Über Stock und Stein: der Thakhek-Loop

Die Kapu­ze tief ins Gesicht gezo­gen, die Jacke eng um unse­re Kör­per gewi­ckelt, fin­den wir uns ver­dat­tert im star­ken Gegen­wind auf einem Moped von Mr. Wang Wang wie­der. Für 60.000 Kip am Tag haben wir einen fahr­ba­ren Unter­satz für den Thak­hek Loop in Zen­tral-Laos auf­ge­trie­ben.

 

 

Die ers­te Stun­de unse­rer Erkun­dungs­tour führt vor­bei an ber­gi­ger Land­schaft und klei­nen Dör­fern, mit wind­schie­fen Bret­ter­bu­den. Unse­re Begeis­te­rung für die Sze­ne­rie hält sich in Gren­zen, da der star­ke Wind uns fast vom Moped fegt. Wir hal­ten uns krampf­haft fest. Nach zwei Stun­den eisi­ger Käl­te erbarmt sich die Son­ne unse­rer und fegt die Wol­ken zur Sei­te. Wie eine lie­ben­de Glu­cke wärmt sie unse­re stei­fen Glie­der. Wir pel­len uns aus unse­ren Klei­dern und flat­tern glück­lich wei­ter Rich­tung Nor­den.

Dich­ter Dschun­gel säumt die Stra­ße, die uns immer höher hin­auf­führt. Wir errei­chen Gnom­malath. Dort teilt sich die Stra­ße. Man kann rechts abbie­gen und wei­ter nach Viet­nam düsen oder sich nach links hal­ten und nach Nakai fah­ren. Hier beginnt das Nam Theun Pla­teau, auf dem sich ein rie­si­ger See befin­det. Tote Bäu­me ragen zu Hun­der­ten aus dem Was­ser. Wir stei­gen von unse­ren fahr­ba­rem Unter­satz, stre­cken uns nach allen Regeln der Kunst und schie­ßen ein paar Fotos.

 

 

Der Hun­ger treibt uns in einen klei­nen Holz­ver­schlag, den ich am Ran­de der Stra­ße ent­de­cke. Ein paar Teen­ager schlür­fen tra­di­tio­nel­le Nudel­sup­pe. Mit Hand­zei­chen bestel­le ich zwei Sup­pen von der klei­nen Dame am gro­ßen Sup­pen­topf. Ein­ge­hüllt in Staub­wol­ken, die die vor­bei rasen­den Pick-up-Trucks auf der tro­cke­nen Stra­ße pro­du­zie­ren, essen wir die­se. Um unse­re Koor­di­na­ten abzu­glei­chen, fra­ge ich nach dem Namen des Dor­fes. „Tha Lang“, ant­wor­tet die Frau in einem selt­sa­men Sing­sang. Über­rascht gucken wir uns an. Tha Lang ist das Stre­cken­ziel unse­rer heu­ti­gen Tour. Nach nur drei Stun­den Fahrt sind wir schon da. Zuge­ge­ben, unse­re Vor­be­rei­tun­gen für die­se Tour beschrän­ken sich auf den zer­knit­ter­ten Zet­tel, den Mr.Wang Wang uns in die Hand gedrückt hat. Eine Kopie einer hand­ge­zeich­ne­ten Land­kar­te.

 

 

Unent­schlos­sen begut­ach­ten wir die Unter­kunft am See. Es ist ein­la­dend: ein Restau­rant, eine Feu­er­stel­le und ein paar klei­ne Hüt­ten mit Hän­ge­mat­ten, direkt am See­ufer. Aber es ist frü­her Nach­mit­tag, gera­de mal 15 Uhr. Unse­re Aben­teu­er­lust ist noch lan­ge nicht befrie­digt. „Guck mal. Es sind nur noch 62 Kilo­me­ter bis nach Lak­sao. Das schaf­fen wir locker,“sagt mein Freund. „Klar, los geht’s,“ ant­wor­te ich zuver­sicht­lich.

Der See leuch­tet in einem tie­fem Blau, als wir über die Brü­cke fah­ren, die uns aus dem Dorf führt. Bäu­me, die aus­se­hen wie abge­brann­te Streich­höl­zer, ragen auch hier aus der Was­ser­ober­flä­che. Lang­sam rat­tern wir die rote Stra­ße ent­lang: ein Cha­os aus Sand und Geröll. Es geht berg­ab, das Tacho­me­ter hat sich auf 10 km/​h ein­ge­pen­delt. Die Staub­ent­wick­lung durch vor­bei­ra­sen­de Autos ist stark. So stark, dass wir anhal­ten und uns Tücher um Mund und Nase wickeln.

 

Am spä­ten Nach­mit­tag errei­chen wir ein klei­nes Dorf. Ori­en­tie­rungs­los gucken wir uns um. Ich sehe eine Frau mit blan­ken Brüs­ten, einen Sarong locker um die Hüf­ten gewi­ckelt. Sie schüt­tet andäch­tig Was­ser über ihren Kör­per. Ein Mann steht auf sei­ner Veran­da, neben ihm ein klei­nes Hän­ge­bauch­schwein, das ver­gnügt in die Son­ne blin­zelt. Gän­se ren­nen auf­ge­regt über die Stra­ße. Aus dem Ein­gang einer Hüt­te winkt freund­lich lachend eine jun­ge Frau. Sie hält ein Baby.

 

Wir fah­ren wei­ter. Lang­sam setzt die Däm­me­rung ein. Wir über­ho­len zwei Bäue­rin­nen, die einen stör­ri­schen Bul­len hin­ter sich her­zie­hen. Im nächs­ten Dorf beob­ach­ten wir, wie die Bau­ern von ihrer Feld­ar­beit zurück­kom­men. Voll bela­den mit jun­gen und alten Dorf­be­woh­nern, rat­tern sie auf Tre­cker ähn­li­chen Gefähr­ten vor­bei. Dreck ver­schmiert von der Feld­ar­beit, in zer­fetz­ten Arbeits­kla­mot­ten und mit gro­ßen Hüten, gucken sie uns an. Wir gucken neu­gie­rig zurück, wäh­rend wir in unse­re Staub­wol­ke gehüllt, vor­bei­flie­gen.

Die Son­ne geht unter, der Mond auf und damit ein­her­ge­hend setzt ein eisi­ger Wind ein. Zit­ternd vor Käl­te rol­len wir Lak­sao ent­ge­gen. „Win­ter!“, rufe ich ent­setzt, als wir uns die rest­li­chen Kla­mot­ten über­strei­fen, die unse­re Ruck­sä­cke her­ge­ben.

Kom­plett durch­ge­fro­ren ent­de­cken wir ein Hotel. Wir che­cken ein. Auf der gegen­über­lie­gen­den Stra­ßen­sei­te leuch­tet ein Schild mit der Auf­schrift: The only restau­rant. Natür­lich keh­ren wir dort ein, es scheint sinn­los nach einem ande­ren Restau­rant zu suchen. Gie­rig schlin­gen wir eine war­me Mahl­zeit hin­un­ter und krie­chen kurz danach unter die wär­men­den Decken in unse­rem Hotel.

Am frü­hen Mor­gen, zum Son­nen­auf­gang, trot­ten wir ver­schla­fen die Stra­ße ent­lang auf der Suche nach Früh­stück. Hüh­ner wer­den rou­ti­niert am Stra­ßen­rand gerupft, wäh­rend ihre Lei­dens­ge­nos­sen fas­sungs­los aus ihren Käfi­gen zugu­cken. An klei­nen Lager­feu­ern wär­men sich die Ein­hei­mi­schen. Melo­nen, zu Ber­gen getürmt, lie­gen am Stra­ßen­rand. Wir haben den Markt ent­deckt. Es gibt viel fri­sches Gemü­se, getrock­ne­ten Fisch, leben­den Fisch und frit­tier­te Süßig­kei­ten.

An einem Stand, wo tra­di­tio­nel­le Nudel­sup­pe ange­bo­ten wird, las­sen wir uns nie­der. Wir sind eine klei­ne Attrak­ti­on auf dem Markt. Neu­gie­ri­ge Augen ver­fol­gen jede unse­rer Bewe­gun­gen und jeder Ver­such einer Unter­hal­tung wird mit lau­tem Geläch­ter hono­riert. Zu vie­le Lang­na­sen schei­nen sich nicht hier­her zu ver­ir­ren.

 

 

Völ­lig begeis­tert von unse­rem Früh­stück, schwin­gen wir uns aus­ge­las­sen auf das Moped und fah­ren Rich­tung Wes­ten, zur Kon­glor Höh­le. Es ist eine 7,5 Kilo­me­ter lan­ge Was­ser­höh­le, die sich unge­fähr 100 Kilo­me­ter ent­fernt von Lak­sao befin­det. Laut unse­rer zer­knit­ter­ten Land­kar­te führt unser Weg vor­bei an einer Dra­chen­höh­le, einem Was­ser­fall und einer Was­ser­quel­le. Aber unse­re stau­nen­den Augen blei­ben an einem Berg­mas­siv hän­gen, das sich zu unse­rer Rech­ten hin­streckt. Wir ver­pas­sen die Attrak­tio­nen.

Gegen 15 Uhr keh­ren wir erneut zu einer Nudel­sup­pe ein. In dem klei­nen Restau­rant tref­fen wir auf vier Fran­zo­sen, die den Tha­kek-Loop ent­ge­gen­ge­setzt fah­ren. „Die letz­te Tour in den Höh­len ist um 16 Uhr. Wenn Ihr Euch beeilt, schafft Ihr das noch.“

Mit quiet­schen­den Rei­fen las­sen wir das Nudel­haus hin­ter uns und hal­ten abrupt, als eine Her­de Was­ser­büf­fel die Stra­ße über­quert. 12 Minu­ten nach 16 Uhr errei­chen wir unser Ziel. Der Ticket­ver­käu­fer zeigt auf den Fern­se­her, wo uns eine schnul­zi­ge Band ent­ge­gen­strahlt. Dort steht klar und deut­lich auch die Uhr­zeit. „You are to late“, sagt er.

Also ändern wir unse­ren Plan und suchen eine Schlaf­ge­le­gen­heit in der Nähe. Der Weg führt über eine Schot­ter­pis­te Rich­tung Fluss. Dort fin­den wir ein Hotel, ganz nach unse­rem Geschmack. Wir neh­men uns ein Zim­mer und plat­zie­ren uns auf der Veran­da des Restau­rants, um ein Bier zu trin­ken. Umge­ben vom Grün des Dschun­gels beob­ach­ten wir ein paar Klein­kin­der, wie sie Was­ser aus einem Kanu schöp­fen und ihre Expe­di­ti­on in einen Sei­ten­arm des Flus­ses star­ten. So viel Frei­heit im Kin­des­al­ter. Zufrie­den schnau­fe ich in mein Bier­glas. Lang­sam füllt sich das Restau­rant mit Tou­ris­ten, die alle am nächs­ten Mor­gen die Kon­glor Höh­le erfor­schen wol­len.

Ent­spannt legen wir uns auf das har­te Bett und freu­en uns über die Stil­le der Nacht. Am nächs­ten Mor­gen wer­den wir aus unse­rem Schlaf geris­sen. Irgend­wo wid­men sich zwei Her­ren ihrer Mor­gen­toi­let­te. Auf lao­tisch. Aus den Tie­fen der Lun­gen wer­den, mit über­trie­be­ner Anstren­gung, jeg­li­che Schleim­res­te an die Ober­flä­che beför­dert und aus­ge­spuckt. Die­se Pro­ze­dur wird so um die 50-mal wie­der­holt. Lei­ses Geki­cher dringt durch die dün­nen Wän­de der neben­lie­gen­de Räu­me. Als das Schlimms­te vor­bei ist, ste­hen wir auf und gehen zum Restau­rant. Früh­stücks­zeit.

Gesät­tigt brau­sen wir davon, um die Höh­len zu besich­ti­gen. Beim Ticket­schal­ter ver­sucht eine etwas älte­re Fran­zö­sin gera­de den lao­ti­schen Ticket­ver­käu­fer den Unter­schied zwi­schen dem eng­li­schen fee und free zu erklä­ren. Ihren gesam­ten Ober­kör­per hat sie durch die klei­ne Öff­nung der Bude gescho­ben. Sie schreit den armen Mann mit­ten ins Gesicht und zwingt ihn dazu, ihre Wor­te zu wie­der­ho­len: „Say fee, say free! Say fee, say free!“ Ich kom­me mir vor wie in einer Zeit­ma­schi­ne.

Nach­dem die Nach­fah­rin eines Kolo­nia­lis­ten ihrem Erbe gründ­lich nach­ge­gan­gen ist, kom­me ich an die Rei­he. Wir fol­gen dem generv­ten Ticket­ver­käu­fer zu einem moto­ri­sier­tem Kanu. Mit Kopf­lam­pen als Licht­quel­le navi­gie­ren die bei­den Boots­füh­rer uns durch die Dun­kel­heit der rie­si­gen Was­ser­höh­le.

Nach zehn Minu­ten Voll­dampf wird der Motor gedros­selt und wir mar­schie­ren durch den Fluss auf eine Licht­in­stal­la­ti­on in der Höh­le zu. Die Sta­lak­ti­ten und Sta­lag­mi­ten leuch­ten in bun­ten Far­ben. Unse­re Boots­tour führt wei­ter den unter­ir­di­schen Fluss ent­lang, wider­setzt sich Strö­mun­gen, klei­nen Was­ser­fäl­len und erreicht den Aus­gang am ande­ren Ende des Ber­ges. Nach einer kur­zen Pau­se am Ufer des Flus­ses dre­hen wir um und fah­ren noch ein­mal durch die Dun­kel­heit, zurück zum Aus­gangs­punkt.

Der nächs­te Halt ist der Aus­sichts­punkt am Ston­e­fo­rest. Unser Moped ächzt und quietscht den Berg hin­auf. Der Aus­blick ist gigan­tisch. Gezack­te Fels­for­ma­tio­nen so weit das Auge reicht. Wir knip­sen eif­rig dar­auf los.

 

 

Hier beschlie­ßen wir, den Rück­weg anzu­tre­ten und nicht den kom­plet­ten Loop zu fah­ren. Wir wol­len mehr Zeit in den Dör­fern ver­brin­gen. To take in the vibe. So rol­len wir den Berg hin­ab, bis wir bemer­ken, dass der Hin­ter­rei­fen platt ist. „Oh shit!“, ruft mein Freund völ­lig ent­geis­tert. An einem klei­nen Häus­chen blei­ben wir ste­hen. Män­ner in Uni­form hal­ten ihren Mit­tags­schlaf oder glot­zen in den klei­nen Fern­se­her. Genervt gucken sie in unse­re fra­gen­den Gesich­ter, als wir sie anspre­chen. Einer der Män­ner rafft sich schwer­fäl­lig vom Sofa und kommt auf uns zu.

Wir zei­gen auf den plat­ten Hin­ter­rei­fen und zei­gen in alle Him­mels­rich­tun­gen, in der Hoff­nung, eine Lösung für unser Pro­blem zu bekom­men. Und es klappt. Nach eini­gen Dis­kus­sio­nen unter den Uni­for­mier­ten zeigt er uns den Weg zu einer klei­nen Werk­statt im Dorf. Wir schie­ben das Moped von Mr.Wang Wang die Stra­ße ent­lang. Der Mecha­ni­ker macht sich sofort ans Werk. Wir lat­schen wäh­rend­des­sen zu einem Restau­rant und über­brü­cken die War­te­zeit mit einem Snack. Nach knapp einer hal­ben Stun­de ist der Mann schon fer­tig.

Die Fahrt kann wei­ter gehen!

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Antwort

  1. Avatar von weltreise.jetzt

    Sehr schö­ner Bericht! Ich war mal in Laos mit dem Motor­rad unter­wegs und die »Winter!«-Story kommt mir extrem bekannt vor. Ich weiß nicht wie oft ich mich mit den Stre­cken und der Fahr­zeit ver­schätzt habe und plötz­lich im Stock­fins­tern unter­wegs war, schlot­ternd.… Oder mor­gens sehr früh los, nur um nach 5 Minu­ten wie­der anzu­hal­ten und dar­auf zu war­ten, dass die Son­ne noch etwas höher steigt und es noch ein paar Grad wär­mer wird :D!

    LG, Hen­ning

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