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Chengdu – Stadt der Pandas

Die längste Zug­fahrt unse­rer Reise

„If you have a strong hea­da­che, if you need oxy­gen, please let me know”, so rei­men wir uns die dahin­ge­nu­schel­ten Worte der Zug­be­glei­te­rin zusam­men, als sie auf den Sau­er­stoff­aus­gang neben mei­nem Bett zeigt. Hof­fent­lich wird das nicht nötig sein. Da wir die letz­ten 9 Tage Tibet durch­quert und uns kon­stant auf einer Höhe von über 3.000 Metern auf­ge­hal­ten haben, soll­ten wir eigent­lich ohne Höhen­krank­heit über die vor uns lie­gen­den Pässe mit über 5.000 Metern Höhe kom­men. Vor allem, da wir hier faul auf dem Bett lie­gen dür­fen und uns nicht anstren­gen müs­sen. Die längste Zug­fahrt unse­rer bis­he­ri­gen Reise und sogar unse­res Lebens liegt vor uns: 36 Stun­den lang, zwei Nächte und einen Tag wer­den wir mit die­sem Zug von Lhasa bis nach Chengdu fah­ren. 3.000 Kilo­me­ter! Das ist in etwa so weit wie von Mün­chen bis nach Aleppo in Syrien, wie wir spä­ter auf der Karte nachschauen.

Der Abschied in Tibet ist trau­rig und lus­tig zugleich: Trau­rig, weil wir uns von unse­rem tol­len Guide ver­ab­schie­den müs­sen. Und auch von unse­rem letz­ten Schwei­zer Taschen­mes­ser… Lus­tig, weil wir wie Super­stars behan­delt wer­den. Sebas­tian wird spon­tan der gefei­erte Foto­part­ner und lässt gedul­dig alle Ange­stell­ten des Bahn­hofs der Reihe nach neben ihm Auf­stel­lung bezie­hen, bevor uns schließ­lich die VIP-Plätze im War­te­raum zuge­wie­sen wer­den. Doch die chi­ne­si­sche Bahn ist pünkt­lich und so wer­den wir schon bald von zwei Ange­stell­ten bis zu unse­rem Wag­gon eskor­tiert und verabschiedet.

In unse­rem hard slee­per-Abteil “woh­nen” wir für die kom­men­den 36 Stun­den gemein­sam mit vier wei­te­ren Men­schen, jedem steht nur sein eige­nes schma­les Bett zur Ver­fü­gung. Drau­ßen im Gang gibt es Tische mit von der Abteil­wand hinab klapp­ba­ren Hockern und diese sind heiß begehrt. Wir haben Glück und die unters­ten Bet­ten bekom­men, die den meis­ten Platz bie­ten. Und zudem haben wir Glück, dass hier in China, anders als z.B. in Indien, die beleg­ten Bet­ten respek­tiert wer­den und man sich nicht ein­fach dazu setzt, außer, es wird ange­bo­ten. So haben wir unsere Bet­ten für uns, doch bie­ten den ande­ren vier Mit­rei­sen­den den Platz am Tisch wäh­rend der Essens­zeit an.

Gerä­dert nach der lan­gen Reise in dem sti­cki­gen Zug­ab­teil stei­gen wir an einem Diens­tag­mor­gen müde, aber auch gespannt auf das Kom­mende, in Chengdu aus dem Zug. Es ist noch früh und bis wir in unser klei­nes Appar­te­ment dür­fen, müs­sen wir sechs Stun­den über­brü­cken. So star­ten wir den Tag erst mal mit einem aus­gie­bi­gen Frühstück.

Chengdu – Stadt der Pandas

Nun sind wir also in Chengdu und um ehr­lich zu sein, wis­sen wir über diese Stadt über­haupt nichts. Außer viel­leicht, dass hier die Pan­das leben und es eine berühmte Oper geben soll. Dass wir genau hier aus dem Zug gestie­gen sind, ver­dan­ken wir der nepa­le­si­schen Agen­tur, über die wir nach Tibet kamen. Deren Chef bot an, uns Zug­ti­ckets zur Ter­ra­kotta-Armee in Xi’an oder eben nach Chengdu zu kau­fen. Da Chengdu eher auf dem Weg nach Laos liegt, bekam die­ses den Zuschlag.

Inter­es­siert lau­fen wir durch die Innen­stadt. Die uns umge­ben­den Häu­ser sind rie­sig und zahl­reich. Wir sind im Zen­trum einer chi­ne­si­schen Metro­pole gelan­det. Das Metro­sys­tem begeis­tert uns – gut aus­ge­baut, güns­tig und die Züge sind vor allem rela­tiv leer. „Mir fällt gerade auf, dass wir noch gar nicht kon­trol­liert wur­den“, sagt Sebas­tian auf ein­mal neben mir. „Stimmt, du hast recht! Unser Was­ser wurde in der Metro nicht gecheckt und aus dem Bahn­hofs­ge­bäude durf­ten wir auch ohne Gepäck­kon­trolle hin­aus“. Nun bemerke auch ich, dass es hier irgend­wie „locke­rer“ zugeht als in allen Orten, die wir bis­lang in China ken­nen­ge­lernt haben. Bis­lang haben wir noch keine Poli­zei gese­hen, komisch. Oder ist es viel­leicht eher end­lich mal „nor­mal“ hier?

Chengdu ist die Haupt­stadt der Pro­vinz Sichuan und hat 14 Mil­lio­nen Ein­woh­ner. Doch es fühlt sich über­ra­schend ent­spannt an, hier durch die Stra­ßen zu schlen­dern. Nach­dem wir unser zen­tral gele­ge­nes klei­nes Appar­te­ment bezo­gen haben und die erste Ladung Wäsche in unse­rer Wasch­ma­schine läuft, kommt die Müdig­keit über uns. Wir sind weit gekom­men in den letz­ten zwei Wochen. Von Nepal aus reis­ten wir mit unse­rer Gruppe durch Tibet und waren jeden Tag auf Achse, jede Nacht schlie­fen wir an einem neuen Ort und jeden Tag ver­brach­ten wir teils weit höher als 3.000 Meter. Ein­deu­tig zu schnell für unse­ren Geschmack waren wir unter­wegs, aber bei einer Grup­pen­reise hat man keine Wahl. Nach nun der lan­gen Zug­fahrt sind wir jetzt abso­lut k.o. und bewe­gen uns den ers­ten Tag nur noch zum Abend­essen aus unse­rer Woh­nung hinaus.

Zu Besuch im Bree­ding Center

Am nächs­ten Tag sind wir aus­ge­schla­fen und wie­der unter­neh­mungs­lus­tig. In Chengdu gibt es vor allem eine große Attrak­tion und das sind die Pan­das! An jeder Stra­ßen­ecke wer­den Pan­da­kuschel­tiere ver­kauft, unsere Apart­ment-Wand ist mit einem rie­si­gen Pan­da­bild ver­ziert und jedes zweite Hotel heißt irgend­was mit “Panda”. Also fah­ren wir mit der Metro hin­aus zum Chengdu Panda Bree­ding Cen­ter. Ja, Pan­das sind bestimmt her­zig, aber so ganz ver­ste­hen wir den Hype um sie nicht. Doch dann sehen wir end­lich die ers­ten Tiere mit unse­ren eige­nen Augen und müs­sen unsere Mei­nung revi­die­ren: Die rie­si­gen Fell­knäule sind ein­fach süß! Unge­lenk pur­zeln sie über­ein­an­der, knab­bern an ihren Bam­bus­wur­zeln, krat­zen sich faul den Bauch oder schub­sen sich von ihren Klet­ter­ge­rüs­ten hin­un­ter. Im Bree­ding Cen­ter haben die Pan­das große Gehege und wir haben Glück mit dem Timing: Es ist Früh­stücks­zeit und damit sind sie in der Nähe der Zäune. Wir kön­nen uns gar nicht satt­se­hen an den schwarz-wei­ßen Kugeln und ver­brin­gen Stun­den auf dem weit­läu­fi­gen Areal.

Duji­an­gyan – Stadt des Wassers

Am kom­men­den Tag fah­ren wir mit dem Super­schnell­zug in gerade mal einer Vier­tel­stunde ins 70 Kilo­me­ter ent­fernte Duji­an­gyan. Wir fol­gen dem Tipp mei­nes ehe­ma­li­gen Kol­le­gen, der uns das beein­dru­ckende Bewäs­se­rungs­sys­tem vor­schlägt, wel­ches es mit sei­ner durch­dach­ten Kon­struk­tion zum UNESCO Welt­kul­tur­erbe geschafft hat. Lei­der ist es etwas reg­ne­risch und grau heute, doch das tut den Besu­cher­mas­sen kei­nen Abbruch. „Es ist Sams­tag!“, fällt uns irgend­wann der Grund ein, warum hier heute so viel los ist. Gemein­sam mit tau­sen­den ande­ren schie­ben wir uns über das Gelände und ver­su­chen, einen Blick auf das berühmte Fisch­maul zu wer­fen. Durch des­sen geschickte Kon­struk­tion war es bereits vor 2.300 Jah­ren mög­lich, genü­gend Was­ser aus dem Min-Fluss in die Ebe­nen vor Chengdu abzu­lei­ten – bei nor­ma­lem Was­ser­stand wird auch heute noch etwa 60 Pro­zent des Fluss­was­sers abge­zweigt, wäh­rend die rest­li­chen 40 Pro­zent an der Stadt vor­bei­flie­ßen. Schwillt der Was­ser­stand wäh­rend der Regen­zeit an, so kehrt sich das Ver­hält­nis um und nur noch 40 Pro­zent des Was­sers fließt in die Stadt und 60 Pro­zent daran vorbei.

So lesen wir es par­al­lel bei Wiki­pe­dia nach, wäh­rend wir durch die Anlage spa­zie­ren. Denn obwohl es hier Beschil­de­run­gen gibt und diese neben Chi­ne­sisch auch auf Eng­lisch und sogar Deutsch sind, sind die Über­set­zun­gen so schlecht, dass wir teils über­haupt nicht ver­ste­hen, was die Macher des UNESCO-Zen­trums uns sagen möchten.

Wir genie­ßen den Tag in Duji­an­gyan trotz­dem. Das liegt auch an Nancy, die wir hier ken­nen­ler­nen und mit der wir uns nett unter­hal­ten. Auch sie ist eine Wochen­end­aus­flüg­le­rin und gemein­sam mit ihrer Mut­ter hier. Nach­dem wir ihr mal wie­der unsere gesam­mel­ten Fra­gen stel­len durf­ten, ist sie an der Reihe. „Is it true that wes­tern peo­ple can’t squat down over our toi­lets?”, will sie gespannt von uns wis­sen. Im Inter­net hätte sie in einem Video gese­hen, dass Euro­päer nicht in die Hocke gehen könn­ten. Wie diese dann die hier übli­chen Klos nut­zen, scheint sie sehr zu beschäf­ti­gen. Als ich ihr sage, dass ich sehr wohl in die Hocke gehen kann, glaubt sie mir nicht. Ich muss es vor­ma­chen, erst danach ist sie zufrie­den. Und auch ein biss­chen ent­täuscht. Doch Sebas­tian rückt den Schein wie­der zurecht, indem er zugibt, dass ihm das Hocken tat­säch­lich sehr schwer fällt… Nancy lächelt, dann hatte das Video ja recht.

Zwei Tage genie­ßen wir noch den Blick aus unse­rem klei­nen Apart­ment im 23. Stock und ver­brin­gen die Tage ruhig und ent­spannt. Dann aber heißt es wie­der die Ruck­sä­cke packen. Der rie­sen­große Bud­dha in Leshan war­tet auf uns.

Cate­go­riesChina
Leo Sibeth & Sebastian Ohlert

Die beiden Wahl-Augsburger änderten im März 2017 ihr Leben: Jobs und Wohnung haben sie gekündigt, die Möbel verkauft und Persönliches in Kisten verpackt. Mit Bus und Bahn reisten sie 20 Monate lang über Land nach und durch Asien. Mit einem Containerschiff überquerten sie den Pazifik und erkunden nun Mittelamerika. Sie reisen möglichst nachhaltig, langsam und bewusst. Das Flugzeug ist dabei tabu! Wichtig sind ihnen Begegnungen mit Menschen und das Infragestellen ihrer eigenen Bilder und Stereotype.

  1. Ulrike says:

    Schön beschrie­ben! Ich liebe Chengdu auch sehr und war schon mehr­fach dort: Die Tee­häu­ser und Parks sind herr­li­che Ruhe­punkte. Ich war auch bei Regen in Duji­an­gyan. Es war sehr beeindruckend.
    Beste Grüße
    Ulrike

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