Warum man Reisen nicht in Top-10-Listen abhaken kann

Ich hab nichts gegen Lis­ten. Im Gegen­teil: Ich lie­be Lis­ten – To-Do-Lis­ten zum Bei­spiel, weil sie mir hel­fen, mei­nen All­tag zu bewäl­ti­gen. Ein­kaufs­lis­ten, Lis­ten von Freun­den, die ich mal wie­der anru­fen soll­te, Wunsch­lis­ten für Weih­nach­ten, Lis­ten mit den nächs­ten Rei­se­zie­len und natür­lich Lis­ten, um beim Kof­fer­pa­cken nicht den Über­blick zu ver­lie­ren. Lis­ten sind prak­tisch, über­sicht­lich und straight to the point – alles Eigen­schaf­ten, die ich mag. Aber: Wer zum Teu­fel hat damit ange­fan­gen, Rei­se­er­leb­nis­se in Top 10-Lis­ten abzu­ha­ken und auch noch gemeint, dass die­ses Kor­sett für immer funk­tio­niert?

„10 Grün­de, war­um eine Rei­se nach Thai­land dein Leben ver­än­dern wird“, „Die 15 atem­be­rau­bends­ten Foto­spots der Welt“, „7 Din­ge, die in dei­nem Kof­fer nicht feh­len soll­ten“ oder – war­um klein den­ken – „1000 places to see befo­re you die“: Es gibt Tage, da ver­schluckt sich mein Twit­ter-Feed fast vor Zah­len und Super­la­ti­ven, vor Must-Sees und ‑Dos.

Mag ja sein, dass in Zei­ten von neu­landi­gem Inter­net und schrump­fen­der Auf­merk­sam­keits­span­ne nur noch der sei­ne Geschich­te unter die Leu­te bringt, der sie mög­lichst kna­ckig, lese­freund­lich und vor allem kom­pakt anbie­dert anbie­tet. Aber sind Klick­zah­len allein ein Frei­fahrts­schein dafür, das Blog-Uni­ver­sum mit immer mehr Text­kon­zen­tra­ten zu flu­ten?

Klar kann es cle­ver sein, mit zah­len­las­ti­gen Über­schrif­ten die Gier auf fünf bis zehn schnel­le Fak­ten zu wecken und damit für Klicks zu sor­gen. Wenn aber bei allen Blogs die glei­che Sor­te Über­schrif­ten vor­kommt, führt das nicht zu mehr Auf­merk­sam­keit, son­dern im Gegen­teil zu Belie­big­keit, Abstump­fung oder blan­kem Genervt­sein – ob ich nun dei­ne oder eine der ande­ren 1000 Lis­ten lese.

Wol­len wir unse­re Gedan­ken denn wirk­lich nur noch mit Num­mern und Rang­fol­gen ver­se­hen, bis sie sich im Meer der Über­schrif­ten und Blog­bei­trä­ge glei­chen wie ein Was­ser­trop­fen dem ande­ren? Wol­len wir atem­be­rau­ben­de Orte und Erleb­nis­se auf ein Ske­lett aus faden Fak­ten redu­zie­ren, gar­niert mit ein paar Fotos? Und sug­ge­rie­ren die­se Lis­ten nicht, dass es über sie hin­aus nichts zu ent­de­cken gibt? Schaf­fen Lis­ten nicht eine Lese-Per­spek­ti­ve, die mich und mei­ne Wahr­neh­mung von der Welt beson­ders stark vor­prägt, die das Erle­ben abseits des Ras­ters aus Zah­len und Emp­feh­lun­gen schwie­ri­ger macht? Neh­men mir Lis­ten nicht ganz leicht, wor­um es beim Rei­sen eigent­lich geht: das Ent­de­cken, Erkun­den, Sich-Ver­ir­ren‑, ‑Trei­ben- und, vor allem, Sich-Über­ra­schen-Las­sen. Und: Wer sagt denn, dass dei­ne Top 10 auch mei­ne sind?

Ich glau­be, nack­te Zah­len sind der Feind jeder Emo­ti­on. Wir erin­nern Erleb­tes – ob gese­hen oder gele­sen – am bes­ten, wenn wir es inten­siv füh­len: Ers­ter Lie­bes­rausch, 11. Sep­tem­ber oder der super­kit­schi­ge Son­nen­un­ter­gang irgend­wo in der Kari­bik. Das gilt in der Hirn­for­schung mitt­ler­wei­le als belegt. Also packt die Lis­ten bei­sei­te, lebt und schreibt über den Quit­ten­ver­käu­fer von Mont­mart­re statt über den Eif­fel­turm, sucht in New York nach gemal­ten Ber­gen auf Bau­zäu­nen statt nach dem bes­ten Sel­fie-Spot auf der Brook­lyn Bridge – und erzählt mir dann bit­te, was ihr dabei gefühlt habt. Denn für Lis­ten schaue ich in den Rei­se­füh­rer und wenn ich Zah­len will, rufe ich den Kell­ner.

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Antworten

  1. Avatar von Nadine

    Vie­len Dank, du sprichst mir aus der See­le!

    Ich hal­te es zwar per­sön­lich für recht wich­tig, Rei­s­er­in­ne­run­gen (auch in Form von Sel­fies) zu schaf­fen ABER dies soll­te nie­mals den Preis von einem ver­lan­gen, dass man den Blick für das Schö­ne an sei­ner Rei­se ver­lie­ren muss.

    Rei­sen bedeu­tet, auch ein­mal nicht pro­duk­tiv sein zu müs­sen!

  2. Avatar von Stefan

    Tja… es ist nun ein­mal so, dass Leser auf die­se Num­mern-Lis­ten ziem­lich gut ansprin­gen und die Über­schrif­ten von Arti­keln dem­entspre­chend gewählt wer­den. Das muss uns nicht gefal­len – es funk­tio­niert trotz­dem. Ich ertap­pe mich viel zu oft selbst dabei, wie ich einen Bei­trag ankli­cke, obwohl ich von der »7 Tricks um xy«-Überschrift eigent­lich schon ange­wi­dert bin.

  3. Avatar von Susann

    Ein wun­der­ba­rer Bei­trag! Vie­le wis­sen eben nicht, um was es beim Rei­sen wirk­lich geht…

  4. Avatar von Maximilian

    Moin,
    als ich heu­te dei­nen Bei­trag gele­sen habe, hat mich die­ser schon fast ein wenig ver­letzt. War­um? Na weil ich genau so eine Sei­te habe, die sich über­wie­gend mit Top 10 Sehens­wür­dig­kei­ten beschäf­tigt. Jetzt kann man mir natür­lich vor­hal­ten, ich wür­de es nur auf Bau­ern­op­fer abge­se­hen haben und die „Welt“ in ein vor­de­fi­nier­tes Kor­sett zwän­gen, doch so ist es nicht. Mei­ne Ambi­ti­on und Absich­ten sind gan­ze Ande­re.

    Man kann eine Stadt oder Regi­on nicht nur anhand ihrer Sehens­wür­dig­kei­ten voll­kom­men erle­ben, wenn man die­se Stumpf nach einer Lis­te abklap­pert; dass ist uns wohl allen bewusst. Die­se Tat­sa­che zei­gen uns schon die vie­len unter­schied­li­chen Rei­se­blog­ger, die wesent­lich tie­fer in die Welt ein­tau­chen, als es durch das rei­ne „abklap­pern“ von Hot­spots mög­lich wäre. Doch war­um genau sind die Rei­se­blog­ger (und ihre Blogs) mit ihren unter­schied­li­chen und indi­vi­du­el­len Geschich­ten so beliebt und wer­den von so vie­len ver­folgt? Nun, weil eben so vie­le Men­schen die­se inten­si­ve Art der Rei­se sel­ber nicht durch­füh­ren und erle­ben kön­nen und sie sich durch das Lesen die­ser Erleb­nis­se ihre eige­ne Welt etwas bun­ter gestal­ten. Doch der größ­te Teil der Bevöl­ke­rung ahnt noch nicht mal etwas davon, wie schön die Welt wirk­lich ist und da kommt jetzt mei­ne Geschich­te ins Spiel. Vie­le mei­ner Freun­de und Bekann­ten waren (und sind) lei­der ent­we­der Rei­se­muf­fel oder sehr Uner­fah­ren was die­ses The­ma angeht. Aus die­sem Grund habe ich denen immer wie­der von mei­nen eige­nen Erleb­nis­sen erzählt und gemerkt, dass für mei­ne Erzäh­lun­gen oft­mals das Ver­ständ­nis fehlt. Schließ­lich kön­nen Bil­der oder Vide­os nur einen Bruch­teil davon wie­der­ge­ben, was man vor Ort wirk­lich erlebt hat. Leu­te die so wel­che Erfah­run­gen bis­her nicht gemacht haben, kön­nen sich aber die wei­te­ren Ele­men­te (Kul­tur, Kli­ma, Men­schen, Gerü­che, usw.) sel­ber aber kaum vor­stel­len und die­se nicht in das Erzähl­te inte­grie­ren. Für die bleibt ein Foto ein Foto, das kaum moti­viert sel­ber mal so etwas zu erle­ben. Des­we­gen muss man bei sol­chen Men­schen viel wei­ter vor­ne anfan­gen um sie zu moti­vie­ren sel­ber auch mal eine Rei­se zu unter­neh­men. Und da ist es eben auch hilf­reich, ihnen zu erzäh­len, welch tol­len und ein­zig­ar­ti­gen Sehens­wür­dig­kei­ten es vor Ort zu ent­de­cken gibt. An ihnen kann man sich eben ori­en­tie­ren und damit eine frem­de Stadt, Regi­on oder Kul­tur ken­nen­ler­nen. Genau die­ser Umstand hat mich dazu bewo­gen, eine sol­che Sei­te zu erstel­len und zu betrei­ben.

    Zudem gibt es noch einen wei­te­ren Aspekt. Vie­le Men­schen kön­nen heut­zu­ta­ge (lei­der) kaum mehr län­ge­re Rei­sen unter­neh­men. Aus wel­chen Grün­den auch immer. Aus die­sem Grund sind auch die soge­nann­ten Wochen­end­trips in den letz­ten Jah­ren so beliebt gewor­den. Nur lei­der reicht dann oft­mals die Zeit nicht aus, um sich eine Stadt oder Regi­on (indi­vi­du­ell) in Gän­ze anzu­schau­en und zu erle­ben. Man muss eben selek­tie­ren, und da wol­len vie­le natür­lich die „Hot­spots“ erle­ben. So wel­chen Men­schen hel­fen Sei­ten die Top – Sehens­wür­dig­kei­ten (oder ähn­li­ches) anbie­ten. Jetzt könn­te man natür­lich auch wie­der die­se Art der Rei­se bemän­geln, doch ganz ehr­lich, lie­ber die Men­schen schau­en sich in weni­gen Tagen ein paar Sachen an, als das sie es gleich ganz las­sen wür­den.

    Ich bin des­we­gen davon über­zeugt, dass auch so wel­che Sei­ten und Arti­kel ihre Daseins­be­rech­ti­gung haben, eben genau­so, wie die vie­len indi­vi­du­el­len und aus­führ­li­chen Berich­te der Rei­se­blog­ger. Und soll­ten jetzt immer noch eini­ge mei­nen, ich wür­de das Rei­sen mit die­sen Arti­keln nur „ver­ein­heit­li­chen“; ich habe über die Top 10 hin­aus mei­ne ers­ten Rei­se­füh­rer geschrie­ben, die ich mei­nen Besu­chern eben­falls auf mei­ner Home­page anbie­te. Für all die­je­ni­gen, die eben auch tie­fer in eine Stadt ein­tau­chen wol­len. Auch für mich gibt es des­we­gen mehr als nur die Top 10 

    Bes­te Grü­ße,
    Maxi­mi­li­an

  5. Avatar von Monika Meurer

    Dan­ke für die­sen Bei­trag. Wir fin­den es auch viel viel span­nen­der nicht das 1 Mil­li­ons­te Foto vom Eif­fel­turm zu machen son­dern die klei­nen Din­ge am Ran­de zu ent­de­cken. Und haben es auch schon geschafft, Ein­hei­mi­sche oder Tou­ris­mus­bü­ros zu ver­blüf­fen, als wir Ihnen Fotos gezeigt haben und gesagt haben, das ist übri­gens hier bei Euch. Sie haben es bis dahin nicht gekannt…
    Und… wir sel­ber sind ganz sel­ten auf den Fotos drauf. :-))

  6. Avatar von Susanne&Dirk

    Sehr schön! Ab sofort ganz oben in unse­rer Top Ten der 13 Grün­de, war­um Lis­ten Schwach­sinn sind. 😉

  7. Avatar von Patrick

    Dan­ke für die­sen Post und scha­de, dass er über­haupt geschrie­ben wer­den muss­te. Es ist schon ziem­lich trau­rig, dass so vie­le Posts im »heftig.co« Stil durchs (Reiseblogger-)Web tru­deln. Dabei sind es ja nicht mal nur die Lis­ten, es gibt ja auch noch die Rei­se­blog­ger-Inter­views…
    Schein­bar bringt es halt doch Besu­cher­zah­len und lei­der bleibt der »Rei­se­spi­rit« bei Lis­ten und Inter­views auf der Stre­cke 🙁

  8. Avatar von Gabriele Duenwald via Facebook

    seh ich genau­so! die­se lis­ten sind über­flüs­si­ger quatsch. jeder jeck is anders.….

  9. Avatar von Benedikt Haumer via Facebook

    »statt nach dem bes­ten Sel­fie-Spot auf der Brook­lyn Bridge«
    es geht ja nicht­mehr dar­um, einen ort mal gese­hen, gefühlt, erlebt zu haben, son­dern dar­um ande­ren zu »zei­gen«, dass man da war :/​

    dan­ke für die­sen bei­trag! 🙂

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