Kennt ihr Men­schen, die sich bei einem Hor­ror­film unter Decken und Kis­sen ver­ste­cken, nicht auf­hö­ren zu reden, oder Sachen rufen wie: „Nein, geh da nicht rein!“ oder „Oh maaaan! Wie dumm muss man sein!“ rau­nen? Ich bin so ein Mensch, wes­halb ich nie, nie, nie Hor­ror­filme schaue. Hor­ror­filme und Sport trei­ben sind Zeit­ver­treibe, die ich aus dem glei­chen Grund nicht ver­folge. Sie erschei­nen mir als sinn­frei und rei­ner Selbst­zweck. (Ich weiß, dar­über kann man strei­ten…) Es über­rascht mich, dass ich mich in die­sem Guest­house so ver­halte wie der Cha­rak­ter der zuerst stirbt in einem dritt­klas­si­gen Horrorfilm.

Das Guest­house

Das erstaun­lich güns­tige Guest­house sieht toll aus von der Straße her. Es liegt direkt neben einem von Bir­ken gesäum­ten klei­nen Wei­her und vor ihm erstreckt sich eine weite, von Herbst­bäu­men umringte Wiese, auf der ein klei­ner Spiel­platz steht. Umlie­gend ist tie­fer und schein­bar nicht enden wol­len­der let­ti­scher Wald.

Vor dem Haus steht nur ein wei­te­res Auto, wel­ches etwas her­un­ter­ge­kom­men und stau­big, sich als „von hier“ outet. Der ältere Herr, der uns die Pfor­ten öff­net, spricht kein Eng­lisch, nur Rus­sisch. Wir fol­gen ihm ins Haus; er führt uns in den ers­ten Stock, einen lan­gen Flur ent­lang von dem meh­rere Mehr­bett­zim­mer mit Duschen und Toi­let­ten abge­hen. Alles sieht rela­tiv geschnie­gelt aus. Man sieht, dass hier ver­sucht wird, Luxus zu sug­ge­rie­ren, jedoch wird diese Illu­sion an allen Ecken und Enden gebro­chen. Die Bade­zim­mer und Toi­let­ten sind ver­al­tet und wir­ken zwar nicht gebrauchs­dre­ckig, jedoch schon vor län­ge­rer Zeit zum letz­ten Mal geputzt. Es riecht nicht wirk­lich sau­ber, aber der Dreck ist auch nicht doll genug, dass man es hätte anspre­chen können.

Meine Freun­din und ich den­ken sofort an eine Hor­ror­film­lo­ca­tion. Der lange Flur, die schier end­lose Zim­mer­flucht und die alte Beleuch­tung tun ein übri­ges. Wir sol­len uns ein Zim­mer aus­su­chen und ent­schie­den uns für das mit der roten Wand. Dort ste­hen nur zwei Bet­ten und es gibt keine dunk­len Ecken. Es ist so klein, dass man es jeder­zeit und mit einem Blick über­schaut. In unse­rem Zim­mer haust außer uns noch eine Spinne, eine Fliege, zwei Flie­gen­lei­chen und eine Mücke. Die wird direkt umge­bracht. So rich­tig kann keine von uns glau­ben, dass das hier mit rech­ten Din­gen zu geht…

Da wir in der Anzeige von einer Sauna gele­sen haben, schrei­ben wir unse­rem Host (nicht dem Rus­sisch spre­chen­den Her­ren). Er teilte uns mit, dass er gegen 20 Uhr vor Ort sein würde, um uns alles zu zei­gen. Da es bis dahin noch gut zwei Stun­den sind, beschlie­ßen wir eine Runde ein­kau­fen zu fah­ren. Keine von uns hat Lust, etwas zu kochen und da wir einen Ofen im Haus gese­hen haben, ent­schlies­sen wir uns eine rus­si­sche Tief­kühl­pizza zu holen.

Kaum sind wir zurück, müs­sen wir fest­stel­len, dass der Ofen nicht geht. Mit Hilfe einer Mikro­welle tauen wir die Piz­zen auf und bra­ten sie dann in einer Pfanne etwas kna­ckig. Diese Piz­zen sind so ziem­lich die schlech­tes­ten Tief­kühl­piz­zen unse­res Lebens. Die Löcher in unse­rem Magen sind, wenn auch nicht zu unse­rer Befrie­di­gung, so den­noch gefüllt und wir beschlie­ßen erst ein­mal abzu­war­ten, was unser Host für ein Mensch ist. (Dabei höre ich mei­nen eige­nen Live­kom­men­tar zu die­sem Film im Hin­ter­kopf. Ich würde so etwas sagen wie: „Das ist so über­haupt nicht rea­lis­tisch! Jaaaa, genauuu! Renn in die dun­kelste Ecke! Warum bitte gehst du JETZT aufs Klo!!! Licht anschal­ten genehm?“ etc.)

Am sel­ben Abend

Die Sonne geht schließ­lich unter und irgend­wann hören wir ein Auto ankom­men. Wir hören ihn eine Weile im unte­ren Geschoss rumo­ren und gerade als er geräusch­voll die Treppe hoch geht, beschlie­ßen wir ihm ent­ge­gen zu gehen. Ach ja, was ich zu erwäh­nen ver­gaß: die Treppe ist frisch gewachst und mega kleb­rig. Bei jeder Stufe macht sie ein Schmatz-Geräusch, wel­ches in mei­nem Kopf ent­we­der Teil einer kom­ple­xen Tötungs­ma­schien oder ein urko­mi­scher Zufall ist.

Unser Gast­ge­ber ist wider erwar­tend ein net­ter Kerl. Er ist Geschäfts­mann und sobald das Gespräch sich in Rich­tung Flücht­lings­po­li­tik ent­wi­ckelte, wird uns gesagt, dass wir eine gut­gläu­bige und naïve Nation wären, außer­dem, dass die Flücht­linge alle nur wegen des Gel­des nach Europa kämen etc., etc., etc. Ich freue mich ja ins­ge­heim immer auf die Mög­lich­keit, den Leu­ten zu erklä­ren, warum ich stolz dar­auf bin, zu einer Nation zu gehö­ren, wo die „Will­kom­mens­kul­tur“ mög­lich war. Natür­lich ist das keine Dis­kus­sion, die man mal eben zwi­schen Tür und Angel durch­ex­er­ziert. Wir ver­su­chen es trotz­dem und müs­sen nach einem freund­li­chen Stand­punkt-Aus­tausch ver­söhn­lich die Hände schüt­teln. Wir wer­den auf kei­nen grü­nen Zweig kommen.

Das Guest­house ist eine Hoch­zeits­lo­ca­tion. Das gesamte Haus wird gemie­tet, samt Anlage, Pool, Sauna und Kin­der­spiel­platz. Es balan­ciert zwi­schen Luxus und Ver­fall. Es wird klar, dass das Aller­wich­tigste ist, dass es bei Dun­kel­heit so wirkt, als wäre alles schnieke. Das ist es jedoch nicht. Über­all lun­gern halb­tote Flie­gen und Mücken herum, die Sili­kon­kan­ten sind bräun­lich, der Pool sieht zwar klar aus, riecht jedoch über­haupt nicht nach Chlor. Wenn man genau hin­sieht, erkennt man einen dezen­ten grü­nen Schim­mer über dem Abfluss. Im Gegen­satz dazu steht die Was­ser­pumpe, der Spring­brun­nen und die Was­ser­stru­del­an­lage, die einen künst­li­chen Was­ser­sog kre­iert, gegen den man auf der Stelle schwim­men kann. In die­sem Haus ver­brin­gen wir die Nacht mutterseelenalleine.

Wer würde sich bei vol­lem Ver­stand in so einem Sze­na­rio bei tie­fer Dun­kel­heit und hell erleuch­te­ten Fens­tern mehr oder weni­ger frei bewe­gen, in die Sauna gehen und in den Pool sprin­gen? Nur ein Cha­rak­ter in einem Hor­ro­film. Naja gut. Und wir. Nach zwei Sau­na­gän­gen schlie­ßen wir uns in unse­rem roten Zim­mer ein (wenigs­tens etwas). Wir schla­fen wie Steine und bre­chen am nächs­ten Mor­gen unver­sehrt auf. Die Ent­span­nung der Sauna hält auch im Auto noch an. Es ist das Gefühl von schwe­ren Kno­chen und purer Ent­span­nung. Da sind wir gerade noch­mal glimpf­lich davon gekommen.

Cate­go­riesLett­land
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Isabelle Winkler

Ist im September 2016 aufgebrochen um ohne Flugzeug um die Welt zu reisen. Zwei Jahre hat sie gebraucht um am anderen Ende der Welt anzukommen. Sie schreibt über ihren Weg, das Scheitern, das Träumen und die Realiäten, die das Alleinereisen so wertvoll machen.

  1. Guido says:

    Sorry, aber das fällt gegen­über dem hier nor­ma­len Niveau deut­lich ab. Ent­we­der gelingt es sprach­lich nicht, das Beson­dere an die­sem Hos­tel her­über zu brin­gen oder es gibt eigent­lich nichts, was einen Bericht wert ist. Der ganze Text lässt sich in 4 Wor­ten zusam­men fas­sen „Nicht ganz sau­be­res Hostel“.

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      Lie­ber Guido, danke fürs Lesen. Bei die­sem Arti­kel geht es darum, dass man beim Rei­sen Ent­schei­dun­gen trifft, die einen selbst über­ra­schen. Ab und zu igno­riert man die Alarm­glo­cken im Kopf, und siehe da, es lugt nicht immer gleich der Mör­der um die Ecke. Schade dass das nicht ange­kom­men ist. Viel­leicht beim nächs­ten Mal. Liebe Grüße

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