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Wo die Kühe Funken sprühen

„Qué lindo!“ ruft die Frau vor mir ver­zückt. Fun­ken stie­ben durch die Luft, ich halte mir die Hände schüt­zend vors Gesicht und gebe mir Mühe mich nicht umschub­sen zu las­sen. Auf den Schul­tern der Frau sitzt ein klei­nes Mäd­chen. „Das soll schön sein?!“, denke ich mir. „Das ist rei­ner Wahn­sinn!“ Dann schließe ich die Augen. Ich höre das Stak­kato des Orches­ters, das die­ses Spek­ta­kel schon seit Stun­den beglei­tet und jetzt sei­nen Höhe­punkt erreicht. Ich rie­che Feuer und Zucker­watte. „Was pas­siert eigent­lich hier!?“ schießt mir durch den Kopf. Und dann, unver­meid­lich: „Qué lindo“.

Ein Dorf wacht auf

Über die Fiesta Vir­gen del Car­men haben wir das erste Mal über einen Couch­sur­fer erfah­ren. „It’s awe­some. Lots of dancing“, ver­sprach Albert. Fast jeder Perua­ner den wir tra­fen pflich­tete ihm bei. Die Fiesta in Pau­cart­ambo dürfe man sich nicht ent­ge­hen las­sen. Aus der Über­nach­tung bei Albert wurde nichts, aber die Fiesta muss­ten wir erleben.

Pau­cart­ambo ist ein beschau­li­ches Dorf auf 2906 Höhen­me­tern. Knapp 14.000 Men­schen leben in der gesam­ten Pro­vinz, die meis­ten von der Land­wirt­schaft. Das beschau­li­che Dorf berei­tet sich fast ein hal­bes Jahr auf die Fiesta Vir­gen del Car­men vor. Dann, in vier Tagen im Juni drän­gen sich Tau­sende Besu­cher durch die Gas­sen. Die meis­ten sind Perua­ner. Pau­cart­ambo ist, obwohl nur 2  Stun­den von Cusco ent­fernt, ein klei­ner Geheim­tipp für Tou­ris­ten. Die weni­gen die da sind, haben sich in Apart­ments am Haupt­platz ein­quar­tiert. 125 Euro ver­lan­gen Rei­se­an­bie­ter für die Fiesta-Erfah­rung. Inklu­diert im Preis sind Anreise und Abreise, Guide und eine Über­nach­tung mit Früh­stück. Diese Bet­ten sind aller­dings begrenzt, wes­halb die meis­ten Besu­cher neben dem gro­ßen Fuß­ball­platz zelten.

Eine Jungfrau, viele Gringos

Wir sind mit klei­nem Bud­get unter­wegs und rei­sen des­halb mit einem Sam­mel­taxi, einem Colec­tivo, von Cusco an. Es ist Sams­tag, der letzte Tag der Fei­er­lich­kei­ten. Kaum aus­ge­stie­gen tönt uns schon der Umzug ent­ge­gen. Ihm voran: eine kleine Puppe von Vir­gen del Car­men. Die Jung­frau sym­bo­li­siert einer­seits Pacha­mama, die von den Quechua und Aymara spre­chen­den Völ­kern als „Mut­ter Erde“ ver­ehrt wird. Ande­rer­seits ist die auf­wän­dig gestal­tete Figur auch ein Zei­chen der Hin­wen­dung zum christ­li­chen Glau­ben. Die­ser Wider­spruch aus Tra­di­tio­nen der alten Völ­ker und dem Ein­fluss der Spa­nier wird uns den gesam­ten Tag begleiten.

Über Car­men selbst wer­den viele Geschich­ten erzählt. Die bekann­teste geht auf das 13. Jahr­hun­dert zurück. Damals war eine junge, rei­che Frau auf dem Weg nach Pau­cart­ambo. Mit sich hatte sie eine Platte aus Sil­ber. Diese wollte sie im Dorf ver­kau­fen. Da sah sie einen abge­trenn­ten Kopf am Boden lie­gen. Der Kopf war schön und er begann mit ihr zu spre­chen. „Mein Name ist Car­men“, sagte er. Die junge Frau legte den Kopf auf die Sil­ber­platte und kehrte zurück in ihr Dorf. Als sie dort ankam ging ein star­kes Strah­len von ihr und dem Kopf aus. Bald baten die Dorf­be­woh­ner, Car­men um die Erfül­lung von Wün­schen. Und sie hat, so sagt man, einige von ihnen erfüllt.

Der Fest­akt erzählt nicht nur die Geschichte des schö­nen Kop­fes. Wäh­rend des Fest­ak­tes zie­hen Jahr­hun­derte der perua­ni­schen Geschichte an uns vor­bei. Oder sagen wir bes­ser: wir­belt. Denn der Umzug ist eine Reihe von wil­den Jag­den und freu­di­gen Tän­zen auf den ers­ten Blick obsku­rer Gestal­ten. So wie die Cha­paq Negro. Sie sind wie alle auf­wän­dig geschmückt und erin­nern an die afri­ka­ni­schen Skla­ven, die in den nahen Sil­ber­mi­nen geschuf­tet haben. Und mit ihren blon­den Schnurr­bär­ten und blauen Augen auch an deren Aus­beu­ter: die Spanier.

Andere Teil­neh­mer des Umzu­ges machen uns stut­zig. Ihre Gesich­ter sehen aus wie in einem Zerr­spie­gel. Mit den viel zu lan­gen Nasen und gro­ßen War­zen kön­nen sie einem auf den ers­ten Blick Angst ein­ja­gen. Diese Mas­ken zei­gen ein Pro­blem auf, das die Spa­nier in die Anden brach­ten: Mala­ria. Wei­tere Teil­neh­mer sind die „Erobe­rer“ selbst. Diese kom­men nicht gut weg. Mit ihren gro­ßen Som­bre­ros, blon­den Haa­ren und dem unver­meid­li­chen Bier in der Hand sind die „Grin­gos“ zumin­dest leicht zu erken­nen. Heute haben sie sich den loka­len Tra­di­tio­nen ange­passt. In Pau­cart­ambo trin­ken die Spa­nier das lokale Bier Cusquena.

Neben einer kul­tu­rel­len und reli­giö­sen Fei­er­lich­keit ist die Fiesta Vir­gen del Car­men vor allem eines: Fiesta! Der Alko­hol­spie­gel steigt, wäh­rend sich die Sonne senkt. In den Stra­ßen wird getanzt, geges­sen und getrun­ken. Für Nach­schub ist gesorgt, wie wir fest­stel­len kön­nen: Ein Mann trägt ein totes Schwein auf dem Rücken durch die Menge. Neben ihm wird Zucker­watte ver­kauft. Eine Straße wei­ter ent­de­cken wir ein Schild. „Ver­kaufe Meer­schwein­chen, tot oder leben­dig“ steht dar­auf. Wir set­zen uns dann doch auf die Plas­tik­ho­cker in einer Sei­ten­gasse und stär­ken uns mit Reis und Gemüse. Die spa­ni­schen Spu­ren sieht man auch in den Süßig­kei­ten: es gibt Chur­ros mit Schokoladensauce.

Ein paar Ecken wei­ter fin­den wir uns mit­ten in einem Jahr­markt wie­der. Im Hof der ört­li­chen Schule sind in Rei­hen Tisch­fuß­ball­ti­sche auf­ge­baut. Tram­po­line rei­hen sich an Rou­lette­ti­sche. Dane­ben spie­len Kin­der ein Spiel, das wir nicht ganz ver­ste­hen. Sie wer­fen Cen­ti­mos auf mit Num­mern beschrie­bene Pla­ket­ten am Boden, ein Junge teilt die Gewinne aus.

Atemnot und der Tanz der Kämpfer

Mit dem Abend kommt die Kälte. Die Men­schen, die den gan­zen Tag durch die Stra­ßen gezo­gen waren sam­meln sich am Haupt­platz. In des­sen Zen­trum ste­hen auf­wän­dige Kon­struk­tio­nen aus Bam­bus. Wir schät­zen, dass sie wohl noch ange­zün­det wird. Tän­zer schla­gen mit ihren Peit­schen durch die Luft. So sor­gen sie dafür, dass ein Durch­gang frei bleibt, durch den die Mas­kier­ten gehen können.

Das ist gar nicht so leicht, denn inzwi­schen ist es eng gewor­den am Platz. „Ein König­reich für ein Apart­ment“, denke ich mir. Denn die ande­ren Tou­ris­ten haben auf ihren Bal­ko­nen einen guten Über­blick über das Spek­ta­kel. Dafür kön­nen wir hier die Anspan­nung und Vor­freude spü­ren. Auch wenn das heißt, dass einem alle paar Minu­ten jemand auf die Füße tritt.

Nach einer Stunde beginnt es zu schwe­len. Die Tän­zer legen Stroh auf dem Boden aus. Wäh­rend wir noch ver­su­chen zu ver­ste­hen, was eigent­lich abgeht zün­den sie die Stroh­bal­len an. Die Men­schen rücken näher zusam­men. Luft holen war auch schon ein­mal leich­ter. Die Tän­zer ren­nen nun im Kreis durch den Kor­ri­dor, set­zen zum Sprung über das Stroh an, Fun­ken stie­ben durch die Luft wenn sie im Stroh lan­den. Eine Frau vor mir hat ihr Kind auf den Schul­tern. Ich möchte ihr anbie­ten mit mir den Platz zu wech­seln, damit es sich nicht ver­letzt. Aber das immer drän­gen­dere Stak­kato des Orches­ters über­tönt jedes Wort.

Wenn Kühe brennen und der Himmel glitzert

Schwarz geklei­dete Män­ner tra­gen eine Bam­bus­kon­struk­tion in der Form einer Kuh durch den Kor­ri­dor. Aus dem Rücken der Kuh sind kleine rotie­rende Feu­er­werks­kör­per befes­tigt. Zusätz­lich machen nun Feu­er­wer­fer auf Stie­len die Runde. „Es bewegt sich“, ruft meine Freun­din. Und wirk­lich, die Kon­struk­tion in der Mitte des Plat­zes, von der wir dach­ten sie würde ange­zün­det wer­den wird nun in den Kor­ri­dor getragen.

Und plötz­lich dre­hen sich viele Räd­chen und wer­fen bunte Feu­er­werke in den Nacht­him­mel. Die Kon­struk­tion ist aus­ge­klü­gelt, ein Räd­chen setzt das andere in Bewe­gung. Nie­mand macht sich Sor­gen um die Fun­ken, also höre ich auch damit auf und genieße das Schau­spiel, die Musik und die ent­zück­ten Rufe der Men­schen um mich herum. Manch­mal ist es klug, ein­fach zu genießen.

Cate­go­riesPeru

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