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Abschied in Buenos Aires

Unsere Reise war vor­bei, bevor sie begon­nen hatte. In Argen­ti­nien kam sie buch­stäb­lich und meta­pho­risch gespro­chen zu ihrem Ende, dabei sollte das mit uns doch erst rich­tig los­ge­hen. Was für ein Kli­schee, doch es stimmte.

Wir hät­ten die unbe­que­men Wege der ver­gan­ge­nen drei Wochen auf ver­eiste Berge, durch Salz­wüs­ten und über Schlamm­pis­ten im boli­via­ni­schen Dschun­gel in eupho­ri­scher Erwar­tung auf die Zukunft – auf unsere Zukunft – als etwas Ver­bin­den­des erle­ben sol­len. Wir hät­ten beglückt dar­auf ansto­ßen sol­len in die­ser leich­ten, schö­nen Metro­pole: Bue­nos Aires. Wir taten es nicht. Wahr­schein­lich hat­ten wir beide schon eine Ahnung. Nun lief ich allein durch die Stra­ßen, Som­mer auf der Süd­halb­ku­gel, und mein Herz war froh.

Du warst zwei Tage vor mir abge­reist. Ich habe ver­ges­sen, wieso. Ter­min­gründe, Flug­ver­bin­dun­gen, sowas. Wir hat­ten uns nett ver­ab­schie­det. Ich blieb in der Woh­nung dei­ner Bekann­ten. Lag sie im Stadt­teil Flo­res? Ich weiß es nicht mehr. Von Bue­nos Aires blieb mir wenig Fak­ten­wis­sen in Erin­ne­rung, nicht ein­mal grund­le­gende Orientierung.

Ich habe nur noch ein­zelne Sze­nen im Kopf. Wie ich durch das Réserva Ecoló­gica joggte, das Natur­re­ser­vat direkt am Rio de la Plata, wo mir Bue­nos Aires tat­säch­lich als »Stadt der guten Lüfte« erschien. Ich lief mit die­sem aller­bes­ten Gefühl beim Lau­fen, mich von unge­sun­den Anhaf­tun­gen befreit und leich­ten Schrit­tes einer posi­ti­ven Zukunft zu nähern.

In Uyuni war ich auch gejoggt, auf 3650 Metern – eine kurz­at­mige Qual. Dort war es am Abend komisch gewe­sen zwi­schen uns, das weiß ich noch sehr genau, in einem schmuck­lo­sen Hos­tel in die­ser häss­li­chen Stadt am Rand der gro­ßen Salz­wüste, die so viele Tou­ris­ten anlockt. Vor allem kalt war es in Uyuni gewesen.

 

 

Wie ich die Wärme in Bue­nos Aires genoss. In San Telmo ein fet­tes Steak essen, schon mit­tags Rot­wein trin­ken und sich an den mor­bi­den Fas­sa­den erfreuen. Hin­ten im Restau­rant dudelte Tan­go­mu­sik. Ich hatte kei­ner­lei Inter­esse, es mit dem Tan­zen ein­mal selbst zu ver­su­chen, was du dir viel­leicht gewünscht hät­test (ich fragte dich nie). Ich saß in der war­men Sonne und genoss, wie­der für mich zu sein.

In Asun­cion, da hat­ten wir ein schö­nes Hos­tel gehabt. Ich weiß, es klingt absurd, aber ich erin­nere mich noch an genau einen ein­zi­gen Satz von dir aus den drei Tagen in Para­gu­ays Haupt­stadt: »Ich fände es schön, wenn wir im Hos­tel mal einen Salat machen wür­den.« Mir stand auf unse­rer Reise stets der Sinn danach, aus­wärts zu essen. Aber bitte mit Nach­tisch und noch einem Glas Mal­bec, etwas ver­schwen­de­risch also. Das war dir, glaube ich, immer etwas deka­dent und unnö­tig vor­ge­kom­men, und auch nicht allzu gesund.

Ich wil­ligte ein zum Salat, etwas ent­täuscht, und meinte ein grund­sätz­li­ches Pro­blem erkannt zu haben. Schwach­sinn. Aber im Rück­blick sind es oft sol­che Details, aus denen man eine Wahr­heit her­aus­zu­le­sen glaubt. Als hätte der Salat gezählt und nicht das Gespräch dazu.

Wir hat­ten unsere Reise ange­füllt mir Erleb­nis­sen: Moun­tain­bi­ken auf der Death Road, Berg­tour auf den Huayna Potosí, Jeep­tour zu Lagu­nen und Fla­min­gos, Besuch der Iguazu-Was­ser­fälle. Aber in den stil­len Momen­ten – nach dem Ankom­men, vor dem Auf­bre­chen – da war es stumm geblie­ben zwi­schen uns.

Gut, ich habe dir Vor­träge gehal­ten. Zum Bei­spiel, warum es nun genau zur Euro­krise in Europa gekom­men war und andere Dinge, die dich maß­los lang­weil­ten. Du hast dir kaum Mühe gege­ben, das Gegen­teil vorzuspielen.

 

 

Phil­ippo, so hat­test du mich am Anfang immer genannt und dann wohl­wol­lend gelä­chelt, mit Zunei­gung. Das wurde bald sel­te­ner. Ich kann es dir nicht verübeln.

Ich habe dich gene­rell zu wenig gefragt. Es war eine Zeit, in der ich mich selbst gerne reden hörte und dem Zuhö­ren wenig Bedeu­tung bei­maß. Ich inter­es­sierte mich für die gro­ßen Zusam­men­hänge, du für das Ein­zel­schick­sal. Ich sah in allem sofort Sym­ptome von etwas Grö­ße­rem, du sahst wahr­schein­lich immer etwas genauer hin. Ich konnte auf­brau­send sein in mei­nem Ernst und damit völ­lig albern. Du schienst mir, unter der Ober­flä­che, immer etwas trau­rig, und ich war nicht in der Lage her­aus­zu­fin­den, wieso.

Nun war es zu spät, du warst abge­flo­gen. Präch­ti­ges Bue­nos Aires, eine Stadt mit euro­päi­schem Cha­rak­ter. Ich dachte an Madrid und Rom. Im ange­sag­ten Vier­tel Palermo trank ich fei­nen Kaf­fee und schlen­derte durch Bou­ti­quen. Ich fühlte mich als Teil einer kos­mo­po­li­ti­schen Jugend, nur weil ich feu­er­rote Nike-Turn­schuhe zu einem güns­ti­gen Kurs erstand. Sowas konn­test du natür­lich nur belächeln.

So saß ich am letz­ten Tag der Reise da: allein, aus­ge­gli­chen, etwas selbst­ge­recht. Nicht beun­ru­higt. Dabei war die Sache zwi­schen uns längst klar.

Am nächs­ten Mor­gen saß ich im Flug­zeug nach Deutsch­land, und schon bald, in eini­gen Wochen – der Baum im Hof würde wie­der Blät­ter tra­gen, der Früh­ling noch auf­zie­hen über der win­ter­grauen Stadt – da soll­ten wir Fremde sein.

 

 

Cate­go­riesArgen­ti­nien
  1. Erich Glas says:

    Sehr schön geschrie­ben, aber zu spät erkannt was er ver­lo­ren hat! Aber so ist es oft im rich­ti­gen Leben. Erich

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