Córdoba, ein Hoch auf das Urbane!

Wochen­lang sind wir durch das Anden­hoch­land gereist. Wir sind ehr­fürch­tig durch tie­fe Berg­schluch­ten gewan­dert und haben hoch­ge­schaut, auf die­se mäch­ti­gen, schnee­be­deck­ten Glet­scher Perus. Auf der »Son­nen­in­sel«, auf dem Titi­k­aka­see haben wir die bit­te­re Käl­te des Hoch­lands zu spü­ren bekom­men. Wir haben uns in die Wei­te von Boli­vi­ens Salz­wüs­te bege­ben; in eine sur­rea­le wei­ße Salz­welt, in der man Distan­zen nicht mehr ein­schät­zen kann, weil jeg­li­che Bezugs­punk­te feh­len. Und dann, fast an der Gren­ze zu Chi­le, tauch­ten plötz­lich Fla­min­gos in einer selt­sam röt­lich gefärb­ten Lagu­ne auf.

Für uns waren es Wochen des Staunens

Eine Fas­zi­na­ti­on, die rein und pur war, her­vor­ge­ru­fen durch die blan­ke Schön­heit der Natur. Mit Nacht­bus­sen sind wir von Ort zu Ort gefah­ren, denn wir wuss­ten immer: Inmit­ten die­ser fan­tas­ti­schen Natur soll­ten wir kei­nen Tag unge­nutzt ver­strei­chen las­sen.

Es ist ein sel­te­ner Opti­mis­mus, der sich immer dann aus­brei­tet, wenn wir viel drau­ßen sind. Es sind letzt­end­lich die wie­der­keh­ren­den Bot­schaf­ten der omni­prä­sen­ten Selbst­hil­fe­li­te­ra­tur, die sich der über­ar­bei­te­te deut­sche Groß­städ­ter offen­sicht­lich ger­ne durch­liest:

Lebe mini­ma­lis­tisch! Küm­me­re dich mal um dich selbst! Geh‹ auch mal raus!

Auch die Abs­ti­nenz von Kom­fort und Besitz­tü­mern beflü­gelt uns. Wir duschen mit kal­tem Was­ser und sagen ein­an­der: Uns fehlt es an nichts.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit

Denn erst jetzt, in Cór­do­ba, zeigt sich, dass uns doch etwas gefehlt hat: Geis­ti­ger Input. Aus­tausch. Men­schen. DIE STADT!

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Im Foy­er des Paseo del Buen Pas­tor erkun­di­gen wir uns nach Muse­en, Kinos und ande­ren Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen. Die Dame nimmt eine Stadt­kar­te und einen Kugel­schrei­ber- am Ende gibt es kaum noch eine Stel­le, die nicht ein­ge­krin­gelt ist. Sie emp­fiehlt einen wah­ren Muse­ums­ma­ra­thon. Aber die Mes­sa­ge ist auch, dass die gan­ze Stadt vol­ler Archi­tek­tur, vol­ler Geschich­te, vol­ler LEBEN steckt. Ich lie­be das. Men­schen, die die Welt allei­ne durch die gründ­li­che Art die­se zu betrach­ten, berei­chern.

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Am Abend gehen wir in den Cine Club Muni­ci­pal. Ein Pro­gramm­ki­no, in einem alten Gebäu­de mit rie­si­gen, schwe­ren Türen. Ein weiß­haa­ri­ger Mann emp­fängt uns im Foy­er. Wir unter­hal­ten uns über das Kino. Finan­zi­ell sei es schwer solch ein nicht­kom­mer­zi­el­les Pro­jekt am lau­fen zu hal­ten, sagt er. Ob er auch für die Film­aus­wahl zustän­dig sei, fra­ge ich ihn.

»Ich bin dafür zustän­dig, dass die Gäs­te sich wohl­füh­len«, sagt er wie selbst­ver­ständ­lich und beschert mir dadurch schon den Moment des Abends.

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Wir sehen ›Son­i­dos Veci­nos‹, eine bra­si­lia­ni­sche Pro­duk­ti­on. Es geht um das Leben von Mit­tel­klas­se­fa­mi­li­en in Reci­fes, die sich um die Sicher­heit in ihrer Stra­ße sor­gen. Es geht auch um Klas­sen­un­ter­schie­de und die ste­te Beklem­mung, die ein Leben hin­ter ver­rie­gel­ten Türen in die­ser ange­spann­ten Gesell­schaft mit sich bringt.

Ich bin der größ­te Fan des gro­ßen Pop­corn­ki­nos aus Hol­ly­wood. Den­noch wird an die­sem Abend klar, wie berei­chernd es ist, einen Film zu sehen, der sich durch sorg­fäl­tig geschrie­be­ne Dia­lo­ge und gründ­li­che Detail­ar­beit aus­zeich­net. Zu oft habe ich mich zuletzt im popu­lä­ren Kino selbst dabei ertappt bereits wäh­rend des Films Hand­lungs­lü­cken oder all­zu vor­her­seh­ba­re Cha­rak­ter­ent­wick­lun­gen zynisch zu kom­men­tie­ren.

Sehr erfreu­lich: der Kaf­fee im Quen­tin Café ist wahr­haf­tig meis­ter­lich. Eine Leucht­ta­fel mit Taran­ti­nos Gesicht erleuch­tet die Bar hell, wäh­rend es drau­ßen bereits däm­mert.

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Anders als so oft in der süd­ame­ri­ka­ni­schen Pro­vinz, hört das Leben mit Ein­bruch der Dun­kel­heit noch nicht auf. Ganz im Gegen­teil: es fängt jetzt erst rich­tig an. Die Men­schen ver­sam­meln sich. Sie dis­ku­tie­ren, musi­zie­ren, tan­zen und lachen. Es ist nicht exis­ten­zi­ell wich­tig, was hier am Abend in den Bars und Stra­ßen Cór­do­bas geschieht. Und genau das ist das Schö­ne. Man bewegt sich im obe­ren Bereich der Bedürf­nis­py­ra­mi­de – es geht um Selbst­ver­wirk­li­chung. Der Mensch mani­fes­tiert sich als sozia­les Wesen und beschäf­tigt sich im Gro­ßen und Gan­zen mit dem, was ihn so ein­zig­ar­tig macht: Kul­tur.

In Cór­do­ba sind die Näch­te lang. Schnell mer­ken wir, dass wir hier unse­ren Rhyth­mus umstel­len müs­sen. Die Men­schen fül­len noch spät am Abend die Plät­ze, brin­gen sich Ther­mos­kan­nen vol­ler Mate-Tee mit und set­zen sich zusam­men. Statt Tee holen wir uns ein Bier und set­zen uns in die Nähe der Igle­sia de los Capuch­i­nos auf ein paar Trep­pen­stu­fen und beob­ach­ten im rie­si­gen Brun­nen die Agu­as Danz­an­tes, die tan­zen­den Was­ser. Wir sind jetzt mit­ten­drin, ange­steckt von der Urba­ni­tät.

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Antworten

  1. Avatar von Reiner Rode via Facebook
    Reiner Rode via Facebook

    Na, super… wer woll­te nicht schon immer die häss­li­chen Hoch­häu­ser einer schein­bar men­schen­lee­ren Stadt bewun­dern?
    Die im Text erwähn­ten Loca­ti­ons (Muse­en, Kinos) müs­sen ja foto­gra­fisch der Hor­ror gewe­sen sein, wenn man statt­des­sen sowas ablich­tet.

    1. Avatar von Stefan

      Kei­ne Lust sach­lich dar­auf zu ant­wor­ten.

      Gruß

    2. Avatar von Aylin

      Hal­lo Rei­ner,

      a) Schön­heit ist immer sub­jek­tiv und es geht bei Rei­se­be­rich­ten ja auch dar­um, ande­re Sicht­wei­sen als aus typi­schen Rei­se­pro­spek­ten zu zei­gen.

      b) s. Ste­fans Kom­men­tar oben.

      c) Ich per­sön­lich fand die Archi­tek­tur span­nend- vor allem die uni­for­men, rie­si­gen Hoch­häu­ser- schließ­lich der Wohn­raum vie­ler Men­schen! Der Kon­trast von gro­ben, klot­zi­gen For­men und Beton­grau auf strah­lend blau­em Him­mel hat mir gefal­len.

      d) Natür­lich kann jeder sei­ne Mei­nung dazu haben, und ich respek­tie­re, dass Dir die Bilder/​ Häu­ser nicht gefal­len. Trotz­dem soll­ten wir hier mit­ein­an­der respekt­voll umge­hen- das wünscht Du Dir sicher auch.

      Vie­le Grü­ße
      Aylin

  2. Avatar von Gülcin
    Gülcin

    Oh Gott, ich war letz­tes Jahr für drei Mona­te in Cór­do­ba und hat­te wirk­lich eine wun­der­schö­ne Zeit. Die Men­schen, die Atmo­sphä­re und noch viel mehr.…alles war unglaub­lich schön. Und für einen kur­zen Moment war ich wie­der da, dank euch. Ich wünsch euch ne schö­ne Zeit und viel Spaß.

    Wenn ich mich recht erin­ne­re, kann man im Hotel NH Pan­ora­ma auf die Dach­ter­as­se, von wo man eine tol­le Aus­sicht hat.

    Lie­be Grü­ße, Gül­cin

    1. Avatar von Stefan

      Hey Gül­cin,

      wow, super – in 3 Mona­ten kann man dort sicher rich­tig viel erle­ben! Schön, dass der Text wie­der schö­ne Erin­ne­run­gen her­vor­ge­ru­fen hat.

      Lie­be Grü­ße!

  3. Avatar von Sabrina (todayis)

    Das muss echt krass sein wie­der in die »Zivi­li­sa­ti­on« zu kom­men. Man saugt dann ja auch irgend­wie alles in sich auf und fin­det jeg­li­che Kul­tur und jeden Aus­tausch total toll und beflü­gelnd. Und irgend­wie ein kras­ser Gegen­satz von Stadt und Flair. Cor­do­ba sieht total leer aus und kalt und wenn man dann liest, wie ihr das Flair dort beschreibt, passt das so gar nicht zusam­men. Aber gera­de das macht es ja oft am inter­es­san­tes­ten 🙂

    1. Avatar von Stefan

      Hey Sabri­na,

      dan­ke für den Bei­trag. Du glaubst nicht wie krass es war, wie­der alles auf­zu­sau­gen in einem umtrie­bi­gen urba­nen Umfeld!

      Die Bil­der geben auch nur die hal­be Wahr­heit wie­der. Wir haben uns ent­schie­den, hier die Bil­der der eigen­wil­li­gen Wohn­ar­chi­tek­tur abzu­bil­den und die ist wirk­lich nicht Jeder­manns Sache. Aller­dings gibt es in der Stadt auch war­me Archi­tek­tur, alte Gebäu­de, schö­ne Plät­ze etc. Das sei »der Voll­stän­dig­keit hal­ber« erwähnt.

      Lie­be Grü­ße!

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