Bussana Vecchia – Aus für Liguriens Künstlerdorf?

Es war einmal das mittelterliche Dorf Bussana an Liguriens Blumenriviera, das Ende des 19. Jahrhunderts von einem Erdbeben zerstört und dem Verfall überlassen wurde. Bis es ab den 1960er Jahren Hippies und Künstler entdeckten und wieder bewohnbar machten. Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie teils noch heute dort und sind eine touristische Attraktion. Doch in jedem Märchen gibt es Widersacher. Nun droht dem Künstlerdorf das Ende. 

Folgt man den Schil­dern mit Auf­schrift ‚Bus­sa­na Vec­chia’ ab dem moder­nen Küs­ten­ort Bus­sa­na Nuo­va berg­an, wer­den die Kur­ven bald so eng, dass bei Gegen­ver­kehr das Knutsch­ri­si­ko zwei­er Motor­hau­ben bei jeder Stra­ßen­win­dung steigt. Doch plötz­lich ist Schluss, meh­re­re hun­dert Meter, bevor der Navi die Ankunft am Ziel­ort ver­kün­det: Selbst im Coro­na-Som­mer 2020 rei­hen sich zwi­schen einer hohen Mau­er und einem Abgrund die Autos von Anwoh­nern und Tages­tou­ris­ten anein­an­der, wer sich zu weit vor­ge­wagt hat, manö­vriert in blech­ge­fähr­den­dem Unter­fan­gen rück­wärts wie­der raus. Aus den grü­nen Hügeln gegen­über erhe­ben sich die bunt in die Land­schaft gewür­fel­ten Häus­chen von Bus­sa­na Vec­chia, über­wacht von einem Kirch­turm, der schon vor über einem Jahr­hun­dert sein Schiff ver­lor – im Jahr 1887, als ein Erd­be­ben Bus­sa­na Vec­chia zu gro­ßen Tei­len zer­stör­te. Und damit nahm die stets auf­re­gen­de Geschich­te des Dor­fes, das nicht nur in Ligu­ri­en Sei­nes­glei­chen sucht, ihren Lauf.

Laut Augen­zeu­gen­be­rich­ten von damals zogen bald nach dem Unglück Sol­da­ten ins Dorf ein und ver­scheuch­ten alle, die noch dort leb­ten, sogar die Suche nach Toten und Ver­letz­ten soll bald ein­ge­stellt wor­den sein. Die Dörf­ler waren zunächst in Holz­hüt­ten in Küs­ten­nä­he unter­ge­bracht, bis das neue Dorf Bus­sa­na Nuo­va aus dem Boden gestampft wur­de und den Hei­mat­lo­sen zwangs­läu­fig als neue Stadt dien­te. Die Fra­ge, war­um das ursprüng­li­che Dorf nicht restau­riert wur­de, ent­lockt bis heu­te vie­len ein Kopf­schüt­teln – die meis­ten ver­mu­ten, dass es um Geld­ma­che­rei mit dem neu­en Dorf ging, wo die Men­schen, die alles ver­lo­ren hat­ten, letzt­end­lich für ein neu­es Haus zah­len muss­ten. Als sich in den 1940er Jah­ren Gast­ar­bei­ter der Blu­men­in­dus­trie aus Süd­ita­li­en in den Rui­nen nie­der­las­sen woll­ten, soll die Kom­mu­ne San Remo dafür gesorgt haben, dass die Dächer und Decken der noch erhal­te­nen Häu­ser zer­stört wur­den, damit dort nie­mand leben konn­te. Doch in den 60er Jah­ren soll­te sich alles ändern – als zwei ita­lie­ni­sche Künst­ler das Rui­nen­dorf für sich ent­deck­ten.

Wie Phoe­nix aus der Asche – die Künst­ler­ge­mein­schaft von Bus­sa­na Vec­chia

Es waren der Turi­ner Künst­ler Cli­zia und ein der sizi­lia­ni­sche Dich­ter Gio­van­ni Giuf­frè, die zu Beginn der 60er Jah­re über das ver­las­se­ne Dorf stol­per­ten und eine ver­rück­te Idee hat­ten: Wie wäre es, die Rui­nen wie­der bewohn­bar und ein Künst­ler­dorf aus den Geis­ter­häu­sern zu machen? Cli­zia soll die Kom­mu­ne San Remo um Erlaub­nis zur Ansied­lung gebe­ten und das Okay bekom­men haben – solan­ge man nicht um irgend­wel­che Hil­fe bit­ten wür­de. Wäh­rend des Höhe­punk­tes der Hip­pie-Zeit lie­ßen die wil­li­gen Künst­ler nicht lan­ge auf sich war­ten, dar­un­ter vie­le Euro­pä­er und als ers­te Deut­sche Hart­mut Som­mer und sei­ne mitt­ler­wei­le ver­stor­be­ne Frau Elke. „Wir waren 1966 unter­wegs, woll­ten eigent­lich nach Tune­si­en, aber irgend­wie sind wir in Bus­sa­na Vechia hän­gen­ge­blie­ben“, berich­tet er. „Ich habe mich mit Van­ni ange­freun­det und der hat gesagt, wir soll­ten uns ein­fach ein Haus aus­su­chen.“ Ein in Besitz genom­me­nes Haus hät­te man dann mar­kiert, indem man Fens­ter und Türen ein­bau­te, sonst hät­te es pas­sie­ren kön­nen, dass ein ande­rer kam und es unwis­sent­lich selbst besetz­te. „Ich habe nur Est­rich und Anstrich benutzt, und das hält schon 50 Jah­re“, erklärt Som­mer stolz. Heu­te klebt an der Haus­tür in einer der schat­ti­gen Gas­sen ein unschein­ba­res Schild ‚Casa Som­mer‘, und die Söh­ne des heu­te 79-jäh­ri­gen, Leo­nard und Gor­don, kom­men noch immer jähr­lich mit ihren Fami­li­en oder Freun­den nach Ligu­ri­en. „Ich erin­ne­re mich, wie ich als Kind jeden Som­mer hier war“, erzählt Leo­nard Som­mer. „Gio­van­ni Giuf­frè hat­te zwei Lamas, eins trug eine Flie­ge, eins eine Kra­wat­te, und wir hat­ten immer viel Spaß“.

Und so zogen nach und nach immer mehr Künst­ler in das Dorf ein und das Mär­chen des Künst­ler­dor­fes, das Men­schen, die ver­rückt und wil­lig waren, Rui­nen mit ihren eige­nen Hän­den wie­der bewohn­bar zu machen, begann. Dar­un­ter befan­den sich auch der Öster­rei­cher Wolf­gang Wei­ser und 1969 sei­ne Frau Jana. „Die Idee war wun­der­schön, weil dies ein Ort sein soll­te, der dem Hand­werk, der Male­rei, Musik und Dich­tung gewid­met war. Das hat mir sehr gefal­len“, erin­nert sich Jana Wei­ser, seit 2019 Wit­we, die sich auch mit 70 noch die Haa­re dun­kel­rot färbt und einen Mini­rock trägt. In ihrem Stu­dio W + J ver­kauft sie unter ande­rem selbst­ge­mach­ten Schmuck. „Alles lag in Rui­nen und es reg­ne­te rein, es gab kei­ne Dächer, Stock­wer­ke oder Trep­pen. Alles muss­te neu gemacht wer­den. Außer­dem hat­te ich mei­nen ers­ten Impakt mit ech­ter Dun­kel­heit, denn die ers­ten zehn Jah­re gab es kei­nen Strom!“. Auch Was­ser habe man zunächst mit einem Kanis­ter von der Was­ser­lei­tung beim heu­ti­gen Restau­rant holen müs­sen – bis die Künst­ler zufäl­lig den Direk­tor des Was­ser­werks ken­nen­lern­ten und Lei­tun­gen zu den Häu­sern gelegt wur­den. Sie hät­ten gelernt, wie man Zement zusam­men­mischt. „Es war fas­zi­nie­rend, etwas zu neh­men, was nie­mand woll­te und was ver­las­sen war und es exklu­siv für krea­ti­ve Men­schen wie­der zum Leben zu erwe­cken“, fand Colin Wil­mot, ein wei­te­rer Künst­ler, der eben­falls zu den ers­ten Beset­zern zähl­te und mitt­ler­wei­le ver­stor­ben ist.  

Doch nicht alle waren der Künst­ler­ge­mein­schaft wohl­ge­sinnt: Zehn Jah­re lang wären sie laut Wei­ser den Bewoh­nern von Bus­sa­na Nuo­va ein Dorn im Auge gewe­sen, bis sich die Situa­ti­on etwas ent­spann­te. Außer­dem wären der Kom­mu­ne die Ent­wick­lun­gen im Dorf nach eini­gen Jah­ren wohl doch zu weit gegan­gen und sie hät­te einen Ver­such unter­nom­men, das Dorf zwangs­zu­räu­men, doch die mitt­ler­wei­le ein­ge­schwo­re­ne Gemein­schaft setz­te sich mit Bar­ri­ka­den und mit­hil­fe der Medi­en äußerst erfolg­reich zur Wehr. Mitt­ler­wei­le hat­te der ame­ri­ka­ni­sche Künst­ler Micha­el Green sogar die Ver­wal­tung des Dor­fes über­nom­men und ach­te­te auf Recht und Ord­nung. „Eine Grup­pe Men­schen, die in freund­li­cher Anar­chie zusam­men­lebt, kann etwas Ein­zig­ar­ti­ges schaf­fen, in Har­mo­nie mit ihrer Umge­bung und ohne Hil­fe des Staa­tes“, fass­te es Wil­mot kurz vor sei­nem Tod zusam­men.

Die Men­schen hin­ter den Mau­ern

Vie­le Besu­cher Bus­sa­na Vec­chi­as schlen­dern durchs Dorf, stau­nen hier und da, doch was bleibt, ist ledig­lich ein Ein­druck von Fas­sa­den. Dabei sind es die Men­schen hin­ter den Fas­sa­den des Dor­fes, die es so span­nend machen, auch wenn außer Jana Wei­ser nahe­zu alle ech­ten Urge­stei­ne mitt­ler­wei­le ver­stor­ben oder weg­ge­zo­gen sind. Doch da ist noch Sil­va­no Man­co, seit Ende der 70er im Dorf, der sich selbst als malen­der Musi­ker bezeich­net. Sein Stu­dio ‚Arti­tu­de‘ steht vol­ler teils abs­trak­ter Bil­der, von dem er soeben eins für einen fran­zö­si­schen Käu­fer lie­be­voll ein­wi­ckelt. „Ich bin frü­her oft mit dem Fahr­rad her­ge­kom­men“, erzählt er. „Das Dorf war eine Wüs­te der Stil­le, der Rui­nen.“ Und auch er fühl­te sich letz­ten Endes inspi­riert, dort zu malen und zu kom­po­nie­ren, ganz nach sei­nem Mot­to „Kunst zeigt sich in dem, was du tust, sie ist ein Gedan­ke“. Doch Sil­va­no gehör­te nicht zu den offi­zi­el­len Beset­zern – er mie­tet sein Ate­lier und sei­ne Woh­nung von einem Freund, der aus Bus­sa­na Vec­chia weg­ging. „Natür­lich nichts Offi­zi­el­les mit Miet­ver­trag, alles ganz ita­lie­nisch“, lacht er. Er akzep­tie­re, dass der Ort im Grun­de dem Staat gehö­re und sei nicht inter­es­siert an Besitz. „Wir haben zwei Lager im Dorf – die einen, die für krea­ti­ve Idea­le kämp­fen und die ande­ren, die für Besitz kämp­fen!“ Für ihn sei die inter­na­tio­na­le Künst­ler­ge­mein­schaft von Anfang an eher ein Eti­kett gewe­sen, und gene­rell gebe es im Dorf „zu viel Bier und zu wenig Kul­tur“.

Etwas anders sieht es der Mai­län­der Musi­ker Mau­ri­zio Fal­co­ne mit lan­gen, wild abste­hen­den grau­en Haa­ren und Ohr­ring im rech­ten Ohr, der erst­mals 1978 nach Bus­sa­na Vec­chia kam. „Ich war scho­ckiert, als ich das Dorf sah“, gibt er zu: „Scho­ckiert von des­sen Schön­heit!“ Jedoch habe er sich erst 1991 im Dorf nie­der­ge­las­sen. Nun sei er von April bis Novem­ber vor Ort, in sei­nem eben­falls gemie­te­ten Stu­dio und einem Haus, das er gemein­sam mit sei­ner fran­zö­si­schen Freun­din bewohnt. Von einer gro­ßen Fami­lie im Dorf spricht er nicht, doch anders als Sil­va­no, mit dem er manch­mal auch gemein­sam Jazz spielt, sieht er noch den Gedan­ken hin­ter der Gemein­schaft: „Wir ret­ten hier eine Idee, die noch immer lebt“. Bus­sa­na Vec­chia müs­se man ein­fach lie­ben, oder aber man gehe weg.

Unweit der Kir­che, hoch über den Dächern, führt eine stei­le und enge Trep­pe ins Schlaf- und teils auch Arbeits­zim­mer der fran­zö­si­schen Künst­le­rin Marie-Eve Meri­lou, 1968 gebo­ren, die in ihren 20ern eine Lie­bes­ge­schich­te mit einem Künst­ler aus Bus­sa­na Vec­chia ver­band. „Zuerst woll­te ich gar nicht für immer blei­ben“, gesteht die gelern­te Pari­ser Kos­tüm­schnei­de­rin, doch dann sei sie über Freund­schaf­ten an das Ate­lier und Haus gekom­men. Sie beschreibt das Dorf als eine wahr­ge­wor­de­ne Uto­pie, die jedoch wie ein Eis­berg sei, von dem der Außen­ste­hen­de nur die Spit­ze sehe. „Es gibt hier vie­le sozia­le Schich­ten, und selbst Men­schen mit Dro­gen- oder Alko­hol­pro­ble­men kön­nen sich inte­grie­ren und bekom­men noch eine Chan­ce“.

Danie­la Mer­can­te, eine Art Pres­se­spre­che­rin des Dor­fes, bezeich­net Bus­sa­na Vec­chia als „Mikro­kos­mos, wo es ein­fach alles gibt – Arro­ganz, Nar­ziss­mus und die gesam­te Typo­lo­gie“. Vie­le im Dorf auf­ge­wach­se­ne jun­ge Leu­te wür­den außer­dem dort hän­gen­blei­ben: „Kin­der sind hier voll­kom­men frei, es ist für sie ein ech­tes Trau­ma, fort­zu­ge­hen!“ Eini­ge jun­ge Leu­te gin­gen zunächst weg zum Stu­die­ren oder ins Aus­land, kämen dann aber wie­der. Sie sei­en es nun mal gewohnt, in einer Art Anar­chie zu leben und die Frei­heit sei ihr Totem. So zum Bei­spiel für Mat­tia, der zur drit­ten Gene­ra­ti­on der heu­te etwa 20 bis Anfang 30-jäh­ri­gen gehört und ins Dorf zurück­ge­kom­men ist, um dort über Airbnb Unter­künf­te zu ver­mie­ten. Stolz zeigt er das Haus, das sein Opa mit eige­nen Hän­den bewohn­bar mach­te, mit jeder Wand­ni­sche als Regal oder Abla­ge – und mit Hän­ge­mat­te im klei­nen Vor­hof.

Oder Vitto­rio, Musi­ker und DJ, der mit acht Jah­ren mit sei­ner Fami­lie nach Bus­sa­na Vec­chia zog. Ent­ge­gen der Mei­nung vie­ler glaubt der gelern­te Erzie­hungs­wis­sen­schaft­ler nicht, dass die Flam­me der Kunst im Dorf schon ganz erlo­schen ist. Er schwärmt von sei­ner Kind­heit, wo er immer frei her­um­lau­fen und in jedes Haus hin­ein­ge­hen konn­te, wo es kei­ne Autos gab und alle Nach­barn eine gro­ße Fami­lie für ihn waren. „Ich weiß nicht, ob ich immer hier­blei­ben wer­de, aber ich wer­de immer wie­der­kom­men. Und ich träu­me davon, eines Tages geführ­te Tou­ren durch mein Dorf anzu­bie­ten. Denn dass es das Künst­ler­dorf eines Tages gar nicht mehr gibt, dar­an glaubt er nicht.

Zwi­schen damals und heu­te

Dass den Künst­lern beim anfäng­li­chen Wie­der­auf­bau viel dar­an lag, die mit­tel­al­ter­li­che Archi­tek­tur zu erhal­ten, ist noch heu­te beim Dorf­spa­zier­gang erkenn­bar. Die oft von Efeu und ande­rem Grün bewach­se­nen Stein­häu­ser sind teils lie­be­voll restau­riert, teils woh­nen Men­schen aller­dings auch in Gebäu­den, in denen an der einen oder ande­ren Stel­le noch ein Dach oder eine Decke fehlt, aber das scheint nie­man­den zu stö­ren. Eini­ge Mau­ern beher­ber­gen klei­ne Läden, die Bil­der, Schmuck oder Klei­dung ver­kau­fen. In einem Ate­lier fer­tigt ein Künst­ler ein Bild eines Pär­chens an, in einem Hof schläft ein gro­ßer Hund vor der Kulis­se von Schwarz-Weiß-Por­träts. „Zunächst war die Gemein­schaft sehr fami­li­är und wir hat­ten gemein­sa­me Zie­le, aber etwa ab Ende der 90er sind dann immer mehr jun­ge Mäd­chen gekom­men und haben Geschäf­te auf­ge­macht“, bedau­ert Hart­mut Som­mer. „Das woll­ten wir eigent­lich nicht, es soll­te kein kom­mer­zi­el­les Dorf wer­den.“ Er und sei­ne Fami­lie hät­ten im Grun­de immer damit gerech­net, eines Tages raus­ge­wor­fen zu wer­den und hät­ten sich nicht an den Besitz gebun­den. „Für uns ist das Haus ein Geschenk, und wir sind für jedes Jahr dank­bar, dass wir es noch haben und wie­der hier­her­kom­men kön­nen“, bestä­tigt Sohn Gor­don Som­mer, wäh­rend er mit sei­ner Fami­lie von der gro­ßen Ter­ras­se hoch über den Dächern bis zum Mit­tel­meer blickt.

Wer Bus­sa­na Vec­chia besucht, fin­det selbst dann, wenn die meis­ten Tages­tou­ris­ten unter­wegs sind, über­wie­gend ruhi­ge Gas­sen mit Gale­rien, auf Korb­stüh­len dösen­de Kat­zen und manch offe­ne Tür, wie die Open Art Gal­lery, wo Musi­ker in einem obe­ren Stock an einem neu­en Lied wer­keln und ein Zelt auf der Dach­ter­ras­se ver­rät, dass hier wohl jemand wohnt. An einem Stra­ßen­stand gibt es Bus­sa­na Vec­chi­as Magie zum Mit­neh­men – in dun­kel­brau­nen Fla­schen, die laut hand­ge­schrie­be­ner Auf­schrift an das Erd­be­ben 1887 erin­nern. Weni­ge Meter wei­ter hat ein Nie­der­län­der die ‚Casa La Bar­ca‘ geschaf­fen, mit abge­wetz­ten Ses­seln und Sofas auf der mit Holz­lat­ten aus­ge­bau­ten Ter­ras­se und einem Glas Wein oder Eis­tee für jeden, der sich ins Inne­re ver­irrt. Die Hip­pie-Zeit lebt auch im Café am Ein­gang, der Oste­ria degli Artis­ti, wo sich Dörf­ler und Besu­cher ganz­tä­gig ver­sam­meln und man teils gel­all­ten, teils ernst­haf­ten Gesprä­chen über neue Pro­jek­te oder den letz­ten Streit oder neue Erobe­run­gen des ande­ren Geschlechts lau­schen kann. Umge­ben von Künst­lern mit lan­gen Haa­ren und Ohr­rin­gen oder Künst­le­rin­nen in wal­len­den bun­ten Klei­dern kommt manch­mal zumin­dest für ein paar Minu­ten wie­der ech­tes 60er- und 70er Jah­re-Fee­ling auf.

Die aku­te Gefahr von oben

Wur­de Bus­sa­na Vec­chia 1887 durch das Erd­be­ben zer­stört, droht der Künst­ler­ge­mein­de nun das end­gül­ti­ge Aus von oben: Schon in den 80er Jah­ren sol­len Künst­ler immer mal wie­der offi­zi­el­le Schrei­ben von der zustän­di­gen Kom­mu­ne in San Remo bekom­men haben, dass sie zu Nach­zah­lun­gen ver­pflich­tet wären oder aber das Dorf ver­las­sen müss­ten, ande­re Male ging es um die man­geln­de Sicher­heit im Dorf, wo Tou­ris­ten durch her­ab­stür­zen­de Stei­ne ver­letzt wer­den könn­ten. Doch alle waren sich stets in einem einig: Die Müh­len der ita­lie­ni­schen Büro­kra­tie mah­len beson­ders lang­sam, und lan­ge rech­ne­te nie­mand mit ernst­haf­ten Maß­nah­men. „Es wird immer alles gleich­blei­ben, man kann die Leu­te doch nicht unter einer Brü­cke woh­nen las­sen!“, ver­kün­de­te Danie­la Mer­can­te noch Ende August. Doch Jana Wei­ser war sich nicht so sicher: „Die­ses Mal gehen die Strei­tig­kei­ten von Genua aus, und das sind die Schot­ten von Ita­li­en!“ Sie soll­te recht behal­ten: Anfang Sep­tem­ber ver­lor sie den begon­ne­nen Rechts­streit vor Gericht und soll bis Febru­ar 2021 ihr Ate­lier und Wohn­haus, das sie mit ihrem Mann in den 60ern eigen­hän­dig auf­bau­te, ver­las­sen.

Nur Marie-Eve Meri­lou gewinnt den juris­ti­schen Strei­tig­kei­ten auch etwas Posi­ti­ves ab: „Dadurch bleibt uns noch ein wenig Authen­ti­zi­tät erhal­ten, wir kön­nen gemein­sam für etwas kämp­fen.“ Tat­säch­lich haben sich die Sam­mel­kla­gen gegen den dro­hen­den Raus­wurf ver­mehrt, und gera­de die jün­ge­ren Gene­ra­tio­nen wol­len kämp­fen für das, was die Eltern oder Groß­el­tern mit eige­ner Kraft wie­der zu neu­em Leben erweck­ten. Leo­nard Som­mer bei­spiels­wei­se ent­wi­ckel­te einen Film mit dem Titel ‚Bus­sa­na Resi­li­ent‘, in dem Dörf­ler zu Wor­te kom­men, um Auf­merk­sam­keit für die Schwie­rig­kei­ten Bus­sa­na Vec­chi­as zu gewin­nen und es ‚zu ret­ten‘. Doch wird all dies aus­rei­chen, damit der Mikro­kos­mos auch künf­tig noch für die Bewoh­ner erhal­ten bleibt – und den Tou­ris­ten als in Ligu­ri­en ein­zig­ar­ti­ges Aus­flugs­ziel? Noch ist die Ant­wort dar­auf weit offen.

 

 

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Antworten

  1. Avatar von Jeanette Maron
    Jeanette Maron

    Tol­ler Bei­trag! Ita­li­en ist wirk­lich ein tol­les Urlaubs­ziel, sie haben auch eine wun­der­schö­ne Küs­te! Man kann bei­spiels­wei­se tol­le Hotels und Feri­en­woh­nun­gen in Ligna­no Bibio­ne mie­ten und dort einen super Strand­ur­laub machen (https://www.etgroup.info/deu/)!

    1. Avatar von Bernadette

      Vie­len Dank 🙂

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