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Vielleicht sehen wir uns in Kampala

Flens­burg

Mein ers­ter Couch­sur­fer heißt Yuuna und kommt aus Japan, genauer gesagt aus Hiroshima.

Tag 1

Japan, das Land der auf­ge­hen­den Sonne.

Ich mag das.

Ich wünschte, Deutsch­land hätte so einen Namen. Wie der wohl hei­ßen würde?

  • Land der Fliesentische ©
  • Land der Schre­ber­gär­ten ©
  • Land der schon zehn Minu­ten vor Öff­nung vor Aldi – Ste­her ©, oder
  • Land der Schilderwälder ©

Na gut, für eine deut­sche Mar­ke­ting-Offen­sive wäre ich wahr­schein­lich eher ungeeignet.

Yuuna kommt schnau­fend die Treppe hoch­ge­lau­fen, einen gro­ßen Ruck­sack auf dem Rücken, einen klei­ne­ren vor den Bauch gespannt und ein über­di­men­sio­na­les Kame­ra­sta­tiv in der Hand.

Es ist kurz vor acht Uhr mor­gens, die Nacht hat er auf irgend­ei­ner Rast­stätte in Däne­mark verbracht.

Eine knappe Woche hat er gebraucht, um von Nor­we­gen bis nach Flens­burg zu tram­pen. Hier will er sich ein paar Tage aus­ru­hen, bevor er weiterreist.

„Willst du einen Tee?“, frage ich ihn, nach­dem er sein Gepäck im Wohn­zim­mer neben der Matratze abge­legt hat, die ich für ihn bereit­ge­stellt habe.

„Ja, gerne“, ant­wor­tet Yuuna und nickt dabei.

„Oder lie­ber Kaffee?“

„Ja, gerne. Kaf­fee ist auch sehr gut“, ant­wor­tet Yuuna.

„Also lie­ber Tee oder Kaf­fee?“, frage ich.

„Was du trinkst“, sagt Yuuna, immer noch lächelnd und wei­ter­hin mit dem Kopf nickend.

„Ich habe gerade schon einen Kaf­fee getrun­ken, ich bin zufrie­den, ich brau­che kei­nen mehr. Aber ich kann dir machen, was du möch­test“, sage ich, wor­auf Yuuna ant­wor­tet, dass er dann auch zufrie­den sei und eben­falls nichts zu trin­ken brauche.

Ich bin beken­nen­der Mor­gen­muf­fel, wes­halb es für der­ar­tig aus­ufernde Höf­lich­kei­ten ein­fach noch zu früh ist. Außer­dem würde das Spiel­chen wahr­schein­lich noch ewig so wei­ter gehen.

„Ich mache uns jetzt ein­fach zwei Kaf­fee, du musst ihn nicht trin­ken. Aber du kannst“, sage ich, brühe zwei Tas­sen auf, wovon Yuuna eine dank­bar annimmt und wir set­zen uns auf unse­ren Bal­kon, um etwas zu schna­cken, bevor ich zur Arbeit muss.

Der Japa­ner ist 35 und mit 18 Jah­ren ange­fan­gen zu rei­sen. Über 80 Län­dern hat er bereits besucht. In eini­gen blieb er meh­rere Monate.

Als ich abends von der Arbeit nach Hause komme, essen wir eine Klei­nig­keit, hören Musik und set­zen uns anschlie­ßend wie­der auf den Bal­kon, um den Tag lang­sam aus­klin­gen zu lassen.

Yuuna ist viel zu beschei­den, um von selbst anzu­fan­gen von sei­nen Aben­teu­ern in aller Welt zu erzäh­len, doch je wei­ter der Abend vor­an­schrei­tet, desto mehr taut er auf und desto mehr Geschich­ten kom­men zutage.

Ob die höchste Aus­sichts­platt­form in Auckland/Neuseeland, den schöns­ten Strand von Bra­si­lien, den bes­ten Glüh­wein auf dem Lübe­cker Weih­nachts­markt oder das leckerste Essen im Nor­den Indi­ens, Yuuna hat ein Gedächt­nis wie ein Atlas und zu jedem Win­kel der Erde etwas zu erzählen.

Manch­mal blickt er nach oben an die Decke um einen Gebirgs­zug im Hima­laya oder eine Route nach Machu Pichu zu beschrei­ben, als würde er den Weg noch ein­mal vor sei­nem geis­ti­gen Auge gehen.

Es ist eine Freude ihm zuzu­hö­ren und sei­nen Geschich­ten zu lau­schen, denn ich habe sel­ten einen so pas­sio­nier­ten Rei­sen­den getroffen.

Die Län­der, die er besucht, sind nicht nur Häk­chen auf einer Checkliste.

Es schwingt fast schon so etwas wie Liebe in sei­nen Wor­ten mit, wenn er von eini­gen Orten erzählt.

Tag 2

Besuch zu haben hat, abge­se­hen von der net­ten Gesell­schaft, durch­aus noch andere Vor­teile. Nicht nur ist meine Woh­nung auf­ge­räum­ter als sonst, ich ent­de­cke auch jedes Mal etwas Neues in der Stadt.

Denn wenn man mit Frem­den durch Flens­burg läuft, sieht man seine eigene Stadt oft­mals eben­falls wie­der wie beim ers­ten Mal. Ver­meint­li­che Nich­tig­kei­ten, die durch eine über die Zeit ein­ge­setzte Rou­tine ent­we­der in Ver­ges­sen­heit gera­ten, oder ein­fach noch nie wirk­lich bewusst wahr­ge­nom­men wor­den sind, fal­len einem plötz­lich ins Auge, als wären sie nie zuvor da gewesen.

Die Gie­bel der alten Kauf­manns­häu­ser in der Fuß­gän­ger­zone bei­spiels­weise. Yuuna ist archi­tek­tur­in­ter­es­siert und blickt daher wesent­lich öfter nach oben als ich, der ich meist von den Schau­fens­tern der Geschäfte oder dem Trei­ben auf der Straße abge­lenkt bin. Oder die Hin­ter­höfe eben­die­ser Häu­ser, an denen ich meist vor­bei laufe, um mög­lichst schnell von A nach B zu kommen.

Must go auf jeder Tour durch die Stadt ist ein Stop bei Bens Fischbude.

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Wer kein Fisch­bröt­chen bei Ben gehabt hat, kann nicht wirk­lich behaup­ten, in Flens­burg gewe­sen zu sein.

Mit einem Fisch­bröt­chen in der Hand auf den alten Plan­ken des Boll­werks zu sit­zen und den Schif­fen im sanf­ten Spiel der Wel­len zuzu­se­hen. Das ist wie eine Woche Urlaub.

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Auch die „Dag­mar Aaen“, der alte Hai­fisch­kut­ter des Welt­um­seg­lers, Aben­teu­rers und Kli­ma­ak­ti­vis­ten Arved Fuchs liegt vor uns im Hafen.

Ich erzähle Yuuna von ein paar sei­ner Expe­di­tio­nen. Wie er als ers­ter Mensch den Nord­pol ohne Eis­bre­cher umse­gelt ist. Wie er und der Berg­stei­ger Rein­hold Mess­ner als erste zu Fuß die Ant­ark­tis durch­quert haben und er im glei­chen Jahr, eben­falls zu Fuß, erfolg­reich zum Nord­pol auf­brach. Oder wie er mit dem Hun­de­schlit­ten Grön­land durch­quert hat und mit einem Falt­boot um Kap Horn gepad­delt ist, bevor ich mich wie­der voll und ganz mei­nem Fisch­bröt­chen zuwende.

„Hmm, mein Gott, ist das gut“, sage ich wäh­rend ich beherzt einen Bis­sen mei­nes Bröt­chens nehme.
„Hmm“, sagt auch Yuuma als er eben­falls in sein Fisch­bröt­chen beißt, „Der ist ja ein rich­ti­ger Held“
„Wer, Ben? Auf jeden Fall. Bes­sere Fisch­bröt­chen gibt es nirgends!“
„Nein, nein. Ich meine den Abenteurer“
„Ach, der. Ja, der auch“, pflichte ich ihm bei.

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Wir blei­ben noch etwas sit­zen und genie­ßen den Blick auf die Förde, bevor uns ein plötz­lich ein­set­zen­der Schauer zwingt, uns einen Unter­schlupf zu suchen.

„Schöne Stadt. Nur ein biss­chen mehr Sonne wäre schön“, sagt Yuuna.

„Du klingst schon fast wie ein Ein­hei­mi­scher“, ant­worte ich.

Aber ich freue mich natür­lich, dass es ihm hier gefällt.

Ande­rer­seits ist Yuuna ein so posi­ti­ver Mensch, dass er wahr­schein­lich so gut wie allen Orten auf der Welt etwas Posi­ti­ves abge­win­nen könnte.

Sogar Kiel.

Tag 3

Drei Nächte über­nach­tet Yuuna bei uns auf der Gäs­te­ma­tratze. In mei­nen Mit­tags­pau­sen tref­fen wir uns zum Essen, Abends set­zen wir uns meist an den Hafen, genie­ßen den Son­nen­un­ter­gang und reden über die Welt.

 

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Yuuna reist alleine. So ist er unab­hän­gig. Doch gleich­zei­tig sehnt er sich nach Gesell­schaft, wes­we­gen Couch­sur­fing für ihn die per­fekte Mög­lich­keit ist, Fremde in einer Stadt ken­nen­zu­ler­nen, auf die er auf der Straße nie­mals zuge­hen würde.
»Ich reise gerne allein, aber vor ande­ren ist mir das oft pein­lich. Ich fühle mich unwohl, wenn ich bei­spiels­weise alleine in einem Restau­rant sitze und jemand fragt, wie viele Per­so­nen noch kom­men und ich sagen muss »Nur ich«“, erzählt er.

„Beim Couch­sur­fen wird mir die­ses Gefühl genom­men. Dann bin ich nicht mehr alleine. Manch­mal ist es, als ob ich am ande­ren Ende der Welt plötz­lich eine Fami­lie habe. Dann habe ich keine Angst mehr“, sagt er.

Tag 4

Irgend­wann ist dann der letzte Mor­gen angebrochen.

Ich habe nichts als Gegen­leis­tung für die Nächte bei uns erwar­tet, schon gar nicht von einem Welt­rei­sen­den, der jeden Cent gebrau­chen kann.

Doch als ich schlaf­trun­ken zu unse­rem Ess­tisch komme, ste­hen dort lie­be­voll auf­ge­stellt eine Reihe bun­ter Ori­gami-Figu­ren, die Yuuna in der Nacht für uns gefal­tet hat.

Alles was er besitzt, trägt er in einem Ruck­sack mit sich um die Welt. Auch das bunte Papier, aus dem er die klei­nen Tiere und Blu­men gefal­tet hat, hat er mit sich aus Japan bis nach Flens­burg getragen.

Ich bin sicht­lich gerührt.

Wir früh­stü­cken anschlie­ßend zusam­men und ich bringe ihn zum Bahn­hof, wo er einen Bus nach Ham­burg nimmt, um von dort aus nach Istan­bul zu flie­gen. Anschlie­ßend will er von der Tür­kei durch den Bal­kan bis nach Öster­reich tram­pen, um dann wei­ter nach Frank­reich zu reisen.

Er fragt mich, ob ich in nähe­rer Zukunft eben­falls eine Reise geplant habe, was ich bejahe.

„Im Sep­tem­ber geht es nach Ost­afrika“, sage ich und erzähle ihm, dass wir noch kei­nen wirk­li­chen Plan haben, außer, dass unsere Reise in der ugan­di­schen Haupt­stadt Kam­pala startet.

„Super, im Sep­tem­ber habe ich noch nichts vor. Schreib mir ein­fach, wann ihr genau fahrt. Viel­leicht sehen wir uns dann ja in Kam­pala“, sagt er, winkt mir noch ein­mal zu und steigt in den Bus.

Ja, viel­leicht sehen wir uns in Kampala.

Ver­rück­ter Vogel.

Ich werde ihn vermissen.

Cate­go­riesDeutsch­land
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Lennart Adam

Lennart ist Ostfriese. Sein Geld verdient er als Journalist in Flensburg, um es auf Reisen wieder auszugeben.
Reisen wird für ihn besonders dann zum Erlebnis wenn Unerwartetes passiert. Wenn man Pläne über Bord wirft und sich stattdessen vom Zufall leiten lässt, offen ist fürs Unbekannte, fürs Abenteuer. Wenn man auf Fremde zugeht, sich ausprobiert, Ängste überwindet und Grenzen neu definiert. Und wenn man anschließend die richtige Bar findet.

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