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Bor­kum: Die Nordseeklinik

Als die Fähre im Hafen von Bor­kum anlegt war­tet der bunte Insel­zug schon. An Bord sind vor allem Urlau­ber. Viele haben sich auf wun­der­same Weise in See­män­ner ver­wan­delt: sie tra­gen gestreifte Pul­lis, See­mans­müt­zen und waden­lange beige Hosen. „Ob das Pflicht ist?“ frage ich mich, als ich von Bord gehe. Um mich herum Kapi­täne, die ihre Ehe­frauen auf schwä­bisch oder im Ruhr­potts­lang Vor­träge über Ebbe und Flut, Salz­wie­sen und Krab­ben­brot hal­ten. Es riecht nach Meer.

Die Bahn von Borkum

Die Bim­mel­bahn bummelt

Nord­see­luft und Krabbenbrot

Die Bim­mel­bahn tut was sie tun muss, sie bim­melt, bum­melt und tuckert los. Nach etwa 40 Minu­ten kom­men wir im Zen­trum an. Ein Kind sitzt auf den Schie­nen und liest. Hier stresst sich niemand.

In Best­lage, direkt an der See­pro­me­nade, Strand vor den Füßen, fri­sche See­luft frei Haus, liegt die Nord­see­kli­nik. Kuren kann dort auf Rezept wer es vom Arzt ver­schrie­ben bekommt. Ich bin so ein Glücks­pilz. 4 Wochen lang Strei­chel­ein­hei­ten für meine von all­er­gi­schem Asthma geplag­ten Bron­chien. Aber wirk­lich erfolg­reich ist so eine Kur erst dann, wenn du das Beste dar­aus machst. Zum Bei­spiel Krab­ben­brot essen.

Strand von Borkum

Strand von Borkum

Ähn­lich wie bei mei­ner Ayur­veda-Kur in Indien geht es erst  mal zu einer Ein­gangs­un­ter­su­chung. Über­ra­schung: mein Arzt sieht dem aus Indien ähn­lich, kommt aber aus Nord­afrika. Nicht wenige Ärzte der Kli­nik­ärzte kom­men aus aus­ser­eu­ro­päi­schen Län­dern. Aber: sie spre­chen recht gut deutsch und wur­den offen­sicht­lich trai­niert, um auf den deut­schen Pati­en­ten ein­zu­ge­hen. Ein­ge­hen heißt: zuhö­ren, ernst neh­men, gemein­sam über­le­gen, wel­che Anwen­dun­gen Sinn machen. Anders als bei einer Ayur­veda-Kur, wo ich von mor­gens bis abends betüt­telt wurde, wird hier auf die Mit­ar­beit des Kuren­den gesetzt: er soll aktiv sein, sich bewe­gen und lernen.

Es fol­gen medi­zi­ni­sche Unter­su­chun­gen, bes­ter Stan­dard, alles auf dem neu­es­ten Stand. Sta­tion 2: Psy­cho­so­ma­tik, Sta­tion 4 und 5: Lunge. Der ärzt­li­che Direk­tor, jung, dyna­misch, attrak­tiv, das Haar zu einem Zopf gebun­den. Sel­ten habe ich einen so enga­gier­ten und kom­pe­ten­ten Arzt ken­nen gelernt. Er hat für Jeden ein offe­nes Ohr, ist ver­bind­lich und humor­voll. Sein Spi­rit scheint dem Haus gut zu tun. Die Mit­ar­bei­ter sind freund­lich, ent­spannt, schei­nen sich wohl zu fühlen.

Priel bei ablaufendem Wasser

Priel bei ablau­fen­dem Wasser

Schlick und Sport

„Mor­gens Fango, abends Tango“ wurde frü­her gern über Kur­kli­ni­ken geläs­tert. So viel vor­weg: auf Bor­kum wird nicht Tango getanzt. Es gibt auch keine Fan­go­pa­ckun­gen, dafür aber Schlick, was sehr wohl­tu­end ist, vor allem nach dem Sport. Eine andere, beliebte Anwen­dung ist das von Pati­en­ten scherz­haft genannte „Shi­sha-Rau­chen“, das Inha­lie­ren von Salz­was­ser. Zudem gibt es jede Menge Sport­an­ge­bote in der Kli­nik, sowohl offene als auch ver­bind­li­che, vom Arzt ver­schrie­bene, Anwendungen.

Sich in aller Frühe, noch vor dem Früh­stück zur Strand­gym­nas­tik auf­raf­fen zu müs­sen mag zunächst erschre­ckend klin­gen. Aber hat man sich erst mal an das groß­ar­tige Gefühl gewöhnt, gleich nach dem Auf­ste­hen an den Strand zu gehen und mit Blick auf die Kegel­rob­ben die Glied­ma­ßen zu deh­nen, die Lun­gen mit fri­scher, sau­er­stoff­rei­cher Luft zu fül­len und die Hände zur Sonne zu stre­cken möchte man den Früh­sport gar nicht mehr mis­sen. Atem­gym­nas­tik, Nor­dic Wal­ken, Yoga, Pila­tes, Agua­fit­ness haben 4 Wochen lang mei­nen Tag struk­tu­riert und wer da nicht fit wird, dem ist nicht mehr zu helfen.

Frühsport am Strand

Früh­sport am Strand

Nur die Dum­men kneifen

Aber es gibt eben auch die Unver­bes­ser­li­chen. Da ist zum Bei­spiel das Lun­gen­em­phy­sem von Sta­tion 5. Auf dem Rücken trägt er einen klei­nen Ruck­sack mit Sau­er­stoff. Steht an der Strand­pro­me­nade, direkt unter­halb der Kli­nik und raucht. Hus­tet, spuckt, zieht erneut an der Ziga­rette und wit­zelt rum: Unkraut ver­geht nicht, Sport ist Mord. Einige Schlau­meier gehen mit Turn­schu­hen und Trai­nings­hose zum Ter­min, las­sen sich die Teil­nahme an der Gym­nas­tik abzeich­nen und wäh­rend die Gruppe sich in der Turn­halle auf­stellt, ver­duf­ten sie in die nächste Bar. Aber das sind Aus­nah­men. Die Meis­ten sind dank­bar für die kost­bare Zeit, die sie sich ohne Sor­gen ein­fach mal sich selbst wid­men dür­fen und wo sie Anre­gun­ge­nen für ein gesün­de­res Leben bekommen.

Ideale Bedingungen für Nordic Walking

Ideale Bedin­gun­gen für Nor­dic Walking

Insel­er­kun­dun­gen auf Borkum

Zwi­schen Sport und Inha­la­tio­nen gibt es genug Zeit die Insel zu erkun­den. In den Som­mer­fe­rien ist die Insel rap­pel­voll mit Rhein­län­dern. Wer sich also direkt unter­halb der Nord­see­kli­nik an den Strand legt wird den ein oder ande­ren köl­schen Dia­log mit anhö­ren. Das hört sich dann bei­spiels­weise so an:

„lurens, wat mät dä dann do? Is dat sör­fen?“ „Nä, Jupp, dä hängt doch an nem Draa­chen, dat is wat Modernes.“

deutsch: „schau mal, was macht der da? ist das Sur­fen?“ „Nein, Johan­nes, der hängt doch an einem Dra­chen, das ist etwas Modernes.“

An den einsamen Stränden im Osten von Borkum

An den ein­sa­men Strän­den im Osten von Borkum

Vögel, San­dorn und Moorbirken

Ich hören lie­ber den Vögeln zu und fahre fast jeden Tag mit mei­nem Leih­fahr­rad über die Dünen Rich­tung Nord-Osten, durch kleine Wäld­chen mit Moor­bir­ken, Schwarz­erlen und Wei­den am Flug­ha­fen vor­bei zu den wun­der­schö­nen, wil­den Strand­ab­schnit­ten der Insel. Kein Köl­ner nir­gendwo. Nur Was­ser, Wind und Strand, die Dünen im Rücken mit ihren San­dorn­bü­schen, Strand­ha­fer und Hage­but­ten. Und Vögel: Weiss­wan­gen­gans, Bass­töl­pel, Gold­re­gen­pfei­fer, Meer­strand­läu­fer, Brand­see­schwalbe und Küs­ten­see­schwalbe, Sump­fohr­eule, Schnee­am­mer und Ohrenlerche.

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Raus aus der Blase

Neben Sport, Anwen­dun­gen und Natur­genuß gibt es noch etwas, wovon ich pro­fi­tie­ren konnte: In so einer Kli­nik tref­fen Men­schen auf­ein­an­der, die sonst nie­mals mit­ein­an­der zu tun hät­ten. Will hei­ßen: raus aus der Blase und hin­ein ins Leben. Da sit­zen am Mit­tags­tisch der täto­wierte Last­wa­gen­fah­rer, die Frau von der Aldi­kasse, die Ärz­tin und die Ste­war­dess, der Kum­pel mit der Staub­lunge und der Bäcker mit dem Emphy­sem. Alle an einem Tisch, essen Mat­jes und haben die Chance über ihren Tel­ler­rand hin­weg zu schauen. Das ist manch­mal anstren­gend, aber auch sehr berei­chernd. Sollte man öfter machen.

Mehr Nord­see?

lies hier über Wan­ger­ooge, Spie­ker­ooge, Sankt-Peter-Ording

Mehr Kuren?

lies hier über meine Ayur­ve­da­kur in Indien 

An die­ser Stelle noch mal herz­li­chen Dank an alle Mit­ar­bei­ter der Kli­nik, an die Ärzte und Schwes­tern, an die The­ra­peu­ten und das Küchen­per­so­nal, an das Rei­ni­gungs­per­so­nal und den Yoga­leh­rer. Dank für die Für­sorge, für Geduld und für nor­di­schen Humor.

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Cate­go­riesWelt
Gitti Müller

Mein erster Anfall von Fernweh hat mich 1980 ein Jahr lang als Backpackerin nach Südamerika geführt. Damals wog so ein Rucksack noch richtig viel und das Reisen war beschwerlich. Seitdem kann ich es einfach nicht lassen. Heute habe ich vor allem einen Laptop und meine DSLR im Gepäck. Als Fernseh-Journalistin und Ethnologin komme ich viel rum aber in Lateinamerika fühle ich mich einfach wie zu Hause. Damit ich auch in abgelegenen Andenregionen ein Schwätzchen mit den Leuten halten kann habe ich die Indianersprachen Aymara und Quechua gelernt.
Im Mai 2017 hat der Piper-Verlag mein Buch "Comeback mit Backpack - Eine Zeitreise durch Südamerika" herausgebracht (ISBN-10: 3890291422, 272 Seiten mit Fotos) Es erzählt von meinen Reisen in analogen und in digitalen Zeiten.

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