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Herr Mar­kus wokkt den Rock.

Ohne Trang wäre ich heute zwei­mal gestor­ben. No pain, No gain! wurde auf die Holz­ta­fel gekrit­zelt. Ohne Schmerz, kein Gewinn. Man könnte auch sagen: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

Der Rasta-Mann hin­ter der Holz­theke macht irgend­wie an der sil­ber­nen Kaf­fe­kanne herum. Wie beim Marl­boro-Mann umschlie­ßen seine Lip­pen einen schief her­un­ter­hän­gen­den Ziga­ret­ten­stum­mel. „Wanna smoke?“, lädt er mich rou­ti­niert ein. Ich winke ab. Ich will den drei­ßig Meter hohen Fel­sen erklet­tern, der sich hin­ter sei­ner klei­nen Kaf­fee­bar in den blauen Him­mel streckt.

An sei­nem Faden hängt mein Leben

Berau­schen­des betäubt, trübt die Wahr­neh­mung, spielt der fei­nen Moto­rik Strei­che, wie Max und Moritz dem Schnei­der Böck. Der Gedanke an den Griff zur Fil­ter­lo­sen berauscht mich gerade nicht. Da ist der Satz von Toco­tro­nic, der mir mah­nend in den Sinn kommt: „Ich will nüch­tern für dich sein.“ Erst die Arbeit, dann das Ver­gnü­gen. So hatte ich es durch ein Kopf­ni­cken mit sei­ner Holz­ta­fel abgemacht.

Die Insel Rai Leh ist ein erha­be­ner Ort zum Klet­tern, weil die Aus­sicht über tür­kis­blaues Meer, satt­grü­nen Dschun­gel und baby­blauen Him­mel von ein­ma­li­ger Schön­heit ist. Trang trägt eben­falls eine Rasta-Fri­sur, dazu eine Ray Ban Son­nen­brille und Flip­flops. Er wird mich beim Klet­tern mit einem Seil sichern. An sei­nem Faden hängt mein Leben.

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Angst und der Alb­traum von Herrn Kaiser

Ich will von Trang wis­sen, was die größte Her­aus­for­de­rung beim Klet­tern ist, das größte Hin­der­nis, ganz oben anzu­kom­men. „Die Angst“, ant­wor­tet Trang schlicht. Ob er denn Angst habe, frage ich. Ja, lacht er laut los, die habe er. Ich klet­tere heute zum ers­ten Mal. Trang täg­lich – seit fünf­zehn Jahren.

Neu­lich las ich, es gebe zwei Arten von Hel­den. Posi­tive und Nega­tive. Bei einem nega­ti­ven Hel­den gehört die Kreu­zi­gung dazu. Dafür bringe er die grö­ßere poe­ti­sche Kraft mit. „Kannst Du Dich nicht fal­len sehen?“, mau­len Toco­tro­nic weiter.

Über­haupt, die Angst: Was uns da alles die Sinne flu­tet. Rich­tige Jeans? Lob vom Chef? Werde ich ster­ben? Wird sie Ja sagen? Wird er Ja sagen? Bin ich schön? Dick? Häß­lich? Ter­ror­an­schlag? Wann? Wo? Wie­viel ist der Euro wert? Wie warm wird die Erde? Hält die 30er Son­nen­milch? iPhone, weiss oder schwarz? Reicht die Rente? Bekomme ich das Eis von mei­ner Wind­schutz­scheibe gekratzt? Wird Phil­ipp Röß­ler Bundeskanzler?

Alles Ängste. Bemer­kens­wert, wie­viele davon wir aus­hal­ten. Und wie­viel Geld wir aus­ge­ben, um sie aus­zu­hal­ten oder uns von ihnen zu befreien. Auf mei­ner Reise bin ich bis­lang nur zwei Ängs­ten begeg­net: Meh­re­ren Augen­paa­ren in Indien, die mich nach Essen für den nächs­ten Tag und ein wenig vom Leben anfleh­ten. Und – heute – Trangs Angst von einem Berg zu fallen.

Meine Lebens­ver­si­che­rung ist 9 Euro 99 wert: Ein sech­zig Meter lan­ges Seil. Hin­zu­ad­diert wer­den muss Trang, ein Rasta-Mann, der Mariuahna zum Früh­stück inha­liert und die­ses Seil nun in sei­ner Hand führt. Trang ist der Alb­traum von Herrn Kai­ser. Den kriege ich so schnell nicht assekuriert.

Jede Ver­si­che­rung hätte Angst. Doch Angst bedrängt, engt ein, Angst bescheißt einen. Ich nehme den Rat von Danny an, der Frau, die mir in Phu­ket die Haare schnitt: Nicht nach­den­ken, mehr Gelas­sen­heit. Die Göt­ter wür­den sich ohne­hin nicht für mein sterb­li­ches Leben inter­es­sie­ren. Danny muss den Phi­lo­so­phen Stoa stu­diert haben, sage ich mir.

Ent­schlos­sen und furcht­los schaue ich daher der Fels­wand ent­lang nach oben bis in den Him­mel. Ich suche nach Mög­lich­kei­ten, meine Hände in den rau­hen Fel­sen zu ver­gra­ben, um Halt an dem Mono­li­ten zu fin­den, der im 90 Grad Win­kel in den Him­mel ragt.

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Wie ein ange­zähl­ter Kirmesboxer

Trang sitzt hin­ter mir im Schnei­der­sitz auf dem Boden. Vor ihm liegt, wie zu einem Schne­cken­haus auf­ge­rollt, die Schnur, an deren ande­rem Ende ich befes­tigt bin. Ich habe bereits zehn Höhen­me­ter hin­ter mir gelas­sen. Unter- und Ober­arme sowie meine Hände begin­nen Schmerz­si­gnale an mein Gehirn zu tele­gra­fie­ren. Das Ver­gnü­gen kann also nicht mehr weit ent­fernt sein, ver­traut man der Weis­heit der Holztafel.

Außer­dem denke ich ja nicht. Ich bin gelas­sen. Sonst nichts. Sol­len Arme und Kopf das unter sich aus­ma­chen. Ein Bren­nen durch­zieht meine Arme, wäh­rend sich die klei­nen spit­zen Fels­vor­sprünge wie Stahl­nä­gel in die Han­din­nen­flä­chen boh­ren. So muss es sich anfüh­len, wenn man gekreu­zigt wird.

Ohne Schmerz gibt es ab hier kein Höhen­ge­winn mehr. Also wei­ter, nach oben. Ich atme schwer und muss mehr mit den Bei­nen arbei­ten. Ich muss mich so nach oben drü­cken, um schnel­ler an Höhe zu gewin­nen und Kraft zu spa­ren. Denn je mehr Zeit beim Suchen des rich­ti­gen Weges ver­streicht, desto mehr Kraft kos­tet der Aufstieg.

Als ich mich mit dem rech­ten Bein abdrü­cke, um einen wei­te­ren Fels­vor­sprung zu über­win­den, und mit der rech­ten Hand mein anvie­ser­tes Ziel, einen klei­nen Fels­za­cken, ergreife, rut­sche ich mit der Hand davon lang­sam wie­der ab. Es ist warm und rauh. Und es ist rut­schig. Ich habe zu wenig Magne­si­um­pul­ver an der ver­schwitz­ten Hand. Vor allem: mir bleibt kein Sau­er­stoff zum atmen und keine Kraft, um fest genug zuzupacken.

Ich habe plötz­lich kei­nen Halt mehr. Mein Gewicht ist nun zu gross, als dass ich mei­nen gesam­ten Kör­per mit nur einer Hand am Fel­sen hal­ten könnte. Ich stelle fest, dass ich nicht Tom Cruise bin und die Mis­sion sehr wohl unmög­lich ist. Ich falle nach hin­ten. Das lose Seil spannt sich mit einem Ruck. Ich hänge nun waa­ge­recht in der Luft, meine gestreck­ten Beine suchen Halt am Fel­sen, damit ich nicht in der Luft tau­mele, wie ein ange­zähl­ter Kir­mes­bo­xer. Von unten grinst mich Trang an. „Got you, my fri­end!“, ruft Trang hin­auf. Herr Kai­ser atmet auf. Ich auch.

Ich nutzte die Gele­gen­heit im luf­ti­gen Exil, raste und atme. Den Blick weit gestellt. Ich bli­cke direkt auf das schla­fende Meer in der Ferne, das son­nen­be­strahlt zurück­fun­kelt. Hier möchte ich blei­ben. Ich habe ewig Zeit.

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Bis zum höchs­ten Punkt, pen­deln Gedan­ken hin und her

Trang aber drän­gelt, treibt zu wei­te­rem Höhen­ge­winn an. Aber ich hatte doch schon Schmer­zen, regt sich meso­lim­bi­scher Pro­test. Ver­mut­lich ist seine Ziga­rette aus­ge­raucht und er benö­tigt Nach­schub, sage ich mir. Das wäre zu begrei­fen. Es sind noch zehn Meter bis zum Gip­fel. Lei­der ist kein Tom Tom zur Hand, dass den genauen Weg dort­hin vorgibt.

Ich klet­tere wei­ter bis zum höchs­ten Punkt. Meine Gedan­ken pen­deln hin und her: Der Vor­sprung da vorne rechts sieht gut aus. Ist aber klein. Das Loch da schräg oben könnte gehen. Doch, kein Absatz dort, um mei­nen Fuss abzu­stel­len. Doch lie­ber wei­ter links ver­su­chen? Weil alle Kraft ent­wi­chen ist und ich nach­denke, werde ich unvor­sich­tig, trete zu schnell und unsi­cher mit dem lin­ken Fuss in eine Fels­spalte und rut­sche wie­der ab. „Got you, my friend…!“

Ich lasse mich nach unten absei­len, nach­dem ich den Gip­fel erreicht habe und bin glück­lich. Weil ich meine Angst nie­der­ge­run­gen habe und ich zwei­mal davon­ge­kom­men bin. Ich umarme Trang und bedanke mich bei mei­nem Helden.

Zurück beim Rasta-Mann an der Theke, bestelle ich eine Tasse Chai Tee. Er holt einen gro­ßen Mör­ser her­vor und stellt ihn auf die Theke. Darin zer­klei­nert er im Rhyth­mus der Musik eine Hand­voll Kar­da­mon Früchte und grinst mich dabei an. Wei­tere Zuta­ten blei­ben sein Betriebs­ge­heim­nis. „Fear no good, my fri­end“, sagt er und zieht genuß­voll an sei­ner Ziga­rette. „Wanna smoke?“, fragt er mich erneut und monoton.

Ich aber lächle. Ich bin bereits berauscht und trinke ohne Angst und vol­ler Gelas­sen­heit meine Tasse Tee, unten, bei den Fuss­ball­spie­lern am Strand.

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Cate­go­riesThai­land
  1. Dirk says:

    Respekt!
    Habe mir den Fel­sen und seine Rou­ten im Netz ange­se­hen – und bin sehr beein­druckt, dass du da, offen­bar ohne jeg­li­che Vor­kennt­nisse und gegen all den Auf­ruhr in dei­ner Amyg­dala, rauf bist. 30 Meter Wand! Ham­mer. Und dass du bei all der Qual an Herrn Kai­ser den­ken muss­test, zeigt, dass auch bei dir Ur-Ängste geweckt wur­den: Kunst­fi­gur Kai­ser ist seit 2009 in Rente.

    1. markus says:

      Danke sehr! Ja, klet­tern in Thai­land „wokkt“! :) Bes­ser ist es eigent­lich nur in Halong Bay. Dort einen Fel­sen selbst zu erklet­tern und dann die Aus­sicht ueber Halong zu genies­sen – sel­ten wars bes­ser. Rente seit 2009 – d.h. Herr Kai­ser faehrt seit 2009 nur noch nach Budapest?

    1. „Wok­ken“ kommt aus dem Thai­laen­di­schen, Johan­nes. In Thai­land dreht sich alles um den Wok. In ihm wird geruehrt, als ginge es ums Leben. Hier wird so leicht und wen­dig mit dem Inhalt der Pfanne umge­gan­gen, wie damals nur Maren Gil­zer die Kon­so­nan­ten beim Glücks­rad umdrehte. Es ist ein Tanz. Ein Fels zu erklet­tern, ihn zu „rocken“, waere die Wild­west-Vari­ante des Klet­terns. Aber hier, in Thai­land, nimmt man einen guten Zug und „wokt den Rock“.

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