Lang lebe Leros

12. Novem­ber 1943: Die deut­schen Leder­stie­fel stür­men an Land. Nach­dem die mili­tä­ri­schen Stel­lun­gen der Bri­ten schon über Wochen aus der Luft atta­ckiert wur­den, soll jetzt der kur­ze Pro­zess gemacht wer­den. Seit Wochen ver­ste­cken sich die Insel­be­woh­ner in ihren Tun­neln. Das über­mäch­ti­ge Schlacht­schiff „Queen Olga“ war schon Ende Sep­tem­ber ver­senkt wor­den. Jetzt rech­net sich die „Kampf­trup­pe Mül­ler“ gute Chan­cen aus, auch an Land die Stär­ke­ren zu sein. Und so soll es kom­men. Fünf Tage erbit­ter­te Kämp­fe spä­ter, kapi­tu­lie­ren die Insel­ver­tei­di­ger. 357 Bri­ten und 408 Deut­sche fal­len den Kämp­fen zum Opfer. 3.200 Bri­ten und 5.350 Ita­lie­ner wer­den gefan­gen genom­men. Kein ein­zi­ger Zivi­list wird ver­letzt.

Was bleibt sind die unzäh­li­gen Res­te auf dem Mee­res­bo­den. Flug­zeu­ge, Lan­dungs­schif­fe, Ver­sor­gungs­schif­fe, Kriegs­schif­fe, U‑Boot-Abwehr­net­ze – die Gewäs­ser rund um Leros sind ein regel­rech­ter Fried­hof für Kriegs-Maschi­ne­rie. Und das wie­der­um macht sie beson­ders inter­es­sant für Tau­cher.

Denn Wrack­tau­chen, das heißt Ein­tau­chen in die Geschich­te. Wracks sind span­nend. Sie sind Zeit­zeu­gen für Ver­gan­ge­nes, kon­ser­vie­ren die Geschich­te am Tag ihres Unter­gangs. Doch das Alt­me­tall auf dem Mee­res­grund steht nicht nur als Mahn­mal für Krieg und Zer­stö­rung, Wracks bie­ten gleich­zei­tig eine Chan­ce für neu­es Leben. Denn für Mee­res­be­woh­ner kön­nen sie zur neu­en Hei­mat wer­den. Auch des­halb gefällt es Tau­chern der­art gut an die­sen Stät­ten: das Leben blüht dort. In kür­zes­ter Zeit wird Schrott zu einem künst­li­chen Riff für sei­ne Bewoh­ner zum gemüt­li­chen Wohn­zim­mer.

Kos­tas Kou­vas ist ein demü­ti­ger Mensch. Er erwar­tet nicht viel vom Leben. Er taucht gern und möch­te davon sei­ne Fami­lie ernäh­ren kön­nen. Und er liebt sei­ne Hei­mat, freut sich über jeden Besu­cher, der genau­so begeis­tert ist von sei­nen Gewäs­sern wie er selbst. Das reicht ihm um glück­lich zu sein. Mehr benö­tigt er nicht. Sein Sohn ist jetzt in einem Alter in dem er selbst Ver­ant­wor­tung über­neh­men kann. „Es fühlt sich an als kön­ne ich ihm bald die Schlüs­sel über­ge­ben,“ sagt der Mann mit den freund­li­chen Gesichts­zü­gen und dem wei­ßen Haar. „Ich freue mich, dass er in mei­ne Fuß­stap­fen tre­ten möch­te, und auch Berufs­tau­cher wer­den will.“ Und so brin­gen Vater und Sohn ihre Gäs­te vol­ler Moti­va­ti­on und Taten­drang zu den Schät­zen in ihren Gewäs­sern. Und wenn es mal nicht reicht, ja dann wird auch für die loka­len Fisch­far­men getaucht. Hier müs­sen Net­ze unter­sucht und gewar­tet wer­den. Und gene­rell dar­auf geach­tet, dass alles in Ord­nung ist, und die Del­fi­ne nicht mal wie­der ver­su­chen etwas aus den Far­men zu klau­en.

Das ers­te Wrack zu dem die bei­den Was­ser­män­ner ihre Gäs­te brin­gen ist ein Schwimm-Flug­zeug vom Typ „Ara­do AR 196“. Es liegt in ganz ent­spann­ten 16 Metern Tie­fe an einem Abhang. Die Pilo­ten­kan­zel ist gut erhal­ten, man erkennt das Steu­er und es ist zu ver­lo­ckend es anzu­fas­sen und für einen Moment selbst Pilot zu spie­len. Die Bespan­nung des Rump­fes ist dem sal­zi­gen Was­ser zum Opfer gefal­len. Dafür bevöl­kern nun präch­ti­ge, gel­be Zap­fen­schwäm­me das Wrack. Auch das umlie­gen­de Riff ist inter­es­sant. Mur­ä­nen sit­zen in den Fels­spal­ten. Feu­er­wür­mer krie­chen über die Stei­ne. Ein neu­gie­ri­ger Fei­len­fisch beäugt die uner­war­te­ten Besu­cher. Das macht Lust auf mehr.

Betrach­tet man die Geschich­te der Insel Leros, so spie­len beson­ders die Ita­lie­ner eine gro­ße Rol­le. Im Ita­lie­nisch-Tür­ki­schen Krieg von 1912 besetz­ten sie die Insel, 1923 soll­te sie ihnen dann ganz offi­zi­ell zuge­spro­chen wer­den, und, bis zur Kapi­tu­la­ti­on Ita­li­ens im Jahr 1943, auch blei­ben. Die Haupt­stadt der Insel, Lak­ki, zeugt davon am meis­ten. Brei­te Stra­ßen, groß­zü­gig ange­leg­te Gebäu­de und Alleen mit Euka­lyp­tus­bäu­men. Der ita­lie­ni­sche Bau­stil der 20er und 30er Jah­re ist hier beson­ders prä­sent und steht im Kon­trast zur Idyl­le der wei­ßen, engen Gas­sen mit den blau­en Fens­ter­lä­den und den gro­ßen Wind­müh­len – der grie­chi­schen Bau­kunst die den Rest der Insel prägt.

Lak­ki liegt am Ende einer Bucht, die den größ­ten natür­li­chen Hafen des Mit­tel­meers dar­stellt – ein stra­te­gisch wich­ti­ger Punkt in Kriegs­zei­ten, und auch heu­te noch Zufluchts­ort für hun­der­te Segel­boo­te im stür­mi­schen Win­ter. Hier stand auch die gesam­te ita­lie­ni­sche Flot­te – spä­ter dann unter bri­ti­scher Flag­ge. Des­halb ist die Bucht tau­che­risch beson­ders inter­es­sant und zu den rest­li­chen Tauch­plät­zen geht es nicht von der Tauch­schu­le auf der ande­ren Sei­te der Insel aus, son­dern vom alten Hafen in Lak­ki.

Das fatals­te wäre gewe­se­ne wenn ein feind­li­ches U‑Boot in die Bucht ein­drin­gen und die Flot­te von unten angrei­fen hät­te kön­nen. Des­halb gab es ein Abwehr­sys­tem. Ein gro­ßes Netz aus Metall wur­de kur­zer­hand quer durch den Ein­gang der Bucht gespannt. Eine rie­si­ge Seil­win­de auf einem Boot half dabei das Netz in Posi­ti­on zu brin­gen. Da ein Metall­netz aber natür­lich ganz schön etwas wiegt, brauch­te es Auf­triebs­kör­per. Rie­si­ge luft­ge­füll­te Auf­triebs­kör­per aus Metall hiel­ten das Netz in Posi­ti­on. Heu­te lie­gen die mons­trö­sen Gebil­de mit­samt dem Netz auf dem Grund der Bucht und wer­den lang­sam von Schwäm­men über­wach­sen. Je tie­fer man taucht, des­to bes­ser sind sie zu sehen. Bei 45 Metern Tie­fe liegt die größ­te Ton­ne. Ganz schön beein­dru­ckend.

Über die nächs­ten Tage fol­gen, ein Ver­sor­gungs­schiff mit Schie­nen im Innen­raum, meh­re­re Lan­dungs­schif­fe und das Schiff mit der Seil­win­de, mit dem das Netz in Posi­ti­on gebracht wer­den konn­te. Alles tie­fe Tauch­gän­ge. Alle ganz schön span­nend. An den Wracks fin­den sich zahl­rei­che Nacht­schne­cken. Eine spe­zi­el­le Art, soge­nann­te Fla­bel­li­nas. Die haben lus­ti­ge, bun­te Ten­ta­keln auf ihrem Rücken. Aller­dings sind die Ten­ta­keln gar kei­ne rich­ti­gen Ten­ta­keln, son­dern Haut­fort­sät­ze in denen die Nes­sel­kap­seln der von ihnen gefres­se­nen Nes­sel­tier­chen gespei­chert wer­den. Ein fas­zi­nie­ren­der Anblick und an den Wracks in ‚mikro­sko­pisch klein‘ bis ‚eini­ge Zen­ti­me­ter groß‘ zu fin­den.

Am gro­ßen Lan­dungs­schiff der Deut­schen, nahe der klei­nen Insel Stro­gil­li, fin­den sich noch jede Men­ge Aus­rüs­tung. Ein Helm, eine Hand­feu­er­waf­fe und ein Sturm­ge­wehr. Sind die wirk­lich echt? Die hat doch jemand da hingelegt…“Nein, alles echt“, bestä­tigt Kos­tas. „Das ist kein Plas­tik, son­dern Bake­lit, ein kunst­stof­f­ähn­li­ches Mate­ri­al, auf das die Deut­schen bereits 1909 ein Patent hat­ten.“ Kos­tas kennt sich bes­tens aus. Die Schät­ze auf dem Mee­res­grund haben ihn zu einem ech­ten Geschichts-Exper­ten wer­den las­sen. „Die sind alle echt. Wer­den wir auch im Kriegs­mu­se­um sehen.“ Das Kriegs­mu­se­um befin­det sich in einem der Stol­len, in denen sich die Insel­be­völ­ke­rung damals ver­steck­te. Über­all auf der Insel ver­teilt fin­den sich die­se Tun­nel­ein­gän­ge im Fels. Sie stel­len ein gan­zes Sys­tem dar. Nur so konn­ten die Ein­woh­ner die Angrif­fe über­le­ben. So auch Kos­tas Vater und sein Groß­va­ter.

Am letz­ten Tauch­tag noch das High­light: Die Jun­kers-52. Das belieb­te Flug­zeug dien­te dazu Fall­schirm­sprin­ger abzu­wer­fen. Die drei­mo­to­ri­ge Maschi­ne liegt ver­kehrt her­um auf dem Mee­res­grund in anspruchs­vol­len 55 Metern Tie­fe. Wäh­rend des Abstiegs an der Bojen­lei­ne hin­ab sieht man zunächst nichts super das end­lo­se Blau. Dann zeich­nen sich lang­sam die Umris­se im düs­te­ren Grau-Blau ab. Unten ange­kom­men sieht man wie schön die Flü­gel bereits gänz­lich von Schwäm­men über­wach­sen sind. Das Flug­zeug selbst ist mitt­ler­wei­le in Fischer­net­ze ein­ge­hüllt. Hin­ein­tau­chen ist mög­lich, aber gefähr­lich. Über­all hän­gen Sei­le und spit­ze Kan­ten her­um, an denen man sich ver­hed­dern könn­te. Auf die­ser Tie­fe ist das kein anzu­stre­ben­des Erleb­nis. Der Tie­fen­rausch häm­mert im Kopf und die Grund­zeit auf dem Com­pu­ter wan­delt sich rasend schnell in Dekom­pres­si­ons-Minu­ten um. Ins­ge­samt 25 Minu­ten benö­tigt der Auf­stieg zum Tauch­boot. Auf den letz­ten zwei Stu­fen hat Kos­tas eine 50 Pro­zen­te Sau­er­stoff­mi­schung vor­be­rei­tet, sodass der Stick­stoff schnel­ler abge­at­met wer­den kann. Was für ein krö­nen­der Abschluss einer gigan­ti­schen Zeit­rei­se. Und wie zele­briert man den am Bes­ten? Natür­lich mit Mee­res­früch­ten, Wein und grie­chi­schen Lecke­rei­en im Restau­rant El Gre­co. Yam­mas!

Infos zur Insel: www.visitgreece.gr 
Infos zum Tau­chen und zur Tauch­schu­le: www.hydrovius.gr
Buch­bar bei: www.belugareisen.de

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Klaus Heidemann

    Ein span­nen­der Arti­kel über eine Welt, die uns als Nicht-Tau­cher ver­bor­gen blieb. Doch Geschich­te begeg­net man auch ober­halb der Was­ser­kan­te von Leros. Klei­ner Tipp: Die klei­ne Kir­che Agia Matro­na in Kiou­ra im Nor­den der Insel ist eben­falls sehr inter­es­sant, wenn auch aus einer Epo­che ein paar Jahr spä­ter als der Zwei­te Welt­krieg. Nur falls Ihr mal Zeit habt zwi­schen den Tauch­gän­gen. 🙂

  2. […] by Timo Dersch1. Dezem­ber 2019 […]

  3. Avatar von Timo

    Dan­ke Don Pedro. Hört man ger­ne.

  4. Avatar von Don Pedro

    Timo, klas­se Bericht. Dan­ke.

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