Wie ich lernte, an das Übersinnliche zu glauben

Dezem­ber 2010 bekam ich die mit zit­tern­den Hän­den und Knien ersehn­te Mail: Ich wür­de einen Frei­wil­li­gen­dienst machen dür­fen. Wohin genau die Rei­se gehen soll­te, wuss­te ich noch nicht, aber ich begann mich schon ein­mal mit Infor­ma­tio­nen bzw. Vor­freu­de-Mate­ri­al zu Latein­ame­ri­ka, beson­ders zu den Anden­län­dern Peru, Boli­vi­en und Ecua­dor ein­zu­de­cken. Und da fiel mir das GEO Spe­zi­al Peru und Boli­vi­en in die Hän­de, in dem die bei­den Län­der als Orte beschrie­ben wur­den, in denen das Magi­sche noch immer All­tag ist. Naja, dach­te ich. In irgend­wel­chen abge­schnit­te­nen Anden­dör­fern viel­leicht, aber bestimmt nicht in den gro­ßen Städ­ten – da ist die Moder­ne schließ­lich schon lan­ge ange­kom­men. Als ich dann wuss­te, dass ich in der 10-Mil­lio­nen-Metro­po­le Lima leben wür­de, ver­warf ich den Gedan­ken an das Magi­sche völ­lig. Wo soll­ten denn bit­te Geis­ter und Gespens­ter noch Platz fin­den zwi­schen grau­en Hoch­häu­sern, stin­ken­den Klein­bus­sen und Men­schen­mas­sen?

Kurz nach mei­ner Ankunft hat­te ich eine fie­se Bla­sen­ent­zün­dung, die auf die Nie­ren über­ging, und ich lag ein paar Tage im Bett. Mei­ne Mit­frei­wil­li­ge kam von der Arbeit und mein­te, unse­re Che­fin hät­te nach mir gefragt. Ob denn viel­leicht ein Geist in mei­nem Zim­mer woh­nen wür­de und ich des­halb krank wäre. Wir soll­ten bes­ser mal nach­se­hen. Aber wie genau ein Geist aus­sä­he, wüss­te sie auch nicht, und, naja, ohne die­se Infor­ma­ti­on fan­den wir auch kei­nen. Als ich wie­der gesund war, erzähl­te ich ein paar mei­ner perua­ni­schen Freun­den und Bekann­ten von der Geschich­te. Dass mei­ne Che­fin ein wenig ver­schro­ben war, hat­te ich ja immer schon gewusst, aber so?! Die Ant­wort war fast jedes Mal die glei­che und hau­te mich trotz­dem aus den Socken: »Und, hast du einen Geist im Zim­mer?« Ganz ernst, besorgt. Damit wäre schließ­lich nicht zu spa­ßen.

Nach und nach hör­te ich in mei­nem Umfeld ver­schie­de­ne Geis­ter­ge­schich­ten. Ein Freund von mir hat­te in sei­ner Gara­ge immer Stim­men und Geräu­sche gehört, bis ein Stück Dach mal bei einem Erd­be­ben her­un­ter­ge­kracht war. Außer­dem hat­te er mit 14 regel­mä­ßig Alb­träu­me von drei Dämo­nen gehabt. Ein ande­rer Freund erzähl­te mir von sei­nem toten Vater, der regel­mä­ßig an Aller­hei­li­gen als dicke grü­ne Flie­ge ins Haus schwirr­te. Und von einem Geis­ter­haus im Cen­tro von Lima, aus dem man ent­we­der ver­rückt oder gar nicht wie­der her­aus­kommt, wenn man wagt, es zu betre­ten.

Mei­ne Che­fin erzähl­te mir, wie sie ein­mal sams­tags allei­ne im Büro gewe­sen war und Tel­lerklap­pern aus der Küche gehört hatte.Es dau­er­te eine Wei­le, bis ich das Ver­hält­nis der Perua­ner zu ihren Geis­tern ver­stan­den hat­te. Einen Geist im Haus zu haben, ist etwas völ­lig Nor­ma­les, jeder erzählt davon wie von einem Haus­tier. Wenn es kein böser Geist ist, der dich in Alb­träu­men zum Wahn­sinn treibt, ist auch nichts Schlim­mes dar­an. Und Geis­ter ner­ven auch nur die­je­ni­gen, die Angst vor ihnen haben. Trotz­dem ist mit Geis­tern nicht zu spa­ßen, ich den­ke nicht, dass ein Perua­ner nachts allein auf den Fried­hof oder in eines der vie­len Spuk­häu­ser gehen wür­de. Dass ich selbst noch nicht so recht an die Exis­tenz von irgend­et­was Über­sinn­li­chem glaub­te, konn­ten vie­le nicht so wirk­lich nach­voll­zie­hen. »Gibt es denn in Deutsch­land kei­ne Geis­ter?«, wur­de ich mal gefragt. Was ant­wor­tet man auf so eine Frage?!Dann saß ich mal im Wohn­zim­mer und hör­te, wie der Licht­schal­ter in der Küche gedrückt wur­de. Ich stand auf, um nach­zu­se­hen, weil ich eigent­lich glaub­te, allein zu sein. Und tat­säch­lich, ich war es auch. Als ich wie­der auf dem Sofa saß, klick­te es noch ein­mal und das Licht ging wie­der aus. Mei­ne ers­te über­sinn­li­che Erfah­rung? Mei­ne ers­te Begeg­nung mit einem Geist? Inter­es­sant… Von nun an bejah­te ich die Fra­ge, ob ich an Geis­ter glaub­te, zumin­dest mit dem Zusatz: »Ja, in Peru gibt es Geis­ter.« In Deutsch­land hat­te ich zuvor jedoch noch nie einen getrof­fen.

Ich war also bereit für den zwei­ten Schritt im Bereich des Über­sinn­li­chen. Im his­to­ri­schen Zen­trum von Lima gibt es einen Markt, der von außen wirk­lich sel­ten tou­ris­tisch aus­sieht, in des­sen Innern man jedoch kaum einen Aus­län­der antrifft. Und des­sen Ange­bo­te sich auch ziem­lich von tou­ris­ti­schen Märk­ten unter­schei­den. Anstel­le bil­li­ger Kla­mot­ten, Lama­plüsch­tie­re und sons­ti­gem Krims­kams kann man dort näm­lich spi­ri­tu­el­le Rei­ni­gun­gen erste­hen, oder auch Zukunfts­weis­sa­gun­gen. Links und rechts ent­lang der Gän­ge hän­gen Schil­der mit Fotos der ein­zel­nen Scha­ma­nen und der Leis­tun­gen, die sie anbie­ten. Davor sit­zen auf Plas­tik­ho­ckern ein paar Leu­te, die dar­auf war­ten, bis der Scha­ma­ne sie hin­ter sei­nen Vor­hang holt und die jewei­li­ge Zere­mo­nie mit ihnen durch­führt.

p1020114

Ich hat­te vom Scha­ma­nen­markt gehört, weil ein Freund von mir sich mit mir zusam­men die Kar­ten legen las­sen woll­te. Sein Lieb­lings­scha­ma­ne war aller­dings im Urlaub, wes­halb wir nur ein biss­chen durch die Gän­ge spa­zier­ten. Ich las mir die ver­schie­de­nen Leis­tun­gen durch… See­len­rei­ni­gung mit einem schwar­zen Meer­schwei­chen?! »Ja, das stirbt aller­dings bei der Zere­mo­nie. Kos­tet fünf­zig Soles.« Ohje, das arme Tier­chen. See­len­rei­ni­gung mit Eiern, mit Blu­men, und … mit Quir­quincho?! Die Über­set­zung gestal­te­te sich ein biss­chen schwie­rig, aber als mir ein Bild gezeigt wur­de, ver­stand ich, dass ein quir­quincho ein Gür­tel­tier ist. Man kann sei­ne See­le mit einem Gür­tel­tier rei­ni­gen las­sen. Irgend­wie ist das seit­dem als Witz bei uns rum­ge­geis­tert, eine deu­sche Freun­din von mir woll­te es unbe­dingt aus­pro­bie­ren, und nach­dem ich ver­sucht hat­te, ein paar Freun­de aus­zu­hor­chen, wie so was denn funk­tio­niert (“Naja, dei­ne gan­zen schlech­ten Ener­gien über­tra­gen sich auf das Gür­tel­tier.” – “Ja, aber was macht das denn mit der gan­zen schlech­ten Ener­gie, das Arme?” – “Das fängt an zu wei­nen… Nein, kei­ne Ahnung.”), es aber lei­der nie­mand vor­her aus­pro­biert hat­te, wars ja klar, dass wir da Pio­nier­ar­beit leis­ten wür­den müs­sen.

Wir bei­den also rein in den Scha­ma­nen­markt und erst mal Aus­schau gehal­ten nach einem kom­pe­ten­ten Scha­ma­nen. Da wir uns ja nicht wirk­lich aus­kann­ten, haben wir ein­fach den mit der kür­zes­ten Schlan­ge davor genom­men – eine älte­re Frau, geklei­det wie vie­le Frau­en in den Anden, mit wei­ten bun­ten Röcken, die Haa­re zu Zöp­fen gefloch­ten, ein Hut auf dem Kopf. Umge­rech­net vier Euro kos­te­te der Spaß, und dann wur­den wir auch schon hin­ter den Vor­hang geführt. Ich muss­te als ers­tes ran, durf­te mich hin­set­zen und bekam zuerst ein­mal eine Hei­li­gen­fi­gur in die Hand. Dann muss­te ich schwei­gend über mich erge­hen las­sen, wie die Frau mit sehr grim­mi­gem Blick in einer Art Weih­rauch-Schwenk­vor­rich­tung ver­schie­de­ne Kräu­ter ver­brannt und mich damit ein­ge­räu­chert hat, bis ich mir das Hus­ten gera­de noch ver­knei­fen konn­te. Dabei mur­mel­te die Scha­ma­nin die gan­ze Zeit vor sich hin, bete­te an die Jung­frau von Copa­ca­ba­na und nann­te, was sie mir alles wünsch­te – Lie­be, Arbeit, Geld und mehr. (Obwohl ich, was ihren Gesichts­aus­druck anging, eher dach­te, sie wünsch­te mir den Tod.)

p1020107

Ich bekam ein paar Sprit­zer Alko­hol auf die Hand und dann wur­de das arme Gür­tel­tier aus einem nicht sehr mys­te­riö­sen Plas­tik­ei­mer unter der The­ke her­vor­ge­zo­gen. Als mir die Scha­ma­nin das Vieh gleich mal auf den Kopf setz­te, muss­te ich mir das Lachen wirk­lich ein biss­chen ver­knei­fen. Vom Kopf kam es dann auf die Schul­tern, und letzt­end­lich wur­de ich am gan­zen Kör­per damit abge­rie­ben. Dann muss­te ich noch drei­mal drauf­pus­ten und das Tier wur­de wie­der zurück in sei­nen Eimer gepackt. Wei­ter ging es mit einem Blu­men­strauß, mit dem ich von hin­ten abge­peitscht wur­de, und letzt­end­lich wur­de ich noch ein­par­fü­miert, ver­mut­lich, damit ich nicht mehr so nach Gür­tel­tier rieche.Der Scha­ma­nen­markt war für mich in dem einen Jahr, den­ke ich, die bild­lichs­te Dar­stel­lung des Slo­gans »Peru – Wo das Magi­sche noch All­tag ist«.

Die­se abso­lut un-mys­ti­sche Umge­bung mit Plas­tik­vor­hän­gen, grel­len Son­der­an­ge­bots­schil­dern und bil­li­gen Hei­li­gen­bil­dern, und dann die Scha­ma­nen mit­ten dar­in mit ihren schwar­zen Meer­schwein­chen, Gür­tel­tie­ren und hei­li­gen Blü­ten. Die Besu­cher, die teil­wei­se in lan­gen Schlan­gen dar­auf war­te­ten, dran­zu­kom­men… Ich habe öfter gehört, dass man­che Perua­ner, die kein Geld für einen Arzt­be­such auf­brin­gen kön­nen, lie­ber zu einem Scha­ma­nen gehen, der ihre Krank­heit bestimmt und ihnen eine bestimm­te Diät als Behand­lung emp­feh­len kann. Kei­ne Ahnung, wie vie­le Men­schen in Peru ihr Leben anhand der Weis­sa­gun­gen aus Kar­ten oder Koka­blät­tern gestal­ten. Kei­ne Ahnung, ob wirk­lich der Groß­teil der Perua­ner an Geis­ter glaubt (mei­ner Erfah­rung nach ja). Ich fin­de es nur immer wie­der fas­zi­nie­rend, wie sich in einer der­art moder­nen, chao­ti­schen, rie­si­gen Mil­lio­nen­stadt sol­che magi­schen Din­ge, sol­che Tra­di­tio­nen und Vor­stel­lun­gen, hal­ten kön­nen. Das ist einer der Grün­de, die ich immer nen­ne, wenn mich jemand fragt, war­um ich denn die­se Stadt, die­ses Land, so fas­zi­nie­rend fin­de. Weil dort trotz aller Hek­tik, aller Moder­ne immer noch ein Plätz­chen frei ist für ein biss­chen Über­sinn­lich­keit.


Antworten

  1. […] von Aria­ne Kovac zu den Schma­nen Perus – und wie sie lern­te, an Geis­ter zu glau­ben (sie­he Rei­se­de­pe­schen) – schon irre, oder? Wie eine Groß­stadt­be­völ­ke­rung Geis­ter in ihr Leben inte­griert, die dem […]

  2. Avatar von Sandra

    Dan­ke für den Bericht!

    Ich war lei­der noch nie in Peru, aber das scheint ja wirk­lich ein ziem­lich span­nen­des und vor allen Din­gen auch ziem­lich viel­sei­ti­ges Land mit inter­es­san­ten Facet­ten zu sein…

  3. Avatar von Rainer Feichter

    Spoo­ky! Schön erzählt.

  4. Avatar von Lena

    Sehr span­nend. Hast du dich nach der Zere­mo­nie denn gerei­nigt gefühlt? Oder eher schmut­zi­ger, bedingt durch das Gür­tel­tier? 😉 Nee, in Ernst, lässt man sich von der Atmo­sphä­re leicht anste­cken, oder wirkt das auf einen Mit­tel­eu­ro­pä­er dann doch die gan­ze Zeit über eher lächer­lich?

    1. Avatar von Ariane Kovac

      Ich hab mich damals eigent­lich tat­säch­lich eher schmut­zig gefühlt und muss­te zu Hau­se erst mal duschen, um das Gür­tel­tier­ge­fühl los­zu­wer­den 😉 Auf mich hat es eher lächer­lich gewirkt, aber das lag ein­fach am Set­ting, in die­sem bun­ten Markt mit der Plas­tik­re­kla­me und den Bau­markt­re­ga­len. Wäre ich in einem Anden­dorf in einem klei­nen Back­stein­häus­chen geses­sen, hät­te ich das viel­leicht ganz anders emp­fun­den!

  5. Avatar von Elischebas Reiseblog

    puhhh ist das gru­se­lig 😉 .… aber span­nend zu lesen .… ist ja mal was ganz ande­res 🙂

    1. Avatar von Ariane Kovac

      Ach, ich fand es damals eigent­lich meis­tens eher lus­tig als gru­se­lig 😉 Vie­len Dank!

  6. Avatar von Bianca

    Wow, was für ein tol­ler Bericht. Ich hat­te zwi­schen­durch wirk­lich Gän­se­haut.
    Lg aus dem Bren­ner Park Hotel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert