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Aus Vom Glück zu reisen:
Teure Reise = tolle Reise? Was für ein Irrtum. Eine großartige Reise muss nicht viel kosten. Was zählt, ist die innere Einstellung. Drei Dinge sind entscheidend.
Manches im Leben ist unbezahlbar, lehrt uns eine Werbung, doch für alles andere gibt es eine Kreditkarte. In Anlehnung an die Feststellung, dass der Mensch lieber im Taxi weint als in der U‑Bahn, können wir sagen: Eine Malaria erleidet man besser im Fünf-Sterne-Hotel als in einer Bettwanzen-Absteige.
Geld ist eine komplizierte Materie. Seine Verfügbarkeit kann zu Fehlannahmen verleiten. Jemand denkt zum Beispiel, er wäre aufgrund individueller Persönlichkeitsmerkmale ein wagemutiger Globetrotter, dabei hat er einfach genug Geld, um regelmäßig Fernreisen zu unternehmen. Wer arm ist, kann nicht einfach nach London oder Singapur fliegen. Reisen zu können ist ein Privileg.
Natürlich gibt es auch mittellose Backpacker, die durch Indien trampen. Doch mit wenig Geld reisen zu können, ist ebenfalls ein Privileg – der Herkunft, der Bildung, emotional. Westeuropäer leben in Laos von ein paar Euro wie Fürsten, aber man sieht kaum Laoten, die Hamburg, Heidelberg oder Hiddensee besuchen. Die Rundreise durch den Westen der USA wird ungleich schwerer für den, der kein Englisch spricht. Und wer ernste seelische Lasten trägt, hat vielleicht nicht die Kraft, voller Tatendrang ein Flugzeug zu besteigen. Trotzdem muss eine erfüllende Reise nicht teuer sein.
Was bestimmt den Wert einer tollen Reise?
Verfügbares Budget und Ausgaben gegeneinander aufzurechnen, ist eine notwendige, aber wenig interessante Beschäftigung. Natürlich sind finanzielle Mittel nötig, um überhaupt aufbrechen zu können. Doch der persönliche Wert einer Reise hat nichts mit Geld zu tun. Das ist eine tröstliche Nachricht. Welche Maßeinheiten eignen sich dann?
Die Kosten eines Gutes bestehen aus dem, was wir für den Erwerb des Gutes aufgeben. Zwei Arten von Kosten fallen auf einer Reise an: materielle und immaterielle. Wir geben dem Reisebüro, Veranstalter oder Hotel eine bestimmte Summe und erhalten dafür eine bestimmte Leistung. Eine Reise besteht aber aus weit mehr als touristischen Leistungen, die nach einer monetären Vergütung verlangen. Eine schöne Landschaft zu erkunden steht jedem offen, sofern sie nicht in einem kostenpflichtigen Nationalpark liegt.
Und der Reisende verliert nicht nur Geld, wenn er in die Fremde aufbricht, sondern noch viel entscheidendere Dinge: Desinteresse, Bequemlichkeit, Vorurteile, Angst.
Wichtiger als Geld sind für mich drei immaterielle Aufwendungen für eine tolle Reise: Neugier, Anstrengung und Mut.
In dieser Reihenfolge, mit absteigender Wichtigkeit. Sie gehören zu einer Reise wie Pass, Kreditkarte, Kulturbeutel und der passende Steckdosenadapter.
Neugier als Schlüssel für eine besondere Reise
Neugier ist weder riskant noch anstrengend. Sie kostet nur ein wenig Überwindung. Der Ortsfremde macht sich aus Sicht eines Einheimischen früher oder später sowieso zu einem rührenden Idioten, da muss er sich nicht schämen. Er sollte das positiv sehen. An einem fremden Ort die Welt neu zu entdecken, hat etwas von der Unbefangenheit eines Kindes. Als Kind hat man sich fürs Fragen nicht geschämt.
Der Fokus der Neugier hängt immer davon ab, wer man ist, was einen geprägt hat. Im Ausland kaufe ich mir als Journalist, falls vorhanden, eine örtliche Zeitung auf Englisch. Was ist die Schlagzeile auf Seite eins, also ein wichtiges Thema im Land? Handelt es sich um ein Regierungs- oder Oppositionsblatt? Wird der Machthaber bejubelt oder kritisiert? Wie neutral ist ein Bericht formuliert? Oder ist alles Boulevard?
In einer Weltstadt gehe ich ins angesagteste Viertel, weil mich die Mode und die Menschen dort interessieren. Welcher Look ist angesagt? Lässt sich die Gentrifizierung eines Quartiers am Stilbewusstsein seiner Bewohner festmachen? Welches Selbstverständnis zeigt sich in den Symbolen? Etabliert das Internet durch seine Vernetzung und Schnelligkeit einen globalen ästhetischen Standard und warum wäre der noch interessant? Ist der Konsum das universelle Bindeglied der Globalisierung?
Neugier in persönlichen Gesprächen und innerer Reflexion
Persönliche Gespräche sind immer aufschlussreich, wobei der Schwerpunkt auf dem Zuhören liegen sollte. Ehrliches Interesse öffnet fast jeden Menschen. Was freut ihn an diesem Tag? Hat er heute noch was zu tun? Was macht die Familie? Womit verbringt er die Zeit, wenn er nicht arbeiten muss? Was ist ihm wichtig? Lehnt er etwas ab? Was sind seine Hoffnungen und Wünsche? Wovor hat er Angst? Welche Zukunft wünscht er sich?
Die Neugier kann sich auch nach innen richten. Wie fühlt es sich an, bestimmte Grenzen zu überschreiten – der Ausdauer, des Komforts, der Entbehrung? Auch der Entschleunigung und Langweile: Was passiert auf einer zwanzigstündigen Bahnfahrt mit mir? Welche Türen öffnen sich im Kopf?
Neugier fragt, lauscht, versucht zu verstehen. Sie kann sich auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft richten und darauf, wie sie zusammenhängen; auf Städtebau und Architektur, Schlösser, Burgen, Kathedralen, Zeugnisse vergangener Mächte; auf Gastronomie, Märkte und landestypische Speisen; auf Feste, Feiern und Folklore; auf Reichtum und Armut und das Leben der Mittelschicht, das sich in jedem Land anders darstellt; auf Natur und Landschaft, auf Berge, Täler, Flüsse, Pflanzen und Tiere; auf Sprachen und Umgangsformen; auf Milieus und Subkulturen, auf Traditionen und Trends; auf die Regeln zwischen Mann und Frau, Mann und Mann, Frau und Frau; auf das Gesicht des Staatsapparats. Oder einfach reizoffen loslaufen: Was fällt mir auf? Was geht mich an?
Antrengung macht eine Reise besonders
Neugier ist die wichtigste Zutat des Reisens, aber Neugier plus Anstrengung ist noch besser. Das englische Wort travel geht auf das französische Wort travail (Arbeit) zurück. Die Anstrengung vergrößert den Radius der Neugier.
Es macht einen Unterschied, ob wir die Sehenswürdigkeiten einer Stadt aus dem Hop-on-hop-off-Touristenbus betrachten oder selbst durch die Straßen laufen, die Geräusche wahrnehmen, die Gerüche einatmen. Zu Fuß sehen wir am meisten.
Wer auf einem Markt in die Töpfe schaut, lernt mehr über die kulinarische Vielfalt eines Landes als im Hotelrestaurant. Im langsamen und engen Minibus der Einheimischen erfahren wir mehr über den Alltag der Menschen als im Taxi oder klimatisierten Overlander. Und die schönsten Gegenden der Erde liegen nicht direkt neben der Straße.
Mut für eine tolle Reise
Mut ist vielleicht die heikelste Zutat des Reisens. Schnell denkt man an Wagemut, Fahrlässigkeit und unnötige Gefahren. Was mutig ist, lässt sich nur selten objektiv bestimmen, oft hängt es von der eigenen Erfahrung ab.
Für manchen Studienreisenden mag es mutig sein, sich bei der Tempel-Tour in Bangkok vom Reiseleiter und der Gruppe zu lösen, um auf eigene Faust über einen Markt zu stolpern. Andere werden nicht nervös, wenn der bolivianische Überlandbus auf dem Weg in die Yungas auf einer regendurchnässten Schlammpiste ohne Leitplanke enge Serpentinen hinabrutscht. Die Frau auf dem Nebensitz hat gerade erst ein paar Empanadas herausgeholt. Kein Grund zur Sorge, oder?
Wenn Anstrengung die Reichweite der Neugier vergrößert, dann ist es der Mut, der uns an die fantastischen Orte bringt, von deren Existenz wir nicht einmal wussten.
Was kostet die Welt? Wir können sehr viel Geld ausgeben und doch wenig dadurch gewinnen. Wir können besonders wenig bezahlen und uns trotzdem üppig beschenken lassen. Aber niemand verleiht uns allein deswegen einen Orden, weil wir die Mango beim Straßenhändler von 40 auf 20 Cent herunterhandeln. Andersherum muss sich niemand schämen, der das Portemonnaie häufig und großzügig öffnet.
Es kommt nicht darauf an, wie sehr die Reise das Konto erleichtert – sondern den Kopf und das Herz. Von Trägheit, verbohrtem Denken und vermeintlichen Gewissheiten. Von Verzagtheit und unbegründeten Sorgen.
Was brauchen wir, abseits von etwas Geld und guten Absichten? Vergiss die Packliste mit Reisehandtuch, Ladekabeln und Kompressionssäcken.
Neugier, Anstrengung und Mut sind das wichtigste Rüstzeug
Eine großartige Reise muss nicht teuer sein muss. Entscheidend sind innere Einstellungen und immaterielle Werte. Drei zentrale Elemente sind:
- Neugier: Die wichtigste Zutat einer Reise. Sie ermöglicht es, die Welt mit den Augen eines Kindes neu zu entdecken, und sollte sich sowohl auf äußere als auch auf innere Aspekte richten.
- Anstrengung: Sie erweitert den Radius der Neugier. Aktiv die Umgebung erkunden und lokale Erfahrungen machen, anstatt sich nur passiv durch touristische Angebote leiten zu lassen.
- Mut: Er bringt uns an unbekannte und fantastische Orte. Mut bedeutet nicht nur, Gefahren einzugehen, sondern auch, neue Wege zu beschreiten und die Komfortzone zu verlassen.
Letztlich geht es darum, den Kopf und das Herz zu öffnen, statt sich nur auf das Finanzielle zu konzentrieren. Eine erfüllende Reise befreit von Trägheit, Vorurteilen und Ängsten und bereichert durch Erfahrungen und Einsichten.
Vom Glück zu reisen
Warum sieht der Strand auf Social Media schöner aus? Welche Sehenswürdigkeiten kannst du auslassen und wo ist es noch authentisch? Ein ganz besonderes Reisehandbuch.
Antworten
Danke für den tollen Beitrag. Ich gebe dir absolut recht, mit dem das Reisen an sich schon ein Privileg ist. Als ich in Kolumbien war, sprach ich mit einer Einheimischen, die eine Bekannte von meinem Mitbewohner hier in Österreich war. Und sie fragte mich über all meine Reisen aus, bis sie irgendwann seufzte: Ach wie gerne würde ich das erleben, was du erlebst! Erst da wurde mir bewusst, dass meine ganzen Reisen eigentlich nicht selbstverständlich sind. Und nur weil ich es mir leisten kann, um die Welt zu fliegen und nur an meine Erlebnisse zu denken, kann das nicht jeder. Auch mit dem Rest kann ich dir nur zustimmen. Meine schönsten Reisen waren nicht unbedingt die teuersten, sondern jene, in denen ich am meisten erlebt habe und persönlich gewachsen bin!
Danke für den tollen Beitrag! Das kann ich absolut unterschreiben. Zwar kosten Fernreisen wenn man ein begrenztes Zeitbudget hat, allein wegen der Flüge schon Geld, aber wer campt, in Hostels wohnt oder sich bewusst mit wenig Luxus umgeht, erlebt weitaus mehr, als ein Pauschaltourist im 5‑Sternehotel. Außerdem ist es meiner Ansicht nach ein wichtiger Teil des Reisens sich neuen Einflüssen auszusetzen und den Gegebenheiten des Landes anzupassen. Wer den gleichen Standard sucht wie zu Hause, ist in Europa besser aufgehoben.
Ich gehe sogar so weit, den Zusammenhang zwischen Geld und gelungener Reise nicht nur zu negieren, sondern das Gegenteil zu behaupten:
Je weniger Geld, umso besser ist die Reise.
Denn Geldmangel zwingt zur Kommunikation und bringt Abenteuer quasi von selbst hervor (wenn die von dir angesprochenen Elemente Neugier und Mut vorhanden sind).
Wenn ich genug Geld hätte, würde ich kaum per Anhalter reisen. Wenn ich Geld für Übernachtungen hätte, würde ich nicht auf Friedhöfen schlafen. Wenn ich Geld hätte, würde ich nicht das günstigste Abteil im Nachtzug nehmen müssen.
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