Durch den Kiez mit Max Beckmann

Ber­li­ner Hin­ter­hof, vier­ter Stock, den Him­mel kann ich also noch aus der Tie­fe des Zim­mers beob­ach­ten. Anfang Okto­ber, nicht eine Wol­ke ist zu sehen und ich beschlie­ße eine Run­de zu dre­hen. Spä­ter Nach­mit­tag, und wie ich es schon mit den letz­ten Rund­gän­gen gehal­ten habe, wird es auch die­ses mal nichts mit einem kur­zen Aus­flug, rast­los und neu­gie­rig wie mich der Som­mer dem unge­dul­di­gen Herbst in die Arme getrie­ben hat.

Beckmann1

Aus der Haus­tür tre­tend, muss ich die Augen zusam­men knei­fen, Alt­wei­ber­son­ne. Die über­di­men­sio­na­le Zahn­bürs­te der Pra­xis im Schau­fens­ter gegen­über hat wie immer zuerst mei­ne Auf­merk­sam­keit, dann hal­te ich nach mensch­li­chem Leben Aus­schau. Als wäre jeder Tag ein Sonn­tag und ganz Deutsch­land muss Tat­ort schau­en, um den Bio­ryth­mus auf den Mon­tag ein­zu­stim­men, ist die Stras­se wie gewohnt leer. Es gibt jetzt nur links oder rechts, ich ent­schei­de mich für Letz­te­res.

Boule

Dann ver­lie­re ich mich in den ewig glei­chen Stra­ßen­zü­gen. Wie Kino schau­en, nur ist der Ein­tritt frei und den Bild­aus­schnitt muss ich sel­ber set­zen. Am Platz, um die Ecke, die Boule­spie­ler: In den Hosen­ta­schen haben sie läs­sig ihre Stoff­ta­schen­tü­cher ste­cken, um die Kugeln vom Staub zu befrei­en, die Schie­ber­müt­ze schräg im Gesicht, Kip­pen paf­fend, der eine läs­sig die Hand in die Hüf­te gestämmt. Da ist Frank­reich nicht weit, und die war­me Herbst­son­ne heu­chelt süd­län­di­sches Idyll. Das Licht gol­den und ange­nehm wär­mend, ein kur­zer Moment nur, in dem mein Kino­rah­men und ihre Selbst­wahreh­mung ver­schmel­zen. Men­schen auf den Bän­ken mit Smart­phones, klei­ner Rah­men, den­ke ich mir, was die küm­mer­li­che Kör­per­hal­tung bestä­tigt.
Laut Beck­mann sei das Anstren­gends­te im Leben wohl die Lan­ge­wei­le. Der Grund war­um sich die Her­ren hier heu­te zusam­men­ge­fun­den haben, war­um man um die Welt segelt und … war­um der Mensch nicht mit sich im Rei­nen ist und mit gewetz­ten Mes­sern auf­ein­an­der zurennt, liegt es mir auf der Zun­ge.

Für ihn war es die Male­rei „die die­ses recht schwie­ri­ge und manch­mal recht küm­mer­li­che Dasein eini­ger­ma­ßen inter­es­sant“ mach­te. Für mich neben vie­len ande­ren Din­gen die­ses ori­en­tie­rungs­lo­se Navi­gie­ren durch mei­ne Nach­bar­schaft. Von rechts fliegt eine Boule­ku­gel in mein Bild, wäh­rend zeit­gleich von links zwei Män­ner ein­tre­ten, in bei­den Hän­den Tüten, voll mit lee­ren Pfand­fla­schen.

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Ein paar Stra­ßen wei­ter, auf der Schön­hau­ser Allee, spült es mich in eine klei­ne Gale­rie. Eine Künst­le­rin prä­sen­tiert in fran­zö­si­schem Akzent ihr Foto­pro­jekt. Fünf Stuhl­rei­hen sind voll besetzt. Sie hat die Fas­sa­den ver­schie­de­ner Ber­li­ner Clubs foto­gra­fiert, unter der Woche, bei Tages­licht. Kei­ne Tür­ste­her, die den Ein­gang ver­ra­ten könn­ten, auch sonst sind kaum Men­schen auf den Auf­nah­men zu sehen, nor­ma­ler Berufs­ver­kehr. Die Stär­ke der Arbeit liegt in der Serie. Ein Ame­ri­ka­ner merkt etwas an, und dann spre­chen sie schnell anein­an­der vor­bei.
Sie sei kei­ne Par­ty­aus­kunft. Dabei hat er nur gefragt, in wie weit neue Orte hin­zu gekom­men sei­en, man von einem Wan­del oder einer Ver­la­ge­rung spre­chen kön­ne. Ame­ri­ka­ner und Fran­zo­sen waren für mich schon immer schwer zusam­men zu brin­gen. Da muss ich an turn­schuh­be­sohl­te Grin­gos unterm Eifel­turm den­ken.

In einer Schub­kar­re vor mir sehe ich Fried­rich Engels, geköpft und in sei­ne Ein­zel­tei­le zer­legt. Neu­in­ter­pre­ta­ti­on von Denk­mä­lern, dar­um geht es hier unter ande­rem. Nie­der­gang des kom­mu­nis­ti­schen Mani­fests, aber auch an die Tali­ban erin­nert das, wenn sie denk­mal­glei­che Kul­tur­stät­ten in die Luft spren­gen. So wie es auch Bil­der jüngs­ter Gräu­el­ta­ten von Extre­mis­ten in mir wach­ruft.
Wäh­rend ich wei­ter auf den aus Papp­ma­ché über­zeu­gend nach­ge­bau­ten Engels­kopf star­re, wie er da vom Tor­so getrennt in der Schub­kar­re liegt, wan­dern mei­ne Gedan­ken wie­der zu Beck­mann. In einem Bild­band habe ich die­ses Foto von ihm ent­deckt. Irgend­wo am Strand in Hol­land, son­nen­ba­dend im Exil, eine weiß­ge­rahm­te Bril­le mit run­den Glä­sern im Gesicht, wohl mög­lich von sei­ner Frau Quap­pi, schaut er direkt in die Kame­ra. Hut, Zigar­re und ein Bade­tuch läs­sig über die Schul­tern gewor­fen.
Die glei­che Son­ne die auch heu­te mein Gesicht wärm­te, durch das Schau­fens­ter sehe ich wie sie den schon ver­lo­re­nen Kampf gegen die Ber­li­ner Dach­gi­bel führt und die Abend­däm­me­rung ein­läu­tet.

Engels

In Euro­pa tobt zu jener Zeit der zwei­te Welt­krieg. 1933, mit der Macht­er­grei­fung, wur­de ihm sei­ne Pro­fes­sur an der Kunst­hoch­schu­le in Frank­furt aberkannt. Auf ihn hat­ten sie es abge­se­hen. „Ent­ar­ter­ter“ war kaum ein ande­rer Deut­scher Künst­ler. Und doch sehe ich hier, trotz der Ohn­macht, die Euro­pa zur die­ser Zeit im Griff hat, einen ent­ge­gen des Ein­gangs erwähn­ten Tage­buch­ein­tra­ges zu Spä­ßen auf­ge­leg­ten Max Beck­mann. Die Ket­ten natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Unter­drü­ckung gesprengt, wie er sich in einem Bild auch selbst por­trä­tier­te.

Die Unwirk­lich­keit von eige­ner Rea­li­tät und bewaff­ne­ten Kon­flik­ten in der Fer­ne, die gab es damals auch. Natür­lich sind die Medi­en inten­si­ver gewor­den, per Knopf­druck ins Wohn­zim­mer wenn man will.
Aber die­se Unver­ein­bar­keit ist doch irgend­wie geblie­ben. Und dass wir trotz jener Ohn­macht in unse­rem unmit­tel­ba­ren Umfeld die Fah­ne hoch­hal­ten müs­sen, den Humor wah­ren müs­sen, dafür ist die Auf­nah­me auch ein Zeug­nis, ohne dabei die Gescheh­nis­se da Drau­ßen aus den Augen zu ver­lie­ren. Auch der demon­tier­te Engels ver­eint die­se zwei Welt­sich­ten.

Der Ame­ri­ka­ner und die Fran­zö­sin haben immer noch nicht zuein­an­der gefun­den, ich ver­las­se die Gale­rie, es ist schon dun­kel und die Stras­sen­sze­ne nun abend­lich, groß­städ­tisch. Leucht­re­kla­men, grel­le Auto­schein­wer­fer, in denen die Insas­sen nicht wei­ter aus­zu­ma­chen sind, ver­bin­den sich zu einer Film­ku­lis­se. Nie­sel­re­geln stellt sich ein. Dann fällt mir der Kiosk auf, ich leh­ne mich an eine Haus­wand, set­ze mei­nen Rah­men und ver­har­re so eine Wei­le. Ein will­kom­me­nes Far­ben­spiel, mit der Dun­kel­heit der her­bei eilen­den Nacht bre­chend.

Kiosk

Aus Nie­sel wird Regen, die Geh­we­ge reflek­tie­ren die Later­nen­lich­ter und unter mei­nen Schrit­ten ein Tep­pich mat­schi­ger Laub­blät­ter. Ich ent­schlie­ße mich spon­tan den Heim­weg abzu­kür­zen und sprin­ge in die Bahn. Wie nicht anders zu erwar­ten, Men­schen mit Tele­fo­nen, als hät­te man plötz­lich ein Groß­raum­bü­ro betre­ten oder wäre ihnen in ihre eige­nen vier Wän­de gefolgt. Manch­mal wün­sche ich mir alle wür­den durch­ein­an­der reden, gemein­sam ein Lied anstim­men oder ein auf­ge­scheuch­tes Huhn durch den Gang flat­tern und dem kol­lek­ti­ven Schwei­gen Ein­halt gebie­ten.

An der nächs­ten Sta­ti­on stei­ge ich aus und ver­las­se zwei Blö­cke Rich­tung Alex lau­fend die Haupt­stras­se. Die Zahn­bürs­te, im nun erleuch­te­ten Schau­fens­ter, gibt mir in der Dun­kel­heit die Gewiss­heit, auch wirk­lich zu Hau­se zu sein.

 

 


Antworten

  1. […] Phil­ipp Boos auf Rei­se­de­pe­schen: Durch den Kiez mit Max Beck­mann […]

  2. Avatar von Rebecca Haertel

    Ich,als wasch­ech­te Ber­li­ne­rin bin begeis­tert von die­sem Arti­kel! Bit­te mehr davon!

  3. Avatar von Björn

    Tol­ler Arti­kel, bin ein feli­ßi­ger Leser von euch.

  4. Avatar von Philipp Laage

    Toll geschrie­ben, bit­te mehr davon!

  5. Avatar von Ethnostories

    …sehr schö­ne Art zu schrei­ben, Phil­ipp! Da wür­de ich ger­ne noch mehr lesen. Ich wünsch­te es gäbe mehr sol­che Arti­kel (oder habe ich sie nur noch nicht ent­deckt?), in denen sich Kunst, Kunst­ge­schich­te und Rei­se­be­richt ver­mi­schen. Dan­ke!

    1. Avatar von Philipp Boos

      …dan­ke für dei­ne posi­ti­ven Zei­len. Ich arbei­te dran! 🙂

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