Ange­spannte Vor­freude ver­mischt sich mit unde­fi­nier­ba­rer Melan­cho­lie, als ich im Flug­zeug nach Fidschi sitze und aus dem Fens­ter auf weiß­graue Wol­ken­ge­spens­ter blicke.

 

Auch die dritte Sta­tion mei­ner 77-tägi­gen Reise wird mich mit mir selbst kon­fron­tie­ren, neue Lebens­fra­gen auf­wer­fen, mich meine Pläne über­den­ken las­sen. Ich freue mich dar­auf, denn dafür ist diese Aus­zeit da. Und den­noch habe ich im Flie­ger, unter­wegs in ein neues Land, in eine fremde Kul­tur, in unbe­kannte Gefilde wie­der Respekt vor mei­ner Ent­schei­dung, alleine zu rei­sen. Sie stellt mich vor die Her­aus­for­de­rung, mich nicht ablen­ken zu kön­nen, wenn Blitz und Don­ner durch meine Gedan­ken jagen.

Gewal­tige Gewit­ter begrü­ßen mich in Nadi, als mein Flug­zeug lan­det, und nur wenige Stun­den spä­ter reicht mir das Was­ser auf den Stra­ßen bis zu den Knien. Es ist Zyklon-Zeit auf den Fidschi-Inseln, genau wie in mei­nem Kopf. Ich möchte mir auf mei­nem Trip Fra­gen beant­wor­ten, die schon lange da sind, die ich mich aber nie zu stel­len getraut habe:

„Bin ich glück­lich? Wie will ich mein Leben füh­ren? Wer möchte ich sein?“

Nach vier Wochen in China und Neu­see­land weiß ich nur, dass ich noch keine Ant­wor­ten auf meine Fra­gen habe. Ganz leise schleicht sich aber der Gedanke ein, dass ich mehr möchte. Mehr als das, was mein All­tag, mein jet­zi­ges Leben, bie­tet und ist. Nun gilt es her­aus­zu­fin­den, was die­ses „Mehr“ sein könnte. Doch meine Gedan­ken gera­ten ins Sto­cken. Es fehlt mir an Mut, mein Leben zu überdenken.

 

Und dann war da diese Frau

Am nächs­ten Mor­gen steige ich in den Bus, der mich zum Hafen in Den­arau brin­gen soll. Dort beginnt eine zehn­tä­gige Hop-on-hop-off-Tour mit der Fähre über die Yasawa-Inseln. Ich bin schlecht gelaunt und über­mü­det. Ich habe wenig geschla­fen, das Pras­seln und Plär­ren des nächt­li­chen Unwet­ters hat mich wach­ge­hal­ten. Im Bus setzt sich eine Frau mitt­le­ren Alters neben mich. Sie spricht ange­regt mit jeman­dem schräg hin­ter ihr, ver­mut­lich ihrem Mann. Ich höre hin, weil ich Bro­cken des Gesag­ten ver­stehe – Schweizerdeutsch.

Ich spre­che sie an. Die übli­chen Fra­gen: „Wohin geht die Reise? Wie lange seid ihr unter­wegs? Wo kommt ihr her?“ Doch schnell ent­wi­ckelt sich das Gespräch anders, als es sonst unter Rei­sen­den üblich ist. Die Fra­gen gehen tie­fer, die Ant­wor­ten sind inter­es­san­ter. Auf Anhieb mag ich diese Frau. Ihre Augen strah­len von Fröh­lich­keit, Güte und Empa­thie. Sie und ihr Mann Ste­fan wer­den zwei Jahre unter­wegs sein. Ihr Name ist Anna.

 Zu dritt betre­ten wir die Fähre, reden und pla­nen unsere Stopps auf den Traum­in­seln. Unsere Rou­ten sind ähn­lich, aber nicht gleich, und als die bei­den von Bord gehen, hoffe ich, sie auf einem der Eilande wie­der zu treffen.

 

Bula Fidschi

Mein ers­ter Halt ist Nanuya Balavu Island, der Him­mel ist wol­ken­ver­han­gen. Trotz­dem erahne ich die traum­hafte Unter­was­ser­welt und bin berührt von der ehr­li­chen Fröh­lich­keit der Fids­chia­ner, die mir „Bula!“ – „Will­kom­men!“ – zuru­fen. Und den­noch kom­men die bekann­ten Gedan­ken wie­der, wäh­rend sich über der Insel wei­tere Regen­wol­ken zusammenrotten.

„Werde ich mei­nen Weg fin­den? Mute ich mir zu viel zu?“

 

Die große Frage

Bevor ich ins Grü­beln gerate, sitze ich in einem Kayak und paddle zur nächs­ten Insel. Neben mir rudert Malte. Er sprüht so vor Lebens­freude und Ent­de­cker­geist, Wis­sens­drang und guter Laune, dass ich ihn sofort in mein Herz schließe.

Am nächs­ten Tag kom­men Anna und Ste­fan im Man­t­a­ray Island Resort an. Ohne zu wis­sen, wie es dazu kommt, wach­sen wir zu einer Vie­rer-Gruppe zusam­men, beschlie­ßen, gemein­sam zur nächs­ten Sta­tion wei­ter zu rei­sen: Nacula Island soll einen Traum­strand bie­ten. Und end­lich rich­ti­gen Son­nen­schein im Paradies!

Am zwei­ten oder drit­ten Tag auf Nacula Island nimmt mich Anna bei­seite. „So“, bestimmt sie, „wir bestel­len uns jetzt einen Cock­tail. Und dann erzählst du!“ „Was denn?“, frage ich erstaunt. Sie: „Was dir in den Sinn kommt. Ich glaube, das wird dir guttun.“

Sprach­los und über­rum­pelt sitze ich neben ihr in einem Ses­sel und bli­cke über einen wei­ßen Sand­strand auf das blau­este Süd­see­was­ser. Mit dem Stroh­halm sto­chere ich in mei­ner Ana­nas mit Pina Colada. Es ist ein per­fek­ter Son­nen­tag, doch in mei­nem Inne­ren tobt ein Sturm. Anna war­tet gedul­dig, bis ich zu erzäh­len beginne. Die klei­nen Fält­chen um ihre Augen lächeln mir zu.

Lang­sam und sto­ckend fange ich an zu spre­chen, zunächst nicht wis­send, was ich über­haupt sagen will. Die Gedan­ken for­men sich lang­sam zu Sät­zen, bil­den Zusam­men­hänge, wer­fen schließ­lich Fra­gen auf, die ich mir nie gestellt habe. Oder schon immer gestellt habe? Schnel­ler und schnel­ler spru­deln die Worte aus mir her­aus, immer neue Dinge ver­rate ich der fast Frem­den neben mir. Schließ­lich flie­ßen im Para­dies die Trä­nen, in der Hand halte ich die unan­ge­tas­tete Pina Colada. In den nächs­ten ein oder zwei Stun­den spre­chen wir über mein Leben, meine Men­schen, meine Feh­ler und meine Wünsche.

Anna ver­ab­schie­det sich erst, nach­dem sie mir eine große Frage mit auf den Weg gege­ben hat. Die Frage scheint ein­fach, und doch weiß ich keine Lösung. Ich bin per­plex, über­for­dert. „Nimm dir Zeit für die Ant­wort, sie ist sehr wich­tig für dich. Wenn du sie gefun­den hast, teil sie mir mit.“ Intui­tiv weiß ich: Die Ant­wort kann mein Leben beeinflussen.

 

Das pure Leben

Anstatt über der Frage zu grü­beln, genieße ich einen Tag mit Malte am wun­der­bars­ten Strand, den ich jemals gese­hen habe. Wir sind am Blue Lagoon Beach. Ich lasse alle Gedan­ken los, wir klet­tern auf Pal­men, plant­schen wie Kin­der im Was­ser, quat­schen mit den Fids­chia­nern, bekom­men Son­nen­brand. Ich fühle mich aus­ge­las­sen und glück­lich wie schon lange nicht mehr. „So fühlt sich also das pure Leben an“, schmunzle ich.

Am Abend trin­ken wir ein Bier und genie­ßen den Blick über die Inseln und das Meer. Und dabei reden wir über das Leben. Zuge­ge­ben – eine 32- und ein 20-Jäh­ri­ger ste­hen nicht ganz am sel­ben Punkt des Weges. Und doch fra­gen wir uns beide, in wel­che Rich­tung wir wei­ter­ge­hen sol­len. „Wenn du nicht glück­lich bist, dann mach was ande­res“, rät Malte. Ich lache kurz auf und seufze: „Mit 20 geht das noch leich­ter.“ „Warum? Wo ist der Unter­schied? Du bist doch nicht krank oder alt oder so. Du kannst doch tun, was du willst.“ Zack. Ein­fach mal so wischt der Jung­spund all meine Beden­ken, Begrün­dun­gen und Hin­der­nisse von der Sonnenliege.

Hat er recht? Hemmt mich meine Angst vor dem Neuen? Ist Ver­än­de­rung am Ende gar nicht so schwer?

Noch ein paar Fra­gen, die sich zu der gesel­len, die mir Anna gestellt hat. Noch mehr, das ich erst ein­mal igno­riere. Und doch fan­gen meine Gedan­ken an zu krei­sen – ein lei­ses Don­ner­grol­len kün­digt sich an.

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Und dann bin ich allein

Plötz­lich ist unser letz­ter gemein­sa­mer Tag gekom­men. Wir sind wei­ter­ge­reist und schnor­cheln stun­den­lang mit den Schild­krö­ten vor Waya Island. Meine drei Gefähr­ten wer­den tags dar­auf die Yasawa-Inseln ver­las­sen, wäh­rend ich noch zwei Tage bleibe. Den letz­ten Abend begie­ßen wir mit ein paar Drinks und einem uner­mess­lich schö­nen Blick auf das klare Was­ser und die die grell­grü­nen Hügel am Horizont.

Nach lan­gen, son­ni­gen Tagen braut sich in der Ferne ein gro­ßer Wol­ken­berg zusam­men, bald schon zucken die ers­ten Blitze über den Süd­see-Him­mel. Doch heute zieht das Gewit­ter an uns vorbei.

Am nächs­ten Nach­mit­tag war­tet die Fähre auf die Abrei­sen­den. Zum Abschied winke ich den drei einst Frem­den, die nun ein Teil von mir gewor­den sind, hin­ter­her. Rufe ihnen „Moce!“ hin­ter­her, „Auf Wie­der­se­hen!“, als sie auf einem klei­nen Boot davon­fah­ren. Sich tref­fen, ken­nen­ler­nen und wie­der ver­ab­schie­den – das ist völ­lig nor­mal auf einer lan­gen Reise, es pas­siert annä­hernd täg­lich. Doch die­ses Mal bricht es mir das Herz. Ich habe inner­halb von zehn Tagen eine kleine Fami­lie in der Ferne gefun­den und wie­der ver­las­sen müssen.

Ich fühle mich allein in mei­nem Süd­see-Para­dies. An die­sem Nach­mit­tag zer­reißt ein gran­dio­ses Gewit­ter den Him­mel über den Fidschis. Bis spät in die Nacht zie­hen wun­der­bar schau­rige Blitze über den schwar­zen Hori­zont und las­sen das Koral­len­riff immer wie­der im Was­ser auf­leuch­ten. Die­ser Anblick trös­tet mich, wäh­rend ich mit einem Bier am Strand sitze. Die gro­ßen Fra­gen mei­ner neuen Freunde steh­len sich wie­der in mei­nen Kopf – vor allem die von Anna.

 

Die Reise geht weiter

Zwei Tage spä­ter nehme ich die Fähre zurück nach Nadi. Dann, im Flug­zeug nach Indo­ne­sien, schaue ich aus dem Fens­ter auf das wie­derum wol­ken­ver­han­gene Insel­reich. Die „Bit­ters­weet Sym­phony“ dringt über meine Kopf­hö­rer in meine Ohren. Als ich über das nach­sinne, was ich in der kur­zen Zeit auf den Fidschi-Inseln erlebt habe, bin ich sprach­los und dank­bar. Ungläu­big denke ich an die blaue, tiefe Schön­heit der Süd­see, an die Men­schen, die ich ken­nen­ler­nen durfte und die mir so viel gege­ben haben. Ich erin­nere mich kopf­schüt­telnd an das Auf und Ab mei­ner Gefühle in den Tagen im Para­dies, und ich flüs­tere lächelnd die Ant­wort auf die große Frage von Anna, die ich in der Gewit­ter­nacht am Strand gefun­den habe. Ich denke an die Zukunft, die vor mir liegt, und frage mich, wie sie wohl aus­se­hen wird.

Cate­go­riesFidschi
Martina Biendl

Auf ihren Reisen sucht Tina die schönsten Orte und abgelegensten Winkel auf der Welt – und findet dabei viel mehr: Freunde fürs Leben, wertvolle Erfahrungen, unfassbare Momente und am Ende auch ein bisschen sich selbst. Seit ihrer Weltreise betreibt sie den Blog ohnekopfundkragen.de und teilt ihr Erfahrungen und Reisebilder.

  1. Svenny says:

    Hallo euer Arti­kel hat mir sehr gut gefal­len bzw. diese Erzäh­lung. Die Fidschis sind ein inter­es­san­ter Urlaubs­ort den ich in mei­nem Ruhe­stand ein­mal wäh­len werde.

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