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Auf Bob Mar­leys Spuren

„I remem­ber when we used to sit in the govern­ment yard in Trench Town.

Oba – oba­ser­ving the ‚ypo­cri­tes as they would mingle with the good peo­ple we meet.“

- Bob Mar­ley, „No Woman No Cry“

Trench Town/​Kingston

Ich muss nach Trench Town. Ich muss.

Es führt kein Weg daran vor­bei, dem wohl berüch­tigs­ten und gleich­zei­tig fas­zi­nie­rends­ten Stadt­teil King­s­tons einen Besuch abzustatten.

Zu oft habe ich Bob Mar­ley in sei­nen Lie­dern dar­über sin­gen hören.

Zu oft habe ich mich gefragt, woher diese Lie­der stammen.

„Ich weiß nicht, Mann, du bist ein­fach zu weiß“, sagt Rob.

Ich sitze mit Rob unter einem alten, knor­ri­gen Baum auf dem Gelände von Tuff Gong Records, Bob Mar­leys alter Plat­ten­firma, und dis­ku­tiere mit ihm und Maria vom Sou­ve­nir-Shop  dar­über, ob ich es wagen kann nach Trench Town zu gehen oder nicht. Rob hat mich die letzte Stunde über das Gelände geführt und mich hin­ter die Kulis­sen einer der berühm­tes­ten Musik­schmie­den der Kari­bik bli­cken lassen.

 

Obwohl die Tuff Gong Stu­dios eine der weni­gen Attrak­tio­nen sind, die King­s­ton zu bie­ten hat, ver­ir­ren sich nicht allzu viele Tou­ris­ten hier­her in das Indus­trie­ge­biet am Hafen an der Hunts Bay in des­sen Her­zen die Stu­dios hin­ter bunt bemal­ten, aber nichts­des­to­trotz mit Sta­chel­draht und Über­wa­chungs­ka­me­ras gesi­cher­ten Mau­ern liegen.

Heute bin ich der ein­zige Gast.

Daher gab es eine Privatführung.

Zuge­ge­ben, die Stu­dios von Jamai­kas größ­tem Sohn machen nicht den Ein­druck, als würde hier heute noch Musik­ge­schichte geschrie­ben. Ande­rer­seits ver­sprü­hen die leicht her­un­ter­ge­kom­me­nen Räum­lich­kei­ten einen ganz eige­nen Charme.

Rob zeigte mir die Auf­nah­me­stu­dios, die Pro­be­räume, Bob Mar­leys alten Flü­gel und das Plattenpresswerk.

 

Und jetzt sit­zen wir, wie gesagt, im Innen­hof der Stu­dios und dis­ku­tie­ren über meine Pläne für den Rest des Tages. Neben uns steht ein alter Lie­fer­wa­gen, der nur noch vom Rost zusam­men­ge­hal­ten wird. Aus der Ferne hört man das Rumo­ren eini­ger Maschi­nen. Nicht die der Tuff Gong Stu­dios. Hier bewegt sich heute gar nichts.

Ich bli­cke auf die Sta­chel­draht­bah­nen, die sich rund um das Gelände zie­hen. »One Love« sagt ein bun­ter Schrift­zug auf der Mauer dar­un­ter. Der Sta­chel­draht sagt etwas anderes.

Rech­net man die Zahl der Morde und Über­fälle auf die knapp 25000  Ein­woh­ner Trench Towns run­ter, ist das Vier­tel im Süd­wes­ten von King­s­ton der gefähr­lichste Ort der Welt.

Robs War­nung kommt also nicht von unge­fähr, das Vier­tel wurde bereits vor Jahr­zehn­ten quasi von der Regie­rung auf­ge­ge­ben, auch wenn es zahl­rei­che Bemü­hun­gen gibt, Armut und Kri­mi­na­li­tät Herr zu wer­den und es im Ver­gleich zu den Acht­zi­gern und Neun­zi­gern fast schon fried­lich zugeht.

Ande­rer­seits leben Tau­sende hier täg­lich ihr Leben, ohne umge­bracht zu werden.

Nur sind diese nicht weiß.

„Trench Town hat seine eige­nen Gesetze. Sobald du aus dem Tor trittst, passt du dich an oder gehst unter“, sagt Rob. Klingt ziem­lich melo­dra­ma­tisch, aber ich ver­kneife mir das Lächeln, als ich den Ernst in Robs Augen sehe.

Ich bli­cke auf das mas­sive Eisen­tor der Studios.

Bob Mar­ley selbst soll vor die­sem Tor gestan­den haben, nach­dem die Wach­leute der Stu­dios die es einst beschützt hat, ihn nicht rein­las­sen woll­ten. Spä­ter hat er ein­fach das ganze Gelände mit­samt dem Tor gekauft und hier seine eige­nen Stu­dios gebaut. So zumin­dest die Story, die Rob mir und wahr­schein­lich hun­der­ten ande­rer Tou­ris­ten vor mir, erzählt hat.

 

„Naja, er kann zum Cul­ture Yard“, wirft Maria ein.

„Hmm. Rich­tig“, sagt Rob nickend.

Ich werde hellhörig.

„Cul­ture Yard?“

„Ja, Mann. Das ist safe. Da las­sen die sogar Weiß­brote wie dich rein“, sagt er und lacht.

Ein Hoff­nungs­schim­mer tritt auf und ich beginne den Gedan­ken zu wagen, dass ich es tat­säch­lich nach Trench Town schaffe. Und wie­der raus.

Rob und Maria erzäh­len mir etwas über den Cul­ture Yard, ein Kul­tur- und Ent­wick­lungs­pro­jekt zwi­schen der 1st und 2nd Street in Trench Town und rufen mir ein Taxi, das mich hin­brin­gen soll.

„Hier, Mann“, sagt Rob und drückt mir einen Joint und etwas Gras in die Hand.

„Das kann ich nicht anneh­men“, sage ich und will ihm das Gras in mei­ner Hand zurückgeben.

„Nein, Mann. Spread the love, Mann, teile was du liebst! Und ich liebe Ganja“, lacht er.

 

Es hupt. Mein Taxi steht vor dem Tor und war­tet auf mich. Ich ver­ab­schiede mich von Rob und Maria und schwinge mich in den Wagen.

Wir fah­ren den Mar­cus Gar­vey Drive am Was­ser ent­lang, vor­bei an her­un­ter­ge­kom­me­nen Indus­trie­hal­len, Wohn­hüt­ten und klei­nen Läden, die Haus­halt­wa­ren und Lebens­mit­tel ver­kau­fen. Ich beginne vor mich hin zu träu­men, wäh­rend ich beim Ein­at­men lang­sam den süß­lich-wür­zi­gen Qualm vom Robs Abschieds­ge­schenk inha­liere. Der warme Wind, der vom Was­ser her weht, wir­belt mir durch die Haare und meine Augen wer­den immer kleiner.

„Wir sind da, Mann“, sagt der Taxi­fah­rer plötz­lich und ich schre­cke aus mei­nen Tag­träu­men hoch.

Der Joint ist mitt­ler­weile erlo­schen und hängt locker in mei­nem lin­ken Mund­win­kel, gehal­ten nur von etwas ange­trock­ne­ter Spucke.

Ich bezahle den Taxi­fah­rer, frage ihn nach Feuer und schwebe, einen hal­ben Meter über dem Boden, durch das ver­ros­tete Ein­gangs­tor des Cul­ture Yard.

„Wel­come to Trench Town –  Home of Reg­gae“ steht auf der mit jamai­ka­ni­schen Reg­gae-Heroen von Ziggy Mar­ley bis Peter Tosh bemal­ten Außen­wand des Yards.

 

 

Aus dem hin­te­ren Teil des Hofs strömt laute Musik, direkt hin­ter dem Ein­gangs­tor sit­zen ein paar Män­ner im Schat­ten eini­ger Bäume und nicken im Takt des Beats mit dem Kopf, wäh­rend sie weiße Rauch­wol­ken in den Him­mel blasen.

„Will­kom­men im Cul­ture Yard, Mann“, ruft mir einer der Ras­tas zu und grinst mich an.

Ich erwi­dere den Gruß und lasse mich von der Bass­line lei­ten, die über den Innen­hof wabert wie Honig. Hufen­ei­sen­för­mig ist der Innen­hof umschlos­sen von klei­nen blau­ge­tünch­ten Häus­chen, von denen einige bewohnt zu sein schei­nen, einige eine Art Museum mit der Geschichte Trench Towns beher­ber­gen und die Räume am hin­te­ren Ende des Gelän­des in ein klei­nes Stu­dio umfunk­tio­niert wurden.

„Hey Bru­der, was geht ab, Mann?“, fragt mich einer der Män­ner, die um ein klei­nes Fens­ter des Stu­dios her­um­ste­hen und Musik hören und hält mir seine Hand zum High Five hin.

 

 

Er stellt sich als Mickey vor, erzählt mir, dass er sel­ber Musik macht und beginnt, mir etwas über den Cul­ture Yard und des­sen bewegte Geschichte zu erzählen.

„Kennst du „No Woman, No Cry“? Das hat Bob hier in die­sem Yard geschrie­ben“, erzählt Mikey mir.

„Ist nicht dein Ernst“

„Klar, Mann! Dahin­ten in dem Zim­mer hat er eine Zeit lang mit Rita gewohnt. Da steht sogar noch das Bett drin, in dem die bei­den kleine Baby-Mar­leys gemacht haben“, lacht Mickey und deu­tet auf eine kleine Tür an der lin­ken Innen­seite des Innenhofs.

Auch der alte Tour­bus der Wai­lers gam­melt in einer Ecke des Yards vor sich hin. Nicht ein­mal strah­lende Licht der Sonne, die den gesam­ten Hof durch­flu­tet kann von des­sen deso­la­tem Ein­druck ablen­ken. Ande­rer­seits passt auch hier, wie schon in den Tuff Gong Stu­dios, zum all­ge­mei­nen Vibe der von der Gegend und den Men­schen aus­ge­strahlt wird. Klar könnte der Bus vom Rost befreit wer­den (zumin­dest vor eini­gen Jah­ren noch), aber Musik hören, kif­fen und in der Sonne chil­len ist eben auch schön.

Wir lau­fen in Rich­tung Tor und set­zen uns zu den anderen.

„Weißt du, Mann, wenn du willst, dann zeig ich dir Trench Town“, sagt Mikey.

„Ich weiß ja nicht“, ant­worte ich.

Es ist nicht so, dass ich Mikey nicht traue. Es sind viel mehr die­je­ni­gen, die sich außer­halb der siche­ren Wände des Cul­ture Yards auf­hal­ten, die mir Sor­gen machen.

Ich habe wenig Lust am nächs­ten Tag in den Zei­tun­gen zu lan­den, weil ich dumm genug war, nicht nur sämt­li­che Rat­schläge, son­dern auch mein eige­nes Bauch­ge­fühl in den Wind geschla­gen zu haben und mich plötz­lich in irgend­ei­ner Ban­den­aus­ein­an­der­set­zung wie­der­zu­fin­den oder Opfer irgend­ei­nes Jun­kies zu wer­den, der mich mit einem Geld­au­to­ma­ten verwechselt.

„Nein, Mann, über­haupt kein Pro­blem. Das ist meine Hood hier, Mann. Jeder kennt mich. Oder was sagst du, Pete?“, fragte er an einen der Typen gewandt, die im Schat­ten der knor­ri­gen Bäume sitzen.

„Jeder kennt Mikey, Mann“, sagt Pete und hält Mikey die Faust zu Bestä­ti­gung hin, die er lächelnd mit einem Fist­bump erwidert.

„Solange du bei mir bleibst, bist du safe, Mann“, sagt Mikey, war­tet meine Ent­schei­dung gar nicht ab, son­dern dreht sich in Rich­tung des Tores und signa­li­siert mir, ihm zu folgen.

Wir tre­ten auf die Straße, lau­fen um die Ecke und befin­den uns plötz­lich inmit­ten von Well­blech­hüt­ten, Auto­wracks und Men­schen, die mich miss­trau­isch anschauen, wäh­rend ich hin­ter Mickey her an ihnen vorbeilaufe.

Trench Town.

Fuck.

Mehr im nächs­ten Teil. 

Cate­go­riesJamaika

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