Nationalpark Torres del Paine • W‑Route • Dauer: 5 Tage • Distanz: 91,6 km • Gehzeit: 38 h

Tag 1 • Distanz 11 km • Geh­zeit: 4 h • Start: Refu­gio Paine Grande • Ziel: Refu­gio Grey

Die mehr als 2.000 Meter senk­recht aus dem kar­gen pata­go­ni­schen Boden auf­ra­gen­den Türme des Tor­res del Paine Mas­sivs geben nicht nur dem Gebirge seine unver­wech­sel­bare Sil­hou­ette, son­dern auch dem Natio­nal­park Tor­res del Paine im chi­le­ni­schen Teil Pata­go­ni­ens sei­nen Namen. Doch sind es nicht nur diese gigan­ti­schen grauen Türme, die die­sen Natio­nal­park zum unbe­strit­ten schöns­ten und beein­dru­ckends­ten Süd­ame­ri­kas machen.

Das lau­ni­sche pata­go­ni­sche Wet­ter ist jetzt, in den war­men Som­mer­mo­na­ten, noch am ehes­ten kal­ku­lier­bar. Aber auch hor­rende Preise und strö­mende Men­schen­mas­sen sind in die­ser Jah­res­zeit nicht zu ver­mei­den. Hotels und Ein­rich­tun­gen mit einem hohen Stan­dard machen die­sen Natio­nal­park auch für kom­fort­su­chende und groß­zü­gig zah­lende Besu­cher zu einem Anzie­hungs­punkt. Mehr als 200.000 Besu­cher jähr­lich spre­chen Bände. Und auch wir sind nicht alleine.

An der Admi­nis­tra­tion, an die wir in über­füll­ten Bus­sen des Natio­nal­parks gekarrt wer­den, ste­hen wir etli­che Minu­ten Schlange, bis wir den üppi­gen Ein­tritts­preis bezah­len dür­fen. Obli­ga­to­risch ist auch ein kur­zer Ein­füh­rungs­film, der uns in einem extra dafür vor­ge­se­he­nen Raum, drei­spra­chig unter­ti­telt, prä­sen­tiert wird.

Noch­mal grei­fen wir tief in die Tasche, um mit einem Kata­ma­ran über den See Pehoé an die Stre­cke der W‑Route beför­dert zu wer­den. Der Kata­ma­ran ist zum Bers­ten gefüllt. Reihe um Reihe wer­den die bun­ten Trek­king-Ruck­sä­cke bis in den Him­mel auf­ge­sta­pelt. Ver­schie­denste Spra­chen, grelle Funk­ti­ons­klei­dung, unbe­fleckt und tadel­los, die neuste Tech­nik, extra für die­sen Tag ange­schafft – all dies umgibt uns wie in einem Alb­traum. 40 Minu­ten lang.

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Am nörd­li­chen Ende des Sees Pehoé stei­gen wir aus. Es ist Mit­tag. Ein Groß­teil der Besu­cher ver­ab­schie­det sich nun in das Refu­gio Paine Grande, das am See thront. Für sie scheint der heu­tige Tag bereits been­det. Roll­kof­fer wer­den über den Schot­ter­weg gezogen.

Vor uns und Luisa, unse­rer Beglei­tung für die nächs­ten Tage, lie­gen noch 11 km bis zum Refu­gio Grey. Dicker pata­go­ni­scher Dunst liegt feucht in der Luft. Der Weg schlän­gelt sich durch eine schmale Schlucht. Und auch wir kämp­fen uns durch eine undurch­sich­tige karg bewach­sene Berg­land­schaft, bis wir die kleine nebel­ver­han­gene Laguna Los Patos errei­chen. Die Vege­ta­tion wird dich­ter. Nach einem kur­zen Wald­ab­schnitt kün­di­gen ver­ein­zelt hell­blau leuch­tende Eis­bro­cken in dem vor uns lie­gen­den See Grey das High­light des heu­ti­gen Stre­cken­ab­schnit­tes an.

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Die eisi­gen Bro­cken wer­den grö­ßer und zahl­rei­cher. Vor uns liegt nun der Glet­scher Grey, der die west­li­che Seite des Natio­nal­parks ein­nimmt. Die Größe des Glet­schers ist nicht aus­zu­ma­chen. Wir sehen quasi nur die Spitze des Eis­bergs, von Dunst umge­ben, am Ende des Sees, bis weit über unsere Sicht­weite hin­aus wach­send. Wei­tere 1,5 Stun­den leich­ten Aufs und Abs lie­gen noch vor uns. Gegen 17 Uhr errei­chen wir das Refu­gio Grey. Ein Wald vol­ler bun­ter, dicht anein­an­der ste­hen­der Zelte begrüßt uns.

Ein Fuchs schnüf­felt umher und sucht an den Zel­ten der Besu­cher nach etwas Fress­ba­rem. Die Gruppe jun­ger Rei­sen­der mit Guide, vor der wir am Glet­scher noch das Weite such­ten, ruht sich in den Lie­ge­stüh­len vor ihrer Unter­kunft aus. Gute Duschen, war­mes Was­ser – auch das Cam­pen hier hat sei­nen Preis. Gekocht wer­den soll in der eigens dafür vor­ge­se­he­nen „Küche“. Ein bestuhl­ter Raum, des­sen Inne­res wir vor lau­ter Dampf kaum erken­nen kön­nen. An lan­gen Bier­ti­schen kochen die Cam­ping­ko­cher hier neben­ein­an­der ihr Abendsüppchen.

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Tag 2 • Distanz: 22,6 km • Geh­zeit: 8 h • Start: Refu­gio Grey • Ziel: Cam­pa­mento Italiano

Das Refu­gio Grey liegt bereits am nord­west­li­chen Ende der W‑Route. Wir lau­fen jedoch eine wei­tere halbe Stunde Rich­tung Nor­den, um zum Aus­sichts­punkt Grey zu gelan­gen. Von hier aus eröff­net sich eine wei­tere Sicht auf den Glet­scher Grey.

Der Nach­teil einer W‑Route liegt natür­lich darin, dass man ins­ge­samt drei Stre­cken­ab­schnitte dop­pelt lau­fen muss. Also lau­fen wir nun die gest­ri­gen 11 Kilo­me­ter bis zum Refu­gio Paine Grande wie­der zurück. Jedoch ver­zie­hen sich die Wol­ken und das duns­tige Wet­ter weicht einem blauen Him­mel und Son­nen­schein. So genie­ßen wir noch­mal die Aus­sicht auf den Lago Grey und den Gletscher.

Hin­ter der Laguna Los Patos zeich­nen sich nun schnee­be­deckte Gip­fel ab, deren Anblick uns ges­tern noch ver­wehrt blieb. Erneut durch­lau­fen wir die schmale Schlucht in ihren kar­gen Erd­tö­nen, um nach fünf Stun­den Geh­zeit am Anle­ge­punkt des Kata­marans am Lago Pehoé anzu­kom­men. Noch lie­gen wei­tere 8 km vor uns.

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Auf rech­ter Hand ergießt sich hier der kleine und leuch­tend blaue See Skotts­berg. Auf lin­ker Hand erhebt sich in der Ent­fer­nung das über 3.000 Meter hohe Mas­siv des zer­klüf­te­ten Cerro Paine Grande. Wir lau­fen durch ein gespens­ti­sches Meer aus ver­kohl­ten Bäu­men. Ein schwar­zes Loch, das vor uns klafft. Und das inmit­ten saf­tig grü­ner Land­schaf­ten. Ein unacht­sa­mer Besu­cher hat hier 2005 einen Groß­brand ver­ur­sacht, der 10% des gesam­ten Parks vernichtete.

Immer näher kom­men wir dem gezack­ten Mas­siv, auf des­sen lin­ker Seite nun wie unwirk­lich ein fast qua­dra­tisch wir­ken­der Fels­bro­cken zu sehen ist. Gegen 18 Uhr errei­chen wir über eine klapp­rige Hän­ge­brü­cke unser Ziel, das Cam­pa­mento Ita­liano. Einige Besu­cher sit­zen hier neben ihren Ruck­sä­cken. Zelte sind nicht zu sehen. Die Stim­mung scheint gedrückt.

Ein Natio­nal­park­mit­ar­bei­ter kommt auf uns zu und erklärt uns kurz, dass die­ser Cam­ping­platz, einer der weni­gen kos­ten­lo­sen des Natio­nal­parks, geschlos­sen ist. Ein Umstand, der uns jetzt zur Haupt­sai­son nicht ein­leuch­ten möchte. Wir wer­den gebe­ten, das nächste Refu­gio in 6 km Ent­fer­nung auf­zu­su­chen. Mehr als 22 km lie­gen bereits hin­ter uns. Jetzt noch, es däm­mert bereits, wei­tere 6 km zu lau­fen, erscheint uns gänz­lich unmöglich.

Wir ent­fer­nen uns einige Meter und bauen unser Zelt auf. Wei­tere Besu­cher schlie­ßen sich uns an. Als die Park­wäch­ter das bunte Heer aus Zel­ten ent­de­cken, scheint es bereits zu spät, um ein­zu­grei­fen. Wir dür­fen bleiben.

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Tag 3 • Distanz: 20,5 km • Geh­zeit: 9 h • Start: Cam­pa­mento Ita­liano • Ziel: Refu­gio Los Cuernos

Wir sind in der Mitte des ‚W’s ange­kom­men. Vom Cam­pa­mento Ita­liano wol­len wir nun durch das Valle Fran­cés bis zum Aus­sichts­punkt am Cam­pa­mento Bri­tá­nico. Unsere Ruck­sä­cke las­sen wir mit einem etwas mul­mi­gen Gefühl am Cam­pa­mento Ita­liano zurück, wel­ches wir nach 6 Stun­den und 15 km wie­der errei­chen werden.

Der Weg führt uns durch Wald und mat­schige Abschnitte steil nach oben. Das letzte Stück zie­hen wir uns unter eini­gem Kraft­auf­wand an eigens dafür vor­ge­se­hen Tauen den mat­schigs­ten und auch steils­ten Abschnitt nach oben. Die­sen Weg mit den Ruck­sä­cken zu bewäl­ti­gen erscheint uns gerade voll­kom­men unmög­lich. Oben ange­kom­men, eröff­net sich vor uns ein sagen­haf­ter Blick auf das grüne Tal Fran­cés, die uns ein­krei­sende Berg­land­schaft und den See Nor­denskjöld. Das Mas­siv des Cerro Paine Grande erhebt sich nun in sei­ner gan­zen Pracht vor uns.

Ein anstren­gen­des Auf und Ab ent­lang eines schma­len Kamms führt uns zu einem mil­chi­gen Fluss. Dicke Eis­schich­ten thro­nen nun meter­dick auf den Gip­feln der Berge. Immer wie­der hören wir tosende Lawi­nen und das laute Kna­cken des Eises. Gigan­ti­sche Schnee­wol­ken, wel­che die Gip­fel ver­schwin­den las­sen, machen uns deut­lich, wel­che Kräfte dort oben wir­ken. Der Weg endet auf einer gro­ßen Lich­tung ver­trock­ne­ter Bäume. Die Sonne brennt. Die skur­ril gezack­ten Gip­fel erhe­ben sich nun an allen Seiten.

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Die Anstren­gun­gen des Hin­wegs sind jedoch nichts im Ver­gleich zu dem, was uns jetzt erwar­tet. Eine wei­tere halbe Stun­den ist es noch bis zum Aus­sichts­punkt, wel­che wir halb gehend, halb auf allen Vie­ren klet­ternd hin­ter uns brin­gen. Am Aus­sichts­punkt ange­kom­men, erhe­ben sich die Berge nun in vol­ler Schön­heit auf drei Sei­ten vor uns. Die son­der­bar geform­ten Gip­fel einer ein­ma­li­gen Sil­hou­ette. Auf der vier­ten Seite liegt uns das breite grüne Tal zu Füßen, in deren Mitte der mil­chige Fluss rau­schend zu hören ist.Wir sehen die Rück­seite des Tor­res des Paine Mas­sivs und bekom­men eine leichte Ahnung von dem, was uns am fünf­ten Tag unse­rer Wan­de­rung erwartet.

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Der lange rut­schige Weg zurück zum Cam­pa­mento Ita­liano ist noch nicht das Ende des heu­ti­gen Tages. Wei­tere 6 km sind es noch bis zum Refu­gio Los Cuer­nos, unse­rem Ziel für den drit­ten Tag. Auf fla­cher grü­ner Wie­sen­land­schaft umrun­den wir das Mas­siv Cuer­nos del Paine. Eine wei­tere Stunde lau­fen wir unter der bren­nen­den Sonne ent­lang des in der grü­nen Land­schaft erfri­schend blau leuch­ten­den Sees Nor­denskjöld, der jetzt in unmit­tel­ba­rer Nähe vor uns liegt.

Im Hin­ter­grund ragen ver­eiste Gip­fel in den Him­mel. Der stille See bie­tet eine will­kom­mene Abküh­lung für unsere müden Füße. Nach einer wei­te­ren hal­ben Stunde errei­chen wir das Refu­gio Los Cuer­nos. Wir genie­ßen die noch starke Nach­mit­tags­sonne am See. Nach dem heu­ti­gen Tag erscheint mir das Refu­gio unwirk­lich luxu­riös. Inmit­ten die­ser wil­den Natur­schön­hei­ten erwar­tet dem zah­len­den Gast hier mehr als nur will­kom­me­ner Komfort.

Das Refu­gio ist gefüllt mit gut zah­len­den, altern­den Gäs­ten. Neben mir auf der Ter­rasse erbli­cke ich einen Zigarre rau­chen­den Mann mit ergrau­tem Haar. Seine hagere Frau nippt an einem Glas Rot­wein. Einige Plätze wei­ter plauscht ein Herr gerade mit dem Guide sei­ner Gruppe. Auf der gekühl­ten Bier­fla­sche ‚Aus­tral‘ in sei­ner Hand prangt exakt das Bild des Berg­mas­sivs, auf wel­ches er gerade ent­spannt blickt. Sogar die Per­spek­tive stimmt, stellt die­ser freu­dig fest. Ich erkun­dige mich – nai­ver­weise – nach dem Preis eines Bie­res, und ziehe es dann lie­ber vor, im Zelt eine Por­tion Instant­nu­deln zu verspeisen.

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Tag 4 • Distanz: 19,5 km • Geh­zeit: 9 h •  Start: Refu­gio Los Cuer­nos • Ziel: Cam­pa­mento Torres

Wir ent­fer­nen uns von dem gezack­ten Mas­siv der Cuer­nos del Paine. Die Per­spek­tive ver­än­dert sich, bis es bald nicht mehr mit dem berühm­tem Bier­fla­schen­mo­tiv über­ein­stimmt. Durch eine weite fla­che Gras­land­schaft lau­fen wir am leicht geschwun­ge­nen Ufer des Sees Nor­denskjöld ent­lang. Die Vege­ta­tion wech­selt zwi­schen kar­ger Fels­land­schaft, grü­nen Wie­sen und nied­ri­gen Sträuchern.

In der nicht enden wol­len­den Weite fun­keln blaue Lagu­nen und erhe­ben sich mäch­tige Gip­fel. Ich hin­ge­gen habe einen Mords­hun­ger. Meine Rech­nung ist nicht auf­ge­gan­gen. Um mein Gepäck so leicht wie mög­lich zu hal­ten, hatte ich Fol­gen­des geplant: Zum Früh­stück in Was­ser auf­ge­lös­ter Hafer­schleim. Abends eine Packung Instant­nu­deln. Zwei Pakete Kekse soll­ten als Weg­zeh­rung im Laufe der Tage die­nen. Von denen war aber schon nach dem zwei­ten Tag kein Krü­mel mehr übrig. Der steile Auf­stieg zum Cam­pa­mento Chi­leno raubt mir meine letz­ten Kraft­re­ser­ven. Meine abend­li­che Por­tion Instant­nu­deln muss ich vor­zie­hen, um die fol­gen­den 5 km bis zum Cam­pa­mento Tor­res zu bewältigen.

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Dem Auf­stieg folgt ein Abstieg, ein Auf­stieg, ein Abstieg. Wir wan­dern nun in die Schlucht hin­un­ter, an der wir seit gerau­mer Zeit ent­lang­lau­fen. Unten am Fluss ange­kom­men, kann es eigent­lich nicht mehr weit sein. Die letzte Etappe zieht sich jedoch bis ins Unend­li­che. Noch eine Kurve, noch ein Auf­stieg, noch ein Abstieg, noch mehr Wald – dann ist es end­lich geschafft. Das Cam­pa­mento Los Tor­res liegt ver­steckt zwi­schen Bäumen.

Eine Menge Wan­de­rer haben sich hier, am Fuße des Tor­res des Paine Mas­sivs, ein­ge­fun­den. Sie haben das selbe Ziel wie wir: Die senk­recht aus dem Erd­bo­den gestampf­ten Türme des Paine im Licht der auf­ge­hen­den Sonne zu bewun­dern. Heute gibt es auch zum Abend­essen kaum noch zu ertra­gen­den Hafer­schleim. Um 20 Uhr lie­gen wir in unse­ren Zel­ten. Der nächste Tag wird früh beginnen.

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Tag 5 • Distanz: 18 km •Geh­zeit: 8 h • Start: Cam­pa­mento Los Tor­res • Ziel: eine heiße Dusche, ein Bett und gutes Essen

Wir ste­hen um 4.45 Uhr auf. Es ist dun­kel und erschre­ckend kalt. Es ist so kalt, dass man plötz­lich alles in Frage stellt. Was zum Teu­fel machen wir hier über­haupt? Und wofür eigent­lich? Zum Aus­sichts­punkt des Tor­res del Paine liegt eine 45-minü­tige Klet­ter­par­tie vor uns. Natür­lich haben wir keine Taschen­lampe dabei. Im Schein des Mon­des stol­pern, klet­tern und quä­len wir uns nach oben. Die Hände sind ein­ge­fro­ren und haben kaum noch die Kraft, sich fest­zu­kral­len. Es ist steil, rut­schig und eisig. Die kalte Luft schmerzt in den Lun­gen, wel­che ange­strengt nach Luft jap­sen. In eini­ger Ent­fer­nung sehen wir moti­vierte Klet­te­rer nach oben rasen. Sind wir etwa schon zu spät?

Eine Gruppe deut­scher Wan­de­rer, die ange­strengt atmend eine Pause ein­legt, mur­melt etwas von Frodo und dem letz­ten schwe­ren Gang. Ich ver­su­che weg­zu­hö­ren und ein­fach immer wei­ter zu gehen. Schleppe mich wei­ter – halb tas­tend, halb klet­ternd – nach oben. Die klei­nen Grüpp­chen tei­len sich auf. In der Dun­kel­heit ist der rich­tige Weg nicht mehr zu erken­nen. Noch unter schwar­zem Him­mel errei­chen wie den Aus­sichts­punkt. Nicht wenige haben ihre dicken Schlaf­sä­cke mit nach oben gebracht. Keine schlechte Idee, wie ich nun ein­ge­ste­hen muss.

Bib­bernd vor Kälte war­ten wir. Die Türme lie­gen direkt vor uns. Ragen hin­ter einer klei­nen Lagune unwirk­lich steil hin­auf in die dunkle Nacht. Die Dun­kel­heit bricht auf, irgendwo scheint die Sonne auf­ge­gan­gen zu sein. Der Him­mel über uns ver­wan­delt sich in ein sanf­tes, schwa­ches Blau. Der See fun­kelt nun tür­kis. Eine gefühlte Ewig­keit ver­geht. Über­all ist es nun bereits taghell.

Bis es die Sonne end­lich über die Berge schafft. Nun leuch­ten, kaum merk­lich, nur die äußers­ten Spit­zen der Türme in einem hel­len Rot. Immer wei­ter reicht die Röte, bis sie die Türme gänz­lich in ein spek­ta­ku­lä­res Rot hüllt. Die Kälte, die Anstren­gung – Ange­sichts die­ses Anblicks scheint nun alles vergessen.

Wenige Minu­ten zei­gen die Türme, wofür sie berühmt und berüch­tigt sind. Das leuch­tende Feu­er­rot spie­gelt sich gol­den im See wider, ver­liert sich bis in das sanfte Licht des anbre­chen­den Tages. Um 8 Uhr errei­chen wir erneut das Cam­pa­mento Tor­res. Zwei Stun­den spä­ter gibt es Hafer­schleim-Früh­stück am Cam­pa­mento Chileno.

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Am Neben­tisch isst ein Paar gerade eine Dose Thun­fisch gemischt mit einer Dose Kid­ney­boh­nen und einer Tomate. Ein Fest­mahl in mei­nen Augen. Aus­ge­hun­gert kann ich kaum den Blick abwen­den; werde befremd­lich von dem schmau­sen­den Pär­chen ent­deckt. Wei­tere drei Stun­den Fuß­marsch bis zur Laguna Amarga. Im Shop am Aus­gang des Parks gönne ich mir einen erbärm­li­chen Hot Dog und eine Cola. Es ist der beste Hot Dog, den ich je geges­sen habe.

Noch eine Bus­fahrt und wir wer­den wie­der herr­lich von unse­rer chi­le­ni­schen Couch­sur­fing-Fami­lie in Puerto Nata­les emp­fan­gen. Wie immer ist das Haus gefüllt mit ande­ren Couch­sur­fern. Wie wir sind sie gerade aus dem Park zurück­ge­kehrt oder machen sich bald auf, ihn zu besu­chen. Heute zau­bern wir allen und vor allem uns selbst einen wohl ver­dien­ten Gau­men­schmaus: Käse­spätzle und eine große Por­tion Mousse au Cho­co­late zum Nachtisch.

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Morten & Rochssare

Per Anhalter und mit Couchsurfing reisen Morten und Rochssare ab 2011 zwei Jahre lang zwischen Feuerland und der Karibik kreuz und quer durch Südamerika. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie auf ihrem Blog und in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen bei Malik National Geographic.

  1. Petra says:

    So sehen die Tor­res also bei Son­nen­auf­gang auf, wenn der Him­mel klar ist … Atem­be­rau­bend! Wir haben die W‑Route Anfang Februar 2014 in die­selbe Rich­tung gemacht und bei uns haben sich die gnä­di­gen Her­ren früh­mor­gens lei­der ziem­lich (mit Nebel) bedeckt gehal­ten. Wenigs­tens haben wir sie über­haupt gese­hen, aber kein Ver­gleich zu euren Bil­dern. Das heißt für mich: wie­der­kom­men, irgend­wann. Danke für den Reisebericht!
    Liebe Grüße
    Petra

    1. Morten und Rochssare says:

      Vie­len Dank Petra,
      die Tor­res sind wirk­lich atem­be­rau­bend, aber die ganze W‑Route ist eine Augen­weide. Ein ein­zig­ar­ti­ger Trek durch Chi­les grü­nen Süden. Hof­fent­lich kannst du dir die Tor­res noch ein­mal in vol­ler Schön­heit vor Ort ansehen.
      Liebe Grüße

  2. Janina says:

    Hallo Zusam­men

    Vie­len Dank für den aus­führ­li­chen Bericht. Ich werde im Sep­tem­ber mit mei­nem Freund in den Süden Chi­les rei­sen und plane eben­falls eine Trek­king Tour durch den Park. Habt ihr sonst noch Tipps, abge­se­hen davon genug Essen ein­zu­pa­cken? Wie viel an Aus­rüs­tung habt ihr sel­ber mit­ge­nom­men? Wür­det ihr noch eine andere Route empfehlen?

    Vie­len Dank für alle Tips und Infos :)

    LG
    Janina

    1. Morten und Rochssare says:

      Hallo Janina,
      wir wün­schen euch erst ein­mal viel Spaß in Chile. Ihr wer­det die Zeit genie­ßen. Wir hat­ten für unsere 5‑tägige Wan­de­rung alles dabei, was man zum Zel­ten so braucht (Zelt, Iso­matte, Schlaf­sack, Cam­ping­ko­cher und Geschirr). Natür­lich ein paar platz­spa­rende Lebens­mit­tel und etwas Was­ser. Die Flüße im Natio­nal­park wer­den von Glet­schern gespeist. Ihr könnt also pro­blem­los aus ihnen trinken.

      Die W‑Route ist der klas­si­sche Weg, der alle impo­san­ten Sehens­wür­dig­kei­ten des Parks abdeckt. Wenn ihr aber Zeit und Lust habt, dann ist viel­leicht die O‑Route etwas für euch. Dabei lauft ihr ein­mal um das Berg­mas­siv des Tor­res del Paine herum. Der Trek dau­ert etwa 7–8 Tage und abseits der W‑Route (sie ist in der O‑Route ent­hal­ten) trifft man kaum auf andere Wanderer.

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