Vier Tage auf der Teufelsinsel

Schon lan­ge woll­te ich mal auf die San Blas Inseln. Genau gesagt seit ich das ers­te Mal „En el muel­le de San Blas“ von Maná hör­te und mich der Lied-Prot­ago­nis­tin, die am Pier von San Blas aufs Meer starrt und mit ihm ver­wächst, so nahe fühl­te. Dass der Song wahr­schein­lich gar nicht um Pana­mas San Blas Inseln geht, ist dabei neben­säch­lich.

Von Oze­an zu Oze­an durch Pana­ma

Es ist nicht leicht, die San Blas Inseln zu errei­chen. Nicht nur, weil sie vor der Kari­bik­küs­te Pana­mas, der Haupt­stadt schräg rechts gegen­über, hin­ter dich­tem Dschun­gel lie­gen. Durch die­sen Dschun­gel führt mitt­ler­wei­le eine Stra­ße, die nichts für schwa­che Mägen ist und auch nichts für abge­wrack­te Jeeps, die bei einer 70%-Steigung schlapp­ma­chen. Außer­dem sind die San Blas Inseln auto­no­mes Gebiet und gehö­ren den Kuna, einer india­ni­schen Min­der­heit, die man sich wie echt taf­fe Bay­ern von Pana­ma vor­stel­len kann. Nur, dass sie nicht bloß einen komi­schen Dia­lekt, son­dern tat­säch­lich ihre eige­ne Spra­che spre­chen.

Wer so schö­ne Inseln mit wei­ßem Sand, Kokos­nuss­pal­men und ganz viel tür­kis­far­be­nem Was­ser rund­her­um besitzt, stößt natür­lich schnell auf jeman­den, der ihm die­sen Schatz weg­neh­men will. Zum Bei­spiel die Zen­tral­re­gie­rung Pana­mas, wel­che die Kuna in blu­ti­gen Kämp­fen unter­wer­fen woll­te. Die stu­ren Indi­os schaff­ten es, sich bis zur soge­nann­ten Dule-Revo­lu­ti­on 1925 zu wider­set­zen. Dar­auf­hin schloss man 1930 einen poli­ti­schen Pakt, und Jahr­zehn­te spä­ter wur­de den Kuna end­lich das semi­au­to­no­me Gebiet Kuna Yala zuge­stan­den. Die Regie­rung ver­sprach, die Kuna-Tra­di­tio­nen zu schüt­zen, wor­auf­hin die Indi­os auf den Inseln ein offi­zi­el­les Schul­sys­tem eta­blie­ren lie­ßen. Neben Kuna hört man auch den Namen Guna, wobei ‚Guna Yala‘ so viel wie ‚Guna Berg‘ bedeu­tet.

Ich bin abso­lut kein Fan von Packa­ge-Tou­ren – schon das Wort löst bei mir Asso­zia­tio­nen mit durch­ge­tak­te­ten Sight­see­ing- und Foto- und Pin­kel­stopps aus. Doch wer auf die Kuna-Inseln will, ist mit dem Packa­ge von einem der zig Anbie­ter in Pana­ma Stadt gut bedient. Mit Pick-up im Jeep in der Haupt­stadt, Dschun­gel­ri­de, Boot zu einer Insel, Über­nach­tun­gen in einer ein­fa­chen Hüt­te mit Drau­ßen­klo, drei Mahl­zei­ten pro Tag und jeden Tag Aus­flü­gen zu ande­ren Inseln. Danach wird man mit ein wenig Glück – oder Pech – auch wie­der abge­holt. Und zwi­schen­durch bleibt mehr als genug Zeit zum Nichts­tun, Baden oder zum Plau­schen mit ande­ren Robin­son Crus­oes, denn Wifi ist Fehl­an­zei­ge, und auch sonst gibt es außer von Pal­men auf den Kopf pur­zeln­den Kokos­nüs­sen wenig Action.

Die Idee eines tota­len digi­ta­len Detox und abso­lu­ter Abge­schie­den­heit fas­zi­niert mich. Ich buche vier Tage, drei Näch­te, für 300 Euro. Will man allein zu den San Blas auf­bre­chen, fin­det man auch Unter­künf­te, doch um den Trans­port an Land muss man sich oft allei­ne küm­mern und auch für Tou­ren zu wei­te­ren der 365 Insel­chen, von denen nur 49 bewohnt sind, ordent­lich drauf­zah­len.

Die Jeep-Fahrt ab Pana­ma Stadt soll eigent­lich um fünf Uhr in der Früh los­ge­hen, star­tet aber pana­ma­isch-pünkt­lich, also gegen sechs. Es folgt ein letz­ter Super­markt-Stopp (O‑Ton des Fah­rers: „Auf den Inseln gibt es gar nichts, jetzt müsst ihr euch noch mal ein­de­cken!“), dann die berüch­tig­te Dschun­gel-Fahrt, bei der vie­len Rei­sen­den ein­deu­tig die Kotz­tü­te im Fach vor dem Sitz fehlt. Noch stär­ker als unan­ge­neh­me Gerü­che kur­sie­ren im Wagen Gerüch­te über die para­die­si­schen San Blas Inseln: schreck­li­che Hygie­ne. Manch einer kom­me mit hohem Fie­ber zurück. Das Essen sei drei Mal täg­lich tro­cke­ner Fisch und Reis. Und die Kuna sei­en sowas von unfreund­lich.

Der Fah­rer geht mit­ten im Wald in die Eisen – Grenz­kon­trol­le. Vor dem Fens­ter steht ein Grenz­pos­ten mit einer Flag­ge, auf deren gel­ber Mit­te ein Swas­tika prangt. Ent­setz­te As und Os ertö­nen. Ich habe zufäl­lig dar­über gele­sen. Nein, die Kuna sind kei­ne Hit­ler-Ver­eh­rer. Es soll sich um einen sym­bo­li­sier­ten Okto­pus han­deln, der nach Kuna-Glau­ben die Welt erschuf. Dabei ist die­se Fah­ne, die von 1925 bis 2010 als Kuna-Natio­nal­flag­ge galt, längst von einer neu­en mit zwei gekreuz­ten Armen mit Pfeil und Bogen abge­löst wor­den, ein Sym­bol für die Dule-Revo­lu­ti­on.

Aber am Grenz­pos­ten hat­te man wohl noch kei­ne Zeit, sie in den ver­gan­ge­nen Jah­ren aus­zu­wech­seln. Ein dun­kel­häu­ti­ger Mann mit brei­tem Gesicht stiert in den Wagen. „Pas­a­por­te!“ Wir gehor­chen, die Päs­se ver­schwin­den. Und kom­men zurück. All­ge­mei­nes Auf­at­men. Danach dau­ert es nicht mehr lan­ge und der Dschun­gel spuckt unse­ren Jeep am Hafen von Car­ti aus. Doch das kari­bi­sche Meer liegt eher bräun­lich trüb als post­kar­ten­blau vor uns. Ich stei­ge aus und erge­be mich mei­nem Schick­sal.

Raus zur Teu­fels­in­sel

Noch immer weiß ich nicht, auf wel­cher Insel ich stran­den wer­de. Das ent­schei­den die Kuna unter sich – Besu­cher wer­den fair auf all die Inseln ver­teilt, die über tou­ris­ti­sche Infra­struk­tur ver­fü­gen, damit alle etwas vom Geld der Bleich­ge­sich­ter abbe­kom­men. In Car­ti erwar­tet uns ein etwa 50-jäh­ri­ger Kuna, der aus­sieht, als lebe er von Piz­za und Ham­bur­gern. Eulo­gio. Er und die Boots­füh­rer spre­chen sich schnell auf Kuna ab, und schon wer­den Kof­fer und Ruck­sä­cke in ein Boot ver­frach­tet und wir aus­ge­stat­tet mit Ret­tungs­wes­te hin­ter­her. Wir sol­len auf die Isla Dia­blo kom­men. Die Teu­fels­in­sel. End­lich geht‘s los in Rich­tung Para­dies. Stopp, doch nicht ganz! Wir hal­ten schnur­stracks auf eine Insel zu, die vor her­un­ter­ge­kom­me­ner Hüt­ten mit Stroh- oder Well­blech­dä­chern und Müll­ber­gen aus allen Näh­ten platzt. Da gibt es nicht nur kei­nen Strand, son­dern auch kein ein­zi­ges Sand­korn. Mir wird ganz anders.

„Auf die­se Insel wür­de nicht mal der Teu­fel per­sön­lich einen Fuß set­zen!“, kom­men­tiert eine Tou­ris­tin. Doch dann lie­fert einer der Boots­jun­gen nur etwas ab und wei­ter geht’s. Ich sehe Kin­der, die unter einem Dach bun­te Wäsche auf­hän­gen, über­le­ge, wie deren Leben aus­sieht. Dann trägt der Fahrt­wind mei­ne Gedan­ken raus aufs Meer.

Eulo­gio gibt sich wort­karg zum Ablauf des Tages, aus gutem Grund: Er hat noch nicht gefrüh­stückt, wohl nied­ri­gen Blut­zu­cker­stand. Je mehr der Hafen zu einer Linie am Hori­zont ent­schwin­det, des­to tür­kis­far­be­ner wird das Was­ser und des­to grö­ßer die Anzahl an win­zi­gen Pal­men­in­seln mit wei­ßen Sand­strän­den. Die meis­ten davon schei­nen unbe­wohnt, nur ab und an zei­gen sich Stroh­hüt­ten auf einem Eiland. Nach einer guten hal­ben Stun­de dros­selt der etwa Zwan­zig­jäh­ri­ge Boots­füh­rer das Tem­po vor einer klei­nen Insel, die zwi­schen Pal­men meh­re­re Hüt­ten erken­nen lässt.

„Bien­ve­ni­do auf dei­ner Insel!“, begrüßt mich ein Kuna mit brei­ten Schul­tern, schrä­gen Zäh­nen und einem freund­li­chen Lächeln, der mir kaum bis zum Hals reicht. Er stellt sich als Dani­el vor. Ein ande­rer schleppt mei­nen Ruck­sack zu einer Stroh­hüt­te mit der Num­mer drei gegen­über dem Boots­an­le­ger. ‚Nia­dub‘ ist in Grün dar­auf gepin­selt. Innen steht auf dem Sand­bo­den ein Holz­bett­ge­stell mit einer Matrat­ze dar­auf, dar­über ein Mücken­netz und eine Plas­tik­pla­ne unter der Decke. Von der Außen­welt bin ich nur durch Bam­bus­stä­be getrennt, die so viel Sicht­bar­keit ins Inne­re gewäh­ren wie eine trans­pa­ren­te Blu­se auf einen BH. Drau­ßen ler­ne ich zwei Mädels ken­nen, die bereits seit einem Tag auf der Insel sind, Sabi­ne aus der Schweiz und Lin­ny aus Aus­tra­li­en. Sie freu­en sich über mich, den Neu­zu­gang, denn außer ihnen bei­den sei sonst kein Aus­län­der mehr auf der Insel. Kein Wun­der – es ist Mit­te Okto­ber und noch Regen­zeit.

Dol­ce far nien­te

Mitt­ler­wei­le hat Eulo­gio fer­tig gefrüh­stückt und ein ers­tes Grin­sen zieht sei­ne Lip­pen breit. „Kommt, ich mache eine super Tour für euch“, lockt er uns zurück ins Boot. Alles Gepäck, was wir brau­chen, sind unse­re Biki­nis am Kör­per, ein Hand­tuch und sons­ti­ger Strand­kram. Trotz der Wol­ken am Him­mel ist es schwül­warm und Meer­was­ser spritzt uns um die Ohren.

Isla Per­ro Chi­co ist unser ers­ter Stopp, die Klei­ne-Hund-Insel. Klei­ne Hun­de gibt es kei­ne, dafür umso mehr Pal­men, an denen Ein­hei­mi­sche rauf und run­ter klet­tern, um Kokos­nüs­se zu pflü­cken.

Dane­ben besu­chen wir Insel­chen mit nur drei Pal­men, zu denen man durchs seich­te Was­ser spa­zie­ren kann. Schon nach weni­gen Stun­den habe ich die Kon­trol­le ver­lo­ren, wie vie­le San Blas Inseln ich bereits besucht habe.

Eulo­gio ist rich­tig gut drauf, lässt an jeder Sand­bank hal­ten, damit wir mit­ten im Meer schwim­men kön­nen. Ich ste­he bis zu den Ober­schen­keln inmit­ten des kari­bi­schen Mee­res und glau­be, ich träu­me. Da ist es auch kein The­ma, dass das Mit­tag­essen erst irgend­wann am Nach­mit­tag ser­viert wird, zurück auf mei­ner neu­en Haus­in­sel. Der Fisch schmeckt, als wäre er vor ein paar Stünd­chen noch fröh­lich im Meer her­um­ge­schwom­men, dazu gibt es Kokos­reis, Kar­tof­feln und Salat.

Nach dem Essen tue ich das, was man auf so einer Insel eben tut: nichts. Die Insel­er­kun­dung ist in zwei Minu­ten abge­schlos­sen, denn hin­ter den rest­li­chen Hüt­ten und dem Dusch- und Toi­let­ten­häus­chen folgt nur noch ein win­zi­ger Pal­men­wald. Ich gesel­le mich zu ein paar Peli­ka­nen im Was­ser, lie­ge am Strand, lese, döse. Plau­de­re mit einer jun­gen Frau, die in der typi­schen Klei­dung aus selbst­ge­mach­ten, blu­men­rei­chen Blu­sen und Röcken sowie mit Bän­dern umwi­ckel­ten Unter­ar­men und Unter­schen­keln in einer Hän­ge­mat­te näht. Nicht alle Kuna spre­chen gut Spa­nisch, doch die­se Frau kann es. Sie sei nur vor­über­ge­hend auf Isla Dia­blo, erzählt sie, denn meis­tens arbei­te man nur spo­ra­disch an einem Ort und rotie­re dann. Sie hilft beim Auf­räu­men und fer­tigt die so typi­schen Molas an, eine Appli­ka­ti­ons-Sti­cke­rei, wel­che die Blu­sen der Frau­en ziert und auch auf klei­nen Taschen und ande­ren Sou­ve­nir­ar­ti­keln zu fin­den ist.

Strom gibt es auf Isla Dia­blo erst ab 17 Uhr, wenn die Gene­ra­to­ren ange­wor­fen wer­den. Dann darf man Dani­el die Han­dys zum Auf­la­den neben der Küche brin­gen. Wenn sie schon kei­nen Emp­fang haben, tau­gen sie zumin­dest wei­ter zum Foto­gra­fie­ren. Zum Abend­essen gegen 19 Uhr gesellt sich ein deut­sches, soeben ange­kom­me­nes Pär­chen, das auf Welt­rei­se ist, zu Sabi­ne, Lin­ny und mir. Trotz des frü­hen Abends sind alle müde, und auf­kom­men­der Wind sowie Blit­ze überm Meer kün­di­gen eine unru­hi­ge Nacht an. Aus den Laut­spre­chern ertönt Bryan Adams und ande­re, Kuschel­rock-arti­ge, west­li­che Musik, dazu essen wir einen rie­si­gen, gan­zen Hum­mer.

Ich genie­ße den Moment, das Zusam­men­sit­zen mit Men­schen, die ich gera­de erst ken­nen­ge­lernt habe. Mit denen ich daheim nie an einem Tisch sit­zen und wohl auch nie spre­chen wür­de, weil man sich dort eben nicht ein­fach zu Frem­den an den Tisch setzt. „Es gibt nicht einen ein­zi­gen Spie­gel bei den Duschen“, ist eins der The­men, und die Mädels müs­sen über­le­gen, wann sie sich das zuletzt selbst gese­hen haben. Mir ist’s wurscht. Was soll ich mit einem Spie­gel auf einem Eiland, wo ich den gan­zen Tag bar­fuß und in Biki­ni lau­fe, wo mein Haar von Meer­was­ser getränkt ist und die Haut vom Salz spannt?

Vol­le Bude

Mit­ten in der Nacht wache ich auf. Drau­ßen kracht es, und Licht zuckt durch mei­ne Hüt­te, als hät­te jemand eine Dis­ko­lam­pe auf­ge­stellt. Dann spü­re ich die Trop­fen. Lang­sam aber kon­stant tropft es auf mei­ne nack­ten Bei­ne und auf mei­nen Kopf. Was zum Teu­fel soll das nun bedeu­ten? Ich schal­te mei­ne Taschen­lam­pe ein. Was­ser perlt von der Plas­tik­pla­ne über mir, die den Kampf mit dem tro­pi­schen Gewit­ter ver­lo­ren hat. Flu­chend quä­le ich mich hoch, will ver­su­chen, das Bett fort­zu­zie­hen. Dabei schreckt der Schein mei­ner Taschen­lam­pe einen Hau­fen Kaker­la­ken auf, von der Grö­ße, die in Kam­bo­dscha gegrillt als Haupt­mahl­zeit rei­chen, und die sich gera­de an mei­nem Gepäck zu schaf­fen machen. Auch das noch!

Ich stre­cke die Bei­ne aus dem Bett – und sehe, wie zahl­rei­che Kreb­se in Löchern im Sand ver­schwin­den, deren Anzahl sich seit mei­nem Zubett­ge­hen ver­hun­dert­facht hat. Drau­ßen kracht es wie­der. Ich zer­re am Bett, das sich kei­nen Mil­li­me­ter fort­be­wegt. Scheiß­nacht! Ich gebe auf, ver­su­che, das zusam­men­ge­fal­te­te Mücken­netz zu einem alber­nen Was­ser­schutz umzu­funk­tio­nie­ren, doch der dar­aus auf­stei­gen­de Ver­we­sungs­ge­ruch lässt mich das Vor­ha­ben auf­ge­ben. Irgend­wann bin ich so müde, dass ich trotz Näs­se wie­der ein­schla­fe. Und erst wie­der auf­wa­che, als ich eine Bruch­lan­dung auf dem Gesicht spü­re. Ver­damm­te Kaker­la­ken!

Eine ande­re Welt  

Beim Früh­stück sieht kei­ner so zer­knit­tert aus wie ich. Ent­we­der, die ande­ren schla­fen wie Bären, oder nur ich hat­te ein undich­tes Dacht und vol­les Haus. Aber nach einem Früh­stück aus gebra­te­nem Brot, Rühr­ei und Obst und dazu ser­vier­tem Son­nen­auf­gang sieht die Welt schon wie­der anders aus.

Mit nur einer knap­pen Stun­de Ver­spä­tung braust Eulo­gio her­an. Die­ses Mal geht es nach Chi­chi­me, mei­ne abso­lu­te Lieb­lings­in­sel seit die­sem Tag. Sie ist um eini­ges grö­ßer als die ande­ren, die ich bis­her gese­hen habe, mit einem schö­nen Spa­zier­weg durch win­zi­ge Dör­fer und Pal­men­wäl­der rund um die Insel und echt wei­ßen Sand­strän­den. Im Meer tum­meln sich die See­ster­ne im glas­kla­ren Was­ser.

Vor einem Drei­häu­ser­dorf begrü­ßen mich Kin­der in Unter­ho­sen und ein gan­zer Wurf jun­ger Kat­zen, die sich sofort an mei­nem Ruck­sack zu schaf­fen machen. Kat­zen sind beliebt auf den Inseln, bekämp­fen sie doch wirk­sam Rat­ten. Sofort kommt die Kuna-Mut­ter dazu. Kei­ner ver­steht mein Spa­nisch, doch für einen Dol­lar darf ich ein Foto machen – eine gene­rell weit ver­brei­te­te Pra­xis auf den San Blas Inseln.

Je wei­ter ich mich von dem win­zi­gen Hafen ent­fer­ne, wo die Tou­ris­ten­boo­te anle­gen, des­to mehr Plas­tik treibt auf dem Was­ser, und mit­ten im Dschun­gel liegt ein gan­zer Müll­berg. Ein klas­si­sches Pro­blem der Inseln – wohin mit dem Müll? Oft wird er am Ende ver­brannt.

Zum Mit­tag gibt es BBQ am Strand mit fri­schem Fisch und Obst. Eulo­gio steht als Ers­ter am Buf­fet. „Da hin­ten Scheiß­haus“, deu­tet er nach links mit Blick auf Sabi­ne und mich. Anschei­nend das ein­zi­ge deut­sche Wort, das er beherrscht.

Als nach dem Mit­tag­essen die Son­ne end­lich rich­tig ihre Füh­ler hin­ter den Wol­ken her­vor­streckt, malt sie das Was­ser in den schöns­ten Blau- und Tür­kis­tö­nen aus. Und gera­de jetzt ist für Lin­ny der Abschied gekom­men. Wie immer auf Rei­sen – ein stän­di­ges Kom­men und Gehen. Kaum hat man „Hal­lo“ gesagt und ist ein­an­der ein wenig ver­traut gewor­den, ist schon wie­der der Moment des Abschieds gekom­men. Aber mit der Zeit habe ich sie erlernt, die Kunst, das Herz für immer neue Men­schen zu öff­nen, doch sie auch wie­der zie­hen las­sen zu kön­nen. In der Gewiss­heit, dass ich die meis­ten nie wie­der­se­hen wer­de.

Mein Freund, der Kuna  

Sabi­ne habe ich es zu ver­dan­ken, dass ich fast zur Insel­kö­ni­gin der Teu­fels­in­sel wer­de. Weil sie viel über die Kuna und deren Sit­ten wis­sen möch­te, jedoch kein Spa­nisch spricht. Ich bit­te Dani­el, uns über die Kuna zu erzäh­len. „Ich wuss­te gar nicht, dass du so gut Spa­nisch kannst!“ Sei­ne Augen leuch­ten, und begeis­tert berich­tet er in Kuna-Spa­nisch über sein Volk. „Ins­ge­samt besit­zen 23 Fami­li­en Inseln“, beginnt Dani­el. „Die Hilfs­ar­bei­ter, die zum Bei­spiel die Strän­de säu­bern, wech­seln alle paar Wochen. Nur das Küchen­per­so­nal arbei­tet immer auf einer Insel.“ Er selbst gehö­re zu einer der 23 Fami­li­en. Wir möch­ten wis­sen, wie das mit den Bezie­hun­gen funk­tio­niert. Dani­el sieht mich inter­es­siert an. Frü­her hät­ten die Groß­el­tern die Part­ner für ihre Enkel­kin­der aus­ge­sucht, mitt­ler­wei­le kön­ne man jedoch selbst sei­nen Part­ner wäh­len. Es gäbe sogar Kuna, die Aus­län­der hei­ra­te­ten, wodurch die­se wie­der­um das Recht erhiel­ten, auf den Inseln zu leben. Denn der Insel­ver­kauf an Aus­län­der ohne Bezie­hung zu einem Kuna sei vom Ältes­ten­rat streng unter­sagt.

„Wir haben oft sehr gro­ße Fami­li­en. Ich selbst habe neun Geschwis­ter, und der Groß­teil mei­ner Fami­lie wohnt auf einer der klei­nen Inseln gegen­über von Car­ti.“ Ich den­ke an die mit Hüt­ten und Müll voll­ge­stopf­te Insel, an der wir auf dem Hin­weg vor­beige­braust sind. „Dort haben wir auch Ärz­te. Die nut­zen natür­li­che Heil­mit­tel. Einer hat sogar einen Mann geret­tet, dem nach einem Auto­un­fall bei­de Bei­ne ampu­tiert wer­den soll­ten.“ Sabi­nes Fra­ge nach der Reli­gi­on erstaunt Dani­el. Eine rich­ti­ge Reli­gi­on hät­ten sie nicht. „Wir sind sehr stolz. Das Rot in unse­rer Flag­ge steht für Blut, für unse­ren Kampf.“ Plötz­lich unter­bricht uns eine älte­re Frau, die wie vie­le Kuna-Frau­en Gold in der Nase trägt. „Schaut mal!“, ruft sie und deu­tet gen Hori­zont, wo etwas auf dem Was­ser treibt. Es sieht aus wie der Mast eines gesun­ke­nen Schif­fes. Dani­el schnappt sich ein Fern­glas, seufzt. Es ist nur ein von der Strö­mung her­an­ge­trie­be­nes Ast­ge­rüst. Wie­der kei­ne Sen­sa­ti­on auf Isla Dia­blo.

Von die­sem Moment an ist Dani­el mein bes­ter Freund. Beim Abend­essen mit Sabi­ne, Cosi und Mari­us, den bei­den Deut­schen, bekom­men wir jeder noch einen Drink spen­diert – Bier, Was­ser, was wir wol­len. Ob ich denn schon ver­hei­ra­tet wäre oder einen Freund habe, will Dani­el wis­sen. Als ich beja­he, sacken sei­ne Mund­win­kel nach unten. Bevor ich ins Bett gehe, ver­si­chert er mir, dass ich ab jetzt einen ech­ten Kuna-Freund habe. Nun müs­se er mir nur noch die Spra­che bei­brin­gen. Lächelnd ver­krü­me­le ich mich in die Hüt­te zu mei­nen Kaker­la­ken.

Para­dies mit Schön­heits­feh­lern

Schon nach zwei Tagen kommt es mir vor, als wäre ich seit Wochen auf der Teu­fels­in­sel. Gera­de, wenn die Son­ne strahlt und das Was­ser so schön blau färbt und man den Mee­res­bo­den unter den Füßen erkennt, möch­te ich gar nicht mehr weg. Dann sind die San Blas ein Para­dies von der Art, mit denen auf Tafeln in Rei­se­bü­ros gewor­ben wird und denen man auf Post­kar­ten ent­ge­gen­lechzt. Okay, es ist ein Para­dies mit Schön­heits­feh­lern. Mit ein paar Vie­chern, mit Hüt­ten, in die es auch mal tropft und Toi­let­ten­häu­sern, über die ein Hygie­neinspek­tor den Kopf schüt­teln wür­de. Aber ich sehe die­se Schön­heits­feh­ler wie mei­ne eige­nen seit mei­ner Ankunft – gar nicht mehr.

Von eini­gen der kom­men­den und gehen­den Tou­ris­ten höre ich, dass es nichts zu tun gebe auf den Inseln, lang­wei­lig sei. Ich habe zwei Bücher dabei und kom­me nur dazu, eins zu lesen. Weil ich den Rest der Zeit mit Nichts­tun beschäf­tigt bin. Oder mit Schwim­men. Damit, eine gleich­mä­ßi­ge Son­nen­bräu­ne zu bekom­men. Und damit, Dani­el zu über­zeu­gen, dass ich wirk­lich kei­nem Kuna-Ehe­mann inter­es­siert bin. Auch nicht, wenn er nur zwei statt zehn Kin­dern wol­le. Auch nicht, wenn er mich danach prak­tisch zur Insel­kö­ni­gin von Isla Dia­blo machen wür­de, wo ich nach Lust und Lau­ne Ver­än­de­run­gen vor­neh­men und sogar Spie­gel auf­hän­gen könn­te. Ich bin stän­dig von Was­ser­fla­schen umge­ben, weil Dani­el Angst hat, ich könn­te ver­durs­ten. Eigent­lich muss man alle Geträn­ke außer einem pro Mahl­zeit selbst bezah­len. Ich nicht mehr. Noch dazu bekom­me ich auch ohne Spie­gel fünf Mal täg­lich bestä­tigt, wie schön ich sei. Zum letz­ten Son­nen­un­ter­gang sitzt Dani­el etwas zu dicht neben mir auf einer Bank. Ich sol­le doch blei­ben, noch eine Nacht, auf sei­ne Kos­ten. Ich leh­ne freund­lich ab. Sabi­ne ist schon weg, blei­ben nur noch die bei­den Deut­schen und ich. Die sich lang­sam lus­tig machen über mei­nen „Lover“, wäh­rend ich wei­ter als Insel­über­set­ze­rin fun­gie­re.

Ich den­ke an die vie­len Tou­ris­ten, die jeden Tag mit einer hek­ti­schen Ein­tags­tour von Pana­ma Stadt auf die San Blas rüber­kom­men, um die­se abzu­ha­ken. Und um nicht auf den Kom­fort eines städ­ti­schen Hotel­zim­mers ver­zich­ten zu müs­sen. Ich hin­ge­gen gewöh­ne mich immer mehr an den Nicht-Kom­fort. Mir fehlt kei­ne Kli­ma­an­la­ge, kein Zim­mer­klo, kein Spie­gel, und erst recht nicht das Pie­pen und Tuten des Han­dys. Mari­us, der Deut­sche, wird hin­ge­gen immer ner­vö­ser. „Ich wür­de hier als Ers­tes Inter­net­emp­fang ein­rich­ten“, gesteht er am letz­ten Abend. Ich nicht. Wahr­schein­lich hät­te ich nie mit Mari­us gespro­chen, wenn ich Wifi hät­te. Weil ich damit beschäf­tigt wäre, beim Essen die Daheim­ge­blie­be­nen über mein Wohl­be­fin­den upzu­da­ten oder Bil­der zum Nei­disch­ma­chen auf Face­book, Insta­gram & Co. zu pos­ten. Schwe­ren Her­zens den­ke ich dar­an, dass ich genau das am nächs­ten Abend von mei­nem schi­cken Hotel­zim­mer in Pana­ma Stadt aus machen wer­de. Um die Ein­sam­keit in der Men­schen­mas­se und der von ihnen aus­ge­hen­den Anony­mi­tät zu über­brü­cken.

Lan­ge habe ich etwas nicht mehr so sehr genos­sen wie mei­ne vier Tage auf der Teu­fels­in­sel. Vier Tage weg von allem. Ich muss mir ein­ge­ste­hen, dass ich nichts und nie­man­den ver­misst habe. Dass ich mir selbst mit mei­nen Büchern und mei­nem kur­zen neu­en Sozi­al­le­ben mit Wild­frem­den genügt habe. Ich bin dank­bar für eine wich­ti­ge Lek­ti­on, die mir die Teu­fels­in­sel erteilt hat: dass ich es noch schaf­fe, den Aus-Knopf zu fin­den und kei­ne Eile habe, ihn wie­der auf ‚An‘ zu stel­len. Dass ich aber auch nicht Dani­el hei­ra­ten muss, um ganz aus­zu­stei­gen. Weil ich nie wirk­lich ein­ge­stie­gen bin ins Hams­ter­rad, in eine 0–8‑15- oder 9–5‑Routine. Weil ich auch nach vier Wochen in Latein­ame­ri­ka nicht zu einem Leben daheim zurück­keh­ren wer­de, aus dem ich schnellst­mög­lich wie­der raus will. Nur Dani­el, der tut mir ein biss­chen leid. Als Eulo­gio und sein Boots­jun­ge am nächs­ten Tag kom­men, um mich abzu­ho­len, schleppt er mei­nen Ruck­sack zum Boot. Umarmt mich und küsst mich auf die Wan­gen. „Komm bald wie­der!“, beschwört er mich, den Trä­nen nahe. Sei­ne Kum­pels schau­en per­plex zu. „Hat der sich etwa in dich ver­knallt?“ Ich läch­le nur. Ich habe bloß einen wah­ren Kuna-Freund gefun­den. Und die Teu­fels­in­sel in all ihrer Ein­fach­heit in mein Herz geschlos­sen.

 

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Antworten

  1. Avatar von Bernadette

    Lie­be Jani­ne, da hast du voll­kom­men recht, und es ist doch immer wie­der ein wun­der­ba­res Gefühl, mal wie­der die eige­nen Gren­zen zu über­schrei­ten.
    Lie­be Grü­ße aus Aus­tra­li­en
    Ber­na­dette

  2. Avatar von Janine

    Ein span­nen­der Bei­trag! Ich habe die San Blas Inseln über eine mehr­tä­gi­ge Segel­tour von Kolum­bi­en nach Pana­ma besucht – und hat­te ähn­li­che Erfah­run­gen und Gefüh­le. Auf Rei­sen lernt man eben immer wie­der über sei­ne eige­ne Kom­fort­zo­ne hin­aus­zu­le­ben 😉

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