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Wenn der Tra­vel­bug zubeißt

Die Augen auf­ge­ris­sen, der Mund stau­nend. Welt­ver­ges­sen lauscht sie den Erzäh­lun­gen Hamm­ouds: Wie er als Kind mit sei­ner Fami­lie in einer Höhle lebte, sich nachts nach drau­ßen schlich, um nach sei­nem Esel zu sehen. Wie bedeu­tend er sich fühlte, weil er mit 10 Jah­ren maß­geb­lich zum Fami­li­en­ein­kom­men bei­trug, wenn er tags­über die Tou­ris­ten durch Petra rei­ten ließ. Von den Dicken ver­langte er einen Aufschlag.

„10 Jahre, so alt wie ich jetzt“, mag sie denken.

„Damals war die Welt ober­halb Jor­da­ni­ens noch in Ord­nung“, berich­tet Hamm­oud. Die Tou­ris­ten kamen zahl­reich über Syrien – Pal­myra, Damas­kus – nach Petra, Jor­da­ni­ens größ­ter Touristenattraktion.

Petra, die rosa Stadt immensen Aus­ma­ßes wurde vor über 2000 Jah­ren von den Naba­tä­ern in die Steine des Arava-Tals gemei­ßelt. Zur Blü­te­zeit resi­dier­ten die Bewoh­ner in Stein­häu­sern mit meh­re­ren Stock­wer­ken und Bade­zim­mern – heute sind von den Wohn­häu­sern nur ein­zelne Rui­nen übrig. Doch leb­ten in den Höh­len von Petra lange Zeit noch Bedui­nen: Bis in die 1980er Jahre waren sie Win­ter­quar­tier der „Bedoul“.

Als man Petra dann als archäo­lo­gi­sche Kost­bar­keit ent­deckte und zum UNESCO-Welt­erbe erklärte, wur­den die Bedui­nen nach Umm Say­houn umge­sie­delt, um die bedeu­tungs­vol­len Rui­nen zu schützen.

Unter Bedui­nen

Hier in Umm Say­houn haben wir unser Nacht­la­ger abseits vom Tru­bel des Wadi Musa – Aus­gangs­ort und Tou­ris­mus­zen­trum für Petra – bei Hamm­oud und Joy, sei­ner kana­di­schen Ehe­frau, aufgeschlagen.

Sie haben Man­saf nach tra­di­tio­nel­ler Art gekocht.

Ein Berg aus Reis türmt sich auf einem rie­si­gen Tablett auf, durch­setzt mit Nüs­sen, Gemüse und Tro­cken­früch­ten. Oben­auf lie­gen Ham­mel­fleisch­stü­cken – für uns gibt eine vege­ta­ri­sche Vari­ante – und Laban, ein in der ara­bi­schen Welt ver­brei­te­ter Joghurt aus Schafs­milch, run­det das Gericht ab.

Wir lüm­meln träge auf Boden­kis­sen. Das Licht ist schumm­rig, die Gas­lam­pen wer­fen Loch­mus­ter an die Wände, manch­mal tropft es auf­grund des vor­an­ge­gan­ge­nen Platz­re­gens von der Decke. Die Elek­trik macht Pause. Nur die klei­nen Later­nen las­sen uns erken­nen, was wir gerade auf unsere Gabeln spießen.

Alle schwei­gen, genie­ßen die köst­li­che Bedui­nen­mahl­zeit. Zum Essen krei­sen Hum­mus, Fla­den­brot, scharf ein­ge­legte Karot­ten, der omni­prä­sente zucker­süße Tee. Der Zahnkiller.

Unter­malt wird das Mahl mit Geschich­ten aus allen Her­ren­län­dern, nach­dem wir wie­der zu mehr Wor­ten anstelle vom „hmm“ und „mhm“ fin­den. Um den Tisch sit­zen 11 Men­schen aus 9 Natio­nen am Boden. Der täto­wierte indi­sche Raf­fi­ne­rie­an­la­gen-Inge­nieur aus Kuwait, der ira­ki­sche Al Jazeraa Mode­ra­tor, eine ägyp­ti­sche Eth­no­lo­gin, eine Ame­ri­ka­ne­rin die in Israel Poli­tik studiert,….

Unsere gemein­same Spra­che: Eng­lisch. Was uns ver­bin­det: ein offe­nes Ohr und viel Inter­esse für unsere bunte Welt.

Mit­ten­drin die Kin­der. Kahl­doon bemalt ihre Hände mit Henna. Die drei­jäh­rige Toch­ter unse­rer Gast­ge­ber ist auf den Schoß unse­res Kin­des ein­ge­schla­fen. Die jedoch him­melt Joy mit gro­ßen Augen an, hängt hell­wach und wiss­be­gie­rig an deren Lippen.

Anek­do­ten aus ande­ren Kulturen

Joy unter­hält uns. Sie zieht ihren Mann auf und gibt amü­sante Anek­do­ten aus dem Bedui­nen­le­ben zum Bes­ten. Vor­nehm­lich west­lich geprägte Ansich­ten. Miss­ver­ständ­nisse. Wir lachen alle. Doch ich muss auch betre­ten schlu­cken, sind sie zum Teil auf Hammoud´s Kos­ten und einer Kul­tur, die wir hek­ti­schen, maxi­mal-effi­zi­en­ten West­ler schwer erfas­sen können.

Hamm­oud aber lacht mit. „Bedui­nen müs­sen fle­xi­bel sein und Besu­chern einen Ein­blick in ihre Kul­tur schen­ken“, meint er. Nur so könn­ten sie das Über­le­ben ihrer Gemein­schaft sichern. Außer­dem ist Gast­freund­schaft ihr obers­tes Gebot.

Hamm­oud ist drei­ßig und hat nie eine Schule besucht. Ebenso sein älte­rer Bru­der Khal­doon. Er ist mit uns heute kilo­me­ter­lang berg­auf bergab durch das Wadi gewan­dert. Er zeigte uns ein ande­res Petra, näm­lich seine Wur­zeln. Ein zäher Bur­sche, 10 Jahre jün­ger als wir, aber kein gesun­der Zahn mehr im Mund.

 

Doch ist er es, der die scharf­sin­nigste Frage an die­sem Abend stellt und unse­ren Blick­win­kel wie­der zurecht­rückt: „Why are you peo­ple rus­hing so much?“ Ihr kommt nach Petra, die­sen magi­schen Ort und nehmt euch keine Zeit, ihn zu genie­ßen. Wohin ihr geht, ihr seid in Eile. Habt jede Minute ver­plant, rauscht durch, macht Bil­der und kon­su­miert, aber nehmt nicht das Jetzt und Hier mit allen Sin­nen wahr.

„Seht Eure Kin­der an, sie leben den Augenblick“.

Ertappt bli­cke ich gegen­über in die leuch­ten­den Augen mei­ner Toch­ter, die gerade Kul­tur und Geschichte regel­recht auf­saugt und ver­mut­lich nie mehr los­las­sen wird.

Ich erahne, dass genau heute ein zar­tes Pflänz­chen erblüht ist, von einem Samen, den wir vor Jah­ren auf den ers­ten Rei­sen mit Kind gesät haben. Ein Gefühl, das sich lang­sam auch bei uns allen wie­der ein­stellt. Das Gefühl genau jetzt Eins und auf­ge­ho­ben in der Welt zu sein.

Ver­mut­lich hat an die­sem gesel­li­gem Abend der „Tra­vel Bug“ uns alle wie­der gebis­sen, doch hat er das Kind mit etwas Neuem infi­ziert, was man mit wach­sen­der Neu­gierde auf fremde Kul­tu­ren beschrei­ben kann: Rei­se­lust eben.

 

Cate­go­riesJor­da­nien
Eva Grossert

Willkommen Ihr Glücksritter, ewig Suchenden und Himmelsstürmer!

Die Welt ist Evas Schatzkammer. Seit 25 Jahren ist sie unermüdlich unterwegs, schürft nach Diamanten und sucht versteckte Juwelen. Ihr kleiner und großer Weggefährte helfen ihr mittlerweile beim Aufspüren besonderer Kostbarkeiten. Stinkreich ist sie dabei geworden – reich an Eindrücken.
Ihre Entdeckungen, ihre „Hidden Gems“ hält Eva nicht unter Verschluss. Auf ihrem Reiseblog präsentiert sie diese auf dem Silbertablett und hier erzählt sie amüsante Geschichten von kleinen Abenteuern, unbedeutenden Begebenheiten und Begegnungen am Wegesrand.

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