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Wer tötete den Hasen von Ko Chang?

Ort: Bun­ga­low­an­lage West­seite der thai­län­di­schen Insel Ko Chang.

Die Bun­ga­lows sind gelb und weiß. Abends kle­ben Flach­schwan­zech­sen an den Wän­den und Decken. Hin­ter der Straße eine Blech­hütte mit abge­pack­tem Essen, alles bunt, alles süß. Alles in Tüten und wenn man etwas kauft, bekommt man zwei Tüten dazu. Hin­ter dem Laden der Dschun­gel. Die Geräu­sche von dort machen mich demü­tig der Natur gegen­über. Sie kann dich fres­sen. An dem Tag hat sie keine Lust. An dem Tag frisst sie jemand anderen.

Amei­sen fres­sen Krabbe.

krabbe

Wet­ter: Regen, der auf das Was­ser des Swim­ming­pools fällt, der wär­mer ist als die Luft, aber käl­ter als das Meer. Käl­ter, aber trotz­dem noch warm. Nichts ist wirk­lich kalt.

Die Betei­lig­ten
Vier Hasen, auf dem Foto nur drei zu sehen, weil es da schon pas­siert war.

hasen

Der Nach­bar­hund, 11 Monate, uner­zo­gen, weich, verspielt.

nachbarhund

Die bei­den Hunde, die hier zum Gelände gehö­ren, sehr jung, Kai­ser und Maha­ra­dscha. Der Betrei­ber sagt, dass er sich nicht getraut hat, einen davon King zu nen­nen, weil die Thai­län­der da viel­leicht nicht so viel Spaß ver­ste­hen. „Du sagst also, unser Kai­ser ist ein Hund ja?“ Ori­gi­nal­ton vom Betrei­ber. Er hat sie vom Straßenrand.

Kai­ser, frech, zutraulich

kaiser

Der weiß-braune ist Maha­ra­dscha, scheu, kaput­tes Hinterbein.

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Eine Katze, Pim. Die Kin­der rufen sie Pim­chen. Der Katze ist das Kon­zept des Rufens fremd.

katze

 

Eine Ziege.

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Zwei Kin­der.

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Der Nach­bar­hund ist etwas wild und uner­zo­gen. Er will spie­len. Er nervt die Ziege. Die Ziege hat kein Bock. „Arme Ziege!“, sagen die Kin­der. Die Ziege tritt nach dem Hund. Der jault. „Armer Hund“, sagen die Kinder.
Der Betrei­ber der Bun­ga­lows rät uns, mit Stei­nen zu wer­fen. Das wol­len wir nicht. Armer Hund. Der Hund ver­sucht, in den Pool zu sprin­gen. Wir zei­gen ihm, dass wir das nicht wol­len. Er ver­steht nichts, hüpft herum und lacht uns aus. Beißt in den Besen. Wir wer­fen am Ende mit Stei­nen und zischen böse.
Na, klar armer Hund.
Nach­mit­tags ist er wie­der da und beißt Maharadscha.
Armer Maharadscha.
Kai­ser spielt mit dem Nach­bar­hund. Das ver­ste­hen die Kin­der nicht. Wie kann er mit dem bösen Hund spie­len? Der Nach­bar­hund heißt jetzt „Böser Hund“.

Am sel­ben Tag kommt die Ziege auf die Ter­rasse, durch­sucht den Müll­ei­mer und will nicht wie­der gehen. Wir wol­len dann schon, dass sie wie­der geht, obwohl sie nett ist. Sie riecht aber sehr nach sich selbst. Es ist ein Moment, ein klei­ner, wo ent­schie­den wird, sie zu zwingen.
Obwohl Wel­come auf dem Huf­ab­tre­ter steht.
Der ein­zige Mann in der Gruppe muss die Ziege bei den Hör­nern packen und das eigent­lich fried­li­che Tier beginnt sich zu weh­ren. Je mehr es sich wehrt, um so mehr muss der Mann fest­hal­ten. Es ist unklar, wer ange­fan­gen hat und wie lange man den Druck erhö­hen kann. Die Ziege will aus dem Griff. Der Mann schleift die Ziege zum Gärt­ner, bei dem beru­higt sie sich, schlen­kert ihre schar­fen Hör­ner aber noch­mal Rich­tung Feind.

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Nach­mit­tags dann der Skan­dal im Bun­ga­low­dorf: Kai­ser und Maha­ra­dscha holen sich ein Kanin­chen. Tot. Sie sind gut gelaunt, als wüss­ten sie über­haupt nicht, dass sie das nicht dür­fen. Und wahr­schein­lich stimmt das auch: Sie wuss­ten es nicht. Es muss ein Mords­spaß gewe­sen sein.
Dann erfah­ren sie wütende mensch­li­che Erzie­hungs­maß­nah­men. Sie schreien ganz hoch, wie nur junge Hunde schreien können.
Der böse Mensch, sind die Kin­der ent­setzt. Die armen Wel­pen. Die sind ja sooo süß.
Dann sehen sie das tote Kaninchen.
„Ist das tot?“, fra­gen sie immer wieder.
Sie wol­len wis­sen, wer von bei­den Wel­pen es war. Einer muss doch der Gute sein.
Es waren aber beide. In ihren Augen hat sich etwas verändert.

Die Kin­der sind eine Weile still. Sind sie gar nicht oft.
Dann sagt meine Toch­ter, dass das toten Kanin­chen sie mal in den Fin­ger gebis­sen hat und es ist bes­ser, dass die­ses Kanin­chen geholt wurde, anstatt eines anderen.
So hat sie es zurecht gedacht.
Es lässt sich doch immer etwas zurecht denken.

Beide Kin­der haben keine Lust, die Kanin­chen zu strei­cheln. Wer weiß, wann das nächste geholt wird. Die Wel­pen sehen aus, als hät­ten sie schon Lust.
Sie wer­den ange­leint und fie­pen unglücklich.

Die Kin­der ver­zei­hen den jun­gen Hun­den, dass sie Hunde sind. Sie füt­tern sie mit Wurst aus Tie­ren, die jemand ande­rer getö­tet hat.

Die Katze Pim ist der neue Lieb­ling. Ihr fehlt ein Vor­der­bein. Ein frem­der Hund wars, sagt die kam­bot­scha­ni­sche Köchin.
Arme Katze.
Böse Hunde.
Mit­füh­lende Kinder
Aber trotz­dem ist die Katze eine gute Jäge­rin. Sie hat den gesam­ten letz­ten Wurf der Kanin­chen getö­tet. Sagt die kam­bot­scha­ni­sche Köchin.
Jetzt wis­sen die Kin­der auch nicht mehr, wohin mit Mit­ge­fühl, Liebe, Sympathie.
Alle­samt Tiere.
Abends wol­len sie Huhn essen.

Alles was an die­sem Tag pas­siert ist, erscheint mir politisch.
Die Suche nach denen, die Recht haben, an die man glau­ben kann, denen man vertraut.
Par­teien, Län­der, Religionen.
Das die Fron­ten nicht zwi­schen gut und böse lau­fen, sondern …
was weiß ich.
Dass es eben ein­fach so ist.
Der Ver­such, mora­lisch zu blei­ben, auch wenn man immer mehr Infor­ma­tio­nen bekommt.

Wer hat wem zuerst auf die Ter­rasse gekackt? Wer hat wen zuerst bei den Hör­nern gepackt? Wer hat wen ver­letzt, getötet?
Tiere und Menschen.

Neben dem Swim­ming­pool steht ein Holz­schau­kel­pferd. Am Nach­mit­tags fällt beim Spie­len der Kopf ab.
Etwas hat sich geän­dert in ihren Augen.

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Schein­bar unbe­tei­ligte Tiere, aber wer weiß.

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Cate­go­riesThai­land
Kirsten Fuchs

Kirsten Fuchs tritt seit über 10 Jahren bei den berliner Lesebühnen auf, sie war Mitglied bei der Chaussee der Enthusiasten, ist Gründungsmitglied bei Fuchs&Söhne. Sie schreibt diese Kurzgeschichten über die man sagt, dass sie lustig sind, obwohl sie traurig sind oder andersherum. Sie schreibt Romane (bei Rowohlt Berlin erschienen "Die Titanic und Herr Berg", "Heile, Heile" und "Mädchenmeute", nominiert für den deutschen Jugendliteraturpreis) oder Theaterstücke fürs Gripstheater oder Kolumnen für DAS MAGAZIN und Freitext (Zeit online). Und wenn sie nicht gerade mit ihrer sechsjährigen Tochter durch die Weltgeschichte fährt, um ihr zu zeigen, dass es überall anders und doch gleich ist und sich überraschen zu lassen, was so eine sechsjährige zu den großen Themen zu sagen hat.

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