to­riale Hoheit in der Wüste. Erst letz­ten Monat hätte eine Gruppe Tua­reg aus Alge­rien, die wohl zu Al-Qaida gehör­ten, eine Tou­ris­ten-Kara­wane ganz in der Nähe über­fal­len. Er fährt sich mit dem Fin­ger über den Hals. „Köpfe abge­schnit­ten“, sagt er, wäh­rend ich kurz auf dem Rücken mei­nes Kamels erstarre und zu einer schau­keln­den Lit­faß­säule werde. Den Ber­bern hät­ten sie zum Glück nichts getan, nur den Tou­ris­ten. „Zum Glück“, sage ich.

Gegen Mit­tag weist Hamid mich dar­auf hin, dass ich gar nicht rich­tig im Sat­tel sitze, son­dern auf dem Eisen­ge­stell, dass den Sat­tel hält…

Als wir beim Brun­nen ankom­men, sehen wir schnell, wo das Pro­blem liegt. Der Fla­schen­zug war durch­ge­ros­tet. Hamid hat etwas Werk­zeug und einen neuen Zug dabei, sodass wir den Brun­nen rela­tiv schnell repa­riert haben.

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Wir über­nach­ten in einem klei­nen Außen­pos­ten des Ber­ber­la­gers in der Nähe des Brun­nens. Beim Absat­teln der Kamele kommt plötz­lich ein Mann auf mich zu, der mich mit ziem­lich wir­rem Gesichts­aus­druck auf Ara­bisch voll­la­bert. Ich bekomme einen klei­nen Schreck, aber Hamid ist bereits auf­ge­sprun­gen, um ihn, eben­falls auf Ara­bisch, weg­zu­scheu­chen. Der Mann rennt ein Stück in die Wüste, bleibt dann aber etwa 100 Meter wei­ter ste­hen und beginnt, um unser Lager zu lau­fen. „Ver­such den zu igno­rie­ren, der ist ver­rückt“, sagt Hamid und lässt sei­nen Zei­ge­fin­ger neben sei­nem Kopf kreisen.

Schön… ein Ver­rück­ter, der nachts um mein Zelt läuft. In der gott­ver­damm­ten Wüste. Als hät­ten die Skor­pione und die alge­ri­schen Kopf­ab­schnei­der nicht schon gereicht.

Ab und zu wache ich auf und habe das Gefühl, dass der Ver­rückte mich durch den Schlitz im Zelt­ein­gang beob­ach­tet. Kann aber auch nur Ein­bil­dung sein.

Ich über­lebe auch diese Nacht und reite am nächs­ten Mor­gen kurz nach Son­nen­auf­gang zurück zu den ande­ren. Ich bleibe noch ein paar Nächte bei ihnen, jamme abends mit ihnen im Zelt, lasse mir etwas Ara­bisch und Ber­ber von ihnen bei­brin­gen und helfe ihnen tags­über bei ihrer Arbeit. Zelte repa­rie­ren, Kamele füt­tern etc. Dann geht es wie­der zurück nach Zagora. Ich schenke Hamid meine kleine Tee­dose mit dem Rest Ost­frie­sen­tee, wor­über er sich sehr freut.

Dre­geba, einer der Ber­ber, beglei­tet mich und zeigt mir, bevor er wie­der zurück in die Sahara fährt, noch eine Oase im Draa- Tal. Demons­tra­tiv stellt er sich in immer glei­cher Pose in jedes Bild, dass ich von der Land­schaft schieße. Er scheint sehr gerne foto­gra­fiert zu werden.

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Anschlie­ßend fragt er mich, ob ich ihm die Bil­der schi­cken könne. Ich bejahe natür­lich gerne und frage ihn wohin.

„Dre­geba, Sahara“, sagt er.

„Und wie weiter?“

„Dre­geba, Sahara“

„Aber die kom­men doch nie­mals an?!“, sage ich ihm und schüttle mit dem Kopf.

„Doch, doch. Dre­geba, Sahara“, sagt er abermals.

„Ohne scheiß, wenn der Post­bote das sieht, schmeißt er den Brief sofort weg“, ver­su­che ich ihm zu erklären.

„Dre­bega! Sahara!“, sagt er noch ein­mal bestimmt und ges­ti­ku­liert mit der Hand einen Schluss­strich. Für ihn ist die Dis­kus­sion beendet.

„Alles klar, kann aber etwas dau­ern…“, sage ich ihm und er nickt lächelnd.

„Ich habe Zeit“.

Cate­go­riesMarokko
Lennart Adam

Lennart ist Ostfriese. Sein Geld verdient er als Journalist in Flensburg, um es auf Reisen wieder auszugeben.
Reisen wird für ihn besonders dann zum Erlebnis wenn Unerwartetes passiert. Wenn man Pläne über Bord wirft und sich stattdessen vom Zufall leiten lässt, offen ist fürs Unbekannte, fürs Abenteuer. Wenn man auf Fremde zugeht, sich ausprobiert, Ängste überwindet und Grenzen neu definiert. Und wenn man anschließend die richtige Bar findet.

  1. carroll king says:

    ganz herz­li­chen danke für den bericht, ich habe die reise förm­lich miterlebt…
    für wei­tere rei­sen wün­sche ich dir alles gute

  2. Pingback:Sport- und Fitnessblogs am Sonntag, 27. August 2017

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