Die Stadt aus Marmor und Gold

Es ist 5.30 Uhr, es ist dun­kel, ich bin müde. Mit Sebas­ti­an, Nicolás und Jogesh sit­ze ich auf einer unge­müt­li­chen Bank im klei­nen Bahn­hof von Mary, der viert­größ­ten Stadt Turk­me­ni­stans. Der Nacht­zug aus Ash­ga­bat brach­te uns her und es ist den kur­zen Ent­fer­nun­gen im Land geschul­det, dass wir trotz Nacht­zug so früh in Mary ange­kom­men sind. Aber immer­hin konn­ten wir uns so eine wei­te­re Nacht in einem der über­teu­er­ten Hotels spa­ren und neben­bei Stre­cke machen, was bei unse­rem Fünf-Tages-Tran­sit­vi­sum auch nötig ist.

***

Rück­blick: Ges­tern erst kamen wir in Turk­me­ni­stan an und nach wie vor sind wir über­rascht über die uner­war­tet unkom­pli­zier­te Ein­rei­se aus dem Iran. In diver­sen Rei­se­blogs hat­ten wir von ewi­gen War­te­zei­ten, har­ten Gepäck­kon­trol­len, sich reso­lut vor­drän­geln­den turk­me­ni­schen Händ­le­rin­nen und schwie­ri­ger Wei­ter­rei­se in Rich­tung Ash­ga­bat gele­sen. In der Rea­li­tät sieht es bei uns ganz anders aus. Fast schon gespens­tisch leer ist das Grenz­ge­bäu­de auf ira­ni­scher Sei­te. Nur drei turk­me­ni­sche Frau­en, alle geklei­det in bun­ten, lan­gen Klei­dern und inter­es­san­ten gro­ßen hut­ar­ti­gen Kopf­tü­chern, sind anwe­send. Die Aus­rei­se aus dem Iran ver­läuft unpro­ble­ma­tisch und über­aus schnell. Ein­mal in den Pass geschaut, schon haut uns der Grenz­be­am­te den Aus­rei­se­stem­pel neben’s Visum.

Auf turk­me­ni­scher Sei­te wer­den wir sogleich in das Ein­rei­se­ge­bäu­de hin­ein­ge­wun­ken. Ein­mal Pass kon­trol­lie­ren, danach geht’s zur Bank, die Ein­rei­se­ge­bühr von 12 Dol­lar pro Per­son bezah­len. Wie pas­send, dass der Bank­an­ge­stell­te alle Schnei­de­zäh­ne ver­gol­det hat und uns damit im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes strah­lend anlä­chelt… 😉 Die har­te Gepäck­kon­trol­le fällt bei uns zum Glück aus, dafür wer­den wir von einer stäm­mi­gen Dame forsch gefragt, ob wir Tablet­ten bei uns haben? Waf­fen? Hero­in? Wir schei­nen geschockt geguckt zu haben, denn rasch winkt sie uns wei­ter. Mit „Good luck!“ wer­den wir in Turk­me­ni­stan begrüßt, im Iran war es noch ein fröh­li­ches „Wel­co­me to my coun­try!“. Ob das ein Zei­chen sein soll?

Wir tre­ten aus dem Grenz­ge­bäu­de her­aus und freu­en uns, einen Bus zu sehen, der uns und die weni­gen ande­ren Ein­rei­sen­den in Rich­tung Ash­ga­bat brin­gen wird. Ent­spannt las­sen wir uns auf zwei Sit­ze fal­len. „Das hat ja alles bes­tens geklappt!“, freu­en wir uns. Der Bus fährt los, biegt nach 100 Metern um eine Kur­ve, um danach etwa 20 Meter rück­wärts bis vor ein Tor zu rol­len. Wir gucken noch über­rascht, als sich eben jenes Tor öff­net und sich etwa 50 Men­schen in Rich­tung Bus drän­gen, nach­dem sie einem Kon­trol­leur einen Zet­tel gezeigt haben. Mit rie­si­gen Plas­tik­tü­ten unter dem Arm hech­ten sie auf den Bus zu, um sich einen Platz zu sichern. Die ent­spann­te Rei­se­at­mo­sphä­re ist dahin, jeder Zen­ti­me­ter im Bus wird genutzt, über­all sta­peln sich plötz­lich rie­si­ge Tüten von schein­bar im Iran gekauf­ten Bett­de­cken und Kis­sen. Bis an einen letz­ten Kon­troll­pos­ten, eini­ge Kilo­me­ter ent­fernt der Gren­ze, geht die Fahrt. Hier stoppt der Bus auf ein­mal.

„Wie teu­er ist die Fahrt?“, fragt Sebas­ti­an unse­ren Neben­sit­zer auf Rus­sisch. „40 Manat“, ant­wor­te­te er. 10 Euro für etwa 10 Minu­ten Fahrt? Das kommt uns sehr teu­er vor, doch sind wir zu über­rum­pelt, um lan­ge nach­zu­fra­gen. Aus den Augen­win­keln sehen wir nach dem Bezah­len, wie der Bus­fah­rer unse­rem ehe­ma­li­gen Neben­sit­zer einen Geld­schein zusteckt. „Good luck!“, schießt es mir in den Kopf. Na toll, will­kom­men in Turk­me­ni­stan.

04_bus_grenze

Auf dem Park­platz, der nun vor uns liegt, ver­tei­len sich die turk­me­ni­schen Händ­le­rin­nen um die dort war­ten­den Autos. Eine der Damen schnappt sich uns und bedeu­tet mir mit den Hän­den, dass wir uns das Taxi tei­len wer­den. „Wie teu­er ist es?“, fragt Sebas­ti­an auf Rus­sisch. „Steigt erst mal ein, das sehen wir dann“, meint sie. Doch da die­se Vari­an­te in den aller­sel­tens­ten Fäl­len zu unse­rem Vor­teil aus­fällt, leh­nen wir dan­kend ab. Nach diver­sen Fahr­geld­ver­hand­lun­gen wer­den wir schließ­lich von einem Her­ren für 5 Dol­lar mit in die Stadt genom­men.

Wir fah­ren durch groß­zü­gig ange­leg­te, brei­te Stra­ßen, alle gesäumt von wei­ßen Stra­ßen­la­ter­nen mit gol­de­nen Über­dä­chern, vor­bei an wei­ßen, mar­mor­ver­klei­de­ten Häu­sern, die fast schon wie Schlös­ser aus­se­hen. Die Stra­ßen sind blitz­blank geputzt, es fah­ren neue, schi­cke, aber vor allem weni­ge Autos durch die Stra­ßen. „Wo sind all die Men­schen?“, schießt es mir durch den Kopf. Ash­ga­bat wirkt im ers­ten Ein­druck nicht wie eine Stadt, in der gelebt wird. Es ist sau­ber, hübsch – und leer. Mich erin­nert es an ein Muse­um mit die­sen über­trie­be­nen Pracht­bau­ten, den rie­si­gen Stra­ßen und den weni­gen, aber ernst schau­en­den Men­schen. Im Ver­gleich zum Iran ein kras­ser Gegen­satz. Wur­den wir dort fast schon zu viel beach­tet, ange­schaut, ange­lä­chelt, will­kom­men gehei­ßen, so wer­den wir hier über­haupt nicht wahr­ge­nom­men. Die Leu­te lächeln nicht, schau­en uns nicht an. Hupen ist ver­bo­ten. Die Autos sind neu, lei­se und qual­men nicht. Schon nach 15 Minu­ten in Ash­ga­bat seh­ne ich mich zurück in den Iran. Doch die Rück­rei­se ist aus­ge­schlos­sen, wir hat­ten kein Visum, das eine mehr­fa­che Ein­rei­se erlaubt.

31_leere_strassen

14_gebaeude3

Ange­kom­men in Ash­ga­bat machen wir uns als ers­tes auf die Suche nach einer Unter­kunft. Unse­re ers­te Wahl ist ein angeb­lich güns­ti­ges und net­tes Hotel, von dem wir vor­ab im Inter­net gele­sen hat­ten. Wir freu­en uns, als die Rezep­tio­nis­tin bejaht, sie hät­te noch freie Zim­mer. „Eines für 35 Dol­lar, eines für 65 Dol­lar“. Puh, ganz schön teu­er! Wir schau­en bei­de Zim­mer an und sind von bei­den geschockt. Jenes für 65 Dol­lar, das eigent­lich auf­grund sei­nes Prei­ses sowie­so schon raus ist, erin­nert an ein schlech­tes Zim­mer in einer Jugend­her­ber­ge. 20 bis 30 Dol­lar fän­den wir einen ange­mes­se­nen Preis, 65 Dol­lar defi­ni­tiv nicht. „Wie sieht wohl das Zim­mer für 35 Dol­lar aus?“, fra­gen wir uns.

Wir lau­fen einen lan­gen dunk­len Kor­ri­dor ent­lang. Die Beleuch­tung ist in der Mit­te aus­ge­fal­len, wir kön­nen die Zim­mer­num­mern nicht mehr lesen. Mit Hil­fe unse­res Han­dys sor­gen wir selbst für Licht. 319 – da ist es ja. Die Zim­mer­tü­re erin­nert an Papp­ma­s­ché, durch den Tür­rah­men schim­mert Licht in den dunk­len Flur. Der Anblick im Inne­ren schockt uns. Löch­ri­ge Wän­de, Bet­ten, die an Hän­ge­mat­ten erin­nern. Eine Fens­ter­schei­be gibt es nicht, eine kaput­te Plas­tik­pla­ne soll ihre Funk­ti­on erfül­len. Das Bad sieht aus wie vor hun­dert Jah­ren, eine ver­dreck­te Bade­wan­ne und kom­plett ver­ros­te­te Arma­tu­ren. Hier­für 35 Dol­lar bezah­len? Für was denn? Wir wür­den uns nicht trau­en, Wert­sa­chen in die­sem Zim­mer zu las­sen und wol­len nicht blei­ben.

05_ekelzimmer

Das Zim­mer für 65 Dol­lar wür­den wir für 30 Dol­lar neh­men“, ver­su­che ich es bei der Rezep­tio­nis­tin. „Sor­ry, this is a govern­men­tal hotel, no bar­gai­ning“, lehnt sie jeden Ver­such des Han­delns ab. Wir schul­tern unse­re Ruck­sä­cke und zie­hen wei­ter.

Schließ­lich lan­den wir bei einem gro­ßen Hotel­klotz, gol­den schim­mernd, neu aus­se­hend und schon von außen teu­er wir­kend. Müde von dem lan­gen Rei­se­tag und des­il­lu­sio­niert von der ers­ten Hotel­erfah­rung mie­ten wir uns trotz eines für uns hor­ren­den Zim­mer­prei­ses von 110 Dol­lar hier ein. Auch hier ist Han­deln zweck­los, die Prei­se wer­den von der Regie­rung vor­ge­ge­ben.

Schlecht gelaunt fal­le ich an die­sem ers­ten Abend in Turk­me­ni­stan ins Bett. Was ist das für ein Land? Die Men­schen wir­ken grim­mig, die Stadt sieht wie ein Muse­um aus und die Prei­se sind (für Aus­län­der) abso­lut über­teu­ert. Fünf Tage rei­chen uns hier, mehr als ein Tran­sit­vi­sum hät­ten wir eh nicht gebraucht – mit die­sem Gedan­ken schla­fe ich ein.

06_bonzenhotel

Am nächs­ten Tag sieht die Welt zum Glück schon wie­der bes­ser aus. Das Früh­stücks­buf­fet ist zwar kei­ne Offen­ba­rung, aber immer­hin eine Abwechs­lung zum ira­ni­schen Pen­dant. Nach­dem wir aus­ge­checkt haben, machen wir uns auf zu einem Spa­zier­gang durch die Stadt. Der ers­te Stopp ist der mar­mor­ne und gol­de­ne Bahn­hof, wir erste­hen ein Ticket für den Nacht­zug nach Mary – 9 Dol­lar, immer­hin das ist bil­lig.

Vom Bahn­hof aus lau­fen wir in die Stadt hin­ein – wei­ße, glän­zen­de Häu­ser, Ver­spie­ge­lun­gen und wohin das Auge blickt gol­de­ne Ver­zie­run­gen. Es blen­det! Ich hole mei­ne Son­nen­bril­le aus dem Ruck­sack. In einem klei­nen Ver­gnü­gungs­park fin­den wir end­lich das turk­me­ni­sche Leben, das wir schon ver­misst hat­ten. Fami­li­en schlen­dern durch die Dino­sau­ri­er­aus­stel­lung, Kin­der fah­ren im Rie­sen­rad, wir selbst gön­nen uns eine Tüte Pop­corn. Die Men­schen sehen ent­we­der rus­sisch oder turk­me­ni­sch aus. Die Rus­sin­nen sind west­lich und größ­ten­teils über­aus knapp geklei­det, die Turk­me­ni­n­nen tra­gen lan­ge, far­ben­fro­he Klei­der. Bei­des Gegen­sät­ze zum Klei­dungs­stil im Iran. Wie wir spä­ter ler­nen wer­den, tra­gen nur die ver­hei­ra­te­ten Turk­me­ni­n­nen die inter­es­san­ten, gro­ßen Tur­ba­ne, die fast schon wie Hüte aus­se­hen.

20_fahrgestell

18_frauen

22_seb_dino

23_dino2

Wir lau­fen am Prä­si­den­ten­pa­last vor­bei und sind weit und breit die ein­zi­gen Men­schen auf der Stra­ße. Nur ab und an ste­hen Poli­zis­ten an den Kreu­zun­gen, bewaff­net mit einer Tril­ler­pfei­fe. Wir sind uns nicht sicher, ob wir foto­gra­fie­ren dür­fen, doch las­sen es dar­auf ankom­men. Ein­mal wer­den wir von einem Tril­ler­pfei­fen-Poli­zis­ten schrill ver­scheucht.

Zum Mit­tag­essen tref­fen wir end­lich einen net­ten Turk­me­nen, der flie­ßend Eng­lisch spricht. Er ist der Besit­zer eines klei­nen Cafés, das wir auf­grund der über­trie­be­nen Dol­lar-Prei­se eigent­lich gleich wie­der ver­las­sen wol­len. Das will er nicht zulas­sen und spon­tan wer­den wir von ihm zum Mit­tag­essen ein­ge­la­den. Wo hat man so etwas schon gese­hen? Wir sind tat­säch­lich sehr über­rascht! Da er Eng­lisch spricht, kön­nen wir end­lich alle unse­re Fra­gen stel­len. Span­nend (und wis­sens­wert) für uns sind vor allem die vie­len Ver­bo­te: im Stra­ßen­ver­kehr hupen; in der Öffent­lich­keit rau­chen; öffent­li­che Gebäu­de, Stra­ßen, Schie­nen, Bahn­hö­fe und sons­ti­ge Infra­struk­tur foto­gra­fie­ren. Und vor allem – um Him­mels Wil­len! – kei­ne Bil­der vom Prä­si­den­ten­pa­last machen. Ups! Wie gut, dass wir das vor­hin noch nicht wuss­ten, denn jetzt trau­en wir uns nicht mehr.

Nach einem Abste­cher in eine hüb­sche Moschee – auch hier sind wir außer zwei beten­den Män­nern die ein­zi­gen Men­schen – spa­zie­ren wir zurück zum Hotel, essen im klei­nen Café um die Ecke eine Por­ti­on Borschtsch und bre­chen auf zum Bahn­hof, unser Zug war­tet.

08_bahnhof

10_trainingsanzug

26_palast

28_moschee

Der Bahn­hof selbst ist end­lich mal vol­ler Men­schen, uns war davor schon fast unheim­lich zumu­te. Unser Vie­rer­ab­teil im Schlaf­wa­gen ist schnell gefun­den und nach eini­gem Hin und Her tei­len wir die­ses mit den bei­den ein­zi­gen ande­ren Tou­ris­ten im Zug: mit Nicolás aus Bel­gi­en und Jogesh aus Indi­en. Und mit Jogeshs Fahr­rad, das für eini­ges Kopf­zer­bre­chen beim Zug­per­so­nal gesorgt hat­te… Wäh­rend der Schaff­ner mit einem grel­len Pfiff das Signal zum Auf­bruch gibt, ver­sorgt uns sein Kol­le­ge mit Bett­be­zü­gen, einer Fla­sche Was­ser und einer Box mit klei­nen Snacks für die Nacht. Der Zug setzt sich in Bewe­gung. Die Fahrt beginnt!

***

Mitt­ler­wei­le ist es 6.30 Uhr und am Bahn­hof in Mary geht die Son­ne auf. Es wäre ein fan­tas­ti­sches Foto­mo­tiv, doch kei­ner von uns vie­ren zückt die Kame­ra. Bahn­hof und Züge foto­gra­fie­ren ist ver­bo­ten… Zwei­ein­halb Tage turk­me­ni­sches Visum blei­ben uns noch und ich bin gespannt, wie Turk­me­ni­stan außer­halb sei­ner Haupt­stadt Ash­ga­bat so ist!

12_gebaeude1

13_gebaeude2

15_vergnuegungspark

16_popcorn

17_kassenhaus

19_junge_wasserspiele

24_praesident

25_blume

30_wir_zug


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert