Feuer in der Nacht am Ort des Lichts

John Wes­sels war drau­ßen auf den Stra­ßen, als die Poli­zei von Johan­nes­burg mit Gum­mi­ge­schos­sen auf die Män­ner feu­er­te, deren wüten­de Gesich­ter von den Flam­men der bren­nen­den Bar­ri­ka­den erleuch­tet wur­den. Wes­sels war mit­ten­drin. Der jun­ge Süd­afri­ka­ner ist Pres­se­fo­to­graf. Die Pro­tes­te der armen Leu­te gegen die Zwangs­räu­mun­gen der besetz­ten Gebäu­de hier in Jep­pes­town, einem Vier­tel süd­öst­lich der berüch­tig­ten Down­town, die muss­te er natür­lich ablich­ten. »That was hea­vy shit«, sagt Wes­sels über die­sen Tag, der gera­de einen Monat zurück­liegt.

Für einen Besu­cher, der erst ein paar Stun­den in Mabo­neng ver­bracht hat, klingt es wie die Geschich­te aus einer ande­ren Welt. Man ist erstaunt. Wer eine Woche in Mabo­neng unter­wegs war, wun­dert sich nicht mehr.

Mabo­neng, das bedeu­tet »Ort des Lichts«. Den Namen hat sich die Immo­bi­li­en­ge­sell­schaft Pro­per­tui­ty aus­ge­dacht, die das klei­ne Vier­tel in einen Sze­n­e­be­zirk umge­wan­delt hat. Es ist ein Kunst­na­me, mehr eine Ver­hei­ßung als eine geo­gra­fi­sche Bezeich­nung. Die Nach­bar­schaft liegt genau zwi­schen Jep­pes­town und dem Stadt­teil Doorn­font­ein, bis­lang umfasst sie kaum mehr als die unmit­tel­ba­ren Sei­ten­stra­ßen ent­lang der Fox Street. Doch ihr Ruf geht weit über die Häu­ser­blocks zwi­schen Berea Road und John Page Dri­ve hin­aus.

Der Gast aus Deutsch­land wähnt sich in einer Minia­tur­aus­ga­be von Ber­lin-Kreuz­berg oder dem Ham­bur­ger Schan­zen­vier­tel. Das ist natür­lich eine euro­zen­tri­sche Per­spek­ti­ve, aber es erklärt die Gemüts­la­ge des Rei­sen­den: über­aus ent­spannt.

In dem klei­nen Café Eat Your Heart Out bringt der Kell­ner gut abge­stimm­te Smoothie-Krea­tio­nen: Rote Bee­te mit Apfel, Melo­ne mit Min­ze, Karot­te mit Ing­wer. Die Spei­se­kar­te steht auf einer Schie­fer­ta­fel, die von einem Holz­rah­men ein­ge­fasst wird. Der Kaf­fee ist mild und aro­ma­tisch. Im Litt­le Addis Café neben­an gibt es äthio­pi­sche Küche, im House of Bao­bab um die Ecke Spe­zia­li­tä­ten aus dem Sene­gal. Die Fabu­lous Bur­ger Boys bele­gen das Rind­fleisch auch mit Blau­schim­mel­kä­se, alles jun­ge, gut­aus­se­hen­de, moti­vier­te Män­ner. Aller­bes­te Orga­nic-Food-Idyl­le. Ein Mit­tag­essen kos­tet viel­leicht zehn Euro, für einen Urlau­ber, der 600 Euro für den Flug nach Süd­afri­ka aus­ge­ben kann, ist das – völ­lig okay.

DSC08129DSC08107DSC07201DSC08122Wie Kreuz­berg oder Schan­zen­vier­tel: die Nach­bar­schaft Mabo­neng.

Im Café sitzt auch James Rood, Mit­te 30, er hat die Sta­tur eines Foot­ball­spie­lers. »This place is fuck­ing beau­tiful«, so fasst er die Atmo­sphä­re zusam­men. Rood war lan­ge fort und kann sich an die­sen Ort hier nicht erin­nern.

Der gebür­ti­ge Süd­afri­ka­ner wuchs in Johan­nes­burg auf, als Wei­ßer in Hill­brow, einem der kri­mi­nells­ten Vier­tel der Stadt. Er ging nach Eng­land, arbei­te­te für eine nor­we­gi­sche Ölfir­ma, mach­te gutes Geld. Jetzt ist er zurück in Süd­afri­ka, besucht Ver­wand­te, die Arbeit hat er gekün­digt. Es bleibt offen, wie­so. Rood ist in Johan­nes­burg also Ein­hei­mi­scher und Tou­rist zugleich. Die Immo­bi­li­en in Mabo­neng sind erschwing­lich für ihn. Es ist womög­lich die­ser son­ni­ge Tag im April, der sei­nem Leben eine neue Wen­dung geben wird.

Sams­tag­mor­gen, das Wochen­en­de hat begon­nen. Stil­si­cher geklei­de­te Bohe­mi­ens füh­ren ihre Gar­de­ro­be aus: Skin­ny Jeans, Vin­ta­ge-Shirts, Sak­kos mit Ein­steck­tuch, Snea­k­er in Bon­bon­far­ben, schwe­re Gold­ket­ten, die mit gro­ßem Ernst, aber wohl doch ein wenig hal­bi­ro­nisch getra­gen wer­den. In die­ser »con­nec­ted urban neigh­bour­hood«, so steht es auf einem Schild, sind die Leu­te gut drauf, was ver­mut­lich auch damit zusam­men­hängt, dass sie für süd­afri­ka­ni­sche Ver­hält­nis­se ziem­lich wohl­ha­bend sind. Die Tou­ris­ten aus Euro­pa, die vom Stil her deut­lich gegen die Ein­hei­mi­schen abfal­len, lau­fen stau­nend die Fox Street ent­lang und fra­gen sich, ob sie hier wirk­lich in der Innen­stadt von Johan­nes­burg sind. Kur­ze Erin­ne­rung: Sicher­heits­leu­te ste­hen an jeder Stra­ßen­ecke.

DSC07196DSC08234DSC07244Shop­pen und Schlem­men – beschützt von einer pri­va­ten Sicher­heits­fir­ma.

Johan­nes­burg hat­te lan­ge den Ruf als gefähr­lichs­te Stadt der Welt. Das war in den neun­zi­ger Jah­ren, als die Apart­heid abge­schafft wor­den war und die Geschäfts­leu­te die Innen­stadt ver­lie­ßen, um sich im Nor­den der Stadt nie­der­zu­las­sen. Die Mord­ra­te soll damals die Zahl der Ver­kehrs­un­fäl­le über­stie­gen haben. Heu­te hat Johan­nes­burg einen klei­nen, gesun­den Hype. Die Down­town gilt für wei­ße Tou­ris­ten aller­dings immer noch als No-Go-Zone. Aber nicht Mabo­neng.

»It was a rough place«, erzählt Dario Man­ja­te, der die Gegend schon kann­te, bevor Pro­per­tui­ty 2009 damit begann, Gebäu­de auf­zu­kau­fen und an jun­ge Unter­neh­mer zu ver­mie­ten. Der Künst­ler ist an die­sem Abend nach Mabo­neng gekom­men, weil in der Gale­rie Imba Ya Sarai eine Aus­stel­lung eröff­net, die sei­ne Wer­ke zeigt. Es sind Col­la­gen aus Maga­zin­schnip­seln, mit etwas Abstand erkennt man dar­in ein Frau­en­ge­sicht. Es gehört Man­ja­tes Nich­te.

Drei­mal sei er in der Down­town mit­ten am Tag über­fal­len wor­den, berich­tet der Süd­afri­ka­ner. Gäbe es Mabo­neng nicht, sagt er, dann müss­te man in der Gegend gro­ße Angst haben. Er habe nie geglaubt, dass es hier ein­mal so sicher sein wür­de. In den Häu­sern der Nach­bar­schaft könn­ten sich kei­ne Kri­mi­nel­len mehr ver­ste­cken, im Gegen­satz zu den »van­da­li­zed buil­dings« ganz in der Nähe. »I hope the­re will be more places like this«, sagt Man­ja­te. Für ihn als Künst­ler wäre das för­der­lich.

»This place beca­me a hot­spot«, fin­det auch Ben Tuge, eben­falls Künst­ler, der hier sei­ne Wer­ke aus­stellt. Er trägt eine schwar­ze Leder­ja­cke, schwar­ze Müt­ze, die Bril­le hängt ihm vor der Brust. Tuge kam vor 15 Jah­ren aus Sim­bab­we nach Süd­afri­ka. Auch die Kunst sei für ihn eine Rei­se gewe­sen. »You have to prac­ti­ce. You have to under­stand yours­elf.« Sei­ne aus wei­chem Holz geschnitz­te, etwa einen Meter hohe und über­aus anmu­ti­ge Frau­en­fi­gur kos­tet 18.000 Rand. Der deut­sche Besu­cher rech­net nach: mehr als 1000 Euro, doch etwas zu viel für ein Mit­bring­sel.

DSC07178Künst­ler Ben Tuge: drei Monats­ein­kom­men für eine Sta­tue.

Die Men­schen, die vor einem Monat nur ein paar Blö­cke wei­ter auf die Stra­ße gin­gen und irgend­wann Geschäf­te geplün­dert haben, müss­ten für Ben Tuges Figur sta­tis­tisch gese­hen unge­fähr drei Mona­te arbei­ten – wenn sie Arbeit hät­ten. Es sind sol­che Zah­len­spie­le, die viel­leicht erklä­ren, war­um die Stim­mung so auf­ge­heizt ist, dass sie sich in einem der­ar­ti­gen Gewalt­aus­bruch ent­la­den hat. »It was just a mat­ter of time until Jep­pe locals stood up against the aggres­si­ve deve­lo­p­ment of Mabo­neng«, kom­men­tier­te eine Frau auf Twit­ter.

Foto­re­por­ter John Wes­sels fährt den Ort des Gesche­hens noch ein­mal ab. Er steu­ert sei­nen Wagen über die Main Street, dann in die Bet­ty, die Mar­shall und rüber zur Madi­son. Er fährt nicht zu schnell und nicht zu lang­sam. Und nicht zu weit nach Süden, denn er will nicht, dass sein Gesicht dort erkannt wird.

Kei­ne zehn Minu­ten zu Fuß von Mabo­neng ent­fernt steht das soge­nann­te Hos­tel, wo frü­her die Mit­ar­bei­ter der staat­li­chen Minen­fir­ma wohn­ten, eine Wohn­ba­ra­cke, in der heu­te meh­re­re hun­dert Män­ner unter erbärm­li­chen Bedin­gun­gen leben. Das Haus wur­de wie so vie­le Gebäu­de in der Innen­stadt irgend­wann ein­fach besetzt. Wes­sels fährt nicht direkt dort vor­bei. Aber er zeigt die geplün­der­ten Shops in der Nähe, die Ein­schuss­lö­cher der Poli­zei­ge­schos­se, Schmauch­spu­ren an den Fas­sa­den.

Vie­le Men­schen hier sei­en in Gangs orga­ni­siert, erzählt Wes­sels, der auf sei­ner Fahrt die ande­re, die Kehr­sei­te von Mabo­neng zei­gen will, wie er sagt. Die Demons­tra­ti­on sei gut abge­stimmt gewe­sen, alle hät­ten Bescheid gewusst. Wie auf Kom­man­do sei­en Stei­ne von den Dächern geflo­gen, als die Poli­zei anrück­te. Er hat Män­ner auf den Häu­sern schon mit Feu­er­waf­fen gese­hen.

Wes­sels kennt die Gegend gut, er wohnt seit eini­ger Zeit in Mabo­neng, aber nimmt gewis­ser­ma­ßen die Rol­le des neu­tra­len Beob­ach­ters ein. Er grüßt die Ver­käu­fer auf dem nahen Zulu-Markt, den Schrott­händ­ler aus Indi­en, die Ein­wan­de­rer aus Ben­in oder Mosam­bik mit ihren klei­nen Shops, den ehe­ma­li­gen Jäger und Extrem­sport­ler Swa­zi Wer­ner in sei­ner abge­dreh­ten Zebra Bar, wo fast 100 aus­ge­stopf­te Anti­lo­pen, Zebras und Affen an der Wand hän­gen. Wes­sels hält ihn fest: den Gegen­satz aus Arm und Reich, der hier auf beson­ders engem Raum offen­sicht­lich wird.

DSC08176DSC08156DSC08148DSC08166Auf­stand der Armen: Spu­ren der Ver­wüs­tung in Jep­pes­town.

Alles sei ein Miss­ver­ständ­nis gewe­sen, erklärt Bhe­ki Dube, Betrei­ber der Curio­ci­ty Back­pa­ckers an der Fox Street. Auch ein Hos­tel, aber in die­sem Fall ers­te Anlauf­stel­le für Tra­vel­ler, die auf ihrer Süd­afri­ka-Rund­rei­se kei­nen Bogen um Johan­nes­burg machen. Pro­per­tui­ty habe den kri­ti­schen Räu­mungs­be­scheid nicht geschickt, son­dern eine ande­re Immo­bi­li­en­fir­ma, sagt Dube. Das ist rich­tig. In den loka­len Medi­en und sozia­len Netz­wer­ken wur­de spe­ku­liert, wel­ches Unter­neh­men es dann gewe­sen sein könn­te, Pro­per­tui­ty jeden­falls nicht. Doch das Vor­zei­ge­pro­jekt Mabo­neng war als Pro­jek­ti­ons­flä­che für die Wut der Habe­nicht­se ein­fach zu pas­send. Weil der Auf­stand von der Poli­zei nie­der­ge­schos­sen wur­de, kehr­te aller­dings schnell wie­der Ruhe ein.

Bhe­ki Dube spricht nicht so ger­ne über die denk­wür­di­ge Nacht vor vier Wochen. Lie­ber erzählt er von der Zukunft. »This is the most tal­ked-about neigh­bour­hood of Johan­nes­burg«, sagt er. Zwar gibt es auch ande­re Krea­tiv­stand­or­te wie 44 Stan­ley in Rich­mond, aber dort ist alles geho­be­ner, es wer­den anti­ke Möbel aus Euro­pa ver­kauft, und Mel­ville ist nicht fern, wo man über kei­ne Mau­er stei­gen kann, ohne dass der Strom einen umwirft. Mabo­neng dage­gen hat einen wil­den Ruf.

Die über­schau­ba­re Nach­bar­schaft kön­ne ein Vor­bild für die Stadt sein, fin­det Dube. Tat­säch­lich will die Stadt­re­gie­rung die Down­town wie­der­be­le­ben, rie­si­ge Pla­ka­te an leer­ste­hen­den Hoch­häu­sern kün­di­gen eine »radi­cal trans­for­ma­ti­on« an. Dube sieht in Mabo­neng so etwas wie einen Fun­ken, der die gan­ze Stadt anfeu­ern könn­te. Er wählt eine ande­re Meta­pher: »Let the bubble grow, let it explo­de and spread up.« Dube lässt kei­nen Zwei­fel dar­an, dass er es ernst meint.

Der Self­ma­de-Unter­neh­mer ist Foto­graf, er reis­te durch Süd­afri­ka und mach­te Bil­der von Hos­tels, schau­te sich Kon­zep­te an. Dann kam Pro­per­tui­ty mit CEO Jona­than Lieb­man, der unter ande­rem in Brook­lyn gelernt hat, wie man ver­ru­fe­ne Stadt­tei­le in Sze­ne­vier­tel ver­wan­delt. Das Curio­ci­ty war gebo­ren, Able­ger in Kap­stadt und Dur­ban sind schon geplant. »In five years this will be the lea­ding hos­tel in South Afri­ca«, pro­gnos­ti­ziert Dube. Er ist 23 Jah­re alt.

Das Curio­ci­ty ist ein Ort, wie ihn sich der Rei­sen­de wünscht: Indus­trie­de­sign, güns­ti­ge und sau­be­re Zim­mer, freund­li­che Mit­ar­bei­ter, die Stadt­füh­run­gen und Aus­flü­ge orga­ni­sie­ren und dem Gast das Gefühl ver­mit­teln, auf Augen­hö­he mit ihm umzu­ge­hen. Man erzählt die span­nen­de Geschich­te, dass sich Nel­son Man­de­la einst in dem Gebäu­de ver­steckt hielt, als er in der Zeit­schrift »Fight­ing Talk« für den Afri­can Natio­nal Con­gress (ANC) poli­ti­sche Streit­schrif­ten ver­öf­fent­lich­te. Abends wird zusam­men Bil­lard gespielt, und vie­le Tou­ris­ten hier glau­ben, schon nach kur­zer Zeit klei­ne Freund­schaf­ten mit den »locals« zu schlie­ßen.

Der in Deutsch­land etwas über­stra­pa­zier­te Kampf­be­griff Gen­tri­fi­zie­rung ist auch in Johan­nes­burg ein Schlag­wort, das für Dis­kus­sio­nen sorgt. Dube hält ihn mit Blick auf Mabo­neng für nicht pas­send. »The rents go up. That’s natu­ral pro­gres­si­on«, sagt er. Im Übri­gen brau­che man das Geld der »upper class« – er hält kurz inne und ergänzt: und der »midd­le class« – um ein Vier­tel zu ent­wi­ckeln. Wenn die Regie­rung sich so ein Pro­jekt vor­neh­me, dann daue­re das drei oder viel­leicht auch fünf Jah­re, bis etwas pas­siert. Oder es tut sich über­haupt nichts. Pro­per­tui­ty ist da deut­lich schnel­ler und mit sei­ner Expan­si­on noch lan­ge nicht am Ende.

DSC07234DSC07278DSC08059Curio­ci­ty Back­pa­ckers, Bhe­ki Dube, Mabo­neng: ein gutes Geschäft.

An der Ecke Bea­con /​ Lower Ross steht James Rood vor einem gewal­ti­gen Wohn­block mit dem Kon­ter­fei Nel­son Man­de­las. Pro­per­tui­ty reno­viert das Gebäu­de, Arbei­ter hocken auf dem Dach, im Erd­ge­schoss gibt es ein Geschäft, das durch ein Schild schon als zukünf­ti­ge Cup­ca­ke-Bar aus­ge­wie­sen ist. Die Immo­bi­li­en­fir­ma infor­miert über die Apart­ments, die hier ent­ste­hen sol­len. 45 bis 65 Qua­drat­me­ter, das sei für ihn zu wenig, sagt Rood. 100 Qua­drat­me­ter sei­en bes­ser. Im Curio­ci­ty lässt er sich spä­ter die Bau­plä­ne des Wohn­kom­ple­xes zei­gen.

Pro­per­tui­ty gehö­ren nach eige­nen Anga­ben bereits mehr als 35 Gebäu­de in der Gegend. Mabo­neng soll vor allem nach Nor­den hin wach­sen, mit Pres­ti­ge­ob­jek­ten wie dem Hall­mark House an der Sie­mert Road, »the most desi­ra­ble life­style space on the Afri­can con­ti­nent«, wie es in der Wer­be­bro­schü­re heißt. Die Pent­house-Suite hat 125 Qua­drat­me­ter plus eine 48 Qua­drat­me­ter gro­ße Außen­ter­ras­se. Aber auch süd­lich der Fox, mehr in Jep­pes­town, sind moder­ne Apart­ment­kom­ple­xe geplant. Eines heißt Craftsmen’s Ship, designt vom bekann­ten süd­afri­ka­ni­schen Künst­ler Ste­phen Hobbs. Ins­ge­samt 193 Wohn­ein­hei­ten gibt es, außer­dem einen Pool. 29 Qua­drat­me­ter sind für knapp eine hal­be Mil­li­on Rand zu haben, das sind 30.000 Euro, ein ech­tes Schnäpp­chen.

Noch sehen vie­le Stra­ßen­zü­ge trost­los aus. Ärm­lich geklei­de­te Men­schen schie­ben sich an Häu­ser­wän­den ent­lang, Rat­ten wüh­len im Müll, auf­ge­ris­se­ne Bür­ger­stei­ge. In wel­chen Gebäu­den ein­mal die urba­ne Krea­tiveli­te Johan­nes­burgs resi­die­ren wird, davon zeu­gen an vie­len Stel­len bis­lang nur Graf­fi­tis. Es sind kei­ne hin­ge­schmier­ten Tags, son­dern groß­flä­chi­ge Kom­po­si­tio­nen von ange­heu­er­ten Künst­lern, so wie das Bild von Man­de­la, das Tou­ris­ten begeis­tert von der tol­len »Street Art« schwär­men lässt. Pro­per­tui­ty bedient sich einer Aus­drucks­form der Stra­ße, aber es bleibt offen, ob es ein Zei­chen der Annä­he­rung ist oder der Ver­drän­gung, die Ver­ein­nah­mung des Geg­ners mit den Mit­teln der ande­ren Sei­te.

DSC07283DSC08029DSC08038DSC08113DSC08187DSC08035DSC08031Streif­zug durch Mabo­neng und Umge­bung: Pent­hou­ses im Elends­vier­tel.

Auf dem Food Mar­ket im Arts on Main, einer alten Lager­hal­le, in der Mabo­neng gewis­ser­ma­ßen sei­nen Aus­gang nahm, stellt man sich sol­che Fra­gen eher nicht. Dafür gibt es aus­ge­zeich­ne­te Küche. Thai-Gerich­te, Cur­rys, Buri­tos, Kuchen, craft beer aus Sowe­to. An vie­len Stän­den wer­den Pro­bier­häpp­chen ange­bo­ten. Alles wirkt erstaun­lich bür­ger­lich. Als Vor­bild dient der Neigh­bour­goods Mar­ket in Bramfont­ein, der auch erst 2006 von zwei jun­gen Krea­ti­ven gegrün­det wur­de und für das neue, trend­be­wuss­te Johan­nes­burg steht. Vie­le Köche trifft man auf bei­den Märk­ten. »Kuli­na­rik ist ein gro­ßes The­ma«, mit einer sol­chen Leer­for­mel wür­den Tou­ris­mus­ver­mark­ter die Bedeu­tung des Arts On Main für Mabo­neng umschrei­ben.

Vie­le Tou­ris­ten sna­cken sich hier durch den Mit­tag, aber auch wohl­ha­ben­de Johan­nes­bur­ger aus den rei­chen Vor­or­ten im Nor­den, aus Sand­ton und Rose­bank, wo es aus­sieht wie in Euro­pa. Sie kom­men mit ihren Limou­si­nen und SUVs her­un­ter, weil die­se Nach­bar­schaft hier ein hip­pes und gleich­zei­tig siche­res Wochen­end­ver­gnü­gen ver­spricht. Und tat­säch­lich wirkt ja eine Gated Com­mu­ni­ty wie zum Bei­spiel Mel­ro­se im Gegen­satz zu Mabo­neng unend­lich trost­los.

Abends ver­la­gert sich das Trei­ben in Rich­tung Pata­pa­ta. In dem Restau­rant wer­den Wein­fla­schen ent­korkt und zar­te Filets ser­viert. Im Thea­ter neben­an inter­pre­tiert eine jun­ge Künst­ler­grup­pe an die­sem Tag Shake­speares »Som­mer­nachts­traum«. Und in der Roof­top-Bar in der Kru­ger Street genie­ßen jun­ge Men­schen ihren Sun­dow­ner. Ein DJ legt auf, über Johan­nes­burg geht die Son­ne unter. Mabo­neng, das ist ein Ort für die neue krea­ti­ve Klas­se im Sin­ne Richard Flo­ri­das, die Avant­gar­de der Glo­ba­li­sie­rung, jun­ge Unter­neh­mer, für die guter Geschmack und Stil­emp­fin­den immer schon fast genau­so wich­tig waren wie Pro­duk­ti­vi­tät und Geschäfts­sinn.

Eine jun­ge Schmuck­de­si­gne­rin auf dem Arts On Main hat eine ande­re Per­spek­ti­ve auf das Vier­tel: »It’s esca­pist land. It’s a peep show.« Die jun­ge Frau nicht will, dass ihr Name irgend­wo erscheint, sonst wer­de sie nicht mehr ein­ge­la­den. »You can’t have one street that is para­ly­zing clean, and ever­y­thing around is fal­ling apart«, sagt sie. Die loka­le Gemein­schaft pro­fi­tie­re kaum. »They call it com­mu­ni­ty deve­lo­p­ment, but it isn’t.« Man nut­ze die Men­schen und ihre Kul­tur für das Image des Vier­tels. »But how are they empowered?« Inwie­weit wer­den die armen Men­schen rund um Mabo­neng ermäch­tigt, ihr Leben zu ver­bes­sern?

DSC08094DSC08216DSC08203Orga­nic-Food-Idyl­le: der Markt im Arts On Main.

Pro­per­tui­ty lie­fert ein paar Ant­wor­ten: »A gre­at part of the Mabo­neng Pre­cinct is about empowe­ring young entre­pre­neurs and gro­wing the local eco­no­my«, teilt das Unter­neh­men mit. Güns­ti­ge Mie­ten sol­len den Men­schen die Mög­lich­keit geben, ihr eige­nes Geschäft zu star­ten. Es gibt das Kon­zept »Made in Mabo­neng«, das den Ver­kauf von lokal her­ge­stell­ten Waren för­dern soll. Mit dem Lale­la Pro­ject hat sich eine Initia­ti­ve in Mabo­neng ein­ge­mie­tet, die Kin­der von der Stra­ße künst­le­risch aus­bil­det, um ihnen auf die­se Wei­se ein Ein­kom­men zu besche­ren. In einer Gale­rie wer­den Shirts und Post­kar­ten der Mar­ke iwasshot in job­urg ver­kauft. Das gefähr­li­che Image der Stadt kom­mer­zi­ell ver­mark­ten, um den armen Kids zu hel­fen: War­um nicht?

Dass sich Mabo­neng und die Welt jen­seits sei­ner Gren­zen aber höchs­tens im Rah­men von Cha­ri­ty-Pro­jek­ten näher­kom­men, dürf­te allein am Preis­ni­veau lie­gen. Kaum einer der ansäs­si­gen Bewoh­ner kann es sich leis­ten, hier zu essen, zu fei­ern, zu woh­nen oder ein­zu­kau­fen. Das Kul­tur­ange­bot des Vier­tels wird von und für Men­schen gestal­tet, die nicht aus Jep­pes­town kom­men. Der Pub Fox Denn, wo zu hyp­no­ti­scher Musik bil­li­ges Bier getrun­ken wird, liegt eine Minu­te vom Pata­pa­ta ent­fernt. Doch es sind zwei Wel­ten, die nichts mit­ein­an­der zu tun haben.

James Rood fährt nachts mit einem Miet­wa­gen durch die Stadt. Er war in Mel­ville essen, abends ist dort nicht mehr viel los. Das Auto rollt jetzt durch Hill­brow, das Vier­tel sei­ner Kind­heit, zurück in Rich­tung Mabo­neng. Der Strom ist aus­ge­fal­len, das pas­siert gera­de häu­fig in Johan­nes­burg, weil die Kraft­wer­ke über­las­tet sind. Rood schnippt die Ziga­ret­te aus dem offe­nen Fens­ter in die Düs­ter­nis der Nacht und denkt nach. Soll er zuschla­gen? »May­be that’s the most stu­pid idea of my life«, sagt er. Am Ende wird er zwei Apart­ments kau­fen.

Letz­ter Abend in Mabo­neng, das Pata­pa­ta hat heu­te geschlos­sen. Über­haupt es ist ver­däch­tig leer im gan­zen Vier­tel. In Süd­afri­ka kommt es gera­de zu ras­sis­ti­schen Aus­schrei­tun­gen gegen Ein­wan­de­rer aus ande­ren afri­ka­ni­schen Län­dern. In Dur­ban haben sie einem Mann einen Auto­rei­fen über­ge­stülpt und die­sen in Brand gesteckt. Die Shops der Ein­wan­de­rer in Jep­pes­town sind ver­bar­ri­ka­diert. Wie­der gibt es Plün­de­run­gen, bren­nen­de Rei­fen, Schüs­se in der Nacht. Die Mit­ar­bei­te­rin im Curio­ci­ty Back­pa­ckers öff­net die Vor­der­tür und lauscht in die fri­sche April­luft. Die Stra­ße hin­auf grö­len Män­ner. »It is not safe«, sagt sie zu ihren Gäs­ten.

Für Pro­per­tui­ty ist Mabo­neng ein gutes Geschäft. Aber auch eine Visi­on, die von der Hal­tung getra­gen ist, die Welt bes­ser zu machen. Womög­lich geht bei­des oft Hand in Hand. Es ist ein Ort, an dem der Rei­sen­de aus Mit­tel­eu­ro­pa sei­ne Lebens­welt wie­der­fin­det und sich des­halb wohl­fühlt. Gen­tri­fi­zie­rung auf die har­te Tour, in einem Land, wo die Rei­chen beson­ders viel haben, die Armen gar nichts, und der Staat kei­nen Aus­gleich schafft. »Mabo­neng is a place of light«, erklärt Pro­per­tui­ty, »and home to the child­ren of the world.« So ein­fach ist es nicht.

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Antworten

  1. Avatar von Philipp Laage

    Wir sehen immer auch das, was wir mit­brin­gen.

  2. Avatar von Kasia Oberdorf

    Ein tief­grün­di­ger Bericht, der hin­ter die Kulis­sen blickt. Ich habe mich schon so oft gefragt, ob wir uns manch­mal Din­ge schön den­ken… Im Grun­de dient man­ches nur dazu, dem wei­ßen Besu­cher ein gutes Gefühl zu ver­mit­teln. Da gehört schon eini­ges dazu, das zu hin­ter­fra­gen… Lg

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