Ein einsamer Hippie und die freundlichsten Dealer der Welt

Jetzt im Win­ter ist Qeshm ein belieb­tes Urlaubs­ziel für ira­ni­sche Tou­ris­ten. Das Wet­ter ist her­aus­ra­gend und die Insel eine Duty-free Zone. Strand und Shop­pen – das sind die zwei wich­tigs­ten Grün­de für einen Besuch in Qeshm Town, dem Haupt­ort der Insel. Hier tref­fen wir Ali, der sich selbst als Irans ers­ten und ein­zi­gen Hip­pie beti­telt. Schnell mer­ken wir jedoch, dass Ali vor allem Irans größ­ter Kif­fer ist. Es dau­ert kei­ne 60 Minu­ten und wir beob­ach­ten unse­ren Gast­ge­ber wie er in einer Häu­ser­ecke die ers­te von unzäh­li­gen Pfei­fen mit Mari­hua­na stopft.

Je bes­ser wir Ali ken­nen­ler­nen, des­to deut­li­cher wird die Moti­va­ti­on für sein Hip­pie­tum. Eigent­lich sucht Ali nur einen Grund zum Kif­fen. Inspi­riert von eini­gen Trash-Hip­pie-Komö­di­en und ent­spre­chen­den Face­book­grup­pen ent­wi­ckelt Ali sei­ne ganz eige­ne Theo­rie: Wer ein rich­ti­ger Hip­pie sein will, muss viel kif­fen. Dann ver­brennt wie­der etwas Gras in sei­ner Pfei­fe. Auch Alis sons­ti­ge Vor­bil­der über­ra­schen wenig. 2Pac gehört dazu und seit Ali weiß, dass Snoop Dogg angeb­lich 75 Joints am Tag raucht, ist er sein größ­ter Held.

nationale Touristen Qeshm Qeshm Strand von Qeshm Town

Am Abend tref­fen wir Alis Freun­de in ihrer Woh­nung. Ein bun­ter Hau­fen Mitz­wan­zi­ger, die auf den ers­ten Blick kaum etwas gemein­sam haben. Sie alle sit­zen um einen nied­ri­gen Tisch, gebas­telt aus einem LKW-Rei­fen, her­um. Gras liegt in gro­ßen Men­gen in der Gegend und wird bei­na­he im Minu­ten­takt von einem der Anwe­sen­den in Papier gewi­ckelt und her­um­ge­reicht. Eine skur­ri­le Situa­ti­on, die wir so im Iran nicht erwar­tet hät­ten. Angst vor den Nach­barn und der Poli­zei zwingt die Men­schen über­all im Land zur Vor­sicht, aber hier auf Qeshm, so erfah­ren wir, sind die Men­schen wesent­lich ent­spann­ter und tole­ran­ter, was das Gesetz angeht. Außer­dem gibt es kaum genü­gend Poli­zis­ten, um Raz­zi­en durch­zu­füh­ren.

So sit­zen wir also in einer dich­ten, süß­li­chen Rauch­wol­ke und ler­nen Alis Freun­de ken­nen. Kei­ner von ihnen ist ein Hip­pie – natür­lich nicht, denn Ali ist ja der ers­te und ein­zi­ge im Iran. Dafür haben sie ganz ähn­li­che Hob­bys. Die Vie­rer-WG ist ein Dro­gen­um­schlags­platz. Amin, mit drah­ti­ger Sta­tur und nach­denk­li­chem Blick, dealt seit erfolg­rei­chem Abschluss des Inge­nieur-Stu­di­ums mit Mari­hua­na und Koks. Ali, genannt Löwe Ali, ist immer fröh­lich, mus­kel­be­packt und bringt vor allem Opi­um unter das Volk. Ahmed, schmäch­tig und mit wachen Augen, macht sich dem­nächst mit einer Ladung LSD auf den Weg zum Fest­land. Es ist sein ers­ter Auf­trag als Zulie­fe­rer und ent­spre­chend ner­vös ist er. Moh­sen, mit 34 Jah­ren der WG-Opa, baut irgend­wo in der Nähe Mari­hua­na an.

Die Dea­ler-WG nimmt uns in Anspruch. Jeden Abend ver­brin­gen wir hier. Jeden Abend ver­brin­gen wir mit ande­ren Men­schen. Mal sind es Kon­su­men­ten, die an einer Groß­be­stel­lung inter­es­siert sind, mal sind es Dea­ler aus Schi­ras, die auf Qeshm einen neu­en Markt für sich eröff­nen wol­len, mal sind es ein­fach nur ein paar Jugend­li­che und Möch­te­gern-Hip-Hop­per, die sich dar­über erei­fern, heu­te beson­ders bekifft zu sein. Ab und an kom­men Kurie­re vor­bei. Dann wird die Qua­li­tät der Ware getes­tet, über den Preis ver­han­delt, auf dem Han­dy Fotos von Plan­ta­gen gezeigt.

Die WG wächst uns schnell ans Herz. Nicht wegen der Leu­te, die hier stän­dig her­um­lun­gern, son­dern wegen der eigent­li­chen Bewoh­ner. Amin, Löwe Ali, Ahmed, Moh­sen – sie sind so aus­ge­spro­chen freund­lich, dass sie unse­rem Ste­reo­typ eines Dea­lers über­haupt nicht ent­spre­chen. Ihre Woh­nung ist sau­ber, wir bekom­men stän­dig Çay ser­viert und Obst ange­bo­ten, es wird für uns gekocht – eine WG per­fek­ter Gast­ge­ber. Als wir ein­mal mit Ali unan­ge­mel­det rein­schnei­en, wischt Löwe Ali, der sich aus­nahms­los mit Opi­um und dem feins­ten schwar­zen Haschisch aus Afgha­ni­stan zufrie­den gibt, gera­de beschwingt den Boden. Ver­gli­chen mit den ver­siff­ten Dro­gen-WGs, die wir bis­her in unse­rem Leben erleb­ten, sind wir hier in Qeshm Town im Para­dies.

Wäh­rend wir fröh­li­che Näch­te mit unse­ren Dea­ler-Freun­den ver­brin­gen, erkun­den wir Tags­über die Insel. Auf einem die­ser Aus­flü­ge brin­gen wir unse­rem Gast­ge­ber Ali das Tram­pen bei. Er ist fas­zi­niert von der Idee, hat aber kei­ne Vor­stel­lun­gen davon, wie genau das Rei­sen per Anhal­ter funk­tio­niert.

Also füh­ren wir Ali in unse­re Art des Rei­sens ein und las­sen ihn direkt ein Auto anhal­ten. Es funk­tio­niert. Zwei jun­ge Män­ner hal­ten mit ihrem Pick­up und neh­men uns mit. Es dau­ert nicht lan­ge und Alis Freu­de über sein ers­tes ange­hal­te­nes Auto weicht einem pani­schen Schock. Die bei­den Män­ner geben sich als Schmugg­ler und Mes­ser­ste­cher zu erken­nen, als Auf­trags­leu­te, die für sämt­li­che Tätig­kei­ten ange­heu­ert wer­den.

Qeshm Qeshm

Wir neh­men die Aus­sa­gen ganz locker – es sind nicht die ers­ten Ver­rück­ten zu denen wir ins Auto stei­gen – doch Ali scheint ernst­haft besorgt. Er drückt sich an die Hin­ter­tür, jede Sekun­den zum Sprung ins Freie bereit. Doch dazu gibt es kei­nen Grund. Spä­tes­tens als die Mes­ser­ste­cher eng­lisch­spra­chi­ge Musik für uns suchen und mit „My Heart will go on“ von Céli­ne Dion fün­dig wer­den, ent­spannt sich auch Ali wie­der etwas. Gemein­sam errei­chen wir das Fischer­dorf Laft und machen zum Abschied ein Sel­fie mit den Schmugg­lern und Mes­ser­ste­chern. Ali hält sich im Hin­ter­grund und ist sicht­lich froh, sein ers­tes Tram­per-Aben­teu­er über­lebt zu haben.

Laft ist bezau­bernd schön. Das Dorf, ein­ge­klemmt zwi­schen Per­si­schem Golf und schrof­fem Fels, ist seit Jahr­hun­der­ten unver­än­dert. Lehm­häu­ser, nied­ri­ge Türen, enge Gas­sen, Wind­tür­me, die küh­le Luft in die Häu­ser lei­ten, Mina­ret­te. Selbst unter der glei­ßen­den Mit­tags­son­ne fin­den wir an jeder Ecke ein Foto­mo­tiv. Hier hören wir seit lan­ger Zeit wie­der die lau­ten Rufe des Muez­zins, wie wir es so lan­ge aus der Tür­kei gewohnt waren. Im größ­ten­teils schii­ti­schen Iran sind die Rufe zum Gebet dage­gen etwas Beson­de­res.

Es ist heiß und außer uns nie­mand auf der Stra­ße. Aber auch wir blei­ben nicht lan­ge drau­ßen, denn schon bald kom­men wir ins Gespräch mit einem älte­ren Herrn in ara­bi­scher Klei­dung, der uns wäh­rend der größ­ten Hit­ze kur­zer­hand in sein Haus zu einem Tee ein­lädt. Danach führt er uns etwas durch sein Dorf, zeigt uns den Was­ser­spei­cher, die alte por­tu­gie­si­sche Fes­tung und anti­ke Brun­nen.

Qeshm Windtürme sorgen für frische Luft im Inneren der Häuser Qeshm Qeshm Qeshm Wasserspeicher in Laft Abendstimmung in Laft Qeshm

Als wir uns wie­der von unse­rem Gui­de ver­ab­schie­den, machen wir uns auf den Weg zum Hafen, stei­gen in ein Boot und fah­ren hin­aus zu den nahe­ge­le­ge­nen Man­gro­ven­wäl­dern.

Man­gro­ven fas­zi­nie­ren uns. Dich­tes Gebüsch, Was­ser und vie­le Tie­re, die beob­ach­tet wer­den wol­len. Den meis­ten Spaß haben wir jedoch dar­an, ein­fach nur über den Wel­len des Gol­fes zu düm­peln, die Bei­ne aus­zu­stre­cken und nichts zu tun.

Qeshm Qeshm Qeshm Qeshm Qeshm

Am spä­ten Nach­mit­tag tram­pen wir zurück nach Qeshm Town und wie es der Zufall so will, lan­den wir wie­der im Wagen eines Schmugg­lers. Dies­mal ist Ali schon wesent­lich ent­spann­ter. Schmugg­ler schei­nen hier im Süden des Irans durch­aus üblich zu sein.

Unser letz­ter Weg auf Qeshm führt uns in den Süden der Insel. Wir wol­len nach Hen­gam, eine wei­te­re klei­ne Insel, rund zehn Boot­mi­nu­ten von Qeshm ent­fernt. Hen­gam ist vor allem für sei­nen Arten­reich­tum berühmt. Vor der Küs­ten schwim­men Del­fi­ne, die wir wäh­rend der Über­fahrt immer wie­der aus dem Was­ser auf­tau­chen sehen. Hen­gam selbst ist eine schläf­ri­ge Insel. Hier ver­läuft das Leben noch lang­sa­mer als auf Qeshm. Ein paar Strand­re­stau­rants bie­ten den Del­fin­tou­ris­ten eine Stär­kung und auf einem klei­nen Sou­ve­nir­markt wer­den Muschel­ket­ten und Muschel­männ­chen ange­bo­ten.

Von all dem bekom­men wir nur wenig mit. Gleich hin­ter dem Sou­ve­nir­markt am Strand herrscht Stil­le. Das Dorf scheint vor allem von Zie­gen bevöl­kert zu sein, die durch die Gas­sen lau­fen, mal hier und mal dort nach etwas Fress­ba­rem suchen. Am klei­nen Hafen lie­gen ein paar Fischer­boo­te. Wir zie­hen aus dem Dorf her­aus und suchen einen Strand. Immer wei­ter lau­fen wir durch die schat­ten­lo­se Land­schaft. Kein Baum und kein Strauch spen­det Schat­ten. Statt­des­sen schlep­pen wir unse­re Ruck­sä­cke unter der bren­nen­den Son­ne durch Staub und Sand. Auf dem Weg begeg­nen wir ein paar Gazel­len, die hier auf Hen­gam leben.

Hengam Hengam Dorf auf Hengam Hengam Blick auf den Persischen Golf Hengam Gazelle auf Hengam

Es dau­ert eine Wei­le, aber dann fin­den wir einen pas­sen­den Strand, schla­gen unser Zelt auf und sprin­gen hin­ein in den Per­si­schen Golf – nicht ohne uns vor­her zu ver­ge­wis­sern, dass wir wirk­lich allei­ne sind, denn Frau­en ist das baden nur gestat­tet, solan­ge sie dabei die isla­mi­schen Klei­dungs­vor­schrif­ten beach­ten.

Hengam Hengam

Am nächs­ten Tag keh­ren wir nach Qeshm Town zurück. Es ist unser letz­ter Tag auf Qeshm und bevor unse­re Fäh­re zurück nach Bandar Abbas fährt, wer­den wir noch ein­mal in die Dro­gen-WG ein­ge­la­den. Schon an der Tür wer­den uns unse­re Ruck­sä­cke fröh­lich abge­nom­men. Schnell ver­staut sie Amin mit Hil­fe von Löwe Ali in einem Schrank, in dem sie eigens für uns Platz schaf­fen: Wir könn­ten hier so lan­ge blei­ben, wie wir möch­ten, wird uns erklärt, als uns Ahmed bereits einen hei­ßen Tee ser­viert. Die Zeit ver­geht. Wir trin­ken Çay, spie­len Back­gam­mon und über­nach­ten am Ende bei den wohl freund­lichs­ten Dea­lern der Welt. Der Per­si­sche Golf lässt uns erst am nächs­ten Tag zie­hen.

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Antworten

  1. Avatar von Chris

    »Der per­si­sche Golf lässt uns erst am nächs­ten Tag zie­hen« … Geni­al!
    Für uns geht’s in 3 Wochen auch wei­ter in den Iran. Lei­der nur für 2 Wochen, die wer­den wir aber auch nur mit couch­sur­fing ver­brin­gen 🙂 bis zu eurem Hip­pie am per­si­schen Golf wer­den wir nicht kom­men aber ich schät­ze mal, dass es dort so unglaub­lich vie­le ein­zig­ar­ti­ge Men­schen gibt!

    1. Avatar von nuestra américa
      nuestra américa

      Du hast ganz recht, Chris. Im Iran wirst du vie­le groß­ar­ti­ge Men­schen tref­fen und ken­nen­ler­nen. Wir wün­schen dir viel Spaß und tol­le Erleb­nis­se.

  2. Avatar von Marla
    Marla

    Schö­ne Bil­der alle­mal. Aller­dings hal­te ich ich die Bericht­erstat­tung für grenz­wer­tig. So freund­lich auch die eigent­li­chen Men­schen sein mögen. Dro­gen machen Men­schen abhän­gig und töten. Auch wenn es letzt­lich die Dro­ge ist, die das tut, bin ich der Mei­nung das man auch die Dea­ler weder ver­harm­lo­sen noch in irgend­ei­ner Form unter­stüt­zen soll­te!

    1. Avatar von nuestra américa
      nuestra américa

      Lie­be Mar­la,
      wir ver­harm­lo­sen weder Dro­gen­kon­sum noch den Han­del mit Rausch­mit­teln. Die Welt ist jedoch nicht schwarz-weiß. Nicht jeder, der eine Straf­tat begeht, ist des­halb ein schlech­ter Mensch.

  3. Avatar von Claudia

    Das klingt so viel exo­ti­scher als mein letz­ter Urlaub in Matrei. 😉 Ich wet­te, die Erleb­nis­se waren der Wahn­sinn und ihr erin­nert euch noch in vie­len Jah­ren ger­ne dar­an.

    1. Avatar von nuestra américa
      nuestra américa

      Es ist sicher­lich ein biss­chen wei­ter Weg als Matrei – geo­gra­phisch als auch kul­tu­rell. 😉
      Wir wer­den uns bestimmt noch lan­ge an die­se tol­le Zeit erin­nern.

    1. Avatar von nuestra américa
      nuestra américa

      Vie­len lie­ben Dank.

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