Ohne Geld in Ecuador

Kar­te rein, Kar­te raus. No se pue­de pro­ce­sar su soli­ci­tud en este momen­to. Kar­te rein, Kar­te raus. Egal, wie oft ich es pro­bie­re, es kommt eine Feh­ler­mel­dung, auf deutsch, auf spa­nisch, auf eng­lisch. Mir ist das egal, es muss klap­pen, was soll ich sonst auch tun, Kar­te rein, Kar­te raus. Ich ste­he in Baños de Agua San­ta, kurz Baños, einer ecua­do­ria­ni­schen Klein­stadt, und drü­cke eine Tas­te nach der ande­ren, um dem Auto­ma­ten der Ban­co de Cré­di­to wenigs­tens ein paar klei­ne Dol­lar­schei­ne zu ent­lo­cken. Aber irgend­wann muss ich auf­ge­ben, das wird nichts mehr und die Schlan­ge hin­ter mir wird auch nicht kür­zer. Ich ste­he mit ein paar Rest­mün­zen auf der Pla­za de Armas, dem Haupt­platz der Stadt, und habe das, was mir gera­de geschieht, noch nicht ganz rea­li­siert. Ohne Geld irgend­wo in Ecua­dor, ohne Heim­fahr­ti­cket in der Tasche, ohne jeman­den, der mir hel­fen könn­te. Ich set­ze mich auf eine Bank, ganz ruhig, mein Kopf ist leer. Dass ich ein biss­chen ver­lo­ren aus­se­he, scheint rela­tiv offen­sicht­lich zu sein, ein paar deut­sche Tou­ris­tin­nen kom­men mit mir ins Gespräch, erzäh­len mir von ihrer Tour auf den nahe gele­ge­nen Vul­kan Tun­gu­ra­hua, mit Pfer­den sind sie hoch­ge­rit­ten, ich bekom­me alles nur durch einen Schlei­er mit. Ich erzäh­le von dem Pro­blem mit mei­ner Kre­dit­kar­te und sie schen­ken mir einen Apfel und ein paar Bro­te, damit ich erst ein­mal wenigs­tens nicht ver­hun­ge­re.

Gut, dass ich ohne­hin viel couch­sur­fe, ich habe die Adres­se einer Hare Krish­na-Gemein­de in der Nähe von Baños in mei­nem Notiz­buch. So ganz genau weiß ich nicht, was mich dort erwar­tet, ich habe vor­her eher Wit­ze geris­sen über die Gemein­de, mit Hip­pies und Man­tras kann ich wenig anfan­gen. Eine Anfra­ge habe ich trotz­dem geschrie­ben, ich möch­te mei­nen Hori­zont ja erwei­tern und mal sehen, was das so für Leu­te sind, außer­dem sah es auf den Bil­dern rich­tig schön aus, mit­ten im Regen­wald, mit klei­nen Tem­pel­chen und Sta­tu­en. Man muss von Baños aus einen Bus und ein Taxi neh­men, ich inves­tie­re fast vier Dol­lar, ganz schön viel, wenn man nur noch zwan­zig in der Tasche hat und nicht weiß, wann sich das Kon­to­pro­blem löst. Eigent­lich wur­de mei­ner Couch Request noch zuge­stimmt von einem gewis­sen Dani­el, ich habe das ein paar Tage vor­her im Inter­net­ca­fé gecheckt. Trotz­dem scheint mich nie­mand zu erwar­ten, ich kom­me an, ein paar Leu­te sit­zen her­um, locke­re Hip­pie-Klei­dung, lan­ge Haa­re, Dre­ad­locks und Bär­te gegen ein paar Glatz­köp­fi­ge. Ach ja, der, der frü­her das mit dem Couch­sur­fing orga­ni­siert hat, der ist gar nicht mehr hier, meint einer. Über­nach­ten kann ich hier trotz­dem, der Chef, einer von den Glatz­köp­fen, zeigt mir eine Hüt­te, die rich­tig schön aus­sieht. Ich freue mich schon, die Umge­bung ist wun­der­bar, über­all grünt es und die Gär­ten sind hübsch ange­legt, wohin man sieht, gibt es etwas zu bestau­nen. Auf dem Gelän­de ste­hen meh­re­re Tem­pel, die genau so aus­se­hen, wie ich sie mir vor­ge­stellt habe, aus­ge­legt mit wei­chen Mat­ten und bun­ten Tüchern, über­all gol­de­ne Sta­tu­en, alles ist behängt mit viel bun­tem Klim­bim. Sogar einen eige­nen klei­nen Was­ser­fall gibt es im Gar­ten, die Stei­ne rund­her­um sind bunt bemalt. Alles hat eine sehr fried­li­che Atmo­sphä­re, ich bin für so etwas sonst wenig emp­fäng­lich, aber hier könn­te sogar ich mir vor­stel­len zu medi­tie­ren.

Ich esse mit den Bewoh­nern zu Abend, es gibt vega­ne, lei­der bei­na­he unge­nieß­ba­re Kost. Schö­ner ist das Zusam­men­sit­zen mit den Leu­ten, nicht alles wirk­lich fest Gläu­bi­ge, auch eini­ge, die sich das Leben dort sozu­sa­gen nur mal anschau­en und im Haus mit­ar­bei­ten. Nach dem Essen wird das Hare Krish­na-Man­tra gesun­gen, ich fin­de das ganz schön absurd und muss mein Grin­sen wirk­lich unter­drü­cken. „Hare Krish­na, Krish­na Krish­na, Hare Hare…“ Ich fra­ge mich, ob die meis­ten, die mit­sin­gen, über­haupt wis­sen, was das alles bedeu­tet. Für mich ist das Lied ein­fach eine will­kür­li­che Anein­an­der­rei­hung von Begrif­fen und Namen. Täg­lich muss man als Hare Krish­na die­ses Lied 1728mal sin­gen, 16 Run­den auf einer Gebets­ket­te mit 108 Per­len, das dau­ert etwa zwei Stun­den und ver­setzt einen durch die mono­to­ne Wie­der­ho­lung in eine Art bewusst­sein­sent­lee­ren­den, medi­ta­ti­ven Zustand.

Spä­ter sit­ze ich allein mit dem Chef an einem Tisch, er legt mir eine Preis­lis­te vor. Eine Über­nach­tung in einer der Hüt­ten kos­te 25 Dol­lar, einen Preis von 12 Dol­lar, eine Erspar­nis um die Hälf­te, kön­nen wir machen, wenn ich bereit dazu wäre, tags­über vier­ein­halb Stun­den bei der öko­lo­gi­schen Land­wirt­schaft zu hel­fen. Ich bin ganz schön per­plex, erklä­re noch ein­mal das Prin­zip von Couch­sur­fing und dass mir von Dani­el zuge­si­chert wur­de, ich kön­ne dort über­nach­ten, ohne zu bezah­len. Bezie­hungs­wei­se, dass ich mit einer Lebens­ge­mein­schaft gerech­net hat­te, die Couch­sur­fer auf­nimmt, anstatt mit einem Hotel. Auf Dani­el scheint der Chef nicht gut zu spre­chen zu sein, von Couch­sur­fing hält er nicht viel, das machen sie nicht mehr. Ich fas­se mir ein Herz und erzäh­le ihm von mei­ner etwas pein­li­chen Situa­ti­on, von dem Auto­ma­ten in Baños und davon, dass sich über die Weih­nachts­fei­er­ta­ge wohl eine Über­wei­sung ver­spä­tet haben muss. Es ist mir ganz schön unan­ge­nehm, vor allem, da der Glatz­kopf mich nun eigent­lich nicht mehr weg schi­cken kann, um die­se Uhr­zeit kom­me ich schließ­lich aus dem klei­nen Dorf, in dem sich die Öko-Fin­ca befin­det, gar nicht mehr fort, so spät fah­ren kei­ne Bus­se mehr mit­ten im Regen­wald. Noch dazu hat es ange­fan­gen, wie aus Kübeln zu reg­nen. Und eine Acht­zehn­jäh­ri­ge ins Unge­wis­se zu schi­cken, hin­aus in den Regen, ohne Schlaf­platz oder Ori­en­tie­rung, das bringt auch der ziem­lich wirt­schaft­lich den­ken­de Krish­na nicht übers Herz. Wir neh­men eine Pla­ne gegen den Regen und eine Lam­pe mit und er zeigt mir mei­nen tat­säch­li­chen Schlaf­platz, in einer Hüt­te, die etwas abseits steht und in der län­ger nicht mehr geputzt wur­de, mit einem schma­len Stock­bett in einer Ecke. Ich sehe mich schon nachts vor lau­ter Angst vor Spin­nen, Kaker­la­ken und ande­rem Getier kein Auge zuma­chen, bin aber dank­bar, einen Schlaf­platz gefun­den zu haben. Couch­sur­fing hat mich viel­leicht ein biss­chen ver­wöhnt, viel­leicht erwar­te ich inzwi­schen zu sehr, dass Leu­te ihre Türen für einen öff­nen, wenn man Hil­fe braucht. Ich möch­te den Krish­nas noch eine Chan­ce geben, schließ­lich ist es auch ver­ständ­lich, dass sie nie­man­den kos­ten­los da hin­las­sen, wofür ande­re Geld zah­len müs­sen.

Es ist noch nicht ganz Zeit zum Schla­fen­ge­hen, ich unter­hal­te mich noch ein biss­chen mit dem Chef. Der Regen pras­selt laut auf das Schilf­dach, die Ker­ze auf dem Tisch fla­ckert, Käfer krab­beln über die Tisch­de­cke, eine Kat­ze streicht maun­zend um die Stüh­le her­um. Der etwa vier­zig­jäh­ri­ge Mann sitzt in sei­nem Stuhl, in sei­nem Gesicht krab­belt eine Flie­ge, ein Käfer läuft sein Hemd hoch und ver­schwin­det im Aus­schnitt, doch der Kerl ver­zieht kei­ne Mie­ne. Respekt vor allem Leben gehö­re zu ihrer Reli­gi­on, des­halb gibt es nur vega­ne Nah­rung. War­um erschla­gen die Men­schen Flie­gen und Mücken – die­se hät­ten schließ­lich das glei­che Recht auf Leben wie alles ande­re. Ich muss an mei­ne Schlaf­hüt­te den­ken und lachen. „Wenn ich heu­te Nacht eine Spin­ne sehe, wer­de ich der aber nicht so ruhig begeg­nen“, kün­di­ge ich an. Der Krish­na lächelt mich an und sagt wei­se: „Das ist dann eine Sache zwi­schen dir, der Spin­ne und dem Kar­ma.“

Spä­ter, als ich wie­der zu Hau­se bin, ler­ne ich noch mehr über die Reli­gi­on, zum Bei­spiel, dass es ver­bo­ten ist, Rausch­mit­tel zu sich zu neh­men, auch Geschlechts­ver­kehr ist nur zur Zeu­gung von Kin­dern erlaubt, die dann anhand der Krish­na-Reli­gi­on auf­ge­zo­gen wer­den. Es bleibt mir suspekt, wie eine Reli­gi­on mit der­art fes­ten Regeln und ver­al­te­ten Ansich­ten zu einem Anzie­hungs­punkt für Hip­pies und Frei­geis­ter wer­den kann. Die Fin­ca im Regen­wald stellt sich den Gäs­ten jedoch so dar, wie die­se es wol­len und erwar­ten: Regen­wald, Yoga, vega­nes Essen, ein biss­chen Ent­span­nung und Meditia­ti­on, ein biss­chen Abschal­ten vom All­tag und als Frei­wil­li­ge auf der Öko-Farm etwas Gutes tun. Dafür zahlt man dann auch ger­ne mal dop­pelt so viel wie für ein Hos­tel, und das, obwohl man die Hälf­te des Tages arbei­ten muss.

Das weiß ich alles noch nicht, als ich dort im Bett lie­ge, ich weiß nur, dass ich am nächs­ten Tag schnell wei­ter muss, denn wenn ich nicht nach dem Früh­stück ver­schwin­de, wer­den mir die Über­nach­tungs­kos­ten in Rech­nung gestellt. Obwohl die Leu­te nett sind, wer­den kla­re Gren­zen gezo­gen, wenn es ums Geld geht. Ich füh­le mich eher wie ein Ein­dring­ling als wie ein Gast und fra­ge mich, ob der Respekt gegen­über allen Lebens bei den Hare Krish­na nur Spin­nen und Scha­ben gilt oder auch Leu­ten, die Hil­fe nötig haben. Als der Regen in mei­ner Hüt­te wie­der auf das Dach zu pras­seln beginnt, herrscht in mir ein komi­sches Gefühls­cha­os aus Lee­re und Gebor­gen­heit. Zumin­dest um wie­der ein­mal aufs Neue zu ler­nen, dass das Uni­ver­sum in sich doch irgend­wie gut ist und Hil­fe dann kommt, wenn man sie braucht, dass Men­schen einem gut gesinnt sind und einen unter­stüt­zen und dass es immer, immer einen Aus­weg gibt, egal, wie blöd die Situa­ti­on ist, in der man steckt, dafür hat sich der Aus­flug zu den Hare Krish­na gelohnt, den­ke ich, und füh­le mich fast selbst ein biss­chen spi­ri­tu­ell.

Auf Rei­sen muss man oft Momen­te der Angst erle­ben, doch noch viel inten­si­ver sind die Erin­ne­run­gen an den Moment, an dem alles wie­der gut ist, an dem die Welt einen aus frei­em Fall auf­ge­fan­gen und sanft wie­der auf die Erde gesetzt hat, und sol­che Momen­te gibt es auf Rei­sen immer wie­der. Ich den­ke an das Hare Krish­na-Lied, mei­ne Gedan­ken ver­mi­schen sich mit dem Regen, der pau­sen­los und mono­ton auf das Holz­dach pras­selt, und irgend­wann ist all die Auf­re­gung des Tages ver­ges­sen und ich schla­fe ein.

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Antworten

  1. Avatar von Michael
    Michael

    Die lau­fen bei uns in der Stadt auch rum, die­se Hare Krish­na Hip­pies. Zu rosa rote Bril­le für mei­nen Geschmack. Aber dein Arti­kel ist toll geschrie­ben. Hab‹ ihn ganz gele­sen. 😉 Wei­ter­hin viel Spaß auf dei­nen Rei­sen. Salu­te from Ger­ma­ny Micha­el

    1. Avatar von Ariane Kovac

      Ja, mir ist das auch sehr suspekt. Habe sol­che Leu­te aller­dings in Deutsch­land noch nie getrof­fen 😉 Dan­ke für das Lob!

  2. Avatar von Sebastian

    Inter­es­san­te Sto­ry, sehr schön geschrie­ben!

  3. Avatar von Alex Sefrin

    Hal­lo Atia­ne,
    wun­der­schö­ne Geschich­te! Die­se klei­nen Kata­stro­phen machen das Rei­sen so schön. Klar ist es in dem Augen­blick alles ande­re ange­nehm und man wür­de in dem Moment gern dar­auf ver­zich­ten, aber im Nach­hin­ein, wenn alles doch irgend­wie gut gegan­gen ist, sind es die High­lights einer Rei­se.
    Wenn man sol­che Situa­tio­nen meis­tert, dann wächst man damit auch ein klei­nes Stück und ich bin mir sicher, dass Du Dich, auch noch 20 Jah­re spä­ter an die­se Geschich­te erin­nern wirst.
    Lie­be Grü­ße

    Alex

    1. Avatar von Ariane Kovac

      Dan­ke dir! Ja, das sehe ich ganz genau­so. Irgend­wie ver­rei­sen wir doch auch, um die­se klei­nen Aben­teu­er-Momen­te zu füh­len 🙂

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