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Bil­der für unsere Träume

Der Tag beginnt mit einem Ter­ras­sen­früh­stück unter wol­ken­lo­sem Him­mel. Mit­tags suchen wir bei mehr als 25 Grad den Schat­ten auf. Wenn die glut­rote Sonne dann im Ägäi­schen Meer ver­sun­ken ist, reicht ein leich­ter Pulli gegen die Abend­kühle. Es ist Anfang Okto­ber, und auf San­to­rin drängt sich der Som­mer noch ein­mal der­art über­zeu­gend auf, dass man das Gefühl bekommt, hier ginge er nie zu Ende. Eine durch­aus will­kom­mene Illusion.

Doch die Sai­son ist fast vor­bei. Jetzt, da die Tou­ris­ten in ange­nehm dosier­ter Zahl zwi­schen den blü­ten­wei­ßen Häu­sern umher­spa­zie­ren, ist es auf der allzu bekann­ten Kykla­den-Insel viel­leicht am schönsten.

San­to­rin ist ein Sinn­bild. Für medi­ter­rane Leich­tig­keit, die ange­sichts der Preise oft nur sehr exklu­siv zu haben ist. Und für Roman­tik. Die Kulisse der Insel ist so pit­to­resk, als wäre sie allein für ein kit­schi­ges Gemälde ent­wor­fen wor­den. Eine Ver­hei­ßung für Honey­moo­ner und alle Men­schen, die sich lie­ben oder das zumin­dest glau­ben und dafür noch die pas­sen­den Bil­der brau­chen. San­to­rin liefert.

 

 

Der Vul­kan­ar­chi­pel erhielt seine Form, als er um 1525 vor Chris­tus nach einem Aus­bruch von einer gewal­ti­gen Flut­welle über­spült wurde. Übrig blieb die Cal­dera, der gewal­tige Kegel aus schwar­zem Gestein. Der Haupt­ort Thira liegt direkt am Rand einer 300 Meter hohen Wand, die steil zum Meer abfällt. Die Häu­ser wur­den auf die Fel­sen gesetzt wie Juwe­len auf eine Krone. Im Mit­tags­licht strah­len sie so glei­ßend, dass die Augen schmer­zen. Doch der berühmte Son­nen­un­ter­gang taucht sie in ein sanf­tes Licht. Das Schau­spiel voll­zieht sich jeden Abend, Ein­hei­mi­sche und Besu­cher hal­ten dann inne. Es ver­wun­dert kaum, dass die Phö­ni­zier die Insel »Kal­liste« nann­ten – die Schönste.

Noch etwas char­man­ter als Thira – auch Fira genannt – ist Oia im Nor­den. Dort befin­det sich der wohl beste Aus­sichts­punkt: die Rui­nen des Vene­zia­ner-Kas­tells Argyri. Abends war­ten an die­ser Stelle Dut­zende auf die gol­dene Stunde, und das nicht umsonst.

Wer die große Insze­nie­rung der Natur pri­vat genie­ßen will, muss etwas tie­fer in die Tasche grei­fen. Ein Zim­mer in einem Bou­tique-Hotel oder Apart­ment mit Blick auf die Cal­dera kos­tet gut und gerne 300 Euro pro Nacht und mehr. Für die Filet­grund­stü­cke mit Pan­ora­ma­aus­sicht gibt es schließ­lich nur begrenz­ten Platz. Über­haupt ist San­to­rin ein Ziel für Men­schen mit Geld. Und für sol­che mit rich­tig viel Geld.

Die Ober­schicht der asia­ti­schen Wohl­stands­ge­sell­schaf­ten kommt auf einer Reise durch Europa gerne auf das grie­chi­sche Eiland. In Süd­ko­rea haben sie eine Kopie von San­to­rin errich­tet, für Hoch­zeits­pär­chen, die sich den teu­ren Trip in die Ägäis nicht leis­ten kön­nen. Die Chi­ne­sen sind ver­rückt nach der Insel, seit der Kas­sen­schla­ger »Bei­jing Love Story« in Tei­len hier gedreht wurde. Man kann ver­su­chen, die Preise der Hand­ta­schen zu schät­zen. Céline: 2000 Euro. Cha­nel: 4000 Euro. Hin und wie­der eine Bir­kin Bag von Her­mès: ab 12 000 Euro aufwärts.

 

 

In den schma­len Gas­sen in Thira und Oia gibt es neben Restau­rants mit sechs­spra­chi­gen Spei­se­kar­ten vor allem Bou­ti­quen und Juwe­liere. Eine schlichte schwarze Leder­ja­cke für 1200 Euro? Für viele Gäste ein ganz nor­ma­les Mitbringsel.

Beru­hi­gend ist, dass man San­to­rin auch als Nor­mal­ver­die­ner genie­ßen kann. Dafür wählt man am bes­ten eine Feri­en­woh­nung abseits der erst­bes­ten Lagen. Die schöns­ten Dinge auf San­to­rin sind ohne­hin kos­ten­los, zum Bei­spiel die Wan­de­rung ent­lang des Kra­ters von Oia nach Thira im Abend­licht. Oder der schwarze Strand von Peri­ssa, wo es sich bei 22 Grad Was­ser­tem­pe­ra­tur auch im Okto­ber noch her­vor­ra­gend baden lässt. Es muss auch nicht gleich der Hum­mer in einem der Restau­rants in der Amm­oudi-Bucht sein. In zwei­ter oder drit­ter Reihe fin­den sich in Oia viele Lokale mit guten wie güns­ti­gen Spei­sen. Wir emp­feh­len »Meli­tini«. Und der Son­nen­un­ter­gang gehört sowieso jedem.

Ein Herbst­ur­laub auf San­to­rin kann also sehr boden­stän­dig sein. Es braucht nicht viel außer der Sonne, der Wärme und dem Meer. Frei­lich könnte man dafür auch auf eine andere grie­chi­sche Insel rei­sen. Aber am Ende ist es natür­lich doch die­ses Büh­nen­bild aus weiß getünch­ten Häu­sern und Kir­chen und blauen Kup­pel­dä­chern am Rand des Vul­kan­kra­ters, das einen Besuch auf San­to­rin so ver­lo­ckend macht.

Auf den blank geputz­ten Wegen und vor klei­nen Balus­tra­den ste­hen Tou­ris­ten und ver­su­chen, sich gegen­sei­tig ins rechte Licht zu rücken, eupho­ri­siert bei­nahe, als könn­ten sie nicht glau­ben, plötz­lich Teil die­ses Ortes zu sein. Die Insze­nie­rung ist harte Arbeit.

In den Loka­len wird der Kaf­fee lau­warm, weil die Tasse noch einige Minu­ten für das per­fekte Insta­gram-Foto zurecht gescho­ben wird. Auch würde es vie­les ver­ein­fa­chen, wenn man die bes­ten Sel­fie-Spots durch Mar­kie­run­gen am Boden aus­wiese, mit eini­gen foto­gra­fi­schen Hin­wei­sen. Doch bis das pas­siert, wird man wei­ter Män­ner aus der hal­ben Welt mit teu­ren Spie­gel­re­flex­ka­me­ras beob­ach­ten kön­nen, die ihre Frauen in der har­ten Mit­tags­sonne zu por­trä­tie­ren versuchen.
Mit Blitz.

Auf San­to­rin glaubt man, dass die tou­ris­ti­sche Wahr­neh­mung allein durch Phan­ta­sie und Pro­jek­tio­nen geprägt ist. Auf die­ser Insel sucht nie­mand das »authen­ti­sche Grie­chen­land«, das wäre lächer­lich. San­to­rin ist ein ulti­ma­ti­ver Sehn­suchts­ort, wo Urlau­ber – wie for­mu­lierte es ein­mal jemand so schön – der Wirk­lich­keit ihrer Träume auf den Grund gehen. Hier stellt sich die Frage, wie lange eine Illu­sion trägt, wenn sie sich fort­wäh­rend durch die pas­sende Kulisse bestätigt.

 

 

Doch viele kom­men nur kurz auf die Insel, für eine Cola und das per­fekte Foto. An man­chen Som­mer­ta­gen drän­gen rund 70 000 Tou­ris­ten durch die Gas­sen. Die Insel will ihre Zahl begren­zen, es wird ein­fach zu viel. Selbst im Okto­ber lie­gen häu­fig noch drei Kreuz­fahrt­schiffe neben­ein­an­der vor der Insel. Doch der große Besu­cher­an­sturm ist dann vor­bei. Die Air­lines haben ihre Char­ter­flüge bis zum nächs­ten Früh­jahr ein­ge­stellt. Sehr bald schlie­ßen so gut wie alle Restau­rants und Geschäfte.

Kommt dann über­haupt noch jemand? Die Besit­ze­rin einer Bou­tique in Oia ant­wor­tet poli­tisch inkor­rekt, indem sie ihre Son­nen­brille anhebt und mit den Fin­gern ihre Augen aus­ein­an­der­zieht: Asia­ten. Sie mögen keine Sonne, und ins Meer gehen sie auch nicht. Das leuch­tet ein, denkt man, doch im Win­ter gibt es wahr­lich bes­sere Rei­se­ziele. Und der Som­mer auf San­to­rin ist schließ­lich lang genug.

Cate­go­riesGrie­chen­land
  1. Micha says:

    Schö­ner Arti­kel, wie so viele auf Reisedepeschen!
    Nur schade, dass in letz­ter Zeit die Fotos und Bil­der so bru­tal in ihrer Qua­li­tät redu­ziert wer­den. Wahr­schein­lich der Lade­zeit­op­ti­mie­rung geschul­det? Das kann es aber dann irgend­wie auch nicht sein oder? :) Schon gar nicht bei solch einem Artikel…
    Ansons­ten wei­ter so!

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